Sechste Scene.

[141] Das Gitterthor öffnet sich; mehre Männer und Knaben in schwarzen Mänteln mit Fackeln gehen heraus und über die Bühne ab. Zuletzt kommen:

Nase, Murrner und Zwitsch

von der Seite herein.

Faust in einfacher schwarzer Tracht; gestützt

auf Wagner, dem Kern folgt.


NASE auf Faust weisend.

Das ist das End' vom Lied'

Hochmuth kommt vor dem Falle.

MURRNER.

Kommt, laßt uns fort, mich überläuft die Galle;

Er schändet unser Stadtgebiet!

ZWITSCH.

Ich will es auch nicht länger leiden,

Noch morgen soll er's meiden!

KERN vortretend.

Ihr Schurken, Ehrfurcht vor dem Schmerz![141]

FAUST ihn zurückhaltend

O lasse sie gewähren!

NASE.

Dem Vater brach er's Herz,

Nun kommt er noch zu schmähen ihn durch Zähren!

WAGNER.

O habt doch Schonung – wie sie Menschen haben!

KERN.

Ihr wetterwend'schen Hundeseelen! Raben!

Ich denk' euch morgen zu begegnen

Und euern Witz euch blutig zu gesegnen –!

MURRNER.

Wir sollen seiner schonen? Hat er seiner

Denn selbst geschont? Sich selbst bewein' er

Und fliehe, denn es duldet hier ihn Keiner

Von uns! Ein Schlangensumpf ist reiner

Als seine Seele, die des Teufels ist!


Ab.


NASE.

Er suche morgen bald das Weite,

Ihr könnt ihm geben das Geleite!


Mit Zwitsch lachend ab.


KERN von Faust zurückgehalten.

O laßt mich ihnen nach,

In ihrem Blut zu waschen ab die Schmach! –[142]

FAUST.

Beruhigt euch. Die Schmach ist Balsam mir. –

Ihr wart bei meines Vaters Ende?

Wie war sein Tod?

WAGNER.

So wie sein Leben,

Ganz gottergeben;

So schwindet sanft das letzte Abendroth.

KERN.

Er hob verscheidend himmelwärts die Hände,

Und der Gedanken letzter waret ihr,

Er gab euch scheidend seinen frommen Segen.

FAUST.

Dank. – Führe, Wagner, mich zu seinem Grabe.

WAGNER.

Kommt, Meister.


Er führt ihn durchs Thor.


KERN allein.

Ströme, Thränenregen

Von einer Welt, als milde Himmelslabe

Auf solches Unglück hin! – Er bricht zusammen,

Des Wissens einst so mächt'ger Sohn;

Die Ceder lodert auf dem Libanon

Hoch von der Tiefe kühn beschwornen Flammen!

Sie reichte ihm für eines Tempels Bau

Empor in Gottes reinstes Himmelsblau,

Jetzt gibt sie kaum sechs Bretlein ab,[143]

Zu sargen ein, was Ewigkeit ihm gab!

Die Geisterwelt war ihm erschlossen,

Drum schloß sich ihm die Welt der Menschen zu;

Den Sturm der Phantasie hat er genossen,

Doch nicht des Lebens Glück und Ruh.

Das Leben ist kein Reich blos der Gedanken;

Dies hat er nicht bedacht,

Daß uns das Herz, Empfindung setzte Schranken,

Er kannte noch nicht des Gefühles Macht.

O Schmerzensbeitrag, Faust, der Weltgeschichte,

Die ganze Menschheit spiegelt sich in dir!

In Dämm'rung wandeln wir,

Das schwache Auge bildend einst'gem Lichte.


Ab.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 141-144.
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