Fünfter Auftritt.

[146] Klerdon. Henley.


HENLEY indem er herein tritt, für sich. Ich muß diese glücklichen Augenblicke nutzen, da er allein ist; wie bald kann Granville wieder kommen. Zum Klerdon. Sie sind tiefsinnig, Klerdon? ich hatte mich dessen nicht versehn! Ich kam her, ein Zeuge Ihrer Freude über den Besuch Ihres Freundes, des Granville, zu seyn.

KLERDON. Seyn Sie ein Zeuge meiner Verzweiflung. Ich bin verloren, Freund. Mein Vater ist dahin. Sein Tod ist von den schrecklichsten Umständen begleitet worden. Granville, dessen zu sorgsame Freundschaft ihre Erzählung meinen Schmerzen ersparen wollte, ließ wider Willen Thränen fallen, da er ihrer erwähnte.

HENLEY. Und diese Nachricht schlägt meinen Freund, den muthigen Klerdon, so nieder? die Weichlichkeit eines schwachen Granville theilt sich[146] auch seinem heldenmüthigen Geiste mit? Ein abgelebter Greis muß dem gemeinen Schicksale gehorchen, er wird zugleich von den Beschwernissen des Alters befreyt. Ist dieß die wichtige Ursache Ihrer Verzweiflung?

KLERDON. Wie können Sie meines Schmerzens so spotten! War dieser ehrwürdige Greis nicht mein Vater? War er nicht so unerschöpflich gegen mich an Wohlthaten, als ich in dem letzten Zeitpunkte seines Lebens unerschöpflich gegen ihn an Beleidigungen war? Sie wissen es selbst, mit welcher Bereitwilligkeit er sein ganzes Vermögen mir zu Liebe aufopferte. Haben nicht meine Ausschweifungen seine Tage verkürzt? Bin ich nicht sein Mörder, der Mörder meines Vaters, meines Wohlthäters! O Gedanke, der mein Innerstes gleich dem Donner zermalmt! Welch eine Verantwortung, welch eine Rache muß meiner erwarten!

HENLEY. Was reden Sie von Rache und Verantwortung? Daß doch die Vorurtheile unsrer thierischen Jahre, auch wenn wir sie ganz erstickt zu haben glauben, uns so oft überraschen! Fassen Sie Sich, Klerdon, zeigen Sie den Mann, der, wie in[147] allem, so auch in dem, was den Pöbel niederzuschlagen pflegt, über ihn erhaben ist. Weil Ihr Bezeigen, Ihr so vernünftiges Bezeigen, dem eigensinnigen Alter Ihres Vaters zuletzt nicht stets gefallen wollte, so meynen Sie, der Gram hierüber habe seinen letzten Tag beschleunigt? Nichtige Furcht! Ich sollte glauben, der Tod eines Greises bedürfe keiner so außerordentlichen Ursache. Nach einigem Innehalten. Ich errathe die Quelle Ihrer schwermüthigen Besorgnisse. Sie wissen, daß kein Mensch an mehrern Vorurtheilen und unüberwindlichem Aberglauben krank liegt, als Granville. Sie kennen seinen Stolz, seine Lüsternheit ein Muster zu seyn, und die ganze Welt, wäre es möglich, so schwach, als er selbst ist, zu machen; Sie kennen seine Begierde, über die Gemüther zu herrschen –

KLERDON. Sie vergessen seine Verdienste, die gewiß seine Fehler, wenn er auch welche hat, weit überwiegen.

HENLEY. Ich begehre dieß nicht zu leugnen. Indessen wissen Sie selbst, daß die stolze Art, mit welcher er über Sie eine Herrschaft behaupten wollte, Sie damals in London nöthigte, seinen Umgang zu[148] fliehen. Itzt kömmt er mit einer künstlich erfundnen rührenden Erzählung von dem Tode Ihres Vaters, sich in Ihr erweichtes Herz wieder einzuschmeicheln. Gelingt es ihm, so wird er Ihnen die alten Fesseln wieder anlegen; dann wird er Sie bereden nach London zurück zu kehren, und daselbst als sein Sklave mit ihm ein finstres, einsames, freudenloses, oder, wie er es nennt, tugendhaftes Leben zu führen.

KLERDON. Sie irren Sich; nicht er, sondern mein sterbender Vater selbst, gebeut mir meine vorigen Grundsätze wieder anzunehmen.

HENLEY. Und Sie wollen gehorchen, Klerdon? Sie wollen gehorchen? Granville nennt sich Ihren Freund, und dennoch – ja, ich muß es sagen, mein Eifer, meine Zärtlichkeit für Sie übermannt mich – ist er Ihr schädlichster Feind. – Schon sehe ich Sie, von Verachtung niedergebeugt, herum schleichen, Ihre schüchterne Augen wagen es nicht sich von der Erde zu erheben, die Scham glüht auf Ihrer Wange, und überall verfolgt Sie das Gelächter des Spottes. »Klerdon,« wird die Welt sprechen, »empfieng von der Natur mit dem edelmüthigsten Herzen den durchdringendsten Geist. Seine herrlichen[149] Vorzüge machten, daß er gar bald die sklavischen Fesseln des Aberglaubens zerbrach, an die man seine Kindheit gewöhnt hatte. Er fing an frey, groß, unpöbelhaft zu denken. Doch eine plötzliche Veränderung! Sein Vater, ein abgelebter Greis, stirbt. Eine so gar außerordentliche Begebenheit mußte freylich den nun wieder frommen Klerdon rühren. Zahm und gebeugt kehrt er in seine alte Knechtschaft zurück, und wird der Abgott der Einfalt, der Gegenstand des Mitleidens seiner Freunde, und der Spott der Vernünftigen.« So wird die Welt sprechen. Doch ich will Sie von Ihrem glorreichen Vorhaben nicht zurück halten. Bald werden Sie das seltne Glück genießen, wie der gemeinste Verstand zu denken, und noch dazu durch eine Wankelmüthigkeit in Ihren Gesinnungen, die gemeiniglich das prangende Merkmal kleiner Geister ist, sich eine unsterbliche Bewunderung zu erwerben. Ich wünsche Ihnen Glück dazu!

KLERDON. Halten Sie ein mit diesem grausamen Spotte; es ist mir unerträglich, verachtet zu werden. – Ja Sie haben mich von diesem schimpflichen Schlummer, der meinen Geist bald gänzlich[150] überwältigt hätte, erweckt; ich will nicht der Spott der Welt werden! – Ich muß es gestehen, Freund, ich war im Begriff es zu werden. Eine Unruhe, die mich seit der Aenderung meiner Grundsätze öfters befallen hat, und die meine Zaghaftigkeit dieser Aenderung zuschrieb, der Befehl eines sterbenden Vaters, der Schmerz über seinen Tod, alles bestürmte meine Standhaftigkeit. Schon drohte sie zu fallen; doch Ihre Reden haben Sie mit neuer Kraft begeistert. Ich bin mir wieder selbst gleich, ich bin würdig Ihr Freund zu seyn.

HENLEY. Ich höre jemand kommen, vermuthlich ist es Granville. Ich verlasse Sie; erinnern Sie Sich Ihrer Entschlüsse. Rüsten Sie Sich mit unbezwinglicher Stärke gegen seine überredenden Lockungen. Entweder Sie zerstören itzt auf einmal seine thörichten Hoffnungen, oder Sie sind auf ewig sein Sklave. Geht ab.


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 146-151.
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