Vierter Auftritt.

[198] Henley. Widston.


WIDSTON. Man hat mir gesagt, mein Herr, daß Sie mich zu sprechen verlangten.

HENLEY. Ja, Widston, vereinige deine Freude mit der meinigen, wünsche mir Glück. Bald ist meine Rache vollführt, bald ist Klerdon der Unglücklichste – – du entfärbest dich? Wie? welchen Theil nimmst du an seinem Schicksal?

WIDSTON. Keinen, mein Herr.

HENLEY. Ha! Verräther! die Verstellung ist fruchtlos. Ich kenne deine Treulosigkeit! – der Brief an Klerdon –

WIDSTON. Ja, er war von mir. Ich sehe, mein Herr, Sie haben alles erfahren. Ich bin entdeckt, und ich weiß es, dem Tode nahe. Doch, wo die Worte eines Menschen, der so lange ein Diener Ihrer Gewaltthätigkeiten gewesen, bey[198] Ihnen einiges Gewicht haben, so sättigen Sie Ihren Grimm an mir, und verschonen Sie Ihres unglücklichen Freundes. Er wirft sich in Ihre Arme, sein Herz weiß nicht, wie es etwas vor Ihnen verbergen soll; die feurigste Zärtlichkeit spricht aus ihm, wenn er Ihrer gedenkt, er hält Sie für seine einzige Zuflucht, für den Trost seiner Bedrängnisse – und Sie könnten ein Vergnügen finden, ein Herz zu peinigen, das Sie unaussprechlich liebt? – Womit hat er Sie jemals beleidigt! Er besaß Vorzüge, die den Ihrigen schadeten. Beruhigen Sie Sich, Sie haben ihn von diesem schimmernden Gipfel herabgestürzt: kann Ihnen das nicht genug seyn? Sie haben ihn seines Vermögens, und was das wichtigste ist, seiner Tugend beraubt; itzt wollen Sie ihm noch alle Mittel, sich zu retten, entwenden, und da er hier nichts mehr zu verlieren hat, den rächenden Arm selbst über seine künftigen Hoffnungen verwegen erheben? – O mein Herr, wo Sie nicht wollen, Er fällt ihm zu Fuße. daß ein unversöhnlicher Fluch Ihr Grab noch verfolgen soll, wo der[199] Gedanke jener fürchterlichen Ewigkeit etwas bey Ihnen vermag, so stehen Sie von dem entsetzlichen Vorhaben ab.

HENLEY. Stehe auf, Widston, ich fühle es, ich bin überwunden.

WIDSTON. In welches Entzücken setzen Sie mich. Wie? so dürfte ich hoffen? – –

HENLEY. Ja, es ist geschehn; dein Brief, den ich bey dem Klerdon erblickte, die Freundschaft und Zärtlichkeit dieses Unglücklichen machten bereits meinen Entschluß wankend. Alles, was ich dir jetzt von meiner bald hinausgeführten Rache sagte, der Zorn, den ich gegen dich äusserte, alles war Verstellung, die mich nur gewisser machen sollte, daß du der Urheber des Briefs an Klerdon seyst. Deine Bitten haben mich vollends entwafnet. Ich verzeihe dir, ich schenke dem Klerdon meine Freundschaft wieder, und ich werde eben die Bemühungen anwenden, seine Leiden zu enden, die ich vorhin verschwendete, ihn in neue zu verwickeln. Du kannst dich bey meinem Versprechen beruhigen.[200]

WIDSTON. Ja, es beruhigt mich; was sollte Sie bewegen, sich gegen einen Elenden zu verstellen, der in Ihrer Gewalt ist?

HENLEY. Du siehst, wie viel ich dir verzeihe; belohne mich dafür mit einer Offenherzigkeit, die du mir sonst nie zu versagen pflegtest. Was bewog dich einen so zärtlichen Antheil an dem Geschicke des Klerdon zu nehmen, und zugleich ein Verbrechen – itzt nenne ich es so – hintertreiben zu wollen; dich, der sonst nur zu fertig war, sie auszuführen? Ich wiederhole es, alles ist vergeben; deiner Verstellung würde alle Beschönigung mangeln.

WIDSTON. Der leutselige Charakter des Klerdon, seine vorzügliche Güte gegen mich, hatten ihm mein Herz erobert. Noch mehr aber bewog mich der Anschlag selbst, den ich auch noch itzt – ich rede frey – nicht ohne Schauer denken kann. Das Entsetzliche, das ihn begleitete, da er bis über dieses Leben hinaus gieng, erweckte auf einmal zu graunvolle Vorstellungen in mir. Mein sonst fühlloses Herz ward aufgebracht. Meine Einbildung[201] schreckten die fürchterlichsten Bilder. Überall glaubte ich einen Abgrund zu sehn, der mich zu verschlingen drohte, wo ich schwiege. Gedrungen wider meinen Willen ward ich ein Verräther – jetzt danke ich dem Himmel, daß ich es geworden bin.

HENLEY. Zu Klerdons und selbst zu meinem Glücke bist du es worden. Ich werde von nun an die süßen Freuden großmüthiger Versöhnlichkeit schmecken, ohne dich mir ewig fremde, ungefühlte Freuden – Doch ich wünschte, du möchtest dich von hier entfernen. Klerdon, der dich für den Urheber des Briefs hält, wird ohne Zweifel bey dir nach den weitern Umständen forschen. Dies könnte dich in Verlegenheit setzen, oder vielleicht aufs neue eine tödtliche Feindschaft unter uns beiden entzünden, und mich nöthigen, Absichten, die ich jetzt verworfen, wieder zu ergreifen. Ich will dieß durchaus nicht. Ewig muß ihm dieses unglückliche Geheimniß verborgen seyn. Begieb dich so gleich auf mein Gut, und laß alles sich anschicken, mich und den Klerdon, und vielleicht[202] mehrere Freunde zu empfangen; ich will indessen arbeiten, sein Gemüth zu beruhigen, und sein Glück wieder herzustellen; so bald mir dieses gelungen ist, folge ich dir, und dann wird alles in Vergessenheit begraben seyn.

WIDSTON. Ich werde Ihren Befehl aufs sorgfältigste vollstrecken.

HENLEY. Ich höre jemand kommen. Entferne dich, und reise sogleich ab. Vor allen vermeide den Klerdon.

WIDSTON. Ich gehorche. Geht ab.

HENLEY. Das fürchterlichste Hinderniß ist hinweg. – Geh nur, Elender, bald werde ich dir folgen, und Tod und Rache mit mir!


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 198-203.
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