Dritter Auftritt.

[233] KLERDON. Ich ihn versöhnen? Raserey wäre es, dieß zu hoffen. Nicht Gnade, nur Verzweiflung wartet meiner. – Ich fühle deine tödtenden Gerichte, Ewiger! Ach unerträglich donnern sie auf mich herab! – und nur zu sehr habe ich sie verdient! – Deine beleidigte Religion ruft dich zur Rache – Sie muß wahr seyn, diese Angst, diese brennende Verzweiflung, die in mir wütet, lehrt es mich. – Ja, sie fallen, die unseligen Hüllen, die meine Augen bisher gefangen hielten. – Graunvoller[233] Anblick! Ganz entdecke ich die entsetzliche Bahn der Frevel, auf die ich mich verirrte. – Wider eine Religion wagte ichs, mich zu empören, in deren Schooß ich nichts als Freude und Zufriedenheit genoß! Einen Schöpfer beleidigte ich verwegen, den ich bisher nur durch Wohlthaten gekannt hatte! Spöttereyen über das, was mir das Heiligste hätte sein sollen, strömten von meinen Lippen! – Die liebenswürdigsten Tugenden gab ich für erniedrigende Wollüste auf, und öffentlich – hier ergreift mich Schauer und Verzweiflung – öffentlich erfrechte ich mich, ein Feind Gottes und der Religion zu seyn, öffentlich ihnen den Krieg anzukündigen! – Und wie manchen rissen vielleicht meine unsinnigen Reden zu gleichem Aufruhr fort! Welch entsetzliches Weh wird die zerstörte Tugend über mich ausrufen! Welche Verwünschungen müssen sich auf mein Haupt häufen! Du bist gerächt, Religion; so bald du mich, göttliche Führerinn, verließest, ward jeder Schritt ein Frevel. – Jede meiner Thaten spricht das Todesurtheil über mich aus, jede fodert eine Hölle – Ich sehe[234] den gräßlichen Abgrund zu meinen Füßen sich aufthun. Ich sehe die Qualen vor meinen Augen sich verbreiten, die mir die Zukunft aufbehält. Schon rüstet sich ewige Nacht mit ihren Schrecknissen mich zu überfallen. Du, Elend, wirst künftig meine Heimath; du, Verzweiflung, mein Geschäffte, und mein ganzes Empfinden Pein seyn. – Tage des Gerichts, der Rache und des Jammers, ich segne euch entgegen! Ihr rechtfertigt den Himmel, ihr straft einen Verruchten, den die Natur mit Entsetzen erblickt. Ihr werdet unsterbliche Qualen auf mich häufen, und doch das Maß der Gerechtigkeit nicht ausfüllen. – Ich höre deine Stimme, fürchterliche Ewigkeit! – du rufst mir! – hier empfange dein Opfer! Er zieht einen Dolch hervor, und will sich tödten. – Doch was thue ich? – o Tod! ich wage es, dich zu wählen! – Schwindelnder Abgrund! – Bewahrer furchtbarer Geheimnisse! Wege des Lebens und des Verderbens öffnen sich hinter deinen Pforten, und die Unendlichkeit ist ihr Maß – ich wage es, dich zu wählen? Ich[235] wage es, mich freywillig in die Arme eines allmächtigen Richters zu stürzen? Vernichtender Gedanke! ewig von ihm gehaßt, ewig mit seinen unerträglichen Gerichten belastet zu seyn! – So muß ich denn leben! – Nein, dieß kann ich nicht. Diese nagende Angst, diese namenlose Pein vermag ich nicht zu ertragen. – Doch wird sie der Tod enden? Wird er sie nicht verdoppeln? – Ich Elender! wohin kann ich flüchten? überall ist Abgrund. Das Leben ist eine Hölle, und der Tod auch. – Doch vielleicht ist der Tod Vernichtung. – Eitler Trost! dieses klopfende Herz, diese Angst, dieser Schauer, alles widerspricht dir. Ich empfinde es, daß ich zu ewigen Martern geschaffen bin, daß ein ewiger Richter – – Wehe mir! ich sehe ihn kommen – – ja, ich trüge mich nicht, diese furchtbare Herrlichkeit, dieser verzehrende Glanz, dieß Entsetzen der Natur verkündigt ihn. Wohin entflieh ich? Unwiderstehliche Schrecknisse rauschen vor ihm her. Seine Blicke sind Tod. Flammen und Ungewitter toben auf allen Seiten um mich her. –[236] Itzt gebeut er dem Verderben, mich zu schlagen – – Itzt ergreift mich sein Donner – – o Erde, decke mich vor ihm! O Vernichtung, komm über mich! –


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 233-237.
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