Die Entstehung und der Schluss des romantischen Schauspiels

»Die Gründung Prags«

Von Clemens Brentano an seine Freunde

Die Geschichte hat wenigen Ländern mit soviel unschuldiger Liebe die Biographie ihrer ersten Jugend aufgezeichnet als dem segenvollen, in sich geschlossenen Böheim. Die Ströme der Völker, welche sich in seine Täler ergossen und endlich, über seine Höhen emporgetreten, das von reichen Gebirgen umfriedete Land zu einem zusammenhängenden Meere des Lebens machten, welches das Weltschicksal durch einen Mondsteinwurf in kreisende Bewegung setzen kann, – alle diese Ströme geleitet uns die Geschichte mit mannichfacher vertraulicher Erzählung hinan bis zu ihrer Quelle, den Brüdern Czech und Lech, die, durch Menschenfülle aus reicher Heimat überfließend, sich einfältiglich in diese Waldtäler mit einer ehrbaren patriarchalischen Schar ergießen. Wir sehen sie, von ihren Verwandten und Freunden umgeben, im Geleite ihrer Herden, ihr Panier, den schwarzen Adler in weißem Schilde auf gelber Fahne, durch die Wälder einhertragen und besitznehmend in den Grund und Boden der neuen Heimat pflanzen, welche bald ihr Vertrauen belohnt. Wir sehen ihren Wandel, wir hören ihre Reden und den Schlag ihrer Äxte, der die Wälder lichtet; sie bauen, umzäunen, arbeiten und beten zu ihren Göttern, die sie mit sich geführt; sie trennen, sie gesellen, sie verbinden sich; wir sehen die Familien zum Volk erwachsen, das Volk sich zum Staate befestigen. Wie Moses die Welt vor den Augen der Kinder und der Weisen aus den Händen des Schöpfers hervorgehen läßt, wie sein erster Mensch in einem Garten vor uns wandelt, alles benennt, von allem Besitz nimmt, wie er fällt, wie die Not ihn treibt, wie er sich fortpflanzt, sich verzweigt, wie aus ihm die Altväter, aus diesen die Stämme und weiter die Völker hervorgehen, wie der begeisterte Seher sieht, glaubt und aussprechend dichtet, wie göttliches Gedicht zur Sage und Sage zur Geschichte wird, so ist auch die böhmische Geschichte eine Seherin, eine Dichterin, eine Künstlerin, die uns, wo die[527] historische Urkunde verstummt, eine höhere, überzeitliche, ewige poetische Wahrheit, die Sage, giebt. Wir aber dürfen diese um so dankbarer von ihr empfangen, als uns die Geschichtschreiber meistens in die Jugendperiode der Völker wie Fremdlinge in eine Stadt hülflos absetzen, in welche durch verworrene Marschrouten die verschiedensten Truppen sich zu gleicher Zeit und in so ungeheuerer Anzahl einquartieren, daß auch die schulgerechteste Kritik Mühe hat, sich vor dem Andrang der durcheinanderströmenden Nationen, die alle ihre Quartierzettel vorzeigen, auf den Beinen zu erhalten. Diese aus allerlei römischen Armeeberichten zusammengelesenen und nach mannigfaltigen geographischen Konjekturen und Capricen von gelehrten Pedanten bald so, bald anders durcheinandergeströmten Völker verhalten sich höchstens zu wahren historichen Karten wie die durcheinandergezogenen flüssigen Farben der Marmorpapierfabrikanten, welche bei der geringsten Umrührung in eine schmutzfarbigte Masse zusammenrinnen, die zu entwirren, jeder, der da will oder muß, eine andere Abhandlung schreibt, welche niemand erfreut als seinen Nachfolger, der sie widerlegt.

Auch die frühste Kindheit der Geschichte ist stumm, und wer das Wesen ihrer ersten Jugend erfahren will, kann dieses allein, wo sie noch lebet, von ihrer Amme, der Sage, die an ihrer Wiege gewacht und gesungen, erfragen. Später, wenn sie schon stammeln und endlich reden gelernt, plaudert sie den eignen Traum und die Märchen ihrer Amme durcheinander; ist sie aber nach Jahren wohl unterrichtet, kann sie Böses von Gutem unterscheiden, dann gehet sie auch schon als eine Sünderin zur Beichte und wir hören die sogenannte Wahrheit von ihr; der Denker aber mag ausmitteln, was von diesen Geständnissen ihr eigenes freies Leben und was ihr allein die Rute ihrer Zuchtmeister eingelehrt. Wo die historische Wahrheit eintritt, steht der Engel mit dem feurigen Schwerte bereits vor dem verlorenen Paradies. Wie aber jeder Lebendige, wär er auch noch so sehr in der Gegenwart versteinert, wenigstens in einzelnen Augenblicken mit Rührung in die goldenen Träume seiner Kindheit zurückschauen mag, so haben auch immer ganzgesinnte Forscher die Geschichte der Völker, nicht zufrieden,[528] daß sie wie eine Sonne hell am Himmel zu stehen scheint, bis zu ihrem Aufgang aus morgenroten Nebelwolken, und zu ihrem Untergang, der sich zu jenem wie der Greis zum Kinde verhält, sie stürbe denn einen jugendlichen Heldentod, zu verfolgen geliebt. Mit wie getreuer und langer Beobachtung aber ist die Geschichte des Bienenstaates begleitet worden, und doch wissen wir nichts von ihnen als eine Menge Äußerlichkeiten. Aller lauschenden List verkleben sie die Einsicht ihres Baues, zwingt man sie gleich in ein gläsernes Haus, denn aller Aufgang liegt im Dunkel, ja selbst der des Lichtes. Wie aber der Traum der Nacht angehört, welchen ich einer Arche vergleichen möchte, die vieles Leben des untergegangenen Tages über den dunkeln Wogen der Nacht rettend emporträgt, und gleichwie, ging uns je die Erinnerung mit der Sonne des Tages unter, wir gerne die Bruchstücke seiner Gestalten unter dem Mondregenbogen, der über diese Arche gespannt ist, hervorgehen sähen, damit wir mehr als von heute seien, also wird und muß auch jeder Historiker gern in den Träumen der Geschichte lesen, der Dichter aber wird sie verstehen und auslegen.

In frühester Jugend sah ich in einem alten Buche Europa als eine wohlgekleidete, mit allen Herrscherinsignien ausgerüstete Jungfrau abgebildet, und vor kurzem ist mir dasselbe Bild zu meiner Freude in einer alten böhmischen Übersetzung von Buntings Reisebuch über die heilige Schrift wieder begegnet. Der Rhein liegt über ihrer Brust, wie eine Ehrenkette, an welcher Frankfurt, meine Vaterstadt, wie ein Schloß hängt, von diesem herab aber schwebt Böhmen als ein von Edelsteinen umfaßtes Geschmeid. Damals entstand in mir ein kindisches Interesse für dieses Land, wozu die böhmischen Glashändler, die ihre Buden voll bunter Glasflüsse in unseren Messen ausstellten, nicht wenig beitragen mochten; ich glaubte, das seien lauter Edelsteine, die aus jenem Geschmeide herausgebrochen worden; denn ich konnte mir Böhmen nun nicht anders als unter einer zierlichen, schimmernden Klosterarbeit, unter einem reichen Amulett denken, in dem Prag wie eine Reliquie eingeschlossen seie. Später hörte ich Böhmen den Nabel und auch wohl das Gürtelschloß der Jungfrau Europa nennen. So vorbefangen ergriff ich das vortreffliche Volkshistorienbüchlein,[529] die böhmische Riesengeschichte, mit ungemeiner Begierde, aber da fand ich freilich wieder alles ganz anders; es wird da die Sage von dem Schlosse Przinda oder Frauenberg, die Hagek unter dem Jahre 1009 erzählt, abgehandelt, und das Ganze ist von einer ungeheuren Riesenwirtschaft umgeben, ja die Prager Brücke ist ein einziger Riesenknochen, durch den man geht und fährt; das fremde Wort Hradschin machte mir in jener Geschichte besonders einen finstern und gespensterhaften Eindruck. In meiner Vaterstadt selbst früh von der abenteuerlichen, über- und durcheinandergetürmten Existenz der Juden in Glauben und Sitten wie von einer Rätselwelt berührt, erhielt meine Phantasie zu ihrer seltsamen Vorstellung von Prag noch einen ganz eigenen Zusatz durch die Erzählungen, daß dort eigentlich die hohe Schule der echten Kabbala, der höchste Sitz des ältesten Rabbinismus und der wahre gordische Knoten des europäischen Judentums sei; hiezu kamen später noch sechzigtausend Studenten, die mir in einer alten Geographie als dort herumvagierend angezeigt wurden, dann der selige Märtyrtod des heiligen Nepomuks, dessen Bild von dem Moldaugestirn umgeben, ich auf allen Brücken des katholischen Deutschlands begegnete. Weiter fiel mir die alte Chronik des Konstanzer Konziliums in die Hände, und ich sah den ketzerischen Huß in illuminiertem Holzschnitt verbrennen, seine kämpfenden Anhänger aber, die Hussiten, lernte ich zuerst in ihrer ganzen Schreckgestalt aus einer vortrefflich erzählten historischen Urkunde über ihre Erscheinung vor Naumburg im Journal von und für Deutschland kennen, und Gottfrieds Chronik zeigte mir im Bilde, wie man Gesandte zu den Fenstern hinabstürzte. So seltsam finster und abenteuerlich überbaut und unzugänglich umgraben, verbrücket und verrüstet, lag meine Vorstellung von Böhmen, und besonders von Prag, wie das wunderliche Wolkenbild eines Zauberschlosses vor meiner Phantasie, als mir in meinen Jünglingsjahren Musäus in seinem Volksmärchen Libussa wie eine erlöste Jungfrau, wie einen lachenden Vollmond daraus hervorführte; der böhmische Himmel ward mir heiterer, und alles Böhmische empfing mir von ihr einen magischen Glanz in meiner innern Welt.

Später begegnete mir der ehrliche vertrauliche Hagek; ich[530] horchte ihm gläubig zu, als sei er ein alter, lebendig und munter erzählender Hausgenosse, dessen Mitteilung mir von Jugend wert gewesen: und ich werde den biedern Hagek immer so sehr lieben, als mir die neuen überklugen Geschichtszeitungsschreiber, die ihn einen alten Fabelhans nennen, immer nüchterne Langeweile machen werden.

Aus allen diesen verworrenen historischen und märchenhaften Eindrücken war meiner Phantasie trotz aller späteren wahrhafteren Belehrung ein wunderbares romantisches Konglomerat als ein Bild Prags geblieben. Früh gefaßte Jugendbilder werden wie Gespensterfurcht und Idiosynkrasie beinah organisch, und sind bei bester Überzeugung und dem stärksten Willen kaum abzulegen. So war meine Erwartung auf das höchste gespannt, als ich zum ersten Male in die stolze königliche Stadt einfuhr.

Das erste, was mich einigermaßen befriedigte, war der Anblick des ernsten altertümlichen Schwarzenbergischen Hauses auf dem Hradschin, das ich für den Hradschin selbsten hielt, dann die alten Türme auf der Brücke, das Rathaus, die Theinkirche, der Neustädter Turm, und die ganz einzige Wenzelskapelle bei St. Veit. Doch konnte ich mich eines heimlichen kindischen Verdrusses nicht erwehren, daß Libussa und ihre Schwestern weder auf dem Wichehrad, noch auf dem Lorenziberg, über dem pythischen Dreifuß sitzend, anzutreffen waren, daß die Brücke nicht aus einem hohlen Riesenknochen bestand, daß ich keine heiligeren Sterne als alle himmlischen auf der Moldau spiegelnd schwimmen sah, daß ich vor Juden und Studenten genugsamen Raum fand, und daß endlich aus keinem Fenster Abgesandte herunterfallen wollten. Auch hier begegnete mir die Welt als einem Modernen modern, ich hörte wie überall von nichts anderm als von allerlei, was nicht gut sei, und vom Theater sprechen, Unterhaltungen, die ich ewig als ganz unfruchtbare verschworen, und welche, könnte man ihnen nach außen entfliehen, mich ans Ende der Welt treiben würden. Einsam durchwandelte ich das Steinmeer der Stadt, und sammelte in meiner Seele alle Abdrücke und Fußstapfen der vergangenen Zeiten, wie ein reisender Naturforscher Tiere, Pflanzen und Steine. Als ich mit den Überresten des Altertums[531] fertig zu sein glaubte, lenkte sich mein Auge zufällig auf das gegenwärtige Geschlecht, und mit ungemeiner Freude dachte ich mir unter manchen, das Maß und die Fülle meiner Landesfrauen an hohem und edlem Wuchs und kühnem freiem Wandel weit überragenden weiblichen Gestalten, die mir begegneten, bald Libussas, bald Wlastas oder einer andern böhmischen Amazone Bild. Doch konnte ich niemals unter den vielen Ökonomieoffizianten, die mir aufstießen, einen Przemisl finden. Von allem aber, was ich sah, blieb mir das Bild der affektierten, steifen, frostigen und garstigen schönen Pragerin vor dem Laden eines Putzmachers am meisten verhaßt; ich konnte nie, ohne auf sie zu schmähen, vorübergehen, denn sie trat mir immer wie ein Haubenstock in den historischen Bildersaal meiner Phantasie und machte mir, was ich an edlen Gestalten zusammengetragen, zu närrischen Modepuppen.

Diese Streifereien darf ich um so mehr einer Jagd nach altertümlichen historischen Eindrücken vergleichen, als ich auf ihnen ein Schicksal bestehen mußte, das die edle Jägerchronik von manchem zu leidenschaftlichen Weidmann erzählt. Ein neckender Geist gesellte sich zu mir, und lockte mich, ihm über einen Abgrund zu folgen, den er mir mit grünem Gesträuche verdeckt hatte, und der mir ein Zaubergarten schien. Hier träumte ich einen schönen Traum, und legte ihn mit andern Schätzen des Lebens in einer Dichtung nieder, die meinen Händen zwischen der lockeren Decke hinab zu dem Abgrunde entrissen wurde, über dem ich vertrauend geschlummert. Als ich erwachte, stand der Frühling und ein edler Freund mir bei und bei mir, die schöne Zeit führte mich auf die umschauenden Höhen und Türme der Stadt, ein dichter Morgennebel, dessen Schleier vor der steigenden Sonne zerriß, und mir das herrlich getürmte Prag nach und nach in den Glanz des vollen Lichtes enthüllte, rief mir lebhaft die Vision Libussens vor die Seele, in der sie Prag vor ihren Seherblicken aus der Nacht der Wälder hervortreten, sich entwickeln und vollenden sieht; dazwischen das Geräusch des Volkes, das Geläut der Glocken, der Gesang der Prozessionen, und das harmonische Getös kriegerischer Musik, alles dieses erweckte von neuem den lebhaften Wunsch, ja den Beruf in mir, die Gründung der vor mir in freudigem[532] Frühlingsscheine schimmernden Stadt in einem romantischen Drama zu feiern. Ich wiederholte, ordnete und ergänzte alle nur zu diesem Zwecke dienliche Erkenntnis; neben allen Modernen, welche diese Sage außer dem meist vortrefflichen Musäus mit schlechtem Glücke bearbeitet, las ich auch noch den belebten Kosmas, der, ich weiß nicht, ob in aller Unschuld oder in heiterer gelehrter Ironie, diese böhmische Fabelzeit mit auf seine Weise eleganter Latinität behandelt. Der edle und geistreiche Meinert ließ mich seiner Kritik, seiner Aufmunterung, wie überhaupt seiner Freundschaft zur Förderung meiner Arbeit auf die wohltätigste Weise genießen; der geniale, gelehrteste Dobrowsky teilte mir alle Hülfsmittel und Notizen, besonders in mythologischer Hinsicht, auf die unermüdetste und gefälligste Weise mit. Ihrem Wohlwollen, wie dem unterrichtenden und nach allen guten Seiten erweckenden Umgang meines Freundes Herrmann Leitenberger habe ich die Ruhe und Muse zu verdanken, welche mir nötig war, das Ganze, das lebhaft vor meiner Seele stand, im Einzelnen zu gliedern und so ein in sich nach besten Kräften rundes lebendiges Werk zu bilden. Hatte ich mich am Tage mit historischen Bruchstücken bereichert, so wandelte ich in der Nacht durch die stillen Straßen der weiten Stadt, und erquickte mich an dem Rauschen der ernsten Moldau unter dem Sternenhimmel. Indem ich mir so die neue historische Welt mit den modernen Umrissen der Gebäude und des Volksgeräusches im alles versöhnenden und ausgleichenden Nachtmeer untergehen ließ, glaubte ich in der tiefen Stille, die nur von dem Stundenruf einsam- und fernstehender Wachen unterbrochen war, wieder in dem Schatten der Wälder zu wandeln, die einst diese Gegend bedeckt; es traten mir mannigfaltig einzelne Szenen meines Gedichts wie Visionen entgegen, und so habe ich gewissermaßen erlebt, was ich gedichtet, denn ein anderes Gedicht trägt die Lüge an der Stirn. So hat sich nach und nach entwickelt, was ich, mit Ernst und Liebe verknüpft und mit der Rede belebt, wohlmeinenden Freunden poetischer Kunst vorlegen werde, »Die Gründung Prags«, ein romantisches Drama in gereimtem jambischen Silbenmaße. Es beginnt mit der Wahl Libussens zur Herzogin, umfaßt ihre Verbindung mit Przemisl, und schließt mit ihrer[533] Vision von der Prager Stadt. Ich habe mich darin, soviel es nötig war, der allgemeinen slavischen Göttersagen bedient, doch vorzüglich jener, welche den verbreitetsten mythischen Vorstellungsweisen und der ewigen Naturdichtung am nächsten liegen. Es begegnen sich hier die weißen himmlischen und schwarzen irdischen Dämonen wie in allen Glaubenssystemen entgegengesetzt und motivieren wie im ganzen Leben vieles im dramatischen Konflikt. Ein Anklang des Christentums, welches später in Böhmen erschienen, schwebt episodisch durch das Ganze, geht aber unausgesprochen notwendig darin unter, und bewirkt einen tragischen Effekt in historischer Vorahndung. Die drei sibyllischen Schwestern Tetka, Kascha, Libussa stehen die erste zum Himmel, die zweite zur Natur, die dritte zum Leben prophetisch gewendet, welches in der letzten durch ihre Verbindung mit Przemisl zur Geschichte wird; sie sind, wie die Höhen des ganzen Lebens in weiterer Umsicht, der Berührung aller ewigen Wahrheit näher gehalten. Ihrem Aufdringen zu dieser entgegen kämpft der Dienst der Unterirdischen, der durchaus hexenhaft behandelt ist, teils, weil er so der allgemeinen Vorstellungsweise nähersteht, teils, weil er wahrscheinlich auch immer hexenhaft war und sein wird, solange irgend noch ein Glaube sein Aber hat. Zwischen diesem Kampfe des Lichts und der Finsternis schwankt, von Stolz und Leidenschaft bis zur Raserei zerrissen, Wlasta nun, motiviert den Mägdekrieg, und es geht Trinitas, eine byzantinische Christin, die mit heiligem Berufe kaum das heidnische Land betrat, tragisch unter. Wlasta gedenke ich in einer zweiten Tragödie, der Mägdekrieg, zu erschöpfen; mit Trinitas ist mir eine dritte, Ludmilla, begründet, wenn anders meine Muse schonender Freunde genießt.

Der ganze Inhalt der vorliegenden Arbeit aber ist die Entstehung eines Staates, der Kampf und Untergang einzelner Leidenschaft gegen die Ordnung und das Gesetz des Ganzen.

Um der Frage zu begegnen, ob dieses Schauspiel für das Theater geschrieben sei, sage ich, daß es gewiß theatralischer als die meisten ist. Durchaus in heftiger Leidenschaft lebendig, in rätselhafter verketteter Spannung sich fortschreitend lösend, bewegt es sich mit fremdem Pomp durch romantisch beleuchtete[534] Nachtszenen, und ist in höherer Haltung der Rede ruhig; zugleich ist aller für Theaterlokalität unmögliche Apparat und Szenenwechsel streng vermieden. Die weitere Frage, ob es eine Bühne so aufführen könne, wie es ist, beantworte ich mit einer zweiten: Welches bedeutendere dramatische Werk kann irgend eine Bühne, so wie sie sind, in unseren Tagen aufführen, so wie es ist? Die Bühne, das Lokal, die Szene, die Illusion muß jeder Dichter achten, der Schauspieler muß sich Achtung erwerben; jene sind dauernd, diese sind wandelbar. Was für Helden würde der Dichter gebären, der sie nach dem Leisten der Schauspieler zuschnitte, die heute so und morgen anders sind. Es ist genug, daß sich die Erde ackern, besäen und ernten läßt, wer wird ihr zumuten, jedem nach seinem Geschmack das Backwerk auf den Tisch zu setzen. Das allgemeine Gesetz ist beobachtet, das Bedürfnis des kurzen Zeitraums der Darstellung und der Bequemlichkeit für den Darstellenden aber ist überschritten, die Rede ist zu reich für den Raum von drei Stunden; sollte aber einst irgend eine Bühne einen zweckmäßigen Auszug des Ganzen für ihr Bedürfnis von mir verlangen, so bin ich bereit, ihre Anmutung und Anerbietung freundlich und billig zu vernehmen; außerdem steht es ja auch noch jedem Theaterunternehmer frei, sobald meine Arbeit erschienen ist, sie auf seine eigene Weise zurecht zu schneidern. Diese Anzeige schließend, teile ich hier meinen Freunden diesseits und jenseits der böhmischen Berge den Schluß meines Gedichtes mit.

Primislaus, mit Libussen vor dem Volke verbunden, ist, mit Czechs Stab und Mütze feierlich bekleidet, zu dem Stuhle Kroks gestiegen, er spricht dem Volke allgemeine Gesetze aus, die er also beschließt:


Der Richter, der Geschenken je sich neigt,

Der, wenn er sprechen soll, die Hand hinreicht

Und mit den Augen nach dem Beutel zeigt,

Der lüstern nach der schönen Klägrin schielt

Und ihr, die Hülfe sucht, sich selbst empfiehlt,

Der ist ein Dieb, der mir das Haus umschleicht,

Der ist ein Dieb, der in mein Fenster steigt,

Der ist ein Dieb, der meine Ehre stiehlt:

Der Kläger, der Geschenk' dem Richter bringt,[535]

Metall, Frucht, Fleisch vom Menschen oder Tiere,

Was es auch sei, womit er ihn verführe,

Verliert sein Recht, wie es ihm auch gelingt;

Erst soll der Richter den Bestecher hängen

Und dann sich selbst an selbstgeflochtnen Strängen.

Hiermit sei das Gesetz heut abgetagt.

Es spreche jetzt, wer bittet oder klagt.

DRUHAN.

Sich allgemein in deinem Recht zu sonnen,

Ist allzusehr des Volkes Flut zeronnen.

Zu Pflicht und Schutz sind wir so weit getrennt,

Daß einer hier den anderen kaum kennt.

Wir bitten dich, nach gutem Ort zu schauen,

Wo jeder Raum sich anzusiedeln hat,

Daß wir dir gründen eine weite Stadt.

PRIMISLAUS.

Libussa, Seherin, wo ist gut bauen?

LIBUSSA.

Hört ihr der Äxte Schlag jenseits im Wald,

Wo sich der steinge Berg zum Tale teilt,

Das Bächlein Brusna zu der Moldau eilt,

Und wo der Berg sich mit Delphinsgestalt

Zum Bächlein schwingt? Dort fragt die Zimmerleute,

Was heute ihrer Äxte Werk bedeute.

Habt ihr erfraget, was sie dort bereiten,

So kehrt zu mir und lasset euch bescheiden.


Druhan und Chobol ab.


Hier beginnt unter Musik und nationalen Tänzen das Hochzeitfest des Primislaus, und als der Jubel seinen Gipfel erreicht, wird er plötzlich durch einen Trauerzug unterbrochen, welcher eine bedeckte Bahre begleitet. Der slavische Bildhauer, welcher seinem neuen Fürsten mehrere Götterbilder zur Hochzeitsgabe übersenden sollte und bei dem Feste zugegen ist, glaubt, wie alle Anwesende, nicht anders, als daß seine Werke auf dieser Bahre gebracht würden; man enthüllt sie mit begierigem Ungestüm und findet den mit dem giftigen Pfeil der Zauberin Zwradka durchbohrten Leib der Trinitas, einer byzantinischen[536] Christin, welche jenem Bildhauer in frommer Absicht in sein heidnisches Vaterland gefolgt ist.

Nachdem diese tragische Unterbrechung des fröhlichen Festes zur Besonnenheit eines tiefen Ernstes in allen Gemütern gelangt ist, treten Druhan und Chobol, von ihrer Sendung kehrend, auf.


DRUHAN.

Wir kehren, Jungfrau, wieder aus dem Wald,

Wo sich der steinge Berg zum Tale teilt,

Das Bächlein Brusna zu der Moldau eilt

Und wo der Berg sich in Delphins Gestalt

Zum Bächlein schwingt; dort fanden wir den Klen,

Des Smili Sohn, mit Sudiroh, dem Sohn.

Sie zimmerten, und als sie uns gesehn,

Ruht ihre Axt, sie waren fertig schon.

Wir grüßten, fragten: Meister und Geselle,

Was zimmert ihr? Sie sprachen: Prag, die Schwelle!


Eine allgemeine Stille; alle Augen sind auf Libussa gerichtet, die mit einem tiefen Ernste in die Ferne schaut; plötzlich steigt sie auf den Stuhl Kroks, erhebt ihren Stab, und spricht mit steigender Begeisterung, als sehe sie die herrliche Stadt vor ihren Augen entstehn.


Die Berge treten ehrfurchtsvoll zurück,

Es öffnet sich des Tales sichrer Schoß,

Denn oben schwebt das wandelbare Glück

Und wirft der Nachwelt rätselhaftes Los.

O Herrlichkeit! sie wächst vor meinem Blick,

Sie steigt, sie windet sich, wie wird sie groß.

Schon ruft sie spiegelnd in der Moldau Welle:

Prag, Prag heiß ich, bin deines Ruhmes Schwelle.


Ich hör das Beil, es lichtet durch den Wald,

Und feste Häuser steigen rings empor,

Sie reihen sich in wechselnder Gestalt,

Die Mauer schirmt, es wehret Turm und Tor,

Es engt der Raum, zur Höhe treibt Gewalt,

Schon ragt am Berg der Schlösser hohes Chor.

Sie jauchzen lichtstolz in der Sonnenhelle:

Prag, Prag, du unsers Glanzes Ehrenschwelle![537]


Nun fasset sie nicht mehr des Tales Bucht,

Nun wehret ihr nicht mehr des Flusses Macht,

Und wie ein Waldstrom wachsend Ebne sucht,

Dringt jenseits sie, der Wälder dichte Nacht

Neigt sich vor ihr; der Fläche stolze Frucht,

Die weite Stadt, zum blauen Himmel lacht.

Sie grüßt hinüber zu den Schlössern helle:

Prag, Prag liegt hier vor seines Thrones Schwelle.


Ja wie des Bergstroms Sohn, der blanke See,

Liegt sie gebreitet in der Sonne Glanz,

Und wie versteinte Wogen ringsum seh

Ich stolzer Schlösser, hoher Tempel Kranz.

Es braust das Volk und rauscht in Wohl und Weh,

Es tost die Stadt in Lust und Waffentanz,

Und mancher singt auf des Geschickes Welle:

Prag, Prag, du meines Glückes reiche Schwelle!


Sieh, auf dem Schloß erglänzet eine Krone!

Und wie ein Königsmantel weit ergießt

Die goldne Stadt sich von des Berges Throne;

Um ihn als ein gestirnter Gürtel fließt

Die Moldau ernst, und Heil der Nachwelt Sohne!

Der mit der Brücke Demantschloß ihn schließt.

Durch Siegesbogen lobsingt dann die Welle:

Prag, Prag, du meines Heils umpalmte Schwelle!


O Trinitas! ich seh aus deiner Gruft

Zwei goldene Oliven sich erschwingen,

Im heilgen Garten würzen sie die Luft,

Durch alle Himmel muß ihr Düften dringen,

Gleich frommen Bienen um der Blüten Duft

Wird alles Volk in ihrem Schatten singen.

Es bricht die Nacht, o Duft! o Lichtes Helle!

Prag, Prag, du unsers Heils und Glaubens Schwelle!


Sie sinkt Tetka und Kascha in die Arme.[538]


PRIMISLAUS.

Schmückt mir den Pflug, den mir Libussa gab,

Den Raum der neuen Stadt pflüg ich euch ab;

Erhebet euer Herz, und jauchzet helle:

Prag, Prag, du unsers Heils und Glaubens Schwelle!

ALLES VOLK.

Prag, Prag, du unsers Heils und Glaubens Schwelle![539]

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 4, München [1963–1968], S. 527-541.
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