Prolog.

[543] [543] Biographie


Der Verfasser blickt auf seine handeltreibende Vaterstadt, und erwähnt mancherlei Gelehrte und Künstler, die aus ihr hervorgegangen, teils namentlich, teils andeutend, wie z.B.: Stanze 5 Hr. von Meyer, St. 6 Hr. Kirchner, spricht dann sein Vorüberschreiten an bürgerlichen Ständen aus, und geht, indem er sich unter Apollos Flagge einschifft, über in die


Allegorie.


Er landet an den Ufern der Fata Morgana, scheitert, gerät in die Gewalt einer Circe, flieht auf dem Delphin Arions, wird an die Ufer der Moldau verschlagen, dichtet seine Unfälle, kömmt um sein Lied, erhält von der Nymphe der Heilquelle neuen Mut.


Vision


Des Landes Vorzeit berührt ihn, er bringt eine Nacht auf dein Lorenziberg zu Prag zu, wo Libussa die Stadt entstehen sah, sieht die Sibyllen, die Stadt entwickelt sich aus dem Morgennebel, er faßt die Idee des Gedichts, vollendet es, und weiß nicht, wem er es übergeben soll, begiebt sich auf den prophetischen Berg, und hat einen


Traum.


Die Sibyllen erscheinen ihm, und necken ihn in der Gestalt einer Muse, einer Hexe und einer Jungfrau mit Provinzialismen, worauf sie ihm in ihrer eigentlichen Gestalt erscheinen und Libussa ihm sagt, wem er sein Werk überreichen soll; um dies zu sagen, spricht sie von der Geschichte der Zeit


Sibyllische Worte.


Libussa spricht in einer Vision die Wendung der Zeit im Norden bis zur Verbindung der drei Adler in Böheim aus. So wendet sich der Prolog zurück zu der


Geschichte.


Der Verfasser sieht den Einzug des Königs von Sachsen, und der Großfürstin Katharina Herzogin von Oldenburg, in Prag. Er sieht diese erhabene Fürstin im Dome zu St. Veit, begiebt sich abermals auf den Lorenziberg, und erblickt die Großfürstin dort, der herrlichen Aussicht genießend. Er legt Ihr sein Gedicht zu Füßen.


[544] Biographie


Reich bist du, Vaterland, an mancher Kunde,

Denn in der Auster, die am Felsen klebt

Und nach der Meerflut hascht mit giergem Munde,

Den geizig sie der Ebbe schließet, lebt

Die Perle auch, die einst die gute Stunde

Ins Diadem der heilgen Künste webt.

Zwang doch Merkur, um Phöbus zu versöhnen,

Den er beraubt, der Kröte Schild zu tönen.


Hat Goethe doch mit Götterkindlichkeit

Der Welt vertraut, wie er in deinem Zwinger,

O Frankfurt, einst gespielt, wie ihn die Zeit,

Die er nun bildet, bildete, und Klinger,

Mit andern Sängern früh im Lorbeerstreit,

Ging auch aus dir hervor, der edle Ringer,

Der in den Zwillingen so kühn gesieget;

Die Zwillinge hast, Reiche, du gewieget.


Auch Schloßer war, der edle Denker, dein,

Der dir die Tüchtigkeit der Art noch ließ,

Elsheimer, Morgenstern, Schütz nicht allein,

Noch manchen Maler, den die Fremde pries,

Hieltst lehrend du am zünftgen Reibestein,

Bis freigesprochen er dein Tor verließ,

Rückkehrend deiner Bürger Haus zu schmücken,

Die um ein Bild wohl auch die Kasse rücken.


In deiner Gärten reicher Heiterkeit

Hat manchem die Erkenntnis früh begonnen,

Der dann, heilkundig siegend, listgen Streit

Gen die erkrankende Natur gewonnen,

Und viele hat zu Richtern eingeweiht

Der Themis Bild auf deines Römers Bronnen,

Denn über Feuerbachs sternfroher Welle

Stieg Savigny hier auf, der hohe, helle.[545]


Ja, alles hast du, Reiche, was da frommen

Und heilgen kann. Oft ist die Gotteskunde

Auf deine Priester flammend schon gekommen

Und aus der Redner geisterfülltem Munde

War guten Bürgern so das Wort willkommen,

Daß selbst die Laien traten zu dem Bunde;

Dein Dichter hing noch jüngst zu höhrer Feier

Fromm an die Weiden Babylons die Leier.


Und was die Welt entzweit, was sie versöhnet,

Das wußtest du dir, Fleißge, zu erringen,

Das Gold, das geltend Zeitliches verschönet,

Mußte in deiner Hand die Kronen schlingen,

Die deutscher Kaiser heilges Haupt gekrönet;

Ob du auch Kränze, wonach Dichter ringen,

Geflochten, steht dahin. Die Nachwelt richte,

Denn trefflich schrieb dein Sohn dir die Geschichte.


Des Krams und der Gewerke Tor steht offen,

Die Kirche auch und der Gerichte Haus,

Und Strenggeschulte haben hingetroffen;

Doch Musenkinder stößt die Zunft hinaus,

Der Glaube pflegt sie, und ein frommes Hoffen

Wird ihre Amme, bis sie zu dem Strauß

Die Liebe pflückt, dem Freund, dem Weib, der Muse;

Ich schmückte alle treu, selbst die Meduse.


Mit Brüdern Zeit und Vaterland zu teilen,

Blieb mir zum Leben klein ererbtes Gut,

Und in der Heimat geizger Bucht zu weilen,

Starb kriegsschuldtilgend mir der goldne Mut;

Doch schönre Welt unschuldig zu umeilen,

Blieb frei und himmelspiegelnd mir das Blut,

Aufs Wasser, über dem die Geister schweben,

Hab ich zu Phöbos' Flagge mich begeben.


[546] Allegorie


Ein Pilger, durfte ich von Gottes Gnaden

Am Zauberufer der Morgana landen;

Die Insel sank, und Kompaß, Blei und Faden

Verschlang das bittre Meer, die Sterne schwanden,

Und steuerlos an tückischen Gestaden

Sah ich mein Schiff auf schlechter Sandbank stranden.

Ein Seegespenst mit dünner Möwenstimme

Verlocket mich, daß ich zum Wahnsinn schwimme.


Wo tolle Ewigkeit die Zeit vertreibt,

Indem sie Gottes Seel in sich entseelt

Und Gottes Leib in ihrem Leib entleibt

Und sich, den Durst zu stillen, der sie quält,

Zu Höllengeistern aus Retorten treibt,

Hat mir Geduld das weiche Herz gestählt,

Und lieh Arion mir zur Flucht Delphinen,

Der After-Circe Spielen nicht zu dienen.


Und wie von wildem Weltsturm weit vertragen,

Ein ferner Vogel in ein fremd Gebiet,

Ein fremder Fisch, von Meeresflut verschlagen,

Dem Strom entgegen in die Flüsse zieht,

Fand ich in diesen heißen Schicksalstagen

Am Moldauufer mich, und sang ein Lied,

Jenseits mein Leid, diesseits mein Heil zu grüßen –

Wer landend nicht die Erde küßt, muß büßen.


Einsiedlerisch der Gott den Dichter stellte,

Geheimnis sei Empfangen und Gebären,

Doch, daß es die Betrachtung überwelte,

Drang falsch ein Zeitgespenst in meine Sphären

Mit Modefeuer und mit Modekälte,

Und, leicht berücket, ließ ich es gewähren,

Bis ich entsetzt, getäuschet und verlachet,

Um Lied und Liedesmut beraubt, erwachet.[547]


Da wardst du, holder Mai, mir zur Kamöne,

Die also segnend Grab und Wunde schließt,

Daß in dem Sonnenblick, der eine Träne

Aufküsset, auch ein Blumenkelch entsprießt,

Der sie umfängt, daß sich der Schmerz verschöne;

Wo heiß die Nymphe heilgen Quell ergießt,

Fand ich Gesundheit, Mut und reichre Gabe,

Als ich durch Tücke je verloren habe.


Vision


Ein kühner Freier, dem die Braut verzeiht,

Durft ich der Gegenwart den Schleier heben,

Wie einen Vorhang von Armseligkeit,

In dessen Falten Satansbilder weben;

Denn in der Zeit als einer Ewigkeit

Bewegt unsterblich sich des Dichters Leben,

Und von der Vorwelt Nachtgewölb umdunkelt,

Hat herrlich ein Gestirn mich angefunkelt.


Zu Riesen hat des Tages schlanke Töchter

Die Urnacht mir am Fabelberg gemodelt,

Wo unter mir der grelle Pfiff der Wächter,

Der Wache Rund, vom Buhlerlied durchjodelt,

Und das Geheul mondtrunkner Hundsgeschlechter,

Vom Strom umsaust, als Hexenkessel brodelt,

Bis meine Augen im Gestirn ertranken

Und alle Wellen in dem Traum versanken.


Da faßte mich der Geisternähe Grauen,

Denn neben mir am grünen Bergeshang

Sah ich die drei Sibyllen, die Jungfrauen,

Aus deren Mund des Landes Schicksal klang,

Verschleiert in den tiefen Stadtschoß schauen,

Bis dann vor Hahnenschrei und Glockenklang

Mit dem Orion auf des Frührots Wogen

Die selgen Lichtgespielen hingezogen.[548]


Und von den Locken mir der Vorzeit Tau

Aus Orient ein kühler Luftstrom hauchte,

Und unter mir lag eine Nebelau,

Aus der das goldne Schiff der Sonne tauchte;

Aufringend aus dem träumerischen Grau

Der Urwelt, das wie Opferglut verrauchte,

Hat sie zuerst der Türme Kreuz ergriffen.

Ins tiefe blaue Himmelsmeer zu schiffen.


Wie hier einst vor der Seele der Sibylle

Aus Wald und Weltnacht Prag, die Stadt, gestiegen,

Stieg sie im Sonnenglanz aus nächtger Stille

Vor meinem Blick aus trüben Nebelwiegen,

Und aus der Brust sprang mir der mächtge Wille,

Wie Tauben ließ ich die Gedanken fliegen,

Sich auf den Tempeln, auf den Schlössern sonnen,

Was ich vollendet, hab ich da ersonnen.


Dann in vertrauter Kammer eingeschlossen,

Stimmt ich die Töne, dieses Lied zu singen,

Doch feierlicher Schall von Kriegsgeschossen,

Harmonisch Festgetös und Fahnenschwingen

Und Pilgersang hat sich hinein ergossen,

Ja, was von jeher war, wollt Opfer bringen,

Die Sage, Volkswahn, licht und finstre Geister

Verdrängten von dem Webestuhl den Meister.


Die nun vollendet, wem die Lieder reichen?

Hat gleich mir Böheims Pflug einst Korn gebaut,

Und wuchsen Fische mir in seinen Teichen,

Blieb mir doch stumm der slavschen Zunge Laut;

Nichts war mir heimisch als mein Himmelszeichen,

Und nur des Landes Vorwelt tief vertraut,

Fühlt meiner Art ich fremd in seiner Mitte

Gesinnung, Tugend, Sünde, Kunst und Sitte.


[549] Traum


Zum Berg der Seherin trieb mich die Nacht,

Wo die Sibyllen früher mir erschienen

Und meines Liedes Morgen mir erwacht.

Verschleiert standen sie, fromm reicht ich ihnen

Die Blätter dar, da haben sie gelacht

Und mich gefragt mit schlau verlarvten Mienen,

Im Mutwill böhmscher Mägdlein mich zu necken:

»Was mag, Ihr Gnaden, hinter meiner stecken?


Schaun's, ist es ane Pracht nicht bei der Nacht,

A gar a lieber Nahr der Mond, versteht sich,

Und i, da muß i bitten, gebens acht,

Es hangt sich aner, schaun's, das Fahndel dreht sich,

Der Himmel schmiert sich an, i hab's gedacht,

Ich bin beschriern, die Hunde beiln, versteht sich:

A rürrender Gedanke, jetzt rauf g'loffen!

Sie haben uns nächst schloffender getroffen.«


Ich stand verhöhnet, bis mit deutschern Zungen

Sie mich gefragt: »Schweigt dann die slavsche Leier,

Wird hier auch klingen, was du hier gesungen,

War dir es auch wohl ernst mit dieser Feier?«

Da ward ich kühn, und sprach: »Ich hab gerungen,

O zeigt zum Lohn euch mir heut ohne Schleier!«

Und sieh, der Schleier sank, ein Mägdlein stand

An einer Muse, einer Hexe Hand.


Die Hexe sprach: »Erkennst du die Libusse,

Die dich begeisterte, was willst du mehr?

Sie lohnte dir wohl gern mit züchtgem Kusse,

Doch ängstet sie dein Buch, es ist zu schwer!« –

»Lebt wohl, harrt mein, ich werfe es zum Flusse,«

Rief froh ich aus, »ich will es nimmermehr

Um solch Entbehren vom Geschick erkaufen!«

Und drehte mich, zum Strom hinabzulaufen.[550]


Da hält am Haar die Muse mich zurück,

Und blickt mich an, und meine Kniee beben,

Drei Riesenjungfraun sah vor meinem Blick

In stolzer Schönheit ich zum Himmel streben,

Nachtkaryatiden, tragend das Geschick,

Libussa, Kascha, Tetka mich umschweben;

Erst sah ich sie, wie klein ich sie gedichtet,

Jetzt sah ich sie, wie groß sie mich gerichtet.


Und nieder sank ich der gekrönten Dirne,

Die stumm und steil, gleich einem Memnonsbilde,

Tiefsinnend sah zum heilgen Tagsgestirne;

Da schoß die Sonne unterm blutgen Schilde

Des Morgens einen Strahl zu ihrer Stirne,

Und ihre Lippe tönte ernst und milde:

»Von uns wohl, doch für uns kannst du nicht dichten;

Hör an, hör an, an wen dein Lied zu richten!«


Sibyllische Worte


»Der Freiheit Arche wogt auf Sündflutmeeren,

Geschleudert hoch zum Nord von Schicksalsstürmen,

Ihr folgt ein Geist, mit listgen Zauberspeeren

Peitscht er die Flut, und füllt sie mit Gewürmen,

Aufdämmend sich auf ganzen Leichenheeren,

Verlangt sein Fuß, den Weltthron aufzutürmen,

Zur letzten Schwelle noch nach einem Sarge,

Worin Verzweiflung ringt, nach jener Arche.


Doch, als schon an des Nordsterns alter Feste

Des Weltzorns himmelschreinde Fluten branden,

Ist auch verjünget aus dem Feuerneste

Der nordsche Adlerphönix neu erstanden.

Als er zum Pol schreit: »Mach den Feind mir feste!«

Erstarrt die Brandung in des Winters Banden,

Und durch zerrißner Wogen krause Felsen

Flieht schwer der Geist auf goldnen Zauberstelzen.[551]


Ein Wintergarten, daß die Welt erstaune,

Erstarrt sein wildes Heer im Waffentanze,

Eisblumen, schimmernd in kristallscher Laune,

Beleuchtet von des Mordbrands blutgem Glanze,

Drin ragt des Feindes Fama ohn Posaune,

Emporgespießt auf leichter Reiter Lanze,

Nilmesser, Vogelscheuche, Siegestherme,

Eisbienen schwärmen drum, Kosakenschwärme.


Sodann taut vor der Hoffnung Frühlingssonnen.

Die feste Zornflut zu dem Abgrund nieder,

Erquickt mit Meeren, Flüssen, Quellen, Bronnen

Der Erde ausgesogne Adern wieder;

Die lebend war begraben, hebt in Wonnen

Zu Gott das Aug, es suchen sich die Glieder,

O Frühling, jüngster Tag! zusammenringen

Zerrißne Leiber sich, Gott Lob zu singen.


Und hier auf der Verheißung ernstem Hügel

Wird sich der Rabe als ein Bote zeigen,

Und zweifelnd bald auf unvertrautem Flügel

Zu neuen Leichenfeldern von uns weichen,

Dann aber auf des Frühlings grünen Spiegel

Die nordsche Taube hier sich niederneigen,

Die Seherin sieht hier den Ölbaum sprießen,

Den Siegs-, den Friedenszweig, den ich verhießen.


Drei Adler werden hier zusammen schweben,

Die falsche Nebelsonnen einst betrogen,

Sie werden hier zur Ruhmessonne streben.

Hier senkt die Arche sich, nie mehr belogen

Steigt aus dem Sarge hier die Zeit zum Leben,

Und hier dann unter dem Versöhnungsbogen

Wird sie die ernste nordsche Taube grüßen,

Ihr lege deine Lieder fromm zu Füßen.


Nach mir hat keine hier als Sie gestanden,

Nach Ihr wird keine mehr, gleich Ihr, hier gehen,[552]

Der um die Stirn sich Schicksalssterne wanden,

Der unterm Fuß die Quellen lauschend stehen,

Der aus des Schleiers frühen Trauerbanden

Des heilgen Orients Geisteraugen sehen,

Die Höchste slavschen Stamms, die Tiefe, Helle,

Fleht hier um Sieg und Fried an, Prag, der Schwelle.«


So sprach Libussa, hingewandt nach Norden.

Verheißend lag ein Schein, dem Pol entsprühend,

Es stieg der Tag ihr auf aus Doppelpforten,

Der Tag des Himmels, aus dem Osten frühend;

Und der Geschichte Tag, der reif geworden,

Stieg uns im Nordschein auf, so racheglühend,

Und mit dem Wort: »Ich grüß dich, ernste Taube«,

Zerfloß der Seh'rin Bild, ich lag im Staube.


Geschichte


Vom Berge stieg ich nun auf blühnden Wegen,

Und sah die Stadt zu lautem Fest sich schmücken,

In Waffenzierde Bürger sich bewegen

Und fröhlich bunt sich über Straß und Brücken

Geputzte Neugier an die Sonne legen

Und in den Fenstern und den Hallen drücken;

Einzogen unterm Donner der Kanonen

Frommfeierlich des Sachsenthrons Personen.


Der weiten Reise staubumwolkte Rosse

Bewegten leis die würdgen Majestäten

Auf zum Hradschin, dem böhmschen Königsschlosse,

Wo sie geruht, gastfreundlichst abzutreten,

Bis hoch hinan Karosse um Karosse

Der Hoffnung Vivatrufe laut umwehten.

Hradschin, nie war von dir die Aussicht schöner,

Doch nur vom Himmel selbst steigt der Versöhner!


Und eh der Freude Wogen noch zerfließen,

Soll heute sie noch vielgeliebtre Gäste[553]

Mit schöner Hoffnung Jubel laut umschließen;

Auf einen nordschen Wagen Palmenäste

Unsichtbar freudge Adler niederließen,

Dem Seher ward Ihr Zug zum Siegesfeste;

Victoria, wie kannst du huldreich grüßen,

Die bittre Zeit kann solch ein Gruß versüßen.


Sie war bei uns; heb, Phantasie, den Schleier!

Die hehre Oldenburg ließ sich gefallen,

Durch unsres Tempels hohe Säulenfeier

Zu unsrer Höhen Himmelstrost zu wallen;

O sende freudig feierlich nun, meine Leier!

Die Klänge durch des Domes ernste Hallen,

Wo ich der Zukunft Seheraug gesehen

Fromm sinnend durch der Vorzeit Tiefe spähen.


O wehe leiser, hochgewölbte Stille,

Sehnsüchtger, Säulenchor, zum Himmel steige,

Du kühner Bogen, frommer sei dein Wille,

Und nieder, Andacht, dich vom Altar neige;

Die vor dir sinnt, der freundlichen Sibylle,

Reich', o Betrachtung, deine Palmenzweige;

Wo Sie gestanden, bist du Tempel, Erde,

Der Tempel heiligster mir dieser werde!


So war der Abend mir, in Ehrfurcht trunken,

Hinabgezogen mit dem Tag und Ihr,

Verheißender schon traten Sternenfunken,

Aus allen Himmelstiefen. Mit Begier

Bin ich am Berg Libussas hingesunken,

Aufsinnend in des Äthers helle Zier,

Ich stand und sann bis zu des Morgens Scheinen;

Libussa konnte Sie allein nur meinen.


Und wahrlich, wahrlich! meine Lieder fanden

In Dir, die mir die Seherin verhießen;

Du Höchste slavschen Stamms hast hier gestanden,[554]

Dir durfte sich die Aussicht hier ergießen,

Die Stadt, die hier Libussen einst erstanden

Durft hier auch Deinem Seherblick entsprießen.

So sprach sie wahr, ich kniee vor Dir nieder,

Vom Sänger der Libussa nimm die Lieder.


Im Monat Juni 1813.[555]


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 4, München [1963–1968], S. 543-557.
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