Zweiundzwanzigster Auftritt


[159] Aquilar, Ponce, Felix, die Vorigen.


AQUILAR. Willkommen im Leben!

PONCE. Was macht die alte Tante?

AQUILAR. Und ihre Katze?

PONCE. Und ihre Brille, und vor allem, vor allem deine holde Schwester?

FELIX. Gut, alles gut. –

PONCE. Die Tante hat wohl ein gut Auge auf deine Schwestern und eine gute Brille auf ihrer Nase, weil sie schlechte Augen hat?[159]

FELIX. Laß mich nur ein wenig zu Atem kommen, es sind der Gefühle so mancherlei, die mir hier entgegenkommen; ich bin gerührt, euch wiederzusehen.

AQUILAR. Ei, laß die Gefühle so mancherlei sein, wir fühlen hier leider nur einerlei. Es ist gut, daß du wieder da bist, sprich: was machen deine Schwestern, wird man hier bald vor Liebe rasend werden, werden sie bald freigelassen werden?

PONCE. Ja, setze dich, erzähle mir von Isidoren, du weißt, ich habe sie immer lieb gehabt. Du bist es ihr schuldig, den Geliebten zu erhalten, denn es steht gefährlich mit mir, ich habe mich beinahe in ein Gemälde heute abend verliebt; ich möchte sehen, ob sie siegt. –

FELIX. Du liebst nur, was du nicht siehst.

PONCE. Oder was mich nicht sieht. – Ich sehe sie wohl Tag und Nacht, die ich liebe, und das Bild von heute abend hätte beinahe meinem Ideale geglichen. Rette den Ruhm deiner Schwester, erzähle!

FELIX. Ich muß nur, um dich zur Ruhe zu bringen. Sie ist sanft, stolz, spröde und freundlich, ist fromm wie Maria, und hat letzthin in der Beichte gelacht, und alles das in einem Leibe – nun – Ponce –

PONCE. Geschwind, fahre fort, den Leib, den heiligen Leib – du entleibst mich.

AQUILAR. Geschwind, gieb ihm den heiligen Leib, laß das Wort Fleisch werden.

FELIX. Ich darf nicht so von meiner Schwester sprechen, wie man von einem solchen Körper sprechen muß.

PONCE. So hole der Teufel deine Schwester, und bringe mir den Leib.

FELIX. Pfui, sei nicht so heftig, Ponce. Doch wo ist Lucilla? Gieb mir eine Maske, ich will sie sprechen.

AQUILAR. Ich gratuliere zu dem moralischen Sieg, jetzt erst nach ihr zu fragen.

FELIX. Ihr ließt mich ja nicht zu Worte kommen, und ich poltre nicht gern mit der Liebe ins Haus; ist sie nicht auf dem Ball?

AQUILAR. Ihre Tante ließ absagen.

PONCE. Und schlank ist sie – Felix, nicht wahr?

FELIX. Wer? – aber warum nicht?[160]

AQUILAR. Gott weiß es, und ihre Tante.

PONCE zu Sarmiento. Herr Automate, ist sie schlank?

SARMIENTO. Wie eine Rebe.

PONCE. Hängen auch Trauben an der Rebe?

SARMIENTO. Aber sehr hoch – Herr Reineke.

FELIX. So kann ich denn heute nichts von ihr hören?

SARMIENTO. Ich wüßte nicht, unser Wahrsager da müßte dir dann etwas erzählen, er hat gute Einfälle.

FELIX. Wer ist die Maske?

AQUILAR. Ein Fremder, doch weiß er mit seinen Antworten, wo er zu Hause ist.

PONCE zu Sarmiento. Und schwarze Augen hat sie?

SARMIENTO. Aber nicht auf Euch.

FELIX zu Sarmiento. Verzeiht, edle Maske, unsre Unachtsamkeit, ich kam eben zu meinen Freunden zurück.

SARMIENTO. Ich ergetzte mich still am Wiedersehen.

AQUILAR zu Valerio, der eingeschlafen ist. He, Pantalon, schlafe nicht!

VALERIO erwachend. Sie hängen draußen vor der Türe.

AQUILAR. Sei klug – was?

VALERIO. Die Mäntel –

PONCE. Ho, da war Pantalon eingeschlafen, und Valerio wachte auf. Zu Sarmiento. Sie singt?

SARMIENTO. Sie singt, und zwar folgendermaßen. Er singt.

Wenn ich dich lieben soll,

So schweige stille,

Mach mir den Kopf nicht toll

Mit vielen Fragen.

VALERIO. Guten Abend, Don Felix.

FELIX. Guten Abend, Alter – Reicht ihm die Hand, Valerio schleicht weg. Nun, Herr Automate, was macht meine Geliebte?

SARMIENTO. Sie wird wohl bald in Saragossa sein. –

FELIX. Donna Lucilla de las Torres? Ihr irrt Euch, sie ist hier.

SARMIENTO. Deren Mutter in Saragossa wohnt, ist nicht hier. Ich wette tausend Zechinen gegen eine.

AQUILAR. Gut, wir können es gleich sicher wissen, wir dürfen nur fragen lassen. Er klingelt, und spricht leise mit dem Diener.[161]

FELIX. Sie sollte nicht hier sein? Ihr sagt das mit so vieler Sicherheit; darf ich Euch bitten, Euch zu demaskieren.

PONCE. He, wartet noch ein wenig, Herr Automate, noch eins.

SARMIENTO demaskiert sich. Ihr habt mich schon ganz erschöpft. Ihr kennt mich nicht, ich bin der Mercado, Kapitän bei der Kavallerie, und komme aus Flandern.

FELIX. Aus Flandern? So kennt Ihr vielleicht meinen Vater, Don Miguel Sarmiento de Torbadillo; sprecht, kennt Ihr ihn?

SARMIENTO. Ich freue mich, seinen Sohn zu sehen. Er ist Obrister bei dem Regiment des Königs und mein Freund.

FELIX. Obrister?

SARMIENTO. Seit sechs Wochen.

AQUILAR UND PONCE. Wir gratulieren, Felix! Diener kommt. Donna Lucilla ist mit ihrer Tante abgereiset zu ihrer Mutter nach Saragossa; der Hausmeister sagte mir, die Frau Mutter habe dort einen Bräutigam für die junge Dame. Ab.

PONCE UND AQUILAR. Wir kondolieren, Felix. Felix steht stumm.

PONCE. Felix, ha, hörst du nicht? einen Bräutigam, greife nach dem Degen!

FELIX. Es ist nicht möglich, nicht möglich.

PONCE. Wenns aber doch geschähe?

FELIX. Ich kann es nicht denken.

PONCE. Siehst du, hättest du den Herrn Kapitän noch länger als Automaten bestehen lassen, so könnte der noch allerlei erzählen, denn jetzt ist guter Rat teuer.

SARMIENTO. Ich will versuchen, ob ich auch ohne Maske Euch Aufklärung geben kann. Es ist wunderbar, wie mich ein Zufall in alle Eure Geheimnisse führte. Der Hausmeister sagt allerdings recht. Vorige Nacht schlief ich in einem Gasthause, und die zwei Damen hatten ein Zimmer dicht neben mir; eine dünne Bretterwand trennte mich von ihnen. Die ältere Dame sprach viel von Gehorsam, aber Eure Geliebte desto mehr von Liebe; sie weinte, und rührte mich. Porporino, der in demselben Wirtshause eintraf, erzählte mir den andern Morgen, wer sie gewesen seien. Es war mir sehr traurig zu hören – sie nannte Euren Namen oft in dieser Nacht – und sagte, ohne Euch werde sie sterben.[162]

FELIX. O! das sieht ihr ähnlich, das war sie! Ja, sie wird sterben Ohne mich, und ohne sie auch ich.

PONCE. Ja, denn alle Menschen müssen sterben ohne sie, sonst hättest du noch alle zu Nebenbuhlern, die gern ewig lebten.

FELIX. Sie härmt sich ab, und kann ohne mich nicht glücklich sein; o, ratet mir!

PONCE. Höre, ich rate dir, wenn sie ohne dich nicht glücklich sein kann und vielleicht Lotterie-Zettel hat, sie ihr abzukaufen, damit sie gewinnt.

FELIX. Schweig, und spotte nicht! – Es ist schrecklich, ich wäre zu allem entschlossen.

SARMIENTO. Wenn ihr entschlossen seid, sie zu besitzen, so entführt sie.

FELIX. Ein einfacher Weg muß es sein, der sie nicht beschimpft.

SARMIENTO. Ein einfacher Weg? Geht, Ihr seid nicht wie Euer Vater, durch tausend Klingen schlüge er sich um eine Schwiegertochter und Ihr habt nicht so viel Sprossen an der Leiter; giebt es einen einfachern Weg als eine Leiter.

PONCE. Und sie wird nicht im Dachstübchen wohnen, eine Leiter ist einfacher als eine Treppe.

AQUILAR. Du mußt sie entführen, morgen früh mußt du fort.

FELIX. Ihr kennt sie nicht, sie ist so sanft, sie wird so etwas nicht vertragen können.

SARMIENTO. Faßt sie bei ihrer Schwäche, da sind sie alle stark.

PONCE. Ja, entführe sie, und erzähle uns, wie sie aus Schamhaftigkeit über dir die Leiter nicht herab wollte, und du eine breite Feuerleiter bringen mußtest, und Arm in Arm mit ihr herabstiegst.

SARMIENTO. Entschließt Euch, wenn Ihr liebt! gute Nacht meine Herren! Will ab.

AQUILAR. Wir hoffen Euch wiederzusehen.

FELIX. Ich bin entschlossen. Ich reise morgen früh, nehmt Schokolate mit uns.

PONCE. Wenn Ihr Valerien seht, tröstet sie; sagt ihr, ich könnte nicht mehr lieben, ich wäre ein böser Bube.

SARMIENTO. Ich will das alles, schlafet wohl! Doch, Don Felix, Ihr habt da einen Zug von Eurem Vater an der Lippe, erlaubt, daß ich Euch küsse. Er umarmt ihn; ab.[163]


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 4, München [1963–1968], S. 159-164.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ponce de Leon
Ponce de Leon
Valeria: Oder Vaterlist, Ein Lustspiel in Fünf Aufzügen (Die Bühnenbearbeitung Des

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon