Fortsetzung meines Tagebuchs

[139] Es ist eine Torheit, Römer, daß ich dir diese Szene zu schildern anfing, da es keine war – – Es ist, als wollte ein Maler ein wunderbar heiliges, lebendiges Leben im Mondschein, wo alle Gestalt leise zerrinnt, vor dir in bestimmten Formen hinzeichnen, wo der Mensch und alles Einzelne in das Ganze zerrinnt, wo nichts von dem Hintergrunde sich trennt, und alles in ein leises Gefühl des ewigen Gleichheit verschwimmt, und unser bestimmtester Begriff nur der des allgemeinen seligen Daseins des Lebens sein kann.

Es war kein Umriß da und keine Fülle, und kein Selbstgefühl, es war alles eins, und ich fühlte Tiliens warmen Busen an meiner Brust, wir wandelten leise, als wollten wir den Schlaf des Waldes nicht erwecken. Mein Herz drängte sich in meiner Brust schüchtern hinüber zu dem ihrigen, dessen vollen Schlag ich fühlte, sie drängte sich im Gehen dicht an mich, und alle Fibern zitterten in mir.

Ich wußte nicht, ob die Eichen oder unsre Locken so sanft über uns rauschten, ob Tiliens Blicke den Mond oder der Mond ihre Blicke anzündete. Ich war nie mehr – und doch nichts als ein Lebender. Das Äußre fühlte ich in meiner Seele in einem stillen Weben, und mich das Äußre bildend und von ihm gebildet. Es war, als habe ich ein Element um mich erschaffen, das seinen Schöpfer mit Wellen dankend umschlingt, und ihn von sich selbst trennend zur Einzelheit erhebt. – – Es war die letzte Empfindung des Geschaffenen, und die erste des Schöpfers.

Mit dunkeln Wünschen ist die Ordnung in unserm Herzen angeknüpft, ihr stiller Strom fließt zu der Liebe hin, und kehrt mit allem Leben ewig in unser Herz zurück.

Ich habe bis jetzt noch keinen Genuß im Leben gehabt, den mir die Reue über den Mißbrauch meiner Fähigkeit, mich zu freuen, nicht begleiten würde, wenn es nicht nichtswürdig und eine schnöde Verachtung der Gegenwart wäre, etwas zu bereuen.


Schnell nieder mit der alten Welt,

Die neue zu erbauen.

Der, dem die Liebe sich gesellt,[139]

Darf nicht nach Trümmern schauen.

Aus Kraft und nicht aus Reue dringt,

Was die Vergangenheit verschlingt.


Nie darf die Erinnerung mit Neid nach der Gegenwart blicken, auf den Gräbern wollen wir tanzen, wenn wir Leben kennen und sterben können.

Ich stehe wieder wie ein Kind im Leben wie ein mächtigeres Kind eines mächtigeren Lebens. Und jetzt soll ich mich auf das Ehemals besinnen, da mir die Gegenwart meine ganze Möglichkeit so süß vereinzelt hinbietet?

Es ist mir, als ob alle dunkle sehnsüchtige Stunden meiner Jugend voreilige mutige Boten der Zukunft gewesen wären, die ich jetzt verstehe.

Meine Liebe zu der Engländerin war voll Kenntnis, voller Übung aller selbstischen Bemühung des Herzens in der Leidenschaft. Es war eine Liebe, wie die des Naturforschers zur Natur, die er in Kabinetten mit seinem Leitfaden in der Hand überrascht, und in seinem Laboratorium chemisch in einem Schmelztiegel küßt.

Jetzt hat mich die allgemeine Verbindung einer Schweiz umarmt. Das Leben wiegt sich wie ein Blumenkranz in meinen Locken, den Tilie hineingelegt. Ich fühle ihn nicht, und meine Phantasien wohnen in seinen Kelchen. Nie wird ihn mein Geist entblättern, denn mein Gemüt hat sich wie Dank und Rausch an Frühling und Liebe entzündet. Die Stimme meines stillen innern Danks spricht wie die Liebe im Liede der Nachtigall, aus Liebe, ohne Liebe zu dichten.

Ich liebte die Engländerin, weil sie meinen Sinnen schmeichelte, weil sie meinem Bedürfnisse und meinem Geschmacke das Bild der Natur hinzureichen schien. – Aber sie kam nur von der mißverstandenen Kunst zurück – dies Bild war nicht rein, der Zwang hatte hie und da einen schmerzhaften Zug zurückgelassen – es war Genesung, die nimmer Gesundheit wird.

Tilien liebe ich, weil sie so ist, denn die Gesundheit allein ist liebenswürdig. Sie war nie anders, sie ist nie so geworden, und wird nie anders werden. Sie ist so, und ewig so.

Sie schafft sich ewig selbst, und weiß es nicht. Jede Minute[140] ihrer Schönheit wird durch sie, und sie ist das Kind jeder Minute ihrer Schönheit. Wie die Liebe ihren Busen hebt, so ist ihr Busen das göttliche Gefäß ihres liebenden Herzens.

Äußere Dinge bestimmen sie nur, insofern sie in die unwandelbare treue Folge der Lebensaussprache tritt, in deren sittewechselnden Bildungen sie eine wunderbar ehrwürdige Urgebärde geblieben ist.

Sie selbst steht da wie die Natur im schönen Menschen; ihre Gedanken, ihre Worte, Gebärden und Mienen, ihre ganze Erscheinung ist der heiligsten Anschauung fähig. Man könnte jede Folge ihrer Äußerung mit schönen abwechselnden Bildern allegorisieren.

Wenn ich mir sie denke, wie sie sich bewegt, wie sie spricht oder singt, so sehe ich eine Reihe schöner weiblicher Gestalten in harmonischen Wellen vor mir hinschweben, die sich bald mit ihren zarten Armen, bald mit einzelnen Blumen oder Tönen, mit ganzen Blumen- und Tonfolgen, bald mit süßen durchsichtigen Liedern aus beiden gewebt berühren.

Diese Gestalten bilden mir dann keinen Zirkel, sondern kommen unmittelbar aus der Natur, die sie umgiebt, und schweben wieder so aus ihr hinüber.

So fühlte ich, als sie mir befohlen hatte, mich zu besinnen, und besann mich also nicht –


Tilie:


Hast du denn bald genug gedacht? Ich fürchte,

Du suchst so lange, bis du mehr als findest.

Denn suchst du übers Finden, so erfindst du.


Ich:


Verzeih, ans Suchen dachte ich noch gar nicht.


Tilie:


Was dachtest du?


Ich:


Ich weiß nicht, was ich dachte,

Ich sprach mit dir, und diese ganze Welt,

Der Wald, der Mond, sie lagen mir am Busen.[141]

Ich fühlte, daß sie mit mir sprachen, daß ich,

Mit allem Leben innig tief verbunden,

Doch keinem Einzelnen eröffnen könnte

Und keinem das erwidern, was sie mir vertraut,

Als dir, du liebe Tilie, dir allein.


Tilie:


So sprich mir nun von deinen Kinderjahren,

Du hast dich schon besonnen; was du fühltest,

War Wahrheit, Leben; wo sie einig sind,

Kann sicher nur das Rechte einzig sein.

Laß dies Gefühl um deine Worte währen,

Und reine Dinge wird Otilie hören.

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 139-142.
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