Undeutlichen.

[195] Dieser Mensch ist in einzelnen Minuten eine wahre Erscheinung doch kämpft meistens Mode und Genialität mit seiner Oberfläche. Außer diesen Minuten könnte man ihn für einen Dichter und nicht für einen Kaufmann halten.

Er ist selten unter uns, und wenn er es ist, so führt ihn Liebe und Gefälligkeit her; aber weil er ewig seines Ehrgeizes wegen sich muß gefangen halten, um seine Nichtanlage zu seinem Stande zu verbergen, so erscheint diese Liebe fast nie anders als eine notgedrungene Kälte, indem er die Zeit oder die Gewandtheit nicht hat, nur das Einzelne zurückzuhalten.

Er ist durch diese ewig in ihm gespannte Feder verschlossen, ohne es zu wissen, und freundlich mit Ängstlichkeit.

Oft schweigt er wochenlang, und bald ist er die Macht der Unterhaltung; die Weiber schätzen ihn, und wagen es nicht, ihn zu lieben, weil er sie liebt, und es nicht wagt, sie zu schätzen.[195]

Alles außer seinen Gesichtspunkten nennt er Schwärmerei, und ihm sieht sie aus den Augen, denn sein Stand hält ihn nur gefangen, weil er in ihm aus Schwärmerei seine Freiheit hingegeben hat.

Ein innrer Kummer über alles das drückt sein Herz, und äußre Umstände, denen er huldigt, fesseln seinen Geist. Er ist ein trauriger Beweis, wie der Stand einen Menschen verbildet, und der Mensch in seinem Stande unterjocht ist.

Aus einer freigebigen, schönen, edeln, freien, herrschsüchtigen Seele ist – ein Kaufmann geworden – ist das einzige, was ihn ganz charakterisiert.

Er bekümmert sich wenig um mich, weil er dadurch um sich selbst bekümmert werden könnte, und sucht nur Menschen, die ihn in seiner Sphäre erhalten können, die er als Bürger mit Ehre erfüllt, und es ist traurig zu sehen, wie er aus Ehrgeiz mit Menschen umgeht, die seiner nicht wert sind, die ihn, indem er sie nur als Mittel gebraucht, wieder als Mittel gebrauchen, freilich nicht zum Mittel einer edlen Entsagung, wozu er sie gebraucht, sondern zum Gegenteil. – Du würdest ihm ein Schrecken sein. – Er schämt sich fast jeder Rührung aus dem mißverstandnen Worte: »Sei ein Mann«, er, der zu nichts Anlage hat als zu dem süßen Namen, in dem Schoße eines schönen, liebenden Weibes: »O du lieber, schöner Junge«. Er schämt sich fast jeder Rührung, und wenn er für sich allein in seiner Stube Guitarre spielt, so hebt ihn sein eigner Gesang eines einfachen Liedes in die Höhe, er wendet die Blicke phantastisch zum Himmel, und hebet den Kopf zärtlich, und schwärmt sich auf seiner runden, vollen Stimme, Gott weiß, in welche Umarmung eines andern höhern Lebens, einer Liebe, oder einer Kunst.

Er liebt seine Pflicht zu sehr, und seine gerechte Forderung zu wenig, und wird einstens sehr unglücklich sein, wenn er nicht ein Weib bekömmt, in deren Genuß, in deren Genialität selbst das Band der Ehe lüftig, leicht und schön wird. –


Das wäre so ziemlich das Häufchen, das mich umzingelt, und schon so gefesselt hat, daß ich nicht weiß, wie ich wieder nach Hause kommen soll.[196]

Außer allen diesen Menschen existieren noch zwei auswärtige Mitglieder des Bureau d'esprit, die sehr aktiv sind, und die ich gelegentlich schildern werde, wenn sie mich ein wenig geärgert haben, weil er schwer ist, sie gern zu schildern, wie sie sind, ohne daß man etwas böse auf sie sei.

Zu dieser Gelegenheit komme ich sicher leicht, denn ich darf den einen nur einmal recht betrachten und erkennen, und den andern einmal recht obenhin ansehen, so habe ich mich gewiß über beide geärgert.

Lebe wohl. Ist heute abend keine Sitzung, so gehe ich ins Theater, die herrliche Sängerin zu hören. Der Undeutliche ist so von ihr entzückt, daß sie durch alle seine Vorurteile über Schauspieler eine Lücke, eine Ausnahme gesungen hat. Ich gehe allein hin, um zu hören, ob sie besser, rührender singt als die – Türkin in B. – Dein

Römer

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 195-197.
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