Sechster Auftritt.

[64] Zimmer des Bassa.

Selim mit Gefolge, hernach Osmin, Belmonte, Konstanze, Pedrillo, Blonde, und Wache.


SELIM zu einem seiner Officiere. Geht, unterrichtet Euch, was der Lärm im Palast bedeutet; er hat uns im Schlaf aufgeschreckt, und laßt mir Osmin kommen.

Der Officier will abgehen, indem kommt Osmin zwar hastig, doch noch ein wenig schläfrig.


OSMIN. Herr! – Verzeih, daß ich es so früh wage – deine Ruhe zu stören.

SELIM. Was giebts, Osmin, was giebts? Was bedeutet der Aufruhr?

OSMIN. Herr, es ist die schändlichste Verrätherey in deinem Palast –

SELIM. Verrätherey?

OSMIN. Die niederträchtigen Christensklaven entführen uns – die Weiber. Der große Baumeister, den du gestern auf Zureden des Verrathers[64] Pedrillo aufnahmst, hat deine – schöne Konstanze entführt.

SELIM. Konstanze? entführt? Ah, setzt ihnen nach!

OSMIN. O 's ist schon dafür gesorgt! Meiner Wachsamkeit – hast du es zu danken, daß ich sie wieder beym Schopfe gekriegt habe. Auch mir selbst hatte der – spitzbübische Pedrillo eine gleiche Ehre zugedacht, und er hatte mein Blondgen schon beym Kopfe, um mit ihr – in alle Welt zu reisen – Aber Gift und Dolch! er soll mirs entgelten! – Sieh, da bringen sie sie!

Belmonte und Constanze werden von der Wache hereingeführt.


SELIM. Ah, Verräther! Wagt ihr's, vor meine Augen zu kommen? – Ha, du heuchlerische Sirene? War das der Aufschub, den du begehrtest? Mißbrauchtest du so die Nachsicht, die ich dir gab, um mich zu hintergehen?

KONSTANZE. Ich bin strafbar in deinen Augen, Herr, es ist wahr: aber er ist mein Geliebter, mein einziger Geliebter, dem lang schon dieses Herz gehört. O nur für ihn, nur um seinetwillen fleht' ich Aufschub. – O laß mich sterben! Gern, gern will ich den Tod erdulden: aber schone nur sein Leben –

SELIM. Und du wagst's, Unverschämte, für ihn zu bitten?[65]

KONSTANZE. Noch mehr: für ihn zu sterben!

BELMONTE. Ha, Bassa! Noch nie erniedrigte ich mich zum Bitten, noch nie hat dieses Knie sich vor einem Menschen gebeugt: aber sieh, hier lieg ich zu deinen Füßen; und gerne will ich sterben, nur schone Konstanzen!

KONSTANZE. Nein, hör ihn nicht, Bassa, hör ihn nicht: die Liebe macht ihn blind; er weiß nicht, was er spricht. Mich allein laß deinen Zorn empfinden, mich allein sterben.

BELMONTE. Nein, Konstanze, nein! Nur ich habe den Tod verdient; nur ich sterbe –

SELIM. Schweigt, Unglückliche, schweigt! ihr sollt beyde sterben.

KONSTANZE. O wie glücklich! – O mein Geliebter! man will uns nicht trennen. Ach, in deinen Armen zu sterben, welche Wonne!

Duett.


KONSTANZE UND BELMONTE.

Ach, von deinem Arm umschlungen,

Todesengel, sey willkommen!

Lächelnd sink' ich in das Grab.

KONSTANZE.

O wie selig!

BELMONTE.

O wie glücklich![66]

KONSTANZE.

Am elysischen Gestade,

BELMONTE.

Auf dem nie betretnen Pfade

BEIDE.

Mich mit dir vereint zu sehn!

KONSTANZE.

Welche Freude!

BELMONTE.

Welche Wonne!

KONSTANZE.

An dem ruhevollen Strande,

BELMONTE.

In dem unbekannten Lande,

BEIDE.

Mich an deiner Hand zu sehn!

KONSTANZE.

O wie selig!

BELMONTE.

O wie glücklich!

KONSTANZE.

Mein Geliebter!

BELMONTE.

Ach, Geliebte!

BEIDE.

Lächelnd sink' ich in das Grab!
[67]

SELIM bey Seite. Fast rührt mich so viel Liebe, so viel Bestandigkeit.

OSMIN. Ach, Herr! kannst du das sehen? zugeben, daß sie da vor deinen Augen – Ha, Gift und Dolch! Die Wuth läßt mich nicht reden. – Ah! da kommt auch das zärtliche Pärchen, das auch mir so einen Streich gespielt hat. – Ach, könnt' ich dich mit den Augen tödten, heimtückscher Verrather!

Die Wache bringt Pedrillo und Blonden ebenfalls gefesselt.


PEDRILLO dem Bassa zu Füßen. Großer Bassa! Vergieb, wenns möglich ist, daß wirs wagten, ohne Abschied davon zu gehen. Die Liebe ist an der ganzen Affaire schuld. Das liebe Mädchen hier ist eine alte Bekanntschaft aus Spanien: unsere Ehe war so gut als richtig; und wenn wir glücklich dazumal nach Cadix gekommen wären, wir wären, längst Mann und Frau. Das Heimweh kam ihr und mir in Kopf; der alte Grisgram quälte sie Tag und Nacht –

SELIM. Schweig, Verräther, und reize meinen Zorn nicht noch mehr! – Osmin! Man erdroßle sie zugleich!

OSMIN. O mit tausend Freuden!

Einige Türken mit seidenen Stricken nähern sich ihnen.
[68]

PEDRILLO. Ach liebes Mädchen! wer hätte das gedacht!

BLONDE. Unglücklicher Tag! unglückliches Mädchen!

Einander im Arm.


BELMONTE. Ach, meine Konstanze!

KONSTANZE. O mein Belmonte!

SELIM. Belmonte sagst du? – Ist das dein Name?

BELMONTE. O daß ers nicht wäre!

SELIM. Belmonte! Belmonte?

BELMONTE. Der unglückliche Belmonte! Ein Ball des Unglücks von Jugend auf. – Ohne Vater, ohne Freund –

SELIM für sich. Gott! wär es möglich? Laut. Sag, sag junger Mann, wie heißt deine Vaterstadt?

BELMONTE. Toledo.

SELIM. Und wer war dein Vater?

BELMONTE. Don Carlos Belmonte; der mich als ein Kind von vier Jahren in das Kloster St. Sebastian überbrachte –

SELIM. Ach Gott, er ists! Mein Sohn, mein Sohn! Du bist mein Sohn; ich bin dein Vater.

BELMONTE. Mein Vater? mein Vater?

SELIM. Dein unglücklicher Vater! Komm in meine Arme! Wie viele vergebliche Nachforschungen hab' ich deinetwegen angestellt; wie viele Thränen[69] um dich vergossen! – O daß mich ein unbesonnener Augenblick zu dem Schritte verleitete – Doch jetzt nichts hiervon; jetzt bin ich blos der glückliche Vater.

BELMONTE. O mein Vater, mein Vater! Wie soll ichs der Vorsehung danken – In dem schrecklichsten Augenblick meines Lebens, am Rande des Todes – und nun so glücklich! O Konstanze, Konstanze! laß uns seine Knie umfassen –

Sie werfen sich beide nieder.


KONSTANZE. Darf ichs wagen? wollen Sie auch mein Vater seyn?

SELIM. Steh auf! sich auf, gutes Mädchen, er ist dein! Seyd meine Kinder!

KONSTANZE UND BELMONTE ihm die Hände küssend. O wie glücklich!

KONSTANZE. Ich kann mich kaum fassen! Ist's ein Traum, oder ists Wahrheit? – – O das Herz wallt mir vor Freude, vor Entzücken!


Ah, mit freudigem Entzücken

Strömt mein feuriger Gesang;

Und hinauf zu jenen Höhen

Steigt des Herzens Wonnedank.

Schon umgab mich Todesschrecken;

Ach! ich fühlte mich nicht mehr,

Und in höhern Regionen

Flatterte mein Geist umher.[70]

PEDRILLO mit Blonden dem Bassa zu Füßen. Herr, dürfen wir beyde Unglückliche es auch wagen, um Gnade zu flehen? – Ein alter getreuer Diener deines Sohnes –

BELMONTE. Auch ich bitte für ihn! Ohne ihn wär' ich nicht hier –

OSMIN. Ah, Herr, laß dich ja nicht von dem verwünschten Schmarozer hintergehen! Keine Gnade! keine Gnade! er hat den Tod hundertmal verdient.

SELIM. Schweig! – Steht auf und seyd frey! Wer könnte an so einem glücklichen Tage Unglückliche um sich sehen?

PEDRILLO. O tausend Dank, großer Bassa! Juchhe! Nun spring' ich mit gleichen Füßen wieder ins Leben hinein!

OSMIN. Gift und Dolch! Ich möchte bersten! – Aber, Herr! meine Sklavinn Blonde muß er wieder herausgeben?

PEDRILLO bittend. Meine alte verlobte Braut, mein liebes Blondchen! –

SELIM. Ist dein, und ist frey!

BLONDE. Wie glücklich!

PEDRILLO. Es lebe der große Bassa Selim!

OSMIN. Ha! das ist zum rasend werden!

PEDRILLO. Komm, guter Alter, laß uns Freunde seyn. Hier biet' ich dir die Hand. –[71]

OSMIN. Freund mit dir? – Ah! mit dem Teufel lieber Freundschaft, als mit dir Verräther.

Geht drohend ab.


BLONDE. Laß ihn laufen, Pedrillo, laß ihn laufen. Dem Himmel sey Dank, daß ich aus seinen Klauen erlöset bin!

PEDRILLO. Ja wohl, liebes Blondchen; jetzt mag er schlafen oder wachen, ich lache dazu.

BELMONTE. Ach, meine Konstanze! Endlich sind wir vereint.

KONSTANZE. Mein Einziger, mein verlorner Geliebter!

BLONDE. Nun, mein Fräulein? Sagt' ich nicht immer: Hofnung läßt nicht zu Schanden werden?

CHOR.

Oft wölkt stürmisch sich der Himmel;

Nacht und grausendes Getümmel

Zeigt sich schrecklich unserm Blick:

Doch ein Stral der milden Sonne

Kehrt den Jammer schnell in Wonne,

Bringt die Freuden bald zurück.

Ende.
[72]

Quelle:
Johann André: Belmont und Constanze, oder: Die Entführung aus dem Serail. Leipzig 1781, S. 64-73.
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