1120. An Grete Meyer

[91] 1120. An Grete Meyer


Wiedensahl 26. März 1897.


Liebe Grete!

Dem alten Onkel, der, willt se jo seggen, immer meint, er müßte alles am besten wißen, war's natürlich grausam zuwider, daß sein jugendliches Nichtchen in Kunstgeschichtchen viel gelehrter war, als er selber. Drum gleich, als du weg warst, nahm er das Buch vor die Brille. Einige der Bildchen sind ja immerhin dankenswerth. Auch ist es nicht übel zu wißen, wie dies und das benamset wird, oder wie die Geschichte örtlich und zahlenmäßig verläuft; aber hüthen soll man sich vor dem Schreiber, wenn er sich abmüht, mit der Kunst durch Worte intim zu werden. Dem Schildbürger ähnlich, läßt er die Sonne in seinen Sack scheinen, bindet ihn zu und trägt Licht in das Rathhaus.[91]

So ist es denn auch, was Dichtungssachen betrifft, gewiß löblich von Dir, daß du Dich damit leibhaftig und nicht bloß von schönem Hörensagen bekannt machst. Götz ist dem frühsten und Hermann u. Dorothea dem späteren Göthe jedenfalls vorerst mal sehr ähnlich.

An Dein alleiniges Haus- und Küchenregiment nächste Woche denk ich mit kindlichem Vertrauen. Nur, förcht ich, Kümmelkohl und Schnurrüber wird der gute Vater nicht kriegen. – Notabene! Wenn du Eier kaufst, so probire erst mit der Zunge, ob das eine Ende noch warm ist. Unter allen Proben scheint mir dies die gemüthlichste, denn man tritt dadurch, so zu sagen, in eine innige Beziehung zu dem traulichen Pförtchen, wo das Tickei heraus kam.

Zu vermelden hab ich ferner, daß unser Goßenstein leckte und daß wir infolgedeßen schon wieder den Maurer hatten – den, der "preumket". Was preumken ist, das weißt du ja. Aber, fragst du ungeduldig und lernbegierig, warum nennt man's denn so. "Nun, so höre, meine Tochter!" Der Brauch stammt aus Holland, von der See. Holländisch pruim (von lat. prunum, sagt Kluge)-Pflaume, und im angefeuchteten Zustande sieht die getrocknete Pflaume genau so aus, wie das Ding, um das es sich handelt. Da haben wir's! Nun sei zufrieden.

Außerdem hatt ich mehrere Tage lang ein blutunterlaufenes Auge, schmerzlos gekommen und schmerzlos gegangen, was aber so "gräßlich" aussah, als wär ich auf der Kirmeß gewesen und hätt mich mit dem Krischan geprügelt.

Inzwischen, nach all dem Donnerwetter und Regen und Pustewind, blühen nun draußen im Garten die Veilchen und gelben Narzißen, und grünlich schimmert die Dornenhecke und das Boskett, und die Rosen sind aufgerichtet.

Leb wohl, liebe Grete! Sei herzlich gegrüßt von Deinem

Onkel Wilhelm,


dem du ja wohl mal nächstens über deine culinarischen und sonstigen Heldenthaten Bericht erstattest.

Frl. K. läßt gleichfalls grüßen.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 91-92.
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