1133. An Grete Meyer

[99] 1133. An Grete Meyer


Wiedensahl 9. Juni 1897.


Liebe Grete!

Du machst dich also nützlich und beliebt durch deine verständnißvolle Geschicklichkeit im Haushaltungswesen. Das ist edel und brav von dir. Gestern, als an Ruth ihrem Döpedage, wird wohl deine Kunstfertigkeit ihren Gipfel erreicht haben. Beschreib mir doch treu und redlich, wie es herging dabei, damit ich im Gedankenkasten ein deutliches Bild davon kriege. Gesund seid ihr ja alle, gottlob.

Anderseits möcht ich auch gern wißen, wie es in Stall und Garten aussieht. Was, zum Exempel, machen die Küken? Wir hier haben ja nur wildes Geflügel. Die jungen Schwarzdroßeln, im Epheu erbrütet, sind in die weite Welt geflogen. Und denk dir nur: sie wurden noch gefüttert, da baute die Alte schon wieder ein Nest in der alten Hainbuchenlaube. Dort sitzt sie nun geduldig auf ihren Eiern und macht den Hals lang, sobald ich nur hinsehe. Ein sogenannter Gartensänger hat sich gleichfalls angesiedelt im Gebüsch. Er spielt Flöte, Geige, Oboe, alles munter und fleißig durcheinander. Kürzlich jedoch ist er einsilbig geworden, vermuthlich, weil er, obgleich nur der Vater, doch die Kinder gefälligst mit versorgen muß. Auch die Staare, die Hänflinge und sogar die Spatzen sind stiller geworden. Nur den hellschmetternden Strophengesang des Zaunkönigs vernehm ich lustig wie immer; die Jungen, noch geschwisterlich beisammen, schlüpfen keck durch die Zweige, das kleine Steertken risch in die Höhe gerichtet. Vorgestern, in der Dämmrung, als ich ahnungslos ein beckenvoll kalten Waßers an den Hopfen plantschte, auf einmal schnirrr! schwirrten gleich sechs dieser Königskinder heraus, die hier jedenfalls so recht gemüthlich übernachten wollten.

Weniger erfreulich ist manch andres Gethier. Bis dato neckten mich besonders die Schnecken, jetzt viel mehr noch die Erdratten. Kohl und[99] Bohnen ziehen sie in die Unterwelt, und dann wühlen sie das Loch so sauber wieder zu, als ob an der Stelle nie was gewachsen wäre. (Dies Otto zum Trost!) Obendrein ist's ein gesegnetes Jahr für die Mücken, denen man das bischen Blut allenfalls gönnen könnte, wenn sie Einen nur nicht zugleich impften mit dem, was aus ihrer faulen Heimath her an ihnen hängen blieb. Nie, deucht mir, hab ich so emsig kratzen müßen wie heuer. (Dies Martin zum Trost!) Als ich zu Schwester Marie sagte, der Vater alles Ungeziefers sei bekanntlich Beelzebub, hüllte sie sich in ein mildes ablehnendes Schweigen. Sie sah übrigens wohl aus. Gestern Mittag mußte sie wieder in's Stift zurück.

Leb wohl, liebe Grete! Bist du nach Münster heimgekehrt, so denk ich, falls es dort paßt, mal zu kommen. Zwar von unsern kunstgeschichtlichen Studien hab ich vieles vergeßen; aber das thut nichts; du weißt noch alles.

Tausend Grüße an dich und alle um dich herum von Tante und deinem

alten getreuen Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 99-100.
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