1138. An Nanda Keßler

[102] 1138. An Nanda Keßler


Wiedensahl 1. Juli 1897.


Meine liebe Nanda!

Sei bedankt für deinen freundlichen Brief. Hoffentlich habt ihr dort auch ein solch beständiges Gartenkonzertwetter wie wir allhier. Dazu das wonnige Sitzen in der milden molligen Mudde, das wird dir sicherlich heilsam sein. Von jenem Waßer trinkst du nicht, das durch das Innre der Natur, obwohl es dunkel ist daselbst, doch überraschend schnell und sicher einen Ausweg findet. So kannst du denn mit aller Gemüthsruhe gesellig lustwandeln in den schönen böhmischen Wäldern, ohne dich oft, unter dem Vorwande, Blumen zu pflücken, in's Gebüsch begeben zu müßen. Ich wünsche, daß dir alles auf's beste bekommen möge.

Von der Mama, bei der ich anfragte, erfuhr ich, daß Nelly sich gut befindet. Heut werden die Herrschaften ja wohl abreisen nach St. Moritz. Wenn Du demnächst ebenfalls dort bist, dann berichte doch mal, wie es euch geht.

Bei mir ist nichts Neues paßirt. Die jungen Staare und Schwarzdroßeln und Grasmücken sind ausgeflogen. Es war ein gar lustiges Zwitschern und Plappern und Flöten um mich her. Jetzt, nachdem die Liebesangelegenheiten für heuer erledigt sind, ist's mit dem Jubel vorbei. Die Kinder sind selbständig, die Pärchen trennen sich, ein jedes fliegt hin, wo es mag.

Leb recht wohl, liebe Nanda! Tausend Grüße von deinem

Onkel Wilhelm.


Den liebenswürdigen Bekannten bitt ich mich bestens zu empfehlen.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 102.
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