1144. An Grete Meyer

[105] 1144. An Grete Meyer


Wiedensahl 7. Aug. 1897.


Liebe Grete!

Als dienstfertiger Onkel will ich nur gleich versuchen, die Frage deines Briefes zu beantworten von wegen der Meße des heil. Martin, die in seiner Kirche zu Münster so schön abgemalt ist.

Der Bischof behielt, denk ich, nachdem er die Tunika verschenkt hatte, noch die Alba als Unterkleid übrig. Nur mußte er jetzt die Hostie ordnungswidrig mit bloßen Armen erheben; ein unzarter Anblick, den das Bild erst taktvoll vorbeigehen ließ. Hätte aber der Heilige hier auch "alles an, wie sich's gehört", also auch die verschenkte Tunika, so würde dies – malerisch angesehn, statt trocken gescheidt – ganz gleichgültig sein, vielleicht sogar absichtlich anständig. Dem Maler kam es auf die Hauptsache an, auf das Malerische: die feurige Wunderkugel, die Köpf und Hände, die Prachtgewänder, das Geräth und die Stimmung des Ganzen.

Du erwähnst die Metempsychose. Sie ist bekanntlich eine Hypothese der Vernunft, hat hinten und vorn ein langes Ende und in der Mitte einen tüchtigen Knoten. Es ist was für Einen der an Gehirngymnastik Vergnügen findet. Für viele Leute dahinten in der Welt ist's freilich weit mehr. Frage nur, liebe Grete, und du wirst fragliche Antworten erhalten.

Viel Grüße an Dich, an deinen Vater, an deine Freundin

von deinem getreuen

Onkel

Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 105.
Lizenz: