1149. An Grete Meyer

[107] 1149. An Grete Meyer


Wiedensahl 27. Aug. 1897.


Liebe Grete!

Dein Brief hat mir Freud gemacht. Ihr seid, seh ich, in diesem Hunteburg fein strebsam und froh beieinander.

Unser Wetter ist unbeständig; manchmal scheint die Sonne; dann laufen Cirruslämmchen von Westen herauf, dann kommt Regen und Wind. Auch zieht wohl mal eine Donnerwolke über den Wald weg und streift uns mit einem naßen Flügel. Im Harz geht's ähnlich zu; aber Tante und Otto konnten erfreulicherweise doch täglich im Freien spatzieren.

Im Garten die Bohnen fangen an sich zu verhärten. Mit den Brombeeren und der rothen Grütze ist's nahzu vorbei. Dagegen die Gurken wachsen emsig nach, so dick wie Spanferkel, und ein um den andern Tag muß Annchen welche schlachten.

Du willst noch mehr hören von der Seelenzöchelei. – Nuhn! – Einem braven Burgfräulein zu gefallen, darf man ja wohl auch mal über was reden, wo man fast nichts von versteht.

Also, wer unterduckt, wer stirbt, der ist keinen Augenblick todt, sondern wühlt und ampelt drunten im Dunkeln gleich weiter, um wieder zu erscheinen als das, was er seinem Charakter, seiner Natur nach zu sein wünscht. Im allgemeinen Gedrängel hat das seine Mucken. Wer viel und gut eßen möchte, bringt's vielleicht bloß zum Engerling, zum gefräßigen Maikäfer; wer musikalischen Drang verspürt, wird etwa nichts weiter wie ein zirpender Heuschreck oder ein nüdlicher Piepvogel. Ein bedenklicher Rückschritt. Denn nur der Mensch mit seinem weitläufigen Intellekt (-Hirn) kann die Mängel der Welt durchschaun, kann austreten aus dem Geschäft, kann sich zur Ruhe setzen im seligen Nirgendwo.

Und wo bleibt mein liebes, süßes, goldiges Ich? so fragst du entrüstet. –

Tja! – Es giebt ein Innenich und ein Außenich. Entweder verschwindet das Innenich ins Blaue, Namenlose, oder es zieht bloß um, unter anderem Namen, und bleibt hübsch warm bei den Andern. In beiden Fällen geht das Außenich, bestehend aus Atomen, aus kleinen geknechteten Seelchen, mitsammt dem Bilderkasten im Oberstübel aus dem Leim. – Hast du nie was von Lethe gehört? – Und doch könnte ein Gefühl, eine Ahnung, ein Istmirdochso, aus der fernsten Vergangenheit hängen bleiben. – Wenn man in den Abendstunden das träumerisch abgebrochene Flöten der[107] Schwarzdroßel hört, ist's nicht grad, als besänne sie sich auf ein altes vergeßenes Lied und könnt es nur noch nicht recht wieder zusammen bringen?

Was aber die 1000 Jahre betrifft, so ist's eine nette fette rundliche Zahl, die gern vorgeführt wird von Einem, der sich einbildet, daß die Zeit ideal sei.

Liebes Gredel, leb wohl! – Berichte noch mal, bitte, eh du heimkehrst, über Haus, Küche, Kinderstube und Garten.

Herzliche Grüße an euch alle von

deinem getreuen

Unkel Wilhelm.


Auch von Annchen sollte ich euch villemals grüßen.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 107-108.
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