1230. An Grete Meyer

[144] 1230. An Grete Meyer


Mechtshausen 14. Mai 1899.


Liebe Grete!

Sei bedankt, daß du mir geschrieben hast.

Tantens Wunde hat sich endlich geschloßen; Else ist munter; die Kinder gleichfalls.

Also der gesuchte Tastenkasten kam an; mit Hand und Fuß gehst du ihm begeistert zu Leibe und findest doch bei alledem noch Zeit für deine litterarische Bildung. O, lüe un Kinners! Ich selber las z.B. die Seherin von Prevorst, die Geschichte einer Hysterischen, die vermuthlich jetzt durch Gegensuggestion, oder in Lourdes, kurirt werden könnte. Das Buch ist in den zwanziger Jahren geschrieben, als sich der unruhige Kranke (die Menschheit) von der rationalistischen Seite auf die mystische, romantische, mittelalterliche, katholische geworfen hatte. Drum spielt denn das Fegefeuer, wenn auch nur verschämt unter dem Namen "Zwischenreich", wo die bösen Spukedinger noch unentschieden zwischen Himmel und Hölle hausen, eine Hauptrolle bei der Sach. Die uralten, sonst ja nicht unwillkommenen, Gestaltungen einer Wahrheit, die ungestaltbar im Dunklen sitzt, werden, leider lauwarm, wieder aufgetischt. Vorbildlich geworden ist die, scheinbar genau, experimentirende Art der Beobachtung, wie sie bei Gläubig-Ungläubigen bisher in der Mode blieb. N.B. Unserer Seherin kommen die Geister nicht so abscheulich vor, wie die Geistinnen, was eine Anmerkung dadurch erklärt, daß schon hienieden die Weiber, wenn sie mal in's Geschirr gehen, viel schlimmer sind, als die Mannsbilder. – Greitkewäsche, wat segge ji? –

Gestern hatten wir zwei Gewitter hinter einander; heute herrscht Sonnenschein. Unser Frühling kam langsam, wie Einer, der muß. Kirschen und Pflaumen verblühten bei Regen und Kälte. Erbsen und große Bohnen stehen in Reihen; acht Spargel sind gestochen; Frühkartoffeln spitzen schüchtern hervor; Radieschen und Kreße werden von den Erdflöhen[144] geerndtet; draußen Felder und Wald sind herrlich grün. – Noch konnte der Rasen nicht angesät werden; aber allerlei Drath ist gezogen gegen die Kratzehühner. Diese drücken ergiebig – legen auch weg; auf einen Tag wurden 45 Eier abseits gefunden, alle noch gut. Eine Glucke sitzt auf 16 Eiern; nächsten Mitwoch muß sich zeigen, was heraus kommt.

Von gefiederten Musikanten um uns her nenn ich: Ein Hänflingspärchen, das in der Tuja nisten will; eine Droßel, die wohnt, ich weiß nicht wo; dazu Finken, Rothschwänzchen, Fliegenschnäpper, und unter dem Dach ein Überfluß an Staaren und Spatzen.

Ich fing in der Kirschenallee ein feines, mir bis dahin unbekanntes, Vögelchen: einen Fliegenschnäpper, genannt Mohrenköpfchen; oben sammetschwarz, unten rein weiß; weiße Binden über die Flügel hin; zwei weiße Tupfen vor der Stirn. Es war flügellahm. Ich konnte mich nicht entschließen, es todt zu machen. Die Kinder durften es streicheln. Dann ließ ich's weiter flattern; ich fürchte, für die Katze.

Leb wohl, liebe Grete! Alle von hier laßen dich herzlich grüßen, besonders auch thut dies

Dein alter Onkel

Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 144-145.
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