1276. An Grete Meyer

[166] 1276. An Grete Meyer


Mechtshausen 23. Juni 1900.


Liebe Grete!

Als ich am Donnerstag morgens 11 Uhr in Begleitung von Hermann zurück kehrte, fand ich zu meiner Freude deinen Brief vor. Ich danke dir dafür.

Also neulich fuhr ich, ohne umzusteigen und allein im "Kupeh", in sieben Stunden bis Frankfurt von Seesen aus. Meine Bekannten und ein Maiblumenstrauß holten mich vom Bahnhof ab. Das Wetter blieb günstig. Wir fuhren mehrmals in der Gegend herum; einmal auch, am dritten Pfingsttage, dem sogen. Wäldchestage, durch das festliche Volksgewühl im Holz, vorbei an Buden, Drehorgeln, Bierfäßern. Es sah recht lustig aus. Ich blieb in Frankfurt etwas länger, als eine Woche. Ungestört einsam reiste ich dann bis Northeim. Da mußt ich mich aber, wie ein Hausknecht, zum Schalter drängeln, um ein Billet nach Hattorf zu kriegen. Bereits den ganzen Tag über waren drohende Wolken herauf gestiegen. Kaum saß ich trocken im Pfarrhaus, so ging auch schon mit Krachen das Wetter los. Der Blitz schlug in ein Haus. Es gab ein Tuten und Rennen. Doch wurde das Feuer alsbald gelöscht. – An einem der folgenden schönen Tage machten wir selbacht einen Ausflug in den Harz, d.h. die Andern zogen schon früh halb sechs hinaus, während ich erst später per Bahn ihnen nachfolgte. In Lauterberg traf ich mit den Bergsteigern zusammen: Hermann, Sophiechen, die Kinder, Emmchen Franke und die zwei Töchter des Lehrers Hartmann. In Zoll aßen wir zu Mittag. Die Fräuleins und die Kinder stiegen vor dem Kaffeetrinken noch munter zum Scharzfels hinauf. Um sieben abends kehrten wir heim. – In Hattorf, ums Haus herum, hat sich vieles verändert; viel muß noch fertig werden. Seit die alte Scheune weg ist, hats Luft und Licht gegeben.

Bei uns hier fand ich alle sehr wohl bis auf Otto, der sich erkältet hat. Im Garten hat der Regen der letzten Zeit eine kräftige Wirkung gethan. Wir aßen heut mittag die ersten Erbsen in Suppenform. – Die Rosen, denen die frühen und späten Fröste sehr weh gethan, stehen theilweis in Blüthe. – Drei Glucken haben 30 – 40 Küchlein in mütterlicher Obhuth. Eine sitzt noch auf 12 Enteneiern. Und denn auch ein Putchen: das sitzt und sitzt mit einer wirklich rührenden Versimpelung.

Leb wohl, meine liebe Grete! Sei herzlich gegrüßt von Tante, Else, Otto, den Kindern und

deinem alten Onkel

Wilhelm.


N.B. Im einem meiner englischen Bücher ist beim Ausklopfen ein absunderliches Lesezeichen gefunden – eine Nagelscheere. Vermuthlich vom vorigen Herbstcher. Die Eigenthümerin wird hiermit aufgefordert, sich zu melden.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 166.
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