1281. An Johanna Keßler

[167] 1281. An Johanna Keßler


Mechtshausen 8. Oct. 1900.


Liebste Tante!

Lange hab ich nichts von Ihnen vernommen. Meist freilich darf man ja wohl annehmen, daß jemand, der sich still verhält, in sich und ohne weiters[167] vergnügt ist, aber man möcht's doch gern, um ganz sicher zu gehn, noch ausdrücklich bestätigt haben. Also schreiben Sie mal was.

Zu Anfang September war ich etwa acht Tage lang in dem alten westfälischen Münster, wo den ganzen Tag über geläutet wird, um die Leute, die daselbst echt schwarz katholisch sind, rechtzeitig zur Meße zu rufen. Das war anders, freilich nicht lange, als dort die Herren Wiedertäufer ihren fromm-fröhlichen Unfug trieben, bis die Rädelsführer mit glühenden Zangen gezwickt, geköpft und in eisernen Käfigen aufgehängt wurden hoch am Lambertithurm, weithin sichtbar zum ewig schreckhaften Zeichen für leichtfertige Ketzer. Der Prinzipalmarkt, wo dies geschah, ist heut wohl kaum viel anders, als ihn damals Knipperdolling und der König von Zion gesehn. An den alten Häusern entlang ziehen sich steinerne Bogenlauben, in denen ich täglich zwischen den Gemüseweibern mit Vergnügen spatzieren ging. Und dann kehrt ich auch mal ein und trank bescheidentlich ein Gläschen Ingelheimer – was mich natürlich jedesmal an ein angenehms Haus in Frankfurt erinnert hat.

Nun bin ich längst zurück in Mechtshausen. Noch immer wärmt uns ein freundlicher Sonnenschein; aber wie lange wird's dauern, dann ist unser Stückchen Erde mal wieder mit Schnee bedeckt. – Na ja! – Ist auch nicht übel.

Herzliche Grüße, liebe Tante, an Sie Alle von Ihrem alten

Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 167-168.
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