1485. An Nanda Keßler

[232] 1485. An Nanda Keßler


Mechtshausen 25. Jan. 1905.


Meine liebe Nanda!

Wenn Gelehrte schon schwitzen über der Deutung kleinster Urkunden, die vor Tausenden von Jahren in Thon gebrannt wurden, wie viel mehr wird der brave Freund sich bemühn, die in Keilschrift verfaßte Epistel einer lebendigen Freundin zu entziffern. Ich hab's fertig gebracht. Herz, Hirn, Ohr, Auge – und Mund – sind, seh ich, strebsam genießend beschäftigt bei euch. So, mit Erlaubniß natürlich der droben waltenden Sterne, darf ich wohl erwarten, daß ihr mir heiter, zufrieden und hochgebildet im nächsten Juni entgegen kommt.

Nicht ganz so gut gefällt mir die eigene Übung zurzeit. Neben mancherlei Lobenswerthen, überwiegend sind in der Kulturgeschichte, die ich grad lese, doch immer die Greuel – genau so wie heute.

Inzwischen, ihr lieben Leutchen, seid herzlich gegrüßt vom

Onkel Wilhelm.


Auch seine Verwandten grüßen freundlich nach Frankfurt hinüber. –[232]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 232-233.
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