1581. An Grete Thomsen

[262] 1581. An Grete Thomsen


Mechtshausen 12. Mai 1907.


Liebe Grete!

Habe Dank für den Brief. – Was in der Commende No 1 zu Münster paßirt, wenn's nur deutlich gemacht wird, ist immer sicher, bei mir Theilnahme zu finden. So ist es!

Am Himmelfahrtsnachmittage waren unsere zwei Mädeln zu Docters geladen. Rechtzeitig zum Nachteßen wurden sie von Karli und Hanna per Wagen zurück gebracht. Alle vier hatten schöne rothe Gesichter.

Else und Otto weilten gleichfalls in Rhüden, erst bei Urbans, dann später zur Bowle bei Docters. Spät kamen sie wieder. Derweil, während gänzlicher Windstille, saß ich ein Stündchen draus vor der Thür und raucht mein Pfeifchen und betrachtete die stummen schwarzen Gestalten der Bäume. Es kam mir vor, als säße in mir doch mehr Freiheit und schwunghaftes Leben. Oder war's Hochmuth? Ist's nur Freiheit auf Grund der Nothwendigkeit?

Nachher las ich drin bei der hängenden Lampe. Ein Maikäfer, einer von den vielen dies Jahr, flog durch's offene Fenster, surrte um's Licht, stieß sich, fiel auf den Rücken und strampelte hülflos mit den Beinen. Vermuthlich war er erst eben aus der Erde gekrochen, denn er hatte noch ein Klümpchen Dreck auf der Nase. Ich ließ i[h]n hinaus, wo's beßer für ihn. Kurz währt sein Dasein auf der Oberwelt. Viel Grünfutter, ein Bißel Liebe, dann ist's für diesmal vorbei mit ihm. Aber tausend Jahre, von hinten besehn, sind wohl auch nicht viel mehr.

Unter Elsens und Ottos Beihülfe hab ich mich der Antworten auf die Glückwünsche soweit glücklich entledigt. Manche wollen noch ferner was wißen. Sich mit sich selbst zu beschäftigen für Unbekannte, wird öde. Etwas Richtiges kommt ja dabei doch nicht heraus.

Jetz[t] aber, in diesen löblichen Frühlingstagen, sitz ich viel auf der Gartenbank unter den blühenden Kirschbäumen. Da seh ich über das Feld weg den Heber im neuen Grün. Einst saßen wir oft daselbst. –

Leb wohl, liebe Grete! Grüß mir meinen lieben Andreas und all die Andren, an die ich so gerne gedenke.

Dein getreuer Onkel

Wilhelm.


Von Resi und Liese aus Cöln erhielt ich Briefe, die mir gefielen.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 262.
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