194. An Nanda und Letty Keßler

[110] 194. An Nanda und Letty Keßler


Wiedensahl d. 14. Juni. 1873


Liebe Nanda! Liebe Letty!

Ich muß Euch doch nur gleich schreiben, daß ich wohl und gesund hier angekommen bin. Von Frankfurt bis Kaßel da schlief ich. Als ich aufgeweckt wurde, da wollte ich gleich auf dem Bahnhofe einen Kafé trinken, aber der war mal arg schlecht; und ich dachte mir, wenn die Nanda und die Letty heut in der Früh aufstehen, die können lachen, die kriegen was Beßeres; denn das muß man doch sagen, daß die Mama wirklich einen sehr guten Kafé machen, kochen, bereiten und einschenken thut. Ja ja! So roch ich denn an mein Jasminbouquet, zündete mir die Peif an und fuhr nüchtern bis Hannover, wo ich ein langsames Butterbrod und einen schnellen Schnaps hinunter verzehrte. Von Stadthagen bis Wiedensahl ging es bummelbammel hulterpulter mit der Post. Hier bin ich nun. Die Erbsen, Bohnen, Kartoffeln und Blumen im Garten sind derweil recht groß geworden und das Korn im Felde auch, und Euer Bild hab ich aufgehangen über dem Sopha an die Wand, und ich denke mir: was machen die Zwei denn nun in Frankfort? Ja, denk ich mir, die lesen und schreiben und eßen gute Butterbröde, und die Letty macht schrecklich viele Fingerübungen auf dem Klavier, und dann wird die Jungfer Puppe im Wägelchen spatzieren gefahren durch den Garten, wo's so kühl und reizend ist. Ach ja! Wenn ich doch auch so ein Pupperl wär, dann hätt ich himmelblaue Augen und blonde Locken und ein Nachthemd mit Spitzen und ließ mich spatzieren fahren und warten und pflegen und dürft schlafen in einem antiken Bett, und meine[110] Kißen wären mit blauer Seid gefüttert und die Vorhäng wären rother Sammet mit Gold. Aber weil's nun mal nicht so ist, so ging's mir so auch recht gut; wenn ich nur bei Euch sein kunnt und bräucht nicht so weit hin mit schwarzer Dinte zu fragen: Ihr Mädercher, wie geht's? Ihr habt Euch doch die Füß nicht verkält am letzten Donnerstag Abend???

Grüßt mir den Papa, die Mama, den Docter, den Harry und alle mit einand, und dann so schreibt, schreibt, schreibt recht bald an Euren getreuen

Onkel Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 110-111.
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