217. An Johanna Keßler

[118] 217. An Johanna Keßler


Wiedensahl d. 22 Febr. 1874


Meine liebe Tante!

Wie gern möchte ich einmal wieder bei Ihnen und den beiden guten Mädchen sein; und ich kenne Eine, die das ja nur zu gut weiß, auch ohne daß das noch ausdrücklich gesagt wird. Nun gedenke ich aber noch allerlei Schosen hier zu absolviren; das Hochzeitfest mag füglich erst vorüberrauschen; dann komm ich und komme und bleibe, bis Sie selber sagen sollen: Na, der bleibt lang!

Von einer alten Dame in Hannover bekam ich dieser Tage eine Partie von 40-50 alten Kupferstichen, meist aus dem vorigen Jahrhundert. Da sie groß, vergilbt und malerisch sind, habe ich die Wände meines Arbeitszimmers damit geschmückt. Macht sich nicht übel. Die beiden kleinen Chodowiecki'cher, die darunter waren, mögen hiermit in schönere Hände übergehen, als die, worin sie gewesen.[118]

Dem Lettychen meinen vorläufigen Dank für den hübschen Brief. Ich schreibe ihr bald mal wieder und auch der Nanda.

Wir haben hier ebenfalls ein ahnungsvolles Frühlingswetter. Nur auf der Nordseite der Hausdächer seh ich den bläulichweißen Rauhfrost schimmern. In der Dämmrung geh ich durch das keimende Feld dem Walde zu, und als Begleitung beschwöre ich mir herauf das Bild meiner liebenswürdigen Tante Johanna.

Immer und immer Ihr ergebenster

W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 118-119.
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