253. An Erich Bachmann

[132] 253. An Erich Bachmann


Wiedensahl Freitag [Mitte Februar 1875]


Mein lieber Erich!

Also der Ball ist ohne Störung verlaufen. Es ist ja allerdings recht löblich von alten Herren und ihrer Gesundheit ganz zuträglich, wenn sie die alten zähen Säfte mal ordentlich in Circulation versetzen und sich mal gehörig ausschwitzen; aber wenn ich an die jungen Damen denke, welche dabei gewißermaßen als Knochenöl verwendet werden, wenn ich mir vergegenwärtige, was der Tanz eigentlich für eine tiefere Bedeutung hat, so fürchte ich doch, daß die größte Genugthuung auf der bejahrten Seite gewesen ist. – Ist denn keiner von den Hannoverschen Freiwilligen am Platze gewesen? Hier war neulich auch Sängerball, wozu ich eine Einladung erhielt. Da ich mich aber durchaus nicht besinnen konnte, was ich da eigentlich anfangen sollte, so blieb ich zu Hause. –

Eine sonderbare Reisegesellschaft hatt ich, als ich neulich nach Hannover fuhr. Eine alte Dame saß mit im Coupee, die in einem Waggon hinter uns ihren todten Mann bei sich hatte. Sie waren kinderlos; hatten ihr Gut in Pommern verkauft und waren nach Italien gereist. Dort hatte sie, eine[132] Holländerin und katholisch, ihren Mann ebenfalls katholisch gemacht. Nach vier Wochen war er gestorben. Sie hatte ihn dann gehörig verpackt und mit nach Holland genommen. Dort war ihr eingefallen, daß er in Küstrin früher ein Begräbniß gebaut, wo er dermaleinst liegen wollte. Nun war er bis Berlin expedirt. Aber unterwegs war ihr eingefallen, die protestantischen Verwandten möchten sie schlecht empfangen. – Die Frau hatte ganz den Kopf verloren. Sie wollte nun wieder nach Salzbergen, einem Dorfe an der holländischen Grenze, wo sie mal einen Sommer verlebt. Ich ging deshalb mit ihr zum Bahnhofinspector, der dann auch den Waggon mit dem Todten auszuhängen versprach.

Sonderbar! Sonst können die Leute die Lebendigen nicht los werden! Die Frau war seit 14 Tagen in dieser Gesellschaft unterwegs, war nicht aus ihren Kleidern und seit Rom in keinem Bette gewesen. Ich muß offen sagen, daß es mir ein unbehaglicher Gedanke ist, wenn ich so nach meinem Tode als Gepäck in der Welt herum fahren müßte. –

Wir haben hier noch mal einen resoluten Winter. –

Herzliche Grüße!

Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 132-133.
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