285. An Maria Anderson

[144] 285. An Maria Anderson


Wolfenbüttel 11. Jun. 75.


Liebe Frau Anderson!

Schopenhauer hat jedenfalls die ernstliche Absicht deutlich zu sein, sonst wäre seine Schreibweise nicht so bündig, wie sich's ein Mathematiker nur wünschen könnte. Zudem ist er, mein' ich, immer intereßant, obgleich er stets daßelbe Thema variirt; denn dieses Thema ist ja unser Fleisch und Blut. Freilich Kant wird voraus gesetzt. – Den Intellekt darf man nicht als etwas Apartes, Losgetrenntes ansehn, sondern als ein Produkt des Willens, dem es in seiner Dunkelheit unheimlich geworden. Der Intellekt ist ein Organ. Er bringt die Motive in Wechselwirkung; er schließt; aber der Wille beschließt. – Wie oft folgen wir, der reiflichsten Überlegung zum Trotz, im entscheidenen Momente dem Dunklen Drange, dem plötzlichen Impuls! – Der Wille ist Kraft; der Intellect ist Form. – Der Intellect ist sterblich; der Wille lebt, so lang er will. – Der Gedanke an den Tod scheint mir deshalb meistens so verdrießlich, weil der Einem die Laterne auspustet und Einen in eine neue Haut steckt, von der man nicht weiß, ob sie beßer ist als die, welche man ausgezogen. – Der Glaube an Seelenwandrung[144] kommt mir wirklich recht verständig vor und höchst erbaulich dazu.

Die schwarze Dinte war schuld! Ich befinde mich wohl, reise nächsten Montag d. 14ten nach Wiedensahl zurück und verbleibe, ferner wie früher,

Ihr ergebenster

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 144-145.
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