287. An Maria Anderson

[145] 287. An Maria Anderson


Wiedensahl 18 Jun. 75.


Liebe Frau Anderson!

Schopenhauer hielt sich an die Erfahrung, daß berühmte Männer meist ausgezeichnete Mütter hatten. Das Wort »Herz« nimmt er jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Er würde, denk ich, ungefähr so sagen: Der Wille, die Energie, die geschlechtliche Kraft, vererbt vom Vater; beim Intellekt, dem Denkorgan, macht sich der Einfluß der Mutter geltend. Ein hoher Grad von Willen und Intellekt, vereinigt, giebt Genie. Sind die Frauen nicht Meister in List und Schlauheit? Zeugen List und Schlauheit nicht von scharfem Intellekt? Es fehlt nur der starke Renner und das große Ziel. – Wenn der alte Brummbartel von den Weibern nichts Gutes erwartet und ihnen nichts Gutes gönnt, so ist das eine von seinen Schrullen. Übrigens können die Frauen der modern kultivirten Welt sich damit trösten, daß sie 's beßer haben, als früher und anderswo; und so geht's hoffentlich weiter. – Eine von Schopenhauer's Schrullen ist auch seine Ansicht über Heilige. Hätte es je einen wahrhaftigen Heiligen gegeben, hätte es jemals Einer zur totalen Verneinung des Willens gebracht, so wäre die Welt bereits erlöst. Nun behalten die Juden Recht: der Meßias muß noch kommen.

Gegen die »Unsterblichkeit mit Haut und Haar« muß ich mich, scheint's, wohl ausdrücklich verwahren. Was in uns leidet und genießt, das bleibt; der sogenannte Geist wird ausgeblasen; wir »trinken Lethe« Sie kennen gewiß das wunderschöne Märchen des Plato. Die Ungewißheit über das Wo und Wie unserer Wiedergeburt ist ein Hauptbestandtheil unseres Widerwillens gegen den Tod. Wir werden einen neuen Stall finden und eine neue Laterne. Woher kommt der Drang zum Nachruhm, woher die Lust, sich zu »verewigen«, oft bis zur Lächerlichkeit? Warum intereßiren wir uns für die Gesammtcultur? Darum!: Wie der gebildete Mensch das Gute erbt aus früheren Lebensläufen, so möchte er auch mit der Wahrscheinlichkeit sterben, daß er was Gutes vorfindet, wenn er wieder auflebt; und so fort durch alle Ewigkeit, d.h. bis zu jenem Moment, wo das Wort »Zeit« keine Bedeutung mehr hat.

Antworten Sie doch der Dame im »Land der Blumen und Insectten«. Ich wollte auch mal hin und zwar als Bienenzüchter; nach Brasilien, wo in einem Jahre eine Progreßion von 1 zu 80 möglich ist. Spaßhafte Thiere!

Die kleinen Brochüren habe ich allerdings in Wolfenbüttel vergeßen; die Bücher, welche Sie mir so eben geschickt, sollen aber pünktlich zurück kommen.

Ich sehe im Nordwesten einen Streifen Abendroth; die tieferen Baumzweige sind ganz hinein getunkt. Von Südosten kommt ein sanfteres Licht und[145] legt sich an die Wipfel. Ich weiß, wenn ich jetzt in mein Schlafzimmer gehe, um das Fenster zu schließen, so schaut der Vollmond über die alte Kirche.

Gute Nacht!

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 145-146.
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