296. An Maria Anderson

[149] 296. An Maria Anderson


Wiedensahl 7 Juli 75.


Die »Urzeugung« paßt recht gemüthlich zu meinem Glauben. Aber wo sind denn die Beweise, meine liebe Frau Anderson?

Diese sogenannten Wahrheiten habe ich doch ein wenig im Verdacht der Unbeständigkeit.

Bis in die fünfziger Jahre galt als bombenfest der Satz: Nur das befruchtete Ei ist entwicklungsfähig.

Hören Sie nun mal etwas über Bienen!

Im Bienenstaate ist die Königin das einzige Weibchen; sie begattet sich ihr lebelang nur ein einziges Mal. Sie empfängt das Sperma in einem kleinen Samenbläschen, welches in den Legekanal mündet, um, wenn ein Ei vorbei paßirt, an dieses die nöthigen Samenthierchen abzugeben, die dann bekanntlich durch eine kleine Öffnung in daßelbe eindringen. Die Königin legt nun ihre Eier in Drohnenzellen und Bienenzellen. In den ersteren entwickeln sich Drohnen d.h. Männchen, in den andern Arbeitsbienen d.h. unvollkommene Weibchen. Nun hat man folgendes beobachtet:

1) Zuweilen legt eine Königin nur Drohnen eier. Untersucht man dann ihr Samenbläschen, so ist es leer.

2) Eine italienische Jungfrau-Königin, mit deutschen Drohnen gepaart, vererbt ihre Abzeichen ganz rein nur auf die männlichen Nachkommen. Die Drohnen sind echt, die Weibchen sind Mischlinge.

3) Man drückte befruchtete Königinnen mit einer kleinen Zange an der Stelle ihres Leibes, wo das Samenbläschen liegt. Von der Zeit an legten sie nur Drohneneier.

4) Man untersuchte Bieneneier und Drohneneier mit dem Mikroskop. In keinem einzigen Drohnenei fanden sich Samenthierchen.

Was folgt hieraus?

Antwort: Hier findet Parthenogenesis statt.

Ich hoffe, Madam, Sie werden daraus auch ohne mich eine hübsche Nutz–anwendung machen in Bezug auf die Würde der Frauen im allgemeinen und die unbefleckte Empfängniß in's besondere.

Aber Scherz beiseit! Was ich meine, ist dies: Alle solche Thesen sind Hypothesen. – Wir dürfen bescheiden sein. – Wer die nackte Wahrheit will, der male a2 + 2 • a • b + b2 auf der Wind- und Klappermühle, deren Wichtigkeit ich sonst nicht verkenne. –

Wir aber, wir reden den hübschen »blühenden« Unsinn. Wir sagen: Die Sonne geht unter; der Mond geht auf. – Hier ist der See. Der entschlummerte Tag haucht leise darüber hin. Die Wellen zittern und blinken. Sanft schaukelt der Kahn. Die Laute klingt. Aber tief unten im Grund liegt der Hort und Schatz der Wahrheit.

Ihr Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 149.
Lizenz: