50. An Johanna Keßler

[46] 50. An Johanna Keßler


Wiedensahl d. 18 Mai 68


Meine sehr verehrte Frau Kessler!

Unter dem rücksichtslosen Einfluße eines gewaltigen Platzregens kam ich am vorigen Mitwoch hier an. Das war eine zuwidere Abkühlung nach all dem Frühlingssonnenschein, der mich in Stuttgart, Heidelberg und Frankfurt mit unverwüstlicher Heiterkeit umstrahlt hatte. Aber nun bin ich ja in der Heimath. In stiller Behaglichkeit fühle ich die Nähe meiner Lieben. Ich gehe wieder den Fußsteig durch das Feld, ich streife mit der Hand die herandrängenden Ähren; über mich hin, am Dufthimmel des Mai's, ziehen die leichten, zierlichen Wolken; langsam, von lauem Winde bewegt, dreht sich das graue Kreuz der Windmühle, und abbiegend durch die blühende Wiese, trete ich in den guten, alten, wohlbekannten Wald, der mich seit Kindertagen so oft umsäuselt und gekühlt hat. Die Herzen und Namen, welche ich einst der Rinde schlanker Buchen anvertraut, sind längst vernarbt; viel ehrenwerthe Stämme zerbiß das Beil; hier auf weitgelichtetem Platz steht das Gestell von Holz; quer drüber liegt der gewaltige Eichblock, zwei böse, böse Männer, einer oben, einer unten, auf und nieder sich neigend, ziehen die Säge und machen lange Furchen durch das Holz, daß Bretter draus werden zu Schiffen, Wiegen, Bettläden und Särgen. – Im weichen, grünen Moos gelagert, sehe ich die blauen Dampfgebilde meiner Zigarrette dahinziehen und schwinden. Ein neu Geschlecht von Waldvögeln, und doch daßelbe, durchtönt das Gebüsch. Oben auf den Wipfeln der Tannen, die der Abend vergoldet, sitzen die Amseln und singen und quinqueliren der untertauchenden Sonne nach. Wie gern gedenke ich nun dabei der niedlichen Waldwiese in Ihrem Garten, der schönen Bäume, über denen das Haus hervorschaut, der verschlungenen Wege und wie Sie wohl selber drin umhergehen, und der freundlichen Kindergestalten, und all des Guten und all des Wohlwollens, welches mir bei Ihnen zu Theil wurde. – Wie war doch die Fahrt nach Kroneberg so wunderschön! Der Lagerplatz unter den Eichen auf den Felsen, und wie Sie und Burger's sangen – ein Gefühl von Reue und Sehnsucht überkömmt mich, wenn ich denke, daß ich so schnell fortreiste. – Aber ich komme wieder und bleibe länger, und dann müßen Sie aber auch wieder grad so gut und freundlich sein.

Indem ich nun Ihnen und den Ihrigen für Ihre herzliche Aufnahme meinen besten Dank sage, verbleibe ich

Ihr ergebenster

W. Busch.


50. An Johanna Keßler: Faksimile: Letzer Abschnitt
50. An Johanna Keßler: Faksimile: Letzer Abschnitt
Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 46.
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