58. An Caspar Braun

[50] 58. An Caspar Braun


Wiedensahl d. 3. Nov. 68


Mein lieber Herr Braun!

Seit vor acht Tagen zwei Wetter mit Donner, Blitz und Sturmessausen über unsere Häupter dahingefahren, ist es rechtschaffen kalt geworden. Der Bauer sucht seine Fausthandschuh hervor, die Nasen röthen sich und bedenklich schütteln die Bäume ihr krauses Haupt und streuen ihre braun= goldigen Blätter auf die rauhen Schwingen des Herbstwindes aus. Jaja, der Winter kommt! Aber er kommt als Freund. Wer irgend ein dankbares Herz im Busen trägt, muß ihn willkommen heißen, wenn er sich erinnert, mit welch heißen Mühen und glühenden Drangsalen ihn der Sommer gepeinigt hat. Das teuflische Geschmeiß der Fliegen, in wohlverdiente Gährung übergegangen, hängt mit gelbem, angeschwollenem Hintertheil an den kalten Wänden herum; der blutdürstige Gesang der Moskitos ist verstummt; glasig ist ihr Leib, kraftlos ihr Gebein, und ihre Seele gehört dem schwarzen Urvater aller Bosheit. Wie oft in diesem Sommer haben sie mich vom ruhelosen Lager aufgeschreckt; wie oft habe ich das Fenster aufgerißen, um mein ehrsames Theil dem dämmernden Morgen, mein unehrsames aber den drei Wänden entgegen zu strecken, und habe saure Weinbeeren gegeßen, um die lechzende Seele zu erquicken. Und nun! Mit welch tröstlicher Zuversicht hüllt sich jetzund das müde Menschenkind allabendlich in seine Decke ein und umgiebt sich mit dem engen, aber wohlthätigen Dunstkreise der animalischen Wärme, die es aus eignen Mitteln geschaffen und in selig=dreister Selbstgenügsamkeit genießen darf. – Die Kartoffeln sind wunderbar gerathen; die rundlichen Borstenthiere grunzen und quicksen bereit ahnungsvoll ihrem nahen Verhängniß entgegen – – ich aber will in nächster Woche den Wanderstab ergreifen und gen Süden wallen, zunächst auf einige Zeit nach Frankfurt und sodann nach München, wo ich Sie gesund und heiter hinter Ihrem Arbeitstische wieder anzutreffen hoffe.

Vorläufig erhalten Sie wieder eine Anzahl von Stöcken. Sie würden mich verpflichten, wenn Sie mir noch vor meiner Abreise von hier 200 fl zuschicken möchten.[50]

An Herrn Schneider freundlichen Gruß; ich erfuhr zu meinem Bedauern, daß er in Wolfenbüttel ankam, als ich eben in entgegengesetzter Richtung wieder abgereist war.

In der Erwartung, daß es Ihnen und den Ihrigen gut geht, verbleibe ich

Ihr stets ergebener

W. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 50-51.
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