622. An Adolf Nöldeke

[257] 622. An Adolf Nöldeke


Wiedensahl 25. Oct. 84.


Lieber Adolf!

Deinen Brief habe ich erhalten. Ich denke, du wirst dich auch in die Göttinger Verhältniße bald hinein finden, wenn's auch nicht so anmuthig geht, wie in Tübingen. – Mitwoch war Hermann mit Ruprecht und Beyer hier bis Abends um neun. Den andern Tag ging ich mit Herrn Pastor nach Loccum; wir tranken bei Hermann Kaffee, wozu Frl. Saxer schönen Kuchen herauf schickte; wir machten der Geberin nachher eine Visite. Hermann, Kretschmann und ich setzten uns dann bei Buschmann zu Biere. Bei kaltem, aber klarem Wetter wurde um 8 Uhr der Heimweg angetreten. – Hermann soll Sonntag sehr gut gesungen haben, so daß der Organist gemeint, es thäte Hölscher. Letzterer hat sich nun definitiv für Leipzig entschieden. Er wäre im Lande geblieben, hör ich, wenn man ihm eine anständige Stelle z.B. an der Schloßkirche geboten hätte. Allgemein, besonders auch von den Klosterherren, wird sein Fortgehen bedauert. – Uns hier geht's ganz gut. Mutter hat gestern schon mit dem Reinmachen ihrer Stube und des Kabinetts begonnen, Blumen und Alles herum und heraus gekramt. Auch hat Schär gestern den geflickten Ofen wieder hinten in die kleine Stube gestellt. Wir können also nun wieder unser enges Winterquartier beziehn. Heute früh rumorte der Schornsteinfeger auf dem Boden und im Schlot herum; Mutter, Frl. H. und Dortchen sind beim allgemeinen Samstagskehraus. – Tante Johanne mit Marie und der kleinen Johanne fuhren gestern Nachmittag auf ein paar Tage nach Bremen. – Von Meyers aus Köln hatte Mutter einen Brief. Ihnen selbst geht's gut; aber von Lüethorst hatten sie Nachricht, daß es der Tante dort so schlecht[257] geht, daß man ihr Ende erwartet. – Morgen will ich mit Onkel Hermann mal in Hannover zusammen sein. Fritz, denk ich, soll mich dann Abends um halb acht wieder vom Bahnhof in Stadthagen abholen. – Unsere Ostwindsaison hat begonnen. Es ist kalt und nebelig; aber regnen thut's nicht. Die Staare scheinen bis auf weiteres mal wieder mehr nach Süden geflogen zu sein. Die Laube ist kahl. Der Kastanienbaum vor dem Hause läßt seine goldenen Blätter fallen.

Leb wohl, lieber Adolf! Sei von uns Allen recht herzlich gegrüßt. Grüß mir dort die Bekannten, besonders auch Nöldekens.

Stets dein getreuer Onkel

Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 257-258.
Lizenz: