68. An Hermann Nöldeke

[54] 68. An Hermann Nöldeke


Frankfurt a/M. d. 20 Febr. 1870


Lieber Hermann!

Über Deinen Brief habe ich mich recht gefreut. Sei nur ja recht fleißig im Schreiben, daß ich jedesmal einen beßeren Brief von Dir bekomme. – Hier ist es auch sehr kalt gewesen. Alles läuft auf die Wiesen vor der Stadt hinaus, wo im Herbst das Waßer über tritt und nun dieses Jahr besonders schön blank zugefroren ist. Es ist nur sehr flach, so daß Keiner darin ertrinken kann. Da müßt ihr euch dort schon mehr in Acht nehmen. Bei München auf dem Starnberger See, der sehr, sehr tief ist, sind neulich auch Bekannte von mir Schlittschuh gelaufen und haben sich nicht vorgesehen und sind auf eine dünne Stelle gekommen und alle zusammen hinein gefallen. Sie haben sich Alle durch Schwimmen gerettet, nur ein junges Mädchen ist nicht wieder zum Vorschein gekommen. Ihr Muff hat oben geschwommen, sie selber aber ist ertrunken, und man hat sie bis jetzt noch nicht wieder finden können, weil über ihr das Eis wieder fest zugefroren ist.

Leb recht wohl, lieber Hermann. Grüße Marie und Mariechen und Adolf und Otto. – An Tante Johanne und Onkel Adolf und Friedrich sage auch viele Grüße. An Tante Johanne sage noch besonders, daß mir das Brod, welches sie mir mitgegeben, sehr schön geschmeckt und daß ich 14 Tage lang davon gegeßen hätte.

Hugo und Harry und Onkel Otto laßen vielmals grüßen. Ich denke, wir werden im Sommer alle wieder mal nach Wiedensahl kommen.

Stets dein dich liebender

Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 54.
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