73. An Letty Keßler

[55] 73. An Letty Keßler


Wolfenbüttel d. 12. Juni 1870


Meine liebe Letty!

Es ist mir sehr lieb, daß Du an mich gedacht und mir geschrieben hast. Ich habe ja auch immer an Dich denken müßen.

Es ist hier ein großer, schöner Garten, wo auch viele Rosen drin stehen, die blühen und blühen wollen. Die Vögel singen recht lustig, grade wie in euerm Garten; aber es ist auch eine Nachtigall da. Ich sah, wie sie am Boden was aufpickte und dann in den Jasmin flog und noch ganz leise so für sich hin sang. – Wir haben hier auch Maiwein getrunken; aber der schmeckt doch am allerbesten, wenn ihn Dein liebes, gutes Mütterchen zurecht gemacht hat. Nicht wahr? Ja!

Oft ist es mir, als wäre ich schon recht, recht lange fort und müßte euch Alle bald mal wiedersehen, und denn weiß ich doch, daß es nur erst ein paar Tage sind.

Lebe recht wohl, liebe Letty! Sage der Mama viel freundliche Grüße und denke zuweilen an

Deinen guten Onkel

Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 55-56.
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