732. An Georg Kleine

[300] 732. An Georg Kleine


Wolfenbüttel 15. Mai 88


Lieber Onkel!

Da Alwine nicht gut dazu im Stande, so muß ich dir eine recht traurige Mittheilung über meinen lieben Bruder Gustav machen. Schon voriges[300] Jahr klagte er über seine Augen, versuchte es mit verschiedenen Brillen, aber keine wollte paßen. Im Anfange des Frühlings war die Sache schlimmer geworden; er sah nur den oberen Theil der Gegenstände und zog einen Spezialaugenarzt zu Rathe außer dem Hausarzte. Allerlei Mittel wurden verschrieben. Es stellte sich Appetitlosigkeit, Schlafsucht und solche Schwäche ein, daß er sich der Geschäftsarbeiten enthalten mußte. Dann erholte er sich; und in dieser Zeit, vor etwa 3 Wochen, besuchte ich ihn. Als ich mich von ihm verabschiedete, schien mir der Anfall überstanden. Vorgestern ißt er noch mit gutem Appetit, geht vergnügt im Garten spatzieren und schläft die Nacht darauf ruhig und fest. Morgens beim Waschen muß er niesen, faßt plötzlich mit der Hand auf die linke Brustseite, setzt sich aufs Bett, beklagt sich über die zu dumpfe Kammerluft, geht in die Stube aufs Sopha, der Seitenschmerz wiederholt sich, er geht auf den Hausflur, ruft laut nach seiner Frau, und als Alwine zu ihm eilt, sinkt er ihr sofort todt in die Arme. Das war gestern Morgen um halb Sechs. – Gestern Nachmittag fuhr ich hierher, Bruder Hermann ist heute gekommen. – Für A[l]winen, die ja ganz nur in und für Gustav lebte, ist's ein harter Schlag, wohl der härteste, der sie treffen konnte. – Mir sieht Wolfenbüttel auch nicht mehr so aus, wie ehedem.

Ich werde noch einige Tage hier bleiben und dann wieder nach Wiedensahl reisen.

Sei aufs herzlichste gegrüßt, lieber Onkel, von deinem getreuen Neffen

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 300-301.
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