965. An Hermann Nöldeke

[31] 965. An Hermann Nöldeke


Wiedensahl Mitwoch. [2. Maihälfte 1894]


Lieber Hermann!

Sei bedankt für deinen Brief. Mutter ihr Husten wird, denk ich, wenn die Folgen des Reisewetters erst vorüber sind, auch wieder gelinder geworden sein; und mit Sophiechen gehts ja immer beßer. Im übrigen seid ihr ja wohlauf, gottlob!

Wie Ottos Bewerbung abläuft, muß eben abgewartet werden. So, wie die Zeiten nun mal sind, soll man allerdings muthig ans Werk gehn, aber zugleich die starke Möglichkeit des Mißlingens zum voraus mit Ruhe in Rechnung ziehn.

Tante in Wolfenbüttel fand ich sehr munter, obgleich sie dazwischen über Rheumatismus klagte. Else (Mädler oder) Schmalbruch kam ein paar Mal mit ihrem netten wohlgenährten Töchterlein. Die Großtante (eben keine Freundin von ganz kleinen Kindern) ist etwas entrüstet, daß regelmäßig bei solchen Besuchen zuerst und vor allen Dingen der Nachttopf verlangt wird, worin dann, als Gastgeschenk, nur unliebsame Dinge zurück bleiben.

Gestern, sag Mutter, hat Lindenberg die Metwürste und Schinken gebracht. Onkel in Celle hat auch noch einen erwischt. Dort ist die Schwägerin Lierse aus Güstrow mit ihrem Töchterchen auf einige Wochen zu Besuch, und nun grad haben sie ihr Mädchen wegen geschwollener Füße entlaßen müßen. Zum Glück können sie ihr altes Mädchen, welches dort das Schneidern lernt, noch zur Aushülfe haben.

Vorgestern hat Schloßer Peek hier zum zweiten Mal Unglück gehabt mit Sprengstoffen. Vor einigen Jahren brachte er ja durch unvorsichtige Behandlung eines Zündhütchens seinen Sohn um ein Auge. Diesmal hat er draußen auf dem Felde einen Stein sprengen wollen. Die Sache scheint zu versagen; er geht hin und purrt dran; im selben Augenblick gehts los. Die rechte Hand ist schwer verletzt, der kleine Finger hat zur Hälfte abgenommen werden müßen, doch hofft der Docter, daß die Hand sonst wieder in Ordnung kommt.

Schön, daß du so gute Aussichten für die Obsterndte hast. Hier haben Pflaumen gut angesetzt, Zwetschen weniger. Die erste Rosenblüthe wird wohl nicht so schön, wie voriges Jahr. Von den Sämereien ist, wie du vorausgesagt, nur wenig gelaufen: einige Kappern, kürzlich 2 Winden, neulich zwei jap. Hopfen. Es ist zu dürr; kein Regen; fast beständig Ostwind; jetzt Nordost. Sonst stehen die Feldfrüchte vorzüglich; Roggen blüht, und auch das Gras in den Wiesen soll doch completer sein, als im letzten Jahre.

Ob Bachmann demnächst kommt, weiß ich nicht recht. Er schrieb vor ein paar Tagen und meinte, ich sollte erst mal nach Ebergötzen kommen, worauf ich ihm geantwortet habe, es paße mir jetzt nicht, und er möge seinen versprochenen Besuch ausführen.

Leb wohl, lieber Hermann! Grüße Mutter, Sophiechen, Otto und alle, die ihr daselbst beisammen seid.

Stets dein getreuer Onkel

Wilhelm.


Frl. K. läßt gleichfalls grüßen.[31]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 31-32.
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