997. An Nanda Keßler

[45] 997. An Nanda Keßler


Wiedensahl 24. Nov. 94.


Meine liebe Nanda!

Für deine zwei guten Brieflein sag ich Dir besten Dank.

Die hundert Geschichten, die ich auf deinen Wunsch kommen ließ, werden, wenn sie auch für Manche etwas zu kräftig sein dürften, doch auf dich, entgegen dem französischen Opium, eher eine erfrischende Wirkung machen. Ich hab, um sie gleich abschicken zu können, nur flüchtig hinein gesehn und fand, daß die Übersetzung des für sprachlich musterhaft angesehenen Italienisch sehr geläufig zu lesen ist. Durch Alles hindurch spukt eine drollig ernsthafte Ironie über das Menschenvolk im Allgemeinen und eine penetrante Satyre gegen die damalige Geistlichkeit im Besonderen; ergötzlich für den, der's zu beachten beliebt.

Auch über unserer Gegend allhier liegt grauer Nebel. Das hemmt zwar die Ergötzlichkeit der Sinne nach außen, dreht aber anderseits die Augen und das Näschen nach innen, was mitunter recht heilsam ist.

Du und Hudi, ihr zwei, spielt Puppentheater; also grad melancholisch seid ihr noch nicht; und sollt euch der Stoff ausgehn, so ist gewiß in der nächsten Handlung ein Büchlein zu haben, worin die lustigen Kasperlgeschichten gesammelt und all bei einander sind.

Bald kommt dann der Januar und das Reitkleid und das Gäulchen – und gleich hinterher Monte Carlo und wer weiß Was obendrein.

Diese Töne auf der Zukunftsharfe werden hoffentlich die müden Augen, die schönen, noch so lange offen halten, bis du die Worte gelesen hast:

Liebe Nanda, sei auf das herzlichste gegrüßt von Deinem

Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 45.
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