Erstes Bild.

[19] Der herzogliche Park zu Parma. Herren und Damen des Hofes. Festlich gekleidete Landleute, voran Sackpfeifer. – Jäger mit Hörnern, Falken, Hunde-Meute. – Fechtspielende Pagen. Kränzeschlingende Edelfräulein. Der Zeremonienmeister, von einem Fähnlein Leibwachen und Trommlern gefolgt, tritt geschäftig auf; ordnet die Gruppen, macht sich wichtig und bemerkbar. Die Landleute werden zurückgedrängt. Pagen und Edelfräulein aufgestellt, allen – dem Range nach, die Plätze angewiesen. Abwechselnd verschwindend und wiederauftauchend, aufgeregt und autoritativ zugleich, empfängt den Herzog und die Herzogin.
[19]

CHOR. Sie nahn! Der Fürst, die Fürstin! O schauet! O Pracht. Hoch das Paar! Heil dem Fürsten! Das Herzogspaar tritt zu Pferde auf.

ZEREMONIENMEISTER meldet sich, mit Verbeugung, zur Ansprache. Nach dieser Feste rauschend bunter Reihe, wagt ich noch kaum auf Größeres zu hoffen, der Abend kündet sich besonders an.

HERZOG. Was ist denn Seltenes eingetroffen?

ZEREMONIENMEISTER. Ein höchst gewandter Mann.

Kein andrer als der Doktor Faust.

CHOR. Doktor Faust!

ZEREMONIENMEISTER zur Herzogin Wenn Euch nicht etwa vor diesem graust.

HERZOGIN. Und weshalb grausen?

ZEREMONIENMEISTER.

Hohe Frau,

der weise Doktor ist nicht recht geheuer,

er brenzelt gleichsam von unheiligem Feuer,

ich fürchte fast, daß ich mir viel getrau.

Wenn Ihr befehlt, will ich ihn präsentieren,

introduzieren, doch jede Verantwortung refüsieren.

HERZOGIN leichtfertig. Wir wollen's wagen. –

Der Zeremonienmeister mit Verbeugung ab.


MEPHISTOPHELES plötzlich als Herold auftauchend.

Wagen – und dabei gewinnen.

Schönheit gefällt sich im Gefahrenspiel.

Drum, schönste Frau, Ihr waget nicht zuviel,

erlaubt Ihr meinem Herrn sich einzufinden.

Hier ist er selbst, Euch zu dienen.

Faust, von oben, und von weitem, langsam herankommend, müßte ein phantastisches Gefolge (schleppentragende Mohrenknaben, oder Affen) haben; und es sollte sein Erscheinen auffällig, wenn

auch nicht marktschreierisch wirken. Der Zeremonienmeister, halb führend, halb einladend, tänzelt der Gruppe voran.
[20]

CHOR.

Er naht mit ihm das Wunderbare.

Wir werden staunen und erschauern.

Ringsum verborgene Geister lauern,

umranken trügerisch das Wahre.

Das läßt uns ahnen, wie das Nächtliche zutage tritt,

so daß wir stumm geworden sind und zittern.

Er sieht gebieterisch und schön,

das Ungewohnte ist an ihm natürlich.

Säh er nicht stolz, wir hielten ihn für zierlich,

er schüchtert uns, doch müssen wir ihn ansehn.

HERZOGIN für sich.

Er ist ein Fürst in Wesen und Geberde,

noch niemals hat ein Mann mich so bestrickt.

HERZOG für sich.

Mich dünkt, die Hölle hat ihn hergeschickt.

MEPHISTOPHELES für sich.

Der Wachthund bellt. Es blökt die Herde.

CHOR.

Seltener Mann,

seltsamer Gast!

Was wird sich zeigen?

FAUST für sich.

Du stolzeste der Frauen, sollst mir der Preis sein!

HERZOG kurz angebunden.

Herr Doktor, seid an unserem Hof begrüßt,

und Dank, daß Eure Kunst Ihr uns erschließt.

Wir hoffen, daß Ihr die Fürstin nicht enttäuscht.

Mögt Ihr beginnen?

HERZOGIN leise für sich.

Was wird sich zeigen?

FAUST halb für sich.

Seid unbesorgt! Es sei!

Er erhebt die Hände. Kurze Beschwörungsgeste oder Handlung Fausts.

Ein Schwarm faunartiger Teufelchen dringt von allerwärts herein und verteilt sich behende in die Büsche.
[21]

FRAUEN aufschreiend.

Ah!

MÄNNER lachend.

Ha ha ha ha ha!

FAUST.

Verzeiht, wenn ich zu eigen handle,

Tag ist dem Wunder abgewandt,

Licht, sei verbannt,

in Nacht dich wandle,

Sterne herauf,

am Himmels Rand!

Es wird sternenhelle Nacht.

Die Umstehenden schreien gedämpft auf.


FAUST.

Was wünscht die schöne Herrin zu erschauen?

HERZOGIN.

Hab ich zu wählen? Sie überlegt.

HERZOG zur Herzogin.

So wählet!


Heimlicher.


Fordert, verlangt Unmögliches!

HERZOGIN mit Beziehung.

Ob jene Fürsten

frühester Zeiten

besseren Anstand

trugen als jetzt?

Dieses zu schauen

möchte mir frommen,

lasset den König

Salomo kommen.

Es erscheint der König Salomo auf dem Thron.


HERZOG.

Ein würdiges Bild.

ZEREMONIENMEISTER.

Gewiß, ganz scharmant.

HERZOGIN.

Doch gar zu streng. War er nicht auch galant?

FAUST.

So ihr es wünscht – zeigt er sich Euch

als Pfleger schönen Umgangs.

Eine Harfe steigt auf vor Salomo. König Salomo greift in die Saiten. Ein zweiter Thron steigt auf. Die Königin von Saba tritt auf.
[22]

HERZOGIN.

Wer ist die Schöne?

HERZOG stirnrunzelnd.

Sie gleicht Euch sehr!

ZEREMONIENMEISTER.

Ist es Helene?

HERZOGIN für sich.

Wohl gleicht sie mir und Faust dem mit der Krone.

Salomo steigt vom Thron und kniet vor ihr nieder.


HERZOG.

Das ist recht dreist, es wird beinah zum Hohne!

FAUST.

Balkis war sie und Sabas Königin.

Den weisen Mann bezwang ihr weiserer Sinn.

Salomo und die Königin von Saba besteigen beide den Thron.


CHOR.

Seht hier und dort,

ein gleiches Paar.

Was hier gemeint

wird offenbar.

Das kecke Spiel

beschwört Gefahr.

HERZOGIN.

Ein andres jetzt. Könnt Ihr den Wunsch erraten?

FAUST.

Wendet den schönen Blick zu diesen Schatten.

HERZOG mißtrauisch.

Was ist's, das Ihr Euch wünschet?

HERZOGIN.

Ihr werdet's sehn.

Es erscheinen Samson und Dalila.


Samson, Dalila, stehn in Lieb umschlungen.

ZEREMONIENMEISTER.

Von dieser Frau Verrat

wird vieles erzählt und gesungen.

HERZOGIN.

Daß Liebe so mit Tücke sich verbände –!

FAUST.

Was man erzählt, gehört in die Legende.

Hinter dem Paar erscheint eine schwarze Sklavin, die Dalila die Schere reicht.
[23]

CHOR.

Sie hebt die Schere –

das ist bekannt –

die listige Mähre –

Ha, wird er entmannt?

HERZOGIN nervös.

Genug davon! Ein neues Bild.

Die Erscheinung erlischt.


Und gebet jetzt, wozu Ihr selbst gewillt.

Johannes und Salome erscheinen; daneben der Scharfrichter mit erhobenem Schwert. Letzterer trägt die Züge des Herzogs.


CHOR. Johannes und Salome!

FAUST. Auf einen Wink Salomes fällt das Haupt.

HERZOGIN sich verratend. Er darf nicht sterben!

FAUST. Also liebt Ihr mich.

Bewegung, Gemurmel.


HERZOGIN. Ich – bin des Herzogs Gattin.

FAUST. Dennoch liebt Ihr mich – –.

HERZOGIN. Schweigt! Gepreßt. Ich bin nicht ehrlos, bin nicht frei!

FAUST sie in seinen Bann zwingend. Komm, o komm! Folge mir nach. – Ich führe dich in die Unermeßlichkeit der Welten. Die Erde sei dein Reich, du ihre Königin, die Pracht des Orients.

Komm! Die Kunst des Westens, was späte Zeiten einst zu Tage fördern: jetzt sind sie dein. Du kommst – du kommst –

HERZOGIN für sich, beklommen. Ach, er berückt mich, betört mich, ergreift mich! Laßt mich, o laßt mich! Bin ich Euch feil?! O still, o schweiget!

HERZOG. Endet das Spiel![24]

MEPHISTOPHELES plötzlich zwischen das Paar tretend und gleichsam verkündend. Das Spiel – es ist so gut als wie beendet.

Er räumt vor dem hinzutretenden Herzog den Platz.


HERZOG grimmig zu Faust.

Ergötzlich war die Schau.

Habt unsern Dank.

Ihr seid mein Gast am herzoglichen Tische.

Kurze betroffene Stille, darauf eiliges ungeordnetes Abziehen der Gruppen. Er wendet Faust den Rücken und bietet der Herzogin den Arm.


CHOR.

Fort, zieht Euch zurück. Unheil schwebt.

Fort! fort! fort!

MEPHISTOPHELES. Folgt ihnen nicht!

FAUST. Du sagst?

MEPHISTOPHELES. Entflieht. Verlaßt den Hof! Den Herzog habt Ihr aufgereizt. Die Speisen sind vergiftet. Ich wag mich nicht hinein. Der hohe Klerus sitzt, im Ornat, beim Mahle. Nützet den Augenblick.

FAUST. Ich ziehe nicht allein.

MEPHISTOPHELES. Ich weiß. Das macht sich ganz wie von selbst. Es liegt in meinem Plan: also geschieht's. Nun kommt.

Sie ziehen zugleich mit den letzten Gästen schnell ab. Leere Bühne. Eine fahle Dämmerung beleuchtet die Szene.


HERZOGIN tritt auf die Bühne, wie im Traume schreitend, die Arme vorgestreckt.

Er ruft mich

wie mit tausend Stimmen,

er zieht mich

wie mit tausend Armen;

ich fühl, in einem, tausend Augenblicke

und jeder einzelne verkündet ihn, ihn allein.

Wer ich gewesen, und was ich vorstellte,[25]

ist mir entschwunden – seh nur den einen Weg,

den Weg zum teuren Manne.

Ja, ja, ich komme,

schreite mit dir

durch unbegrenzte Räume;

die Erde wird mein Reich,

ich ihre Königin!

Was späte Zeiten einst zu Tage fördern,

bald ist dies alles mein – mein!

Ich schreite dann an seiner Hand

in unbegrenzte Bezirke.

Bei dir, bei dir

die Unermeßlichkeit.

Faust,

du, mein Faust! –

ich komme! –

Faust, du mein Faust,

ich folge dir!

Sie schreitet langsam hinaus. Plötzlicher Tag.

Der Herzog und Mephistopheles, der als Hofkaplan erscheint.


DER HERZOG heimlich und aufgeregt. Was Wichtges sagt Ihr? Was ist's, mein Vater?

MEPHISTOPHELES. Ergebt Euch, Fürst, die Herzogin entkam!

HERZOG. Mit – ihm? Mephistopheles nickt.

Man setze ihnen nach!

MEPHISTOPHELES.

Wonach? Ins Blaue?

Mit diesen beiden Augen sah ich sie

auf Flügelrossen durch die Lüfte treiben.


Er nickt wieder.


Am besten wär's, man hielte reinen Mund.


Herzog bekreuzigt sich und kniet nieder.


Süßlich. Die Macht des ... Bösen ist nicht unterschätzbar. Ich rate, Sohn, schaut Euch nach Neuem um.[26]

HERZOG. Was sagt Ihr?

MEPHISTOPHELES. Hört nur. Ferraras Herzog droht Euch mit Krieg.

Um dessen Schwester werbet.

So läuft's in Güte ab.

HERZOG aufstehend, fromm. Der Himmel spricht aus Euch.

MEPHISTOPHELES für sich.

Der Staat Venedig schluckt sie bald selbander,

beim Rat der Drei weiß ich mich wohl gelitten,

und hoffe diese Kleinigkeit schicklich zu fördern.


Zum Herzog, laut, heuchlerisch.


Mein Sohn, fasse Vertrauen!

Der Herzog küßt Mephistopheles die Hand. Mephistopheles erhebt die Rechte wie zu segnender Geberde, aber die Hand spreizt sich zur Kralle. – Vorhang.


Quelle:
Ferruccio Busoni: Doktor Faust, Wiesbaden 1953, S. 19-27.
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