Erster Gesang.

[19] 1.

Mir fehlt ein Held: – ein sonderbarer Fehler;

Denn jährlich kündigt sich ein neuer an

Und überfüllt mit Humbug die Journäler, –

Doch schließlich ist er nicht der rechte Mann.

Für diese Sorte ward ich nicht Erzähler,

Und darum nehm' ich mir Freund Don Juan, –

Wir alle sahn ihn auf der Bühne oft,

Wie ihn der Teufel holte – unverhofft.


2.

Wolfe, Vernon, Hawke, der Metzger Cumberland,

Prinz Ferdinand, Granby, Burgoyne, Keppel, Howe,

Ein jeder war mal Held des Tags und stand

Im Bierschild (wie heut Wellington) zur Schau.

Wie Banquo's Kön'ge schritten sie durchs Land,

Knappen des Ruhms, »neun Ferkel« dieser Sau:

Frankreich hat Bonapart' und Dumourier,

(Vergleiche »Moniteur« und auch »Courier«.)


3.

Barnave, Brissot, Condorcet, Mirabeau,

Clootz, Pétion, Danton, Marat, Lafayette,

Sind auch Franzosen und famos, und so

Noch viele, die man kaum vergessen hätte,

Joubert, Hoche, Marceau, Lannes, Desaix, Moreau,

Und manche andre Herrn vom Epaulette,

Zu Zeiten äußerst nennenswürdig jeder,

Doch gänzlich unbrauchbar für meine Feder.
[20]

4.

Nelson war Englands Kriegsgott einst, und wär'

Es billig noch, indeß der Wind sprang um;

Verklungen ist von Trafalgar die Mär'

Und liegt, wie unser Held, im Sarge stumm;

Denn heut ist die Armee nur populär,

(Natürlich nimmt das die Marine krumm,)

Der Prinz ist für das Landheer wie besessen,

Und Jervis, Nelson, Duncan sind vergessen.


5.

Vor Agamemnon lebten tapfre Männer,

Und später auch, höchst mut'ge und gescheute,

So gut wie er, wenn auch nicht besser denn er;

Doch da kein Dichter ihnen Weihrauch streute,

Vergaß man sie. Ich selbst bin kein Verkenner,

Jedoch ich finde keinen Helden heute,

Den ich für mein Gedicht gebrauchen kann,

Und nehme, wie gesagt, Freund Don Juan.


6.

Die meisten Dichter gehn »in medias res«,

(Die Hauptchaussée des Epos nach Horaz;)

Und dann erzählt der Held Vorgängiges

Als Episode oder Zwischensatz;

Nach Tische seiner Dam' erzählt er es

An irgend einem angenehmen Platz,

Schloß, Garten, Laube oder auch in Schlüchten,

Wohin die Zwei sich statt ins Wirthshaus flüchten.


7.

Dies ist die Art der meisten, meine nicht!

Mein Grundsatz ist mit dem Beginn beginnen;

Die Strenge meines Plans macht mir zur Pflicht

Sorgsam den Abschweifungen zu entrinnen;

Drum führt die erste Zeil' in dem Bericht,

(Sollt ich auch zehn Minuten daran spinnen,)

Den Vater Don Juans in euren Kreis ein

Und seine Mutter auch, – darf ich so frei sein.
[21]

8.

Er war geboren in Sevilla's Mauern,

Berühmt durch Weiber und Orangen, – wer

Den Ort nicht kennt, den muß man sehr bedauern,

So sagt das Sprichwort, – und ich sage: sehr!

Ganz Spanien beut nichts Schönres den Beschauern,

Cadiz vielleicht, – jedoch das kömmt nachher:

Am Flusse wohnten seine Eltern hier;

Der Fluß ist schön und heißt Guadalquivir.


9.

Sein Vater – Jose, Don natürlich, Sproß

Der gothischesten Ahnen, die es gab;

Kein Tröpfchen Blut von Moor und Juden floß

Durch seine Puls' – Hidalgo bis ans Grab.

Kein bessrer Cavalier saß je zu Roß,

Und stieg, nachdem er aufsaß, wieder ab.

Don Jose zeugte Don Juan, und der

Erzeugte wieder – – doch davon nachher.


10.

Die Mutter war berühmt und hochstudirt

In allen Fächern der Gelehrsamkeit,

In jeder Sprache, die je existirt,

Und tugendhaft nicht minder als gescheit:

Die Klügsten fühlten sich von ihr blamirt,

Die Besten seufzten innerlich vor Neid,

Weil alles, was die Frommen je erbaut hat,

Verdunkelt ward von dem, was diese Frau that.


11.

Und welch Gedächtniß! – So viel Lope schrieb

Und Calderon, sie wußt' es aus dem Kopfe,

Und wenn im Schauspiel Einer stecken blieb,

Sie half, wie ein Souffleur, dem armen Tropfe.

Sie brauchte kein Feinagelsches Princip,

Was sollte sie mit dem gelehrten Zopfe?

Sein künstliches Gedächtniß – Stückwerk schien es,

Verglichen mit dem Hirn der Donna Ines.
[22]

12.

Ihr Hauptfach war das mathematische,

Und Großmut ihre schönste Leidenschaft;

Ihr Witz (sie hatt' auch Witz) der attische,

Ihr Ernst sublim, ja häufig rätselhaft;

Sie selbst war eine problematische

Natur, und ihre Robe war von Taft,

Und Sommers von Mousselin und andern Stoffen,

Wovon ich schweigen darf, – das will ich hoffen.


13.

Lateinisch sprach sie – »das Gebet des Herrn«,

Und griechisch – wenigstens das Alphabet;

Französische Romane las sie gern,

Doch ihr Accent war etwas obsolet;

Ihr Spanisch war nur mäßig, insofern

Sie häufig sagte, was kein Mensch versteht,

Verborgnen Sinn in dunklem Wort, – sie dachte,

Das dies Mysterium Worte vornehm machte.


14.

Auch Englisch und Hebräisch liebte sie

Und fand die beiden Sprachen nah verwandt,

Wofür sie die Beweise irgendwie

Ich weiß nicht mehr in welchen Psalmen fand.

Doch eine deutliche Analogie

Hört' ich sie nennen: es ist sehr frappant,

Das Nomen, das hebräisch für »Ich bin« steht,

Regiert »verdamm'«, wenn es im brit'schen Sinn steht.


15.

Sie blickte Predigten, sie producirte

Mit Aug' und Stirn Postill' und Homilie,

Ein Uhrwerk, das sich selber regulirte,

Wie der verstorbne Samuel Romilly,

Der Mann des Rechts, der Staaten reformirte.

(Sein Selbstmord war 'ne Art Anomalie,

Ein neues Beispiel menschlicher Verirrung;

Der Spruch der Jury war »Gemütsverwirrung«.)
[23]

16.

Kurzum, sie war ein wandelndes Exempel,

Ein christlicher Roman, der ungebunden

Herumlief, ein lebend'ger Weisheitstempel,

Ein Auszug aus des »Weibes Weihestunden«,

Ein Abdruck mit dem ächten Tugendstempel,

Den selbst der Neid untadlig hat gefunden:

Vor andren Frauen hatte sie allein

Den schlimmsten Fehler, fehlerfrei zu sein.


17.

O, sie war ganz vollkommen, unvergleichbar

Mit andren heil'gen Frau'n in West und Osten,

Für List und Macht des Teufels unerreichbar;

Schutzengel sein war hier ein Ruheposten.

Ihr kleinster Schritt geregelt, unabweichbar,

Wie Uhren, die zweihundert Thaler kosten;

Nein, ihrer Tugend reichte nichts das Wasser

Als nur dein »unvergleichlich Oel«, Macassar!


18.

Vollkommen war sie; doch Vollkommenheit

Will unsrer schlechten Welt nur schlecht behagen,

Wo Adam erst das Küssen lernte, seit

Die Fluren Edens ihm verschlossen lagen,

Wo alles Unschuld war und Seligkeit,

(Wie hat er seinen Tag nur todtgeschlagen?)

Don Jose pflückt' als ächter Adamssohn

Verschiednes Obst ohn' ihre Sanction.


19.

Ein Mann, der sich nicht viele Sorgen machte,

Kein Schwärmer für Studirt' und für Studiren,

Der that, was ihm gefiel, und niemals dachte,

Es könne seine Frau interessiren.

Die böse Welt, die immer heimlich lachte,

Wann Staaten sich und Häuser ruiniren,

Raunte von einem Liebchen, selbst von zweien,

Doch eins genügt, um Gatten zu entzweien.
[24]

20.

Frau Ines war, bei allen guten Seiten,

Für ihren eignen Wert sehr eingenommen;

Gleichgültigkeit erbittert wohl zu Zeiten

Die Frömmsten, und ich zähl' sie zu den Frommen;

Dann nahm sie Phantasien für Wirklichkeiten,

Dann war mit ihr unmöglich auszukommen,

Und sie verstand die Kunst, auch mit geringen

Hülfsmitteln ihren Herrn ins Pech zu bringen.


21.

Dies war nicht schwer; er war ja ein Verbrecher

Und außerdem ein unvorsicht'ger Mann;

Die Klügsten haben wie die ärmsten Schächer

So schwache Stunden, daß den Schädel man

»Einschlagen kann mit ihrer Frauen Fächer«,

Und Damen können hauen dann und wann;

Der Fächer wird in schöner Hand zum Degen,

Und keine Seele ahnt, wie so, weswegen.


22.

Gelehrte Jungfraun sollten eigentlich

Nie einen Menschen ohne Bildung frein,

Auch keinen feinen Weltmann, welcher sich

Langweilt im wissenschaftlichen Verein.

Ich will dies Thema nicht breit treten; ich

Bin nur ein schlichter Mann und steh' allein,

Wenn aber ein gelehrtes Weib 'nen Mann hat,

So wett' ich drauf, daß sie die Hosen anhat.


23.

Jose und Ines zankten, – doch nicht Einer

Von vielen Tausenden erriet weswegen;

Ein Jeder wollt' es wissen, wenn auch Keiner

Behaupten konnt', es sei ihm dran gelegen.

Ich hasse Neugier, – was ist wohl gemeiner?

Jedoch die Zwiste Andrer beizulegen,

Dafür besitz' ich eine eigne Gabe,

Indem ich nämlich selbst kein Hauskreuz habe.
[25]

24.

So schritt ich ein, wohlwollend und gemessen,

Doch mein Versuch fiel unerfreulich aus;

Vermutlich war dies tolle Paar besessen,

Denn niemals fand ich ihn und sie zu Haus,

Obwohl mir ihr Portier gestand ... indessen,

Das bleibt sich gleich; es ward mir bald zu kraus, –

Juan, der Kleine, goß der Köchin Topf

Mit Spülicht von der Trepp' auf meinen Kopf.


25.

Ein kleiner Krauskopf voller Schelmerein,

Der tollste Kobold, den Gott je erschaffen;

Die Eltern stimmten niemals überein

Als im Verhätscheln dieses wilden Affen.

Sie hätten ihn, anstatt so blind zu sein,

Zur Schule schicken oder ihren Laffen

Zu Hause peitschen sollen, um bei Zeiten

Zu guter Lebensart ihn anzuleiten.


26.

Jose und Ines hielten denn zur Not

Zusammen aus; gewöhnlich wünschten sie

Einander, nicht geschieden, sondern todt.

Sie lebten äußerlich in Harmonie,

Anständig, wie die Sitt' es ja gebot,

Und vor der Welt verriet ihr Zwist sich nie;

Bis die verhaltne Glut am Ende ausbrach,

Und sich die Sache unzweideutig aussprach.


27.

Ines berief Doctoren und Droguisten,

Um darzuthun, ihr lieber Mann sei toll;

Doch leider hatt' er lichte Zwischenfristen,

Dann hieß es, er sei aller Laster voll,

Und wenn die Leute den Beweis vermißten,

Dann gab sie immer nur zu Protokoll,

Sie sei es Gott und Menschen schuldig, ihn

So zu behandeln, – was sehr seltsam schien.
[26]

28.

Sie buchte förmlich ihres Manns Faux pas,

Und öffnete Billets und Schreibtischfächer,

Und ganz Sevilla war als Helfer da,

Um zu verdammen diesen Ehebrecher,

(Selbst ihre alte gute Großmama,)

Und aus den Hörern wurden Weitersprecher,

Dann Advocaten, Richter mit der Zeit,

Theils zum Vergnügen, theils aus Groll und Neid.


29.

Und diese edle fromme Frau ertrug

So still und heiter ihres Gatten Plagen, –

An Sparta's Frau'n erinnert dieser Zug,

Die ruhig, ohne nur ein Wort zu sagen,

Zusahn, wenn Jemand ihren Mann erschlug.

Sie hörte ruhig Schmähungen und Klagen

Und nahm so unerschüttert jeden Stoß hin,

Daß alle Leute riefen: »Welcher Großsinn!«


30.

Daß unsre Freunde, wenn man uns zerreißt,

Geduldig sind, das ist Philosophie;

Auch thut es wohl, wenn man euch edel preist,

Zumal, wenn euer Kram dabei gedieh;

Und was bei Rechtsgelehrten dolus heißt,

Steckt ja in diesem Gehenlassen nie:

Rachsucht ist zwar nicht hübsch, das muß man sagen,

Doch ich bin schuldlos, wenn dich Andre schlagen.


31.

Und wenn der Zank dann alte Stadtgeschichten

Aufscharrt, versetzt mit neuen Lügen freilich,

Sind wir darum zu tadeln? o, mit nichten!

So etwas wird Tradition und heilig.

Auch ist dies Wühlen in begrabnen Schichten

Durch den Contrast für unsern Ruhm gedeihlich,

Und selbst die Wissenschaft wird profitiren:

Todter Scandal dient trefflich zum Seciren.
[27]

32.

Erst rieten ihre Freunde zum Vertragen,

Dann die Verwandten, – was nur Schaden that;

(Schwer zu entscheiden ist's in solchen Lagen,

Wen man ersuchen soll um guten Rat, –

Für Freund' und Vettern ist nicht viel zu sagen.)

Zur Scheidung drängte Ines' Advocat,

Doch eh' er noch sein Honorar erwarb,

Geschah es leider, daß Don Jose starb.


33.

Er starb, – ich sage leider, weil (soviel

Ich schließen konnt' aus manchen Aeußerungen

Rechtskund'ger Freunde, deren Redestil

Zwar immer dunkel ist und sehr gezwungen,)

Dadurch der schönste »Fall« zu Boden fiel.

Welch ein Verlust für die Gefühl' und Zungen

Des Publicums, das sich bei dem Processe

Betheiligte mit wärmstem Interesse.


34.

Doch, ach, er starb! mit ihm begraben lagen

Die Sporteln und die warmen Interessen;

Gesind' entlassen, Wohnhaus losgeschlagen, –

Ein Jude nahm die eine der Maitressen,

Die zweit' ein Priester, – wie die Leute sagen;

Und um nicht seine Krankheit zu vergessen,

Er starb am Fieber, (Wechselfieber schien es,)

Und einsam blieb mit ihrem Groll Frau Ines.


35.

Doch Jose war ein ehrenwerter Mann,

Das muß ich sagen, der ich wohl ihn kannte;

Nach seinen Fehlern stöbern will und kann

Ich nicht; ich glaube, daß ich alle nannte.

Wenn seine Leidenschaft auch dann und wann

Durchging mit ihm und nicht so friedlich brannte

Wie des Pompilius Herz, (ich meine, Numa's,)

So kam's, weil die Natur viel Gall' ihm zumaß.
[28]

36.

Genug von seinem Unwert oder Wert, –

Der arme Kerl! er hatte manche Plagen;

Jetzt, wo es nichts mehr nützt, sei gern erklärt,

Es war ein harter Tag und schwer zu tragen,

Als er allein stand am verlass'nen Herd

Und seine Laren rings zerschmettert lagen.

Da Stolz und Herz nur eine Wahl ihm bot,

Tod oder Ehgericht, wählt' er den Tod.


37.

Juan war Intestaterb' aller Güter

Und etlicher Process' am Lehnsgericht,

Und Minderjährigkeit und gute Hüter

Verschlechtern meistens ein Vermögen nicht.

Sein Vormund war die beste aller Mütter,

Wie es den Rechten der Natur entspricht;

Denn einer Witwe einz'ger Sohn wird minder

Verkehrt erzogen als die andern Kinder.


38.

Die weiseste der Frau'n und Witwen wollte

Juan als Muster aufziehn, rein wie Lilien

Und würdig des Geblüts, das in ihm rollte,

(Sie war aus Aragon, er aus Castilien,)

Und rief' ihn einst sein König, – gut, er sollte

Die Ritterkünst' erlernen wie ein Spielchen,

Als Reiten, Fechten, Schießen, Festungswälle

Erklettern – oder eine Nonnenzelle.


39.

Eins aber war, was sie so hoch taxirte,

Daß sie es selbst besorgte, – einerlei

Wie viele Lehrer sie auch engagirte:

Daß seine Bildung streng moralisch sei.

Sie prüfte sorgsam, was ihr Sohn studirte,

Und, was ihr vorgelegt war, mochte frei,

Kunst oder Wissenschaft, beim Unterrichte

Vorkommen, aber nicht Naturgeschichte.
[29]

40.

Die Sprachen, namentlich die todten Zungen,

Die Wissenschaften, zumal die abstrusen,

Die Künste, das heißt solche, die dem Jungen

Nichts nützen konnten, – alle diese Musen

Kannt' er und war schon rüstig vorgedrungen;

Doch was vergiften kann den jungen Busen,

Was anspielt auf die Fortpflanzung der Rasse,

Blieb fern, damit er stets das Laster hasse.


41.

Das Schlimmste war das Studium der Heiden,

Von wegen der verliebten, sittenlosen

Götter und Göttinnen, die unbescheiden

Einhergehn ohne Mieder, ohne Hosen.

Die würd'gen Lehrer hatten viel zu leiden

Und griffen in der Angst zu curiosen

Ausreden für Homer und für Virgil, –

Denn Ines scheute den antiken Stil.


42.

Ovid ist ein Roué, das ist nicht strittig,

Anacreon hat arges Zeug gesungen,

Catull ist kaum einmal decent und sittig,

Und Sappho's Ode paßt nicht für die Jungen,

Obwohl Longinus sagt, mit stolzrem Fittig

Hab' eine Hymne nie sich aufgeschwungen;

Virgil ist ehrbar, – ich bedaur' ihn bloß um

Das eine Schandlied »Corydon formosum«.


43.

Lucrezens Atheismus ist zu scharf

Für zarte Mägen, um sie recht zu stärken;

Auch Juvenal sagt viel, was man nicht darf;

Denn er gebraucht Ausdrück' in seinen Werken,

(Wenn er sie auch zum besten Zweck entwarf,)

Daß man zuweilen glaubt, es red' ein Ferken;

Und welcher Biedermann nimmt wohl den Schmutz

Der Epigramme Martials in Schutz?
[30]

44.

Juan las ihn in einer Edition,

Die weise Männer fein gesäubert haben;

Die Stellen von verfänglich schlechtem Ton

Entrückten sie dem Forscherblick der Knaben,

Jedoch, damit die Operation

Das edle Buch nicht gar verschände, gaben

Sie alle jene Stellen als Appendix,

Und sparen freilich so die Müh' des Index.


45.

Da hat man sie mit einem Griff gepackt

Und braucht sie nicht erst aus dem Text zu zerren;

Sie stehen aufmarschirt, glorreich und nackt,

Zur Augenweide für die jungen Herren,

Bis Kritiker von minder feinem Takt

Sie wieder in die alten Käf'ge sperren,

Statt daß sie jetzt dastehen und sich spreizen

Wie Gartengötter, – nur mit frechren Reizen.


46.

Das Meßbuch (das Familienmeßbuch war es,)

War, wie man's häufig findet, reich verziert;

Man sah die Küsse manches Liebespaares

Am Rand mit Farben bunt illuminirt,

Und daß der Leser, der so viel Bizarres

Vor Augen hat, die Sammlung nicht verliert,

Das fass' ich nicht; – indeß Juan bekam

Ein andres, weil Mama das bunte nahm.


47.

Sermone las und Predigten bestand er,

Chrysostomus und Hieronymus,

Und früh an solche Kost gewöhnt, empfand er

Bei diesen Studien keinen Ueberdruß;

Und wirklich schildert euch kein Buch pikanter,

Wie man zum rechten Glauben kommen muß,

Als Augustins Bekenntniss' es verkünden, –

Er macht uns neidisch fast auf seine Sünden.
[31]

48.

Auch dies war ein versiegelt Buch für ihn,

Und darin, dünkt mich, that sie ihre Pflicht,

Wenn dies die Art war, Knaben zu erziehn

Sie ließ den Kleinen kaum aus dem Gesicht;

Die Mägde waren ältlich, wie mir schien,

Und größre Vogelscheuchen gab es nicht:

Sie hielt darauf schon bei Don Jose's Leben, –

Die Regel möcht' ich allen Frauen geben.


49.

Juan wuchs auf, im sechsten Jahr bereits

Ein allerliebstes Kind; im elften Jahr

Versprach er alle Schönheit, allen Reiz,

Der reifer Mannheit jemals eigen war.

Er lernte brav, man glaubte allerseits,

Zum Himmel geh' er ganz unmittelbar;

Den halben Tag ging er zur Kirch', und später

Sah er nur Mutter, Lehrer, fromme Väter.


50.

Mit sechs war er ein allerliebstes Kind,

Mit zwölf ein hübscher, aber stiller Junge;

Sie hatten diesen kleinen Sausewind

Gezähmt in ihrer Mitt' und von dem Schwunge,

Der ihm natürlich war, entwöhnt. So sind

Die Mütter einmal. Unsrer Witwe Zunge

Ward gar nicht müde, ihren jungen weisen,

Ehrbaren Philosophen laut zu preisen.


51.

Ich hegte meine Zweifel damals schon,

Und hege sie wohl noch von Zeit zu Zeit;

Ich kannte Jose und die Nation,

Und auch die Welt; jedoch es geht zu weit,

Den Schluß zu ziehn vom Vater auf den Sohn;

Jose und Gattin lebten längst entzweit, –

Doch nein, ich hasse Klatscherein; mein Herz

Verabscheut böse Reden, selbst im Scherz.
[32]

52.

Ich sage nichts – gar nichts; – nur dies allein

Bemerk' ich, ohne Gründe darzulegen:

Wär' solch ein einz'ger Sohn zufällig mein,

(Ich habe keinen, und das ist ein Segen,)

Mit Donna Ines schlöss' ich ihn nicht ein,

Um seiner Studien mit ihr zu pflegen;

Zur Schule schickt' ich ihn so früh wie thulich,

Denn was ich selbst weiß, lernte auf der Schul' ich.


53.

Da lernt man, – Selbstlob wär' unangemessen,

Doch lernt' ich – na, ich übergehe das,

Wie auch mein Griechisch, das ich längst vergessen:

Ich sage bloß, daß sie auf dem Gymnas

(Ich that es selbst) Weisheit mit Löffeln fressen

Und wissen – niemand braucht zu wissen was.

Ich selbst bin unvermählt, doch ahn' ich fast,

Daß die Erziehung nicht für Söhne paßt.


54.

Juan ward sechzehn alt in sichrer Hut,

Groß, hübsch und schlank, doch fest gebaut. Er schien

Alert, doch frei von Pagenübermut,

Und jeder, nur Mama nicht, achtet' ihn

Beinah als Mann; sie aber biß vor Wut

Sich auf den Mund, (sonst hätte sie geschrien,)

Wenn jemand davon sprach. Vorzeit'ges Reifen

Schien ihr an das Entsetzliche zu streifen.


55.

Frau Ines lernte viele Damen kennen,

Von auserlesner Frömmigkeit und Ehre,

Auch Donna Julia, welche hübsch zu nennen,

Ein schwacher, mangelhafter Ausdruck wäre.

Ihr Reiz ließ sich von ihr so wenig trennen,

Wie Lieblichkeit von Blumen, Salz vom Meere,

Der Gurt von Venus, Pfeile von Cupiden,

(Doch der Vergleich gehört zu den stupiden.)
[33]

56.

Orientalisch war der Augen Pracht,

Als ob sie maurisches Geblüt verkünde,

(Ihr Blut war nicht ganz spanisch, – aber sacht!

In Spanien ist das eine Art von Sünde.)

Einst, als Granada fiel in seiner Macht,

Floh Julia's Haus, soviel ich es ergründe,

Nach Afrika, doch ein'ge blieben da,

Zum Beispiel Julia's Ururgroßmama.


57.

Die letztre nahm ein Edelmann zur Frau,

Und der vererbt' auf diese Art sein Blut

Etwas verdünnt und nicht mehr völlig »blau«.

Das hießen seine Ahnen schwerlich gut:

Sie nahmen es in diesem Punkt genau

Und hielten streng sich innerhalb der Brut,

Heirateten Cousinen, Nichten, Basen,

Und das verdirbt zuletzt die besten Racen.


58.

Die Kreuzung mit dem Heidenstamm that Wunder,

Das Blut verderbend, doch das Fleisch belebend;

Altspaniens faulster Stamm ward ein gesunder

Fruchtbaum, die schönsten frischen Früchte gebend;

Die Söhne wurden hoch, die Töchter runder:

Doch geht die Sag', (ich meld es widerstrebend,)

Man danke dies verbesserte Geschlecht

Weit mehr der Lieb' als just dem Eherecht.


59.

Gleichviel, mit jeder Generation

Verbesserte die Race sich, bis sie

Sich concentrirt' in einem einz'gen Sohn,

Der eine einz'ge Tochter hatt', und die

War niemand anders, man errät es schon,)

Als Julia, die in dieser Poesie

Sogleich noch öfter vorkömmt. Julia war

Vermählt, keusch, reizend, dreiundzwanzig Jahr.
[34]

60.

Ihr Aug' (ich liebe schöne Augen sehr,)

War groß und dunkel und die meiste Zeit

Verschleiert, – bis sie sprach: dann flammte mehr

Der Stolz im Aug' als zorn'ge Heftigkeit

Und Liebe mehr als beides, – es ist schwer

Zu sagen, was es war: nicht Lüsternheit,

Und doch ein Keim davon; den aber kämpfte

Die Seele nieder, die das Ganze dämpfte.


61.

Schwarz lockte sich ihr Haar, die Stirn umgebend,

Die hell von Geist und glatt und glänzend war,

Die Augenbrau'n wie Regenbogen schwebend,

Und auf der Wang' ein Purpur jugendklar,

Manchmal zu transparenter Glut sich hebend,

Als blitz' es in den Adern; hier, fürwahr,

War Reiz und Anmut, die nicht oft zur Schau stehn;

Groß war sie, kleine Frau'n kann ich nicht ausstehn.


62.

Ihr Gatte war ein Funfz'ger, wie ich meine,

Wer ist, der nicht dergleichen Gatten kennte?

Und dennoch wär' es gut, wenn dieser eine

In zwei von fünfundzwanzig sich zertrennte,

Zumal bei solchem warmen Sonnenscheine.

Und dabei fällt mir ein, mi vien in mente,

Frau'n von der unbequemsten Tugend weiß ich,

Die einen Gatten vorziehn unter dreißig.


63.

Es ist ein Unheil, ja, ich räum' es ein,

Das von der indecenten Sonne stammt;

Sie läßt uns arme Würmer nicht allein,

Sie brennt und bäckt und brüht und kocht und flammt;

So viel wir beten oder uns castein,

Das Fleisch ist schwach, die Seele wird verdammt:

Was Götter Ehbruch nennen, Menschen Liebschaft,

Ist häuf'ger, wo das Klima heißern Trieb schafft.
[35]

64.

Beglückter Norden, wo Moral regiert,

Wo alles Tugend ist und unbestrumpft

Zur Winterszeit die Sünd' im Schnee erfriert,

(Schnee bracht' auch Sanct Antonius zur Vernunft,

Wo eine Jury Frauenwert taxirt

Und jedes Mitglied der galanten Zunft

Schwer zahlen läßt für lockre Lebensweise!

Dies Laster hat bekanntlich feste Preise.


65.

Alfonso wurde Julia's Mann genannt,

Ein netter Mann, den Julia nebenbei

Nicht göttlich, aber auch nicht greulich fand.

Sie ließen beid' einander ziemlich frei;

Es ging wie meistentheils im Ehestand,

Sie waren just nichts eins und auch nicht zwei,

Doch war er eifersüchtig – ganz für sich;

Denn Eifersucht ist ungern öffentlich.


66.

Ines gewann, ich selber weiß nicht wie,

Die schöne Julia ungeheuer lieb:

Denn ihr Geschmack begegnete sich nie,

Da Julia niemals eine Zeile schrieb.

Die Leute sagen, – (sicher lügen sie,

Sie wittern immer Selbstsucht als Prinzip),

Daß Ines, ehe sich Alfons vermählte,

Mit ihm den Pfad der Tugend einst verfehlte.


67.

Um diese alte Liaison zu pflegen,

Die übrigens zur Zeit durchaus decent war,

Komme sie jetzt der jungen Frau entgegen:

Ein Kunstgriff, der ein Zeichen von Talent war!

Er mußte Julia's Dankbarkeit erregen,

Während er für Alfons ein Compliment war

Und dem Scandal – zwar nicht das Maul verstopfte, –

Jedoch die Thür ihm schloß, sobald er klopfte.
[36]

68.

Ob Julia wie die Andren Unheil sah,

Ob sie mit eignen Augen Unrat spürte,

Ich weiß es nicht, denn kein Symptom war da,

Das mich zu einem sichren Aufschluß führte.

Ließ sie vielleicht geschehen, was geschah,

Weil sie die Sache überhaupt nicht rührte?

Ich weiß bei Gott nicht, was ich denken soll,

Denn sie war immer so geheimnißvoll.


69.

Sie sah Juan, das hübsche Kind, und herzte

Ihn oft genug, – was harmlos offenbar

Und Kurzweil war, die ihren Ruf nicht schwärzte,

Solang sie zwanzig war, er dreizehn Jahr;

Doch weiß ich nicht, ob ich darüber scherzte,

Als sechzehn er, sie dreiundzwanzig war:

Die wen'gen Jahre pflegen viel zu ändern,

Besonders in den sonnverbrannten Ländern.


70.

Sie wandelten auch diese beiden um:

Sie wurde kühl, der Jüngling ward befangen,

Ihr Blick gesenkt, ihr Gruß beinahe stumm,

Und die Verlegenheit färbt' ihre Wangen.

Die meisten werden denken: das Warum

Sei unsrer Julia sicher nicht entgangen;

Juan begriff soviel davon, wie der,

Der nie die See gesehen hat, vom Meer.


71.

Doch Julia's Kälte selbst war hold und lieb;

Sanft, zitternd zog sie ihre Hand aus seiner,

Jedoch ein leiser Druck, ein wonn'ger, blieb

Davon zurück, ein äußerst zarter, feiner,

Ein Zweifel fürs Gedächtniß, und es trieb

Armida nie noch ihrer Jünger einer

So mächt'ge Zauberei, wie dieser sachte

Contact im Herzen Don Juans vollbrachte.
[37]

72.

Sie lächelte nicht mehr; nicht süße Lust,

Doch süßre Trauer schmückte ihre Züge,

Als ob sie tiefe Sehnsucht schuldbewußt

Und doch voll Innigkeit im Herzen trüge,

Verschlossen in der stummen, glüh'nden Brust.

Die Unschuld selbst hat manche List und Lüge

Und giebt sich nicht der Wahrheit mutig hin,

Und Liebe wird schon früh zur Heuchlerin.


73.

Die Liebe heuchelt, doch verrät sich eben

Durch Dunkelheit; wie tiefste Wolkennacht

Den schwersten Sturm weissagt, zeigt sie ihr Leben

Im Auge, welches sie umsonst bewacht;

Sie mag sich, wie sie will, ein Ansehn geben,

Es bleibt doch immer angenommne Tracht:

Zorn, Hochmut und Verachtung, Haß sogar

Nimmt sie als Maske an, – und stets trop tard.


74.

Dann kamen Seufzer, tief, weil unterdrückt,

Verstohlne Blicke, süßer durch das Stehlen,

Und rote Glut, eh' noch ein Kuß geglückt,

Und hast'ger Gruß und banges Sich-Empfehlen:

Das Vorspiel der Verrücktheit, – denn verrückt

Ist jede Leidenschaft in jungen Seelen:

Man sieht daraus, daß Liebe schwer in Gang kömmt,

Wenn sie zuerst bei einem Neuling ankömmt.


75.

Das Herz der armen Julia dauert mich:

Sie fühlte, daß es durchging, und zur Wehre

War sie entschlossen für Alfons und sich,

Für Sitte, Stolz, Religion und Ehre;

Entschlossen war sie, und so fürchterlich,

Daß ein Tarquin vor ihr erschrocken wäre:

Sie bat, die Jungfrau möge sie bewachen,

Als beste Richterin in Weibersachen.
[38]

76.

Sie schwor Juan zu meiden für und für,

Und sprach am nächsten Tag bei Ines ein

Und blickte krampfhaft immer nach der Thür,

Doch trat ein Andrer – Dank der Jungfrau – ein,

Die dankte – aber etwas lau – dafür.

Die Thür geht wieder auf, er ist es? – Nein!

Am Abend dieses Tages, fürcht' ich sehr,

Fleht sie zur Mutter Gottes schwerlich mehr.


77.

Sie machte aus, daß just die Sittenreinsten

Dem Kampf ins Auge sehn und überwinden;

Flucht sei verächtlich; nicht den allerkleinsten

Geschmack an Männern schwor sie je zu finden,

Das heißt, nichts außer jener allgemeinsten

Vorliebe, die wir allerdings empfinden,

Wenn jemand netter als die andern ist, –

Der ist dann ganz ein Bruder, wie ihr wißt.


78.

Und sollte sie – (dergleichen kann geschehn,

Indem der Teufel voller Teufelei ist,) –

Bemerken, daß die Dinge mißlich stehn

Und daß ihr Herz bedroht, obwohl noch frei ist, –

Ein gutes Weib wird ähnliche Ideen

Ersticken, und ist besser, wann's vorbei ist,

Ein bloßes »Nein« genügt zum Triumphiren, –

Die jungen Damen sollten es probiren.


79.

Und dann – es giebt ein Ding, das ist die reine

Himmlische Liebe, frei von gröbrem Hauch,

Die Liebe lieber Engel und, ich meine,

Bei ältren Damen gleichfalls im Gebrauch,

Platonisch und vollkommen, »ganz wie meine,«

So sagte Julia – und sie dacht' es auch;

Sie dacht' es, und ich hätte nichts dagegen,

Vorausgesetzt, sie schwärmte meinetwegen.
[39]

80.

Dergleichen Lieb' ist harmlos, und ein Bund

Der reinsten Freundschaft kann dabei gedeihen:

Erst küßt man eine Hand, dann einen Mund, –

Ich zähl' in diesem Fache zu den Laien,

Doch wurde mir durch Hörensagen kund,

Daß Küss' auf Mund und Hand die Grenze seien,

Und alles Weitre ein Verbrechen wäre,

Doch meine Schuld nicht, – wie ich gleich erkläre.


81.

Lieb' also, aber Lieb' in allen Ehren,

War Julia's unschuldiger Entschluß:

Sie wollt' als Freundin mit Juan verkehren,

Was doch auf Knaben günstig wirken muß!

Sie und die Liebe wollten ihn belehren

Mit holder Mahnung, ohne Ueberdruß, –

Dann lernt' er wohl, wenn sie ihn unterwies, –

Ich weiß bei Gott nicht was, noch wußte sie's.


82.

Und so, gepanzert in dem blanken Stahl

Der Unschuld von dem Scheitel bis zur Sohle,

Ganz sicher, daß in Tugend und Moral

Sie stark sei wie ein Felsen oder Mole,

Entschlug sie weislich sich mit einem Mal

Jedweder Art von lästiger Controle.

Ob sie jedoch dem Werk gewachsen war,

Das wird im weiteren Verlaufe klar.


83.

Der Plan war harmlos und auch ausführbar:

Ein Kind von sechzehn! welchen magren Bissen

Bot es den Zähnen der Verleumdung dar!

Und wenn auch: Julia's Herz blieb unzerrissen,

Weil ihre Absicht ja die beste war:

Wie heiter stimmt ein ruhiges Gewissen!

Die Christen schlugen einst einander todt

Und glaubten fest, daß Gott es so gebot.
[40]

84.

Und stürbe mittlerweil ihr Ehemann, –

Wenn der Gedanke durch den Sinn ihr schoß,

So war's im Traum nur, und sie seufzte dann:

Nein, eher selber als ihr Ehegenoß! –

Indeß, gesetzt einmal, was kommen kann,

Ich sag', einmal gesetzt nur, – inter nos

(Ich meine entre nous; denn Julia dachte

Französisch, was den Reim unmöglich machte.)


85.

Ich sage, die Voraussetzung gesetzt:

Juan, der dann zum Mann erwachsen ist,

Paßt just für ein Wittib, und zuletzt

Sind sieben Jahre nicht zu lange Frist,

Und in der Zwischenzeit, (wir träumen jetzt,)

Ist das Malheur nicht groß, wenn man's ermißt;

Er kann das Abc der Liebe lernen,

Die Seraphssorte mein' ich über Sternen.


86.

So viel von Julia. Nun zu Juan.

Der arme kleine Schelm! was ihm geschieht,

Ist etwas, was er nicht erklären kann;

Lebhaft wie die Medea des Ovid

Staunt er die Lieb' als etwas Neues an

Und ahnt nicht, daß die Sach' ein altes Lied

Und ganz natürlich sei, gar nicht entsetzlich,

Und mit der Zeit vielleicht noch höchst ergetzlich.


87.

Stumm, sinnend, müßig, rastlos, langsam schlich

Er aus dem Hause fort zum stillen Haine;

Gequält von unbekannter Wund', entwich

Zur Einsamkeit, wie jede Qual, auch seine;

Die Einsamkeit etc. lieb' auch ich,

Jedoch versteht mich nicht verkehrt, ich meine

Die Einsamkeit des Sultans, nicht die grause

Des Klausners, – mit dem Harem statt der Klause.
[41]

88.

»O Lieb'! in einem wilden Thal wie dies,

Wo sich umwinden Wonn' und Sicherheit,

Hier ist dein wahres Reich und Paradies,

Hier zeigst du dich in deiner Göttlichkeit!«

Der Mann hat Recht, der diese Vers' ausstieß,

Bis auf die zweite Zeil', – es thut mir Leid,

Mir scheint die Wonn'- und Sicherheitsumwindung

Doch eine sehr gewundne Wortverbindung.


89.

Der Dichter meint gewiß (und appellirt

Ans allgemeine menschliche Empfinden,)

Gerade das, was jeder, der's probirt,

Fand, findet oder wird in Zukunft finden,

Daß nämlich Störung stört, wenn man dinirt

Und wenn man liebt. – Ich sage von »Umwinden«

Und »Wonne« nichts, – das kenn' ich nach Gebühr,

Doch wünsch' ich, Sicherheit verschließt die Thür.


90.

Juan durchstreifte Wald und Wiesenstrecken

Und dachte viel, was unaussprechlich ist;

Er warf sich hin in laubigen Verstecken,

Da wo des Korkwalds grüne Wildniß sprießt,

Wo Dichter Stoff für ihre Vers' entdecken

Und Unsereins die letztren manchmal liest,

Wenn gut der Plan ist und der Stil zu loben

Und nicht, wie Wordsworth, dunkel und verschroben.


91.

Er pflog – Juan, nicht Wordsworth, – Selbstumgang

Mit seinem eigenen gewalt'gen Herzen,

Bis seine große Seel' in edlem Drang

Theilweise bändigt' ihre Fieberschmerzen.

Es ist ein Wunder, daß es ihm gelang;

Mit solchen Dingen ist sonst nicht zu scherzen;

Er kriegte, ohne selbst sich zu verstehen,

Wie Coleridge, philosophische Ideen.
[42]

92.

Er dacht' an sich und an die ganze Erde,

Und an das Wunder Mensch; ans Firmament,

Erdbeben, Kriege, heiße Kraterherde,

Und wo das alles herkömmt, Sacrament!

Und wie der Mondumfang gemessen werde,

Und ob die Luftballons als Instrument

Zu himmlischen Entdeckungsreisen taugen, –

Und schließlich dacht' er dann an Julia's Augen.


93.

In solchem Grübeln sieht ein weiser Richter

Vielleicht den Trieb zu idealen Fernen,

Den Mancher mitbringt, Andre durch den Trichter

Mühsam, man weiß nicht recht wozu, erlernen.

Curios! ein junger Mensch, den Kopf zerbricht er

Sich mit den Theorien von Mond und Sternen!

Glaubt ihr, daß Wissenschaft hiebei sein Ziel war?

Mir scheint, daß auch die Pubertät im Spiel war.


94.

Er schaut' in Laub und Gras mit offnem Munde,

Im Winde hört' er Stimmen wundersam,

Er dacht' am Nymphen tief im Waldesgrunde,

Und wie die Göttin einst zum Schäfer kam:

Verlor dabei den Weg, vergaß die Stunde,

Bis er die Uhr aus seiner Tasche nahm;

Dann fand er, Mutter Zeit war unterdessen

Vorwärts marschirt, mitsammt dem Mittagsessen.


95.

Bisweilen blickt' er auch in sein Brevier,

Sei's Garcilaso, sei's Boscan; und wie

Der Wind in deinem Buche spielt vor dir,

So rauschte seines Herzens Poesie

Hin über dieses mystische Papier,

Als wär's ein Blatt mit Sprüchen der Magie,

Das einst ein Zaubrer wehen ließ im Winde,

Wie ich in alten Ammenmärchen finde.
[43]

96.

So bracht' er seine Stunden einsam hin,

Ruhlos, doch wußt' er nicht, was er entbehrte;

Kein goldner Traum noch dichterischer Sinn

Gab ihm, wonach er sehnend sich verzehrte,

Den Busen, wo er ruhen mocht', und drin

Ein klopfend Herz, das Liebe ihm gewährte,

Und ein'ges andre noch, was mir entfiel,

Das heißt, was ich vorerst nicht sagen will.


97.

Die langen Träumerein und stillen Gänge

Entgingen Julia's schönen Augen schwerlich:

Sie sah, daß irgend was Juan bedränge.

Eins aber ist und bleibt mir unerklärlich,

Daß Ines ihren Sohn nicht in die Enge

Mit Fragen trieb. Hielt sie es ungefährlich?

Verschmähte sie zu sehen? war sie blind,

Wie alle sehr gescheuten Leute sind?


98.

Dies klingt curios, doch nichts ist allgemeiner;

Ein Herr zum Beispiel, dessen Frau die Pflicht

Der Gattin und die Vorschrift Moses seiner

Gebote – das wie vielte ist es? – bricht,

(Ich weiß die Zahl nicht gleich, citire Keiner

Zu rasch, damit er keinen Unsinn spricht!)

Ich sag', ein solcher Herr, den Argwohn quält,

Schießt Böcke, die Madame uns dann erzählt.


99.

Ein ächter Ehemann hegt stets Verdacht,

Doch geht er stets der falschen Fährte nach,

Indem er ganz Unschuld'ge überwacht;

Ja, kuppelt blindlings selbst für seine Schmach,

Indem er einen Schalk zum Hausfreund macht.

Im letztren Fall kömmt es gewiß zum Krach,

Und wenn die Frau ihn dann mit Hörnern schmückt,

So nennt er sie verrucht, statt sich verrückt.
[44]

100.

Auch manche Eltern sehn nie, was passirt,

Luchsäugig wie sie sind, indeß die Welt,

Die böse Welt sich köstlich amüsirt,

Wie Fanny liebt und Fritz Maitressen hält; –

Bis ein Eclat geschieht, und ruinirt

Der zwanzigjähr'ge Plan ins Wasser fällt;

Und dann – dann weint Mama, und Vater flucht:

Weshalb wird man mit Erben heimgesucht!


101.

Doch Ines sah so richtig und so scharf,

Daß sich von selbst der Argwohn muß erheben,

Daß sie geflissentlich den Plan entwarf,

Diesmal Juan der Lockung preiszugeben, –

Ich glaub' es, wenn ich's auch nicht sagen darf:

Vielleicht, um ihn zu bilden für das Leben,

Vielleicht auch nur für Don Alfons zur Lehre,

Wenn er vielleicht sein Weib zu blind verehre.


102.

Nun, eines Tags, an einem Sommertag. –

Der Sommer ist ein großer Uebelthäter,

Und auch der Frühling ist von gleichem Schlag;

Die meiste Schuld trägt wohl das Thermometer,

Indessen wer die Schuld auch tragen mag,

Ich sag', als Wahrheitsfreund, nicht als Verräter,

Daß mancher Monat lust'ger die Natur macht;

Der März macht Hasen, während Mai die Cour macht.


103.

Ein Sommertag – der sechste Juni war es: –

Ich lieb' es recht genau zu sein im Datum,

Und zwar des Monats auch, nicht bloß des Jahres;

Die Data sind Posthäuser, wo das Fatum

Die Pferde wechselt und dann peitscht, als fahr' es

Am liebsten Königreich und Kaiserstaat um;

Auch läßt es wenig stehn als Zeitregister

Und nach dem Tode fäll'ge Bons der Priester.
[45]

104.

Am sechsten Juni war's, um sieben Uhr,

Und von der schönsten grünen Laub' umhegt,

Saß Julia, wie in Paradiesesflur

Huris in Lauben man zu finden pflegt, –

Vergleich den Koran und Anakreon-Moore,

Ihn, der den Lorber und die Leier trägt,

Trophäen sieggekrönter Poesie, –

Glorreich gewann und lange trag' er sie!


105.

Sie saß, doch nicht allein; – ihr wollt erfahren,

Wie die Geschichte denn so weit gedieh?

Wüßt' ich's, so würd' ich's doch nicht offenbaren,

In solchen Fällen taugt das Schwatzen nie.

Gleich viel warum und wie, die Beiden waren

Antlitz an Antlitz dort, Juan und sie, –

Wenn's zwei Gesichter sind wie die, dann wär',

Die Augen zuzumachen, klug, doch schwer.


106.

Wie schön sie aussieht! gar nicht schuldbewußt,

Obwohl ihr schuldig Herz im Auge blitzt.

O Liebe! Zaubrin! die mit arger Lust

Du Schwache stärkst, und Starke niedertrittst!

Mit Selbstbetrug berauschest du die Brust

Des Menschen, sei er noch so sehr gewitzt!

Sie steht am Abgrund, der so bodenlos ist,

Wie ihr Vertrau'n zur eignen Unschuld groß ist.


107.

Sie denkt an seine Jugend, ihre Stärke,

Den Schimpf der Feigheit, die sich Kampf erspare,

An Ehre, Tugend, alle guten Werke,

Und auch an Don Alfonso's funfzig Jahre.

Dies letztre war fatal, denn man bemerke,

Die Ziffer funfzig ist 'ne wunderbare,

Sie klingt in kalten, wie in warmen Ländern

Beim Lieben schlecht, – beim Gelde mag sich's ändern.
[46]

108.

Wenn jemand sagt; »Ich hab' es, meine Lieben,

Schon funfzig Mal gesagt!« so will er schelten;

Spricht jemand; »Funfzig Vers' hab' ich geschrieben,«

So liest er sie, was soll die Wette gelten?

Ein Räuberhauptmann stiehlt mit funfzig Dieben;

Mit Funfzigen ist Lieb' um Liebe selten;

Dagegen kauft man freilich, das ist wahr,

Gar mancherlei für funfzig Louis bar.


109.

Julia hat Ehre, Tugend, Liebe, Treue

Für Don Alfons, und innerlich bewegt

Schwört sie bei sich den alten Schwur aufs neue,

Den Trauring nicht zu schänden, den sie trägt,

Und nichts zu wünschen, was sie einst bereue.

Und wie sie dieses und noch mehr erwägt,

Berührt sie seine Hand, – was ist dabei?

Sie glaubte, daß es ihre eigne sei.


110.

Die Hand liegt unbewußt auf seiner Hand,

Die in den Ranken ihres Haares spielt,

Und deutlich sieht man, wie sie mit dem Brand

Der Flamme kämpft, die ihr die Ruhe stiehlt.

Von Ines war's der höchste Unverstand,

Daß sie den Jungen nicht zu Hause hielt,

Sie, die den Sohn seit Jahren so bewacht hat!

Ich weiß, daß meine Mutter das nicht nachthat.


111.

Wie sie die Hand auf seiner ruhen läßt,

Fühlt' er den Druck, der leise sich erhöhte,

Als ob sie sagte: Bitte, halt mich fest!

Sie wollte nichts, was ihr die Pflicht verböte,

Sie hat platonisch ihm die Hand gepreßt,

Und würde schaudern wie vor einer Kröte,

Wenn klar ihr wäre, daß aus solchen Dingen

Für Frau'n gefährliche Gefühl' entspringen.
[47]

112.

Ich weiß nicht, was Juan sich dabei dachte,

Doch was er that, das würde jeder thun;

Denn seine junge Lippe dankt' und brachte

Den ersten Kuß, und schamhaft saß er nun

Und ganz bestürzt, als ob er Unfug machte, –

So feig ist Lieb' in ihren Kinderschuhn:

Sie glüht', und zürnte nicht; sie wollte sprechen,

Und hielt den Mund, – die Stimme wollte brechen.


113.

Die Sonne sank, der Mond mit gelbem Licht

Ging auf, – der Teufel steckt im Mondenschein!

Ich weiß, daß man von seiner Keuschheit spricht,

Das scheint mir aber sehr verkehrt zu sein;

Kein Tag, der längste Tag im Juni nicht,

Sieht halb so viel verliebte Schelmerein,

Wie zwei, drei Stunden sanften Mondenlichts,

Und dabei sieht er aus, als wüßt' er nichts.


114.

Gefährlich ist die Stille solcher Stunden;

Das Schweigen giebt der vollen Seele Raum

Sich ganz zu öffnen, während ihr entwunden

Zu Boden sinkt der Selbstbeherschung Zaum;

Schönheit und Wonne strömen sanft verbunden

Im Silberschimmer über Burg und Baum

Und auch ins Herz, bis du versunken bist

In müde Sehnsucht, die kein Ruhen ist.


115.

Und bei Juan saß Julia, halb umfangen

Von seinen glüh'nden Armen, halb entwunden,

Die bebten, wie die Brust, die sie umschlangen.

Sie hatte noch kein Arg dabei gefunden,

Sonst wäre sie wohl einfach fortgegangen;

Die Situation schien ihr zu munden,

Und dann – ja dann – ich kann bei Gott nicht weiter;

Gar nicht beginnen freilich wär' gescheiter.
[48]

116.

O Plato! Plato! du hast mehr Chausséen

Gepflastert für unsittliches Benehmen

Mit deinen tollen Lehren und Ideen,

Das unbezähmte Menschenherz zu zähmen,

Als alle Dichter, die die Welt gesehn.

In deiner Stelle würd' ich mich doch schämen,

Windbeutel, Charlatan und Grillenjäger;

Im besten Fall bist du ein Zwischenträger.


117.

Indessen Julia nichts als Seufzer hauchte,

Ward es zu spät für nützliche Gespräche;

Ihr schönes Auge sich in Thränen tauchte, –

Ich wollte, daß der Anlaß ihm gebräche,

Doch wo ist Liebe, die Vernunft gebrauchte?

Es schien, als ob die Reu' ihr Herz durchstäche;

Sie kämpft' ein Bischen noch und flüsternd, ach,

»Ich werde nie nachgeben!« – gab sie nach.


118.

Der König Xerxes bot einst hohen Lohn

Dem, der ein neu Vergnügen ihm ersänne;

Es kostet' ihm gewiß 'ne Million,

Die schwerste Aufgab' ist es, die ich kenne;

Ich selbst verlang', ein schlichter Musensohn,

Bloß etwas Liebe, (die ich »Muße« nenne,)

Und such' ein neu Vergnügen nicht; die alten

Sind ganz genug für mich, wenn sie nur halten.


119.

Vergnügen! du bist wirklich sehr vergnüglich,

Obwohl man drüben dafür brennen muß;

Im Frühjahr schwör' ich immer ganz vorzüglich

Und fromm zu werden noch vor Jahresschluß;

Doch so 'n Vestalenschwur, weiß Gott, ist trüglich,

Obwohl ich immer hoff', ich komm' in Schuß;

Es thut mir leid, ich schäme mich, und denke,

Daß ich im nächsten Winter rechtsum schwenke.
[49]

120.

Jetzt muß die keusche Mus' ein wenig frei sein ...

Stutz' nicht, noch keuschre Leserin am Theetisch,

Es wird nicht schlimm, du darfst getrost dabei sein:

Die Freiheit, die ich mein', ist nur poetisch;

Ich biege nämlich jetzt in Nebengleis' ein,

Was regelwidrig ist und unästhetisch,

Und da ich Aristoteles so huld'ge,

So ist es billig, daß ich mich entschuld'ge.


121.

Die Freiheit ist's, daß ich den Leser bitte,

Vom sechsten Juni, jenem Unheilstage,

(Obwohl ich ohne den jetzt Mangel litte,

Stoffmangel, und ich wär' in schlimmer Lage,)

Vom sechsten Juni in des Herbstes Mitte

Sich zu versetzen; abgemacht! ich sage,

Es war November, doch ich weis genauer

Das Datum nicht, – die Aera ist schon grauer.


122.

Wir kommen drauf zurück. Süß ist, zur Nacht

Auf blauer mondesheller Flut zu lauschen,

Wann Ruderschlag und Gondellieder sacht,

Verschönt durch Ferne, übers Wasser rauschen;

Süß ist es, wenn der Abendstern erwacht,

Wenn Laub und Nachtwind ihre Seufzer tauschen;

Süß ist es anzusehn, wie über Wogen

Sich in die Wolken wölbt der Regenbogen.


123.

Süß klingt der Haushund' ehrliches Gebell,

Wann sie zu dumpfem Willkomm Chorus machen;

Süß ist, zu wissen, daß zwei Augen hell

Ausschaun nach uns und, wenn wir kommen, lachen;

Süß ist es, einzuschlummern an dem Quell

Und beim Gesang der Lerchen aufzuwachen:

Süß Bienensummen, Schlag der Nachtigallen

Und Mädchenstimmen und der Kinder Lallen.
[50]

124.

Süß ist's, wenn Traubenschauer reicher Winzen

Bacchantisch üppig in die Kelter rollt,

Purpurn und schäumend; süß sind die Provinzen,

Wenn ihr den Stadt-Diners entfliehen wollt;

Süß die Geburt des ersten kleinen Prinzen;

Süß für den Geizhals ist das bare Gold;

Süß Rache, namentlich an einem Eh'mann,

Plündrung den Truppen, Prisengeld dem Seemann.


125.

Süß sind Legate, süßer aber noch

Der unverhoffte Tod bejahrter Tanten

Und Onkel, die zu lang, zu lange doch

»Uns jungen Leute« auf die Folter spannten;

Sie pfiffen immer auf dem letzten Loch

Und starben nie, und ihre Anverwandten,

Ach, werden, eh' sie sich der Erbschaft nähern,

Mit Wechseln bombardirt von den Hebräern.


126.

Süß ist der Lorber, den wir einer Masse

Vergossner Dinte oder Bluts verdanken;

Süß ist's ein Ende machen altem Hasse,

Und süß mit einem läst'gen Freund zu zanken;

Süß alter Wein aus Flaschen, Bier vom Fasse,

Süß für ein hülflos Wesen in die Schranken

Zu treten; süß der Schulplatz, wo wir spielten,

Der uns vergißt, doch den wir lieb behielten.


127.

Doch süßer noch als jenes und als dies

Ist erste Liebe! – einzig bleibt sie stehn,

Wie Adam's Rückblick auf das Paradies;

Gepflückt ist der Erkenntniß Frucht, – wir sehn!

Und alles ist, was je die Menschheit pries,

Nichts gegen dies ambrosische Vergehn, –

Sünd' ist es, sagt die Fabel, – wie der Strahl,

Den einst Prometheus aus dem Himmel stahl.
[51]

128.

Seltsames Thier der Mensch! und seinen Willen

Und Scharfsinn wendet er gar seltsam an;

Und namentlich, was grübelt er im Stillen

Für Ding' aus, um zu zeigen, was er kann!

Dies ist die Zeit der losgelassnen Grillen,

Und alle Künste bringt man an den Mann;

Versucht's mit Wahrheit erst; im Fall der Not hat

Man noch den Schwindel, welcher stets sein Brot hat.


129.

Wir sehn die widersprechendsten Maschienen,

(Was wenig Geld verrät und viel Genie,)

Künstliche Nasen neben Guillotinen,

Mordinstrument' und höhre Chirurgie;

Die Pockenimpfung aber scheint zu dienen

Als Gegensatz zu Congreve's Batterie:

Ihr habt die alten Blattern abbezahlt

Mit neuen, die ihr einem Ochsen stahlt.


130.

Man bäckt Kartoffeln zu (recht schlechtem) Brode,

Der Galvanismus bringt den Tod zu Krämpfen,

Doch hilft er nicht so viel, wie die Methode

Der Rettungsclubs, die mit den Wellen kämpfen

Und gratis retten vom Erstickungstode:

Und dann, wie wunderbar spinnt man mit Dämpfen!

Die schwarzen Blattern, wie gesagt, verbannten

Wir glücklich, – wer vertreibt nun die galanten?


131.

Man sagt, sie kamen aus Amerika

Und werden jetzt vielleicht zurückmarschiren;

Die Volkszahl, heißt es, wächst rapid', und da

Ist's hohe Zeit wohl, sie zu decimiren

Durch Seuchen, Hunger, Krieg et cetera,

Wie sollen sie sich sonst civilisiren?

Was wohl mehr Opfer in den Abgrund riß,

Die oder unsre Pseudo-Syphilis?
[52]

132.

Was werden jetzt für Mittel, ganz moderne,

Für Seelenheil und Kriegsgebrauch empfohlen,

Aus purer Menschenlieb', ich glaub' es gerne;

Man baut zum Beispiel jetzt gefahrlos Kohlen

Mit Humphry Davy's Sicherheitslaterne;

Timbuctu-Reisen, Fahrten nach den Polen

Nützen vielleicht den Menschen ebenso,

Wie wenn man auf sie schießt bei Waterloo.


133.

Der Mensch ist uns ein Rätsel, merkt euch das;

Der Wunder größtes, laßt euch das genügen;

Eins in der schönen Welt ist Schade, daß

Vergnügen Sünd' und Sünde meist Vergnügen.

Ein Jeder sucht ein Ziel und weiß kaum was,

Macht, Reichthum, Ehre, Lieb' in vollen Zügen,

Und immer ist der Weg vertrackt, und wann

Das Ziel erreicht ist, sterben wir, – und dann –


134.

Was dann? – wir alle wissen's nicht zu sagen;

Drum gute Nacht. – Zurück zu unsrer Mär!

November war's; – da fehlt's an schönen Tagen;

Die fernen Berge stehen da, als wär'

Ein weißer Hut auf blauen Rock geschlagen,

Und um das Vorgebirge braust das Meer;

Die Brandung donnert an der Felsenkette,

Die Sonne geht solid' um fünf zu Bette.


135.

Die Nacht war, wie die Wächter sagen, »dicht«,

Nicht Mond noch Stern, der Wind war laut und leise,

Stoßweis'; auf manchem Herde flammten licht

Holzscheit', umgeben vom Familienkreise.

's ist etwas Heitres in der Art von Licht,

Wie auch im Sommerhimmel gleicher Weise;

Ich liebe Feuer, Heimchen und so fort,

Champagner, Hummer und ein traulich Wort.
[53]

136.

Nacht war es, – Julia lag in ihren Kissen,

Vermutlich schlafend, da geschah ein Krach

An ihre Thür, es ward gepocht, gerissen,

Als klopfe jemand die Verstorbnen wach, –

Was schon passirt ist, wie wir alle wissen,

Und einmal noch passiren wird – hernach: –

Die Thür war fest, doch draußen pocht' und schrie

Jemand: »Madam! Madam! erwachen Sie!


137.

Herr Gott! Madam! Madam! der Herr ist da

Und halb Sevilla folgt ihm auf den Hacken, –

Ich bin nicht Schuld daran, – ich wachte ja, –

Und nun kömmt dies Malheur uns auf den Nacken!

Nur hurtig aufgemacht, – sie sind schon nah, –

Mir ist, als hört' ich schon die Treppe knacken, –

Sie kommen gleich, – vielleicht entwischt er noch, –

Das Fenster ist ja nicht so schrecklich hoch!«


138.

Indeß kam Don Alfonso selbst allmählich

Mit Fackeln, Dienern, Freunden angerückt;

Die meisten dieser Herren lebten ehlich

Und waren sehr geneigt, wohl gar entzückt,

Ein Weib im Schlaf zu stören, welches schmählich

Die Schläfen ihres Manns mit Hörnern schmückt.

Ein solches Beispiel wirkt contagiös,

Blieb' Eine straflos, würden Alle bös.


139.

Ich weiß nicht wie, warum und was für ein

Verdacht Alfonso antrieb, so zu schalten;

Auf jeden Fall war es durchaus nicht fein

Von einem Herrn, zumal von einem alten,

(Und ohn' ein Wort der Warnung obendrein,)

Am Bette seiner Frau Lever's zu halten,

Lakaien aufzubieten, Feu'r und Schwert,

Um zu beweisen, daß man ihn entehrt!
[54]

140.

Die arme Julia fuhr wie aus dem Schlaf,

(Merkt, niemand sagt, daß sie geschlafen hätte,)

Und gähnte, kreischt' und weinte wirklich brav.

Antonia, ihre kundige Soubrette,

Warf Deck' und Pfühl' in Haufen, wie sich's traf,

Als kröche sie erst eben aus dem Bette;

Ich weiß nicht recht, zu welchem Zweck die Gute

Hervorhob, daß Madam zweischläfig ruhte.


141.

Wie zwei harmlose Weiblein lagen nun

Herrin und Zof', als ob sie bange seien,

Geist oder Mann könn' ihnen etwas thun,

Und, weil ein einz'ger Mann sich graut vor Zweien,

Vorzögen, Seit' an Seite fromm zu ruhn,

Bis an den Morgen, bis die Hähne schreien

Und der Gemahl heimkömmt und sagt: »Mein Lieb,

Ich war der erste, der zum Aufbruch trieb.«


142.

Zuletzt fand Julia Wort' in ihrer Not:

»Um Gottes willen, Mensch, was fällt dir ein?

Bist du verrückt? Ich wollt', ich wäre todt,

Statt Opfer eines Wüterichs zu sein!

Woher dies mitternächt'ge Aufgebot?

Von Fiebergrillen oder süßem Wein?

Hast du Verdacht? – das Wort schon macht mich bleich!

Durchsuch' das Haus!« – Alfonso sprach: »Sogleich!«


143.

Er sucht, – sie suchen mit, in allen Ritzen,

In Kleiderschränken, Kisten und Closet,

Und finden viele Wäsche, Strümpfe, Spitzen,

Pantoffeln, Bürsten, Kämme, sehr complet,

Den ganzen Krimskrams, welchen Frau'n besitzen,

Um hübsch zu bleiben oder rein und nett:

Durchbohrt sind die Tapeten von Rapieren,

Die auch Lambris und Jalousien blessiren.
[55]

144.

Sie suchen unterm Bett und finden dort –

Na, was sie suchten, schien es nicht zu sein;

Sie öffnen Fenster und durchspähn den Ort

Nach Fußesspuren, doch der Ort sagt Nein;

Nun stehn sie da, und keiner sagt ein Wort, –

Merkwürd'ger Weise fiel es niemand ein,

(Wahrscheinlich waren sie nicht völlig munter,)

Im Bette nachzusehen statt darunter.


145.

Die Zunge Juliens blieb inzwischen wach:

»Ja; suchet nur und suchet,« rief sie laut;

»Unbill auf Unbill häufet, Schmach auf Schmach!

Deswegen also ward ich Frau und Braut!

Deshalb ertrug ich stumm mein Ungemach,

Ertrug den Mann, dem sie mich angetraut!

Doch länger trag' ich nicht die Sünd' und Schande,

Wenn es noch Recht und Richter giebt im Lande.


146.

Ja, Don Alfonso! fürder nicht Gemahl,

Wenn du es je mit Recht gewesen bist, –

Ein Sechziger, – das ist mir ganz egal,

Ob sechzig oder funfzig, sucht mit List

Der eignen Frau zum Schimpf Material

Für eine Klage! handelt so ein Christ?

Grausamer, falscher, schnöder Don Alfons,

Wie wagst du – was? ich hätte Liaisons?


147.

Das ist der Dank dafür, daß ich der Frauen

Grundrechte nie beansprucht und benutzt!

Ich nahm zum Beichtiger den alten grauen

Murrkopf, vor welchem jede Andre stutzt:

Und niemals schilt er mich, – ja, im Vertrauen,

Er ist von meiner Unschuld ganz verdutzt

Und glaubt in vollem Ernst, ich sei noch ledig, –

Passirt ein Umschlag, dann sei Gott dir gnädig!
[56]

148.

Das ist der Dank, daß ich mir niemals einen

Cortejo hielt von unsren Junggesellen

Und keinen Zeitvertreib besuchte, keinen

Als Messe, Stierkampf, Oper, Thés nebst Bällen,

Und den Verehrern niemals einen kleinen

Gefallen that, – ja, grob in manchen Fällen ....

Erklärte nicht der General O'Reilly,

Der Algier nahm, ich foppe ihn ganz schmählich?


149.

Sang nicht der röm'sche Musico Cazzani

Mein Herz sechs Monat' an mit höchstem Schwunge?

Nennt nicht sein Landsmann mich, der Graf Corniani,

Die einz'ge treue Gattin span'scher Zunge?

Bestürmte mich ein russicher Galan nie?

Nicht Graf Starkstrakonoff, der arme Junge?

Hat nicht Lord Coffeehouse aus Liebespein

Vor einem Jahr sich umgebracht mit Wein?


150.

Bischöfe hatt' ich zwei zu meinen Füßen,

Den Herzog von Ichar, Don Fernan Nunez;

Doch blieb ich treu, und hab' es jetzt zu büßen.

Wenn je der Mond verrückt macht, thut er nun es!

Wie edel, mich nicht einfach zu begrüßen

Mit Prügeln! – andre Männer, sagt man, thun es, –

O tapfrer Ritter mit Pistol und Hieber!

Nun sprich, hast du dich nicht blamirt, mein Lieber?


151.

Deshalb verreistest du? deswegen war

Die Reis' und das Geschäft so äußerst eilig?

Du und dein Anwalt, dieser Erzbarbar,

Den ich da hinten seh'; jetzt merkt er freilich,

Daß er den Narren spielt! Ein saubres Paar!

Er aber ist der schlimmre, unverzeihlich,

Er denkt an nichts als seine schmutz'ge Sportel,

Und nicht an meinen oder deinen Vorthel.
[57]

152.

Wünscht er vielleicht auch zu protokolliren?

Weswegen thut er's nicht in aller Welt?

Schreibzeug steht da, er braucht sich nicht zu zieren,

Die Stub' ist doch schon auf den Kopf gestellt.

Nur laßt ihn alles ganz genau notiren,

Damit er etwas leiste für sein Geld;

Mein Mädchen ist im Hemd, – entlaßt die Spitzeln.«

»O!« schluchzt' Antonia, »könnt' ich sie mal kitzeln!«


153.

»Da ist der Schrank, und hier ist die Toilette,

Dort das Closet, – nun sucht in allen Ecken;

Dort ist der Armstuhl, dort das Ruhebette,

Dort der Kamin, – da könnt' ein Herrchen stecken.

Nur bitt' ich, macht nicht so viel Lärm, ich hätte

Gern etwas Schlaf, und solltet ihr entdecken,

In welcher Höhle dieser Schatz vergraben,

So laßt doch mich auch das Vergnügen haben.


154.

Und nun, Hidalgo! da du alles hier

In Schimpf und Schande bringst, in Streit und Zank,

So habe doch die Güt' und sage mir,

Wer ist es, den du suchst? – ich wüßt' es Dank.

Wie heißt er? woher stammt er? Cavalier?

Er ist doch hübsch und jung noch? Ist er schlank?

Sprich! – willst du meinen Ruf durchaus vernichten,

So sei gewiß, ich will mich danach richten.


155.

Er ist doch unter sechzig? – sonst erscheint

Dein Grimm und deine Eifersucht noch crasser, –

Ein junger Mensch wie du und solch ein Feind!

Antonia, bitte, gieb mir ein Glas Wasser, –

Ich schäme mich, daß ich vorher geweint!

Daß mich ein Unhold und ein Weiberhasser

Umbringen würde, wer hat das gedacht,

Als meine Mutter mich zur Welt gebracht?
[58]

156.

Bist du gar eifersüchtig auf die Magd?

Du hast es ja gesehn, sie schlief bei mir,

Als du hereinbrachst mit der wilden Jagd:

Sucht nur, – wir haben kein Geheimniß hier;

Nur, hoff' ich, künftig wird es angesagt

Und vor der Thür gewartet mit Manier;

Man sollt' uns etwas Zeit zum Anziehn gönnen,

Damit wir unsre Freund' empfangen können.


157.

Und nun, mein Herr, hab' ich nichts mehr zu sagen;

Dies Wen'ge sagt' ich nur, damit ihr wißt,

Das reine Herzen Unrecht stumm ertragen

Und Unschuld langsam im Verklagen ist.

Geh! dein Gewissen wird dereinst dich fragen,

Weshalb du so mit mir verfahren bist?

Dann schütze Gott dich vor dem eignen Fluch!

Antonia! wo ist mein Taschentuch?«


158.

Sie schweigt und kehrt sich ab, – da liegt sie, bebend,

Ihr Aug' in Thränen flammt, wie eine Nacht,

Die blitzt und regnet; schattig sie umgebend,

Fließt auf die blasse Wange Lockenpracht,

Die weiße Schulter zu verschleiern strebend,

Umsonst, – der Schnee trotzt ihrer dunklen Macht,

Die weichen Lippen trennt ein starrer Schmerz,

Und lauter als ihr Atmen schlägt ihr Herz.


159.

Alfons stand da, verblüfft wie vor Gericht,

Antonia schnurrte durchs verstörte Zimmer

Und naserümpft' und zog ihm manch Gesicht,

Ihm und den Sbirren, denen schlimm und schlimmer

Zu Mute wurde, nur dem Anwalt nicht,

Der treu war, wie Achates, jetzt und immer,

Wo's Zank gab, einerlei in was für Sachen, –

Dies hatte das Gericht ja auszumachen.
[59]

160.

Die Nase schnüffelt und die Aeuglein lauern

Und folgen jedem Schritt und Tritt der Magd,

Wie Katzen sich argwöhnisch niederkauern.

Nach Ruhm und Ehre hatt' er nie gefragt

Und nie für Jugend und Geschlecht Bedauern,

Ihm kömmt es nur drauf an, daß jemand klagt;

Auch glaubt' er nie an Negativen, bis

Vollgültig falsches Zeugniß sie bewies.


161.

Alfons dagegen senkte seinen Blick

Und spielte jetzt die albernste Figur:

Erst dreht' er seiner Gattin einen Strick,

Sucht' alle Winkel durch, die kleinste Spur,

Und fand nun was? – bloß ein'ge Selbstkritik,

Nebst der, die Julia mit so viel Natur

Auf ihn ergoß, seit fast halbstünd'ger Dauer,

Schnell, schwer und dicht, wie ein Gewitterschauer.


162.

Erst sucht' er stotternd Gnade zu gewinnen,

Sie aber schluchzt', als ob ihr Herz vergehe,

Und drohte Krämpfe, – Krämpfe, die beginnen

Mit einer Zuckung oder einer Wehe,

Auch Röcheln, – ganz nach Wahl der Dulderinnen.

Er sah sein Weib und dacht' an Hiobs Ehe,

Er sah im Geist auch Julia's Verwandte, –

Worauf er sich zur größten Mild' ermannte.


163.

Er wollte reden, oder besser stottern,

Da schnitt Antonia ihm das Wort entzwei:

»Jetzt fort mein Herr! statt hier herumzulottern,

Verlassen Sie das Zimmer! kein Geschrei!

Sonst stirbt Madam!« – Alfonso knurrte »Ottern!«

Sonst nichts, – die Zeit der Worte war vorbei;

Er sah sich kläglich um zum letzten Mal

Und that mechanisch, was man ihm befahl.
[60]

164.

Und mit ihm zog sein »Posse comitatus«,

Zuletzt der Anwalt; an der Thüre stand

Er zögernd still und überschlug den status,

So lang die Zof' ihn ließ; – schmerzlich empfand

Er diesen unerklärlichen Hiatus,

Der plötzlich sich im Thatbestande fand:

Noch überdacht' er diese neue Phase,

Da flog die Thür an die legale Nase.


165.

Kaum war die Thür verriegelt, als – o Schande

O Sünd'! o Schmerz! o Weib! o Evaskind!

So handeln Frau'n und sind geehrt im Lande?

Ist diese Welt, und auch die andre, blind?

Was ist so schön wie unentweihte Bande? –

Doch weiter, – da der Spaß nun erst beginnt:

Vernehmt, was ich so gern verschwiegen hätte:

Juan, beinah erstickt, schlüpft' aus dem Bette.


166.

Er lag versteckt darin, – indeß, ich wage

Nicht abzugeben wie, noch ahn' ich wo.

Jung, schlank und biegsam lag er ohne Frage

Möglichst compendiös, so oder so;

Ich muß gestehn, daß ich ihn nicht beklage,

Wenn er zerquetscht ward durch die hübschen Zwo;

Denn solch ein Tod ist würd'ger des Begehrens

Als jenes Malvasierfaß unseres Clarence.


167.

Und zweitens mag ich nicht von Mitleid sprechen,

Weil er mit einer Sünde frech begann,

Für die wir jenseits brennen, diesseits blechen;

Er mindestens fing reichlich zeitig an.

Indeß die Reue pflegt nicht so zu stechen

Mit sechzehn wie mit sechzigen, wenn man

Die alten Schulden aufzählt und ermißt,

Wie teuflisch hoch des Teufels Conto ist.
[61]

168.

Von seiner Lage weiß ich nichts zu sagen:

Im »Buch der Kön'ge« steht, daß um die Zeit,

Als Davids Puls langsam begann zu schlagen,

Die Aerzt' als Pflaster eine frische Maid

Verschrieben, statt mit Pillen ihn zu plagen,

Und dieses Mittel war von Wirksamkeit;

Vielleicht hat man es anders angefaßt,

David genas, Juan erstickte fast.


169.

Was ist zu thun? Alfons schickt sicher nur

Die Narren fort und kehrt zurück im Trab;

Antonia spannt ihr Hirn auf die Tortur, –

Wie schlagen wir den neuen Angriff ab?

Ach, aus dem Labyrinth führt keine Spur,

Und auch die Zeit bis Morgen ist nur knapp.

Antonia grübelt; Julia redet nicht

Und preßt den bleichen Mund an sein Gesicht.


170.

Er bot ihr seinen Mund, und mit der Hand

Holt er zurück ihr halb entschlüpftes Haar:

Selbst jetzt war ihre Glut nicht ausgebrannt

Und fast vergessen Schrecken und Gefahr:

Antonia's Geduld war jetzt am Rand, –

»Kommt, kommt, ist es noch Zeit zum Schnäbeln gar?«

So zischelte sie grimmig, – »dieses nette

Herrlein muß ich verwahren im Closette.


171.

Die Kinderein spart für 'ne bessre Nacht, –

Wer hat nur unsern Herrn so aufgehetzt?

Wie soll das enden? – wer hat das gedacht? –

Der Jung ist ja ein Teufel; was? ist jetzt

Zum Girren Zeit? Wer weiß, wie lang er lacht

Und ob es nicht noch Mord und Todtschlag setzt?

Ihr kommt ums Leben, ich um meinen Platz,

Madam um alles, – für den flaum'gen Schatz!
[62]

172.

Ja, wär' es noch ein stämm'ger Cavalier

Von fünfundzwanzig, dreißig – (fort, du Pack!)

Ein wahres Kind, und solch ein Unheil hier!

Bei Gott, Madam, mich wundert Ihr Geschmack.

Der Herr muß nahe sein, – (Hinein mit dir!)

So! dieser sitzt fürs Erste fest im Sack,

Und wenn wir jetzt nur bis zum Morgen fein

Still halten – (Pst! Juan! schlaft ja nicht ein!)«


173.

Jetzt läßt sich Don Alfonso wieder sehn

Und macht der Predigt unsrer Zof' ein Ende;

Sie macht sich noch zu thun; er heißt sie gehn,

Und sie gehorcht, wenn auch nicht sehr behende;

Indeß, da ist kein Rat, – es muß geschehn;

Was hülf' es auch, wenn sie im Zimmer stände?

Sie blickt die Beiden an, nur von der Seite,

Und schneuzt das Licht und knixt und sucht das Weite.


174.

Alfonso stockt, eh' er das Schweigen bricht,

Dann fängt er an Ausreden auszukramen:

Rechtfert'gen könn' er sein Verfahren nicht;

So gehe man nicht um mit edlen Damen;

Jedoch er habe Gründe von Gewicht,

(Die in der Rede nicht zum Vorschein kamen,) –

Sein Vortrag war im Ganzen eine Spielart

Gallimathias, die bekannte Stilart.


175.

Frau Julia schweigt, – doch auf der Zunge brennt

Die fertige Replik, mit der bewehrt

Die Frau, die ihres Gatten Schwächen kennt,

(Bloß durch ein Wort) den Spieß zum Angriff kehrt

Und ihren Feind, nicht schlägt, doch niederrennt,

(Gerüchte selbst sind dann von hohem Wert;)

Man muß nur dreist erwidern: wirft er dir

Ein Schätzchen vor, so ruf, er habe vier.
[63]

176.

Und Julia hatte leidlich gute Gründe;

Man wußte, wie Alfons zu Ines stand;

Ob aber stumm macht das Gefühl der Sünde –

Doch nein, das thut es nicht, wie allbekannt,

Wo wär' ein Weib, die nicht gleich Rede stünde?

Vielleicht, daß Zartgefühl die Zung' ihr band,

Weil sie Juan im Nebenzimmer wußte,

Der seiner Mutter Ruf wert halten mußte.


177.

Vielleicht war noch ein Grund, und das macht zwei:

Alfonso hatt' aus Eifersucht gewütet,

Wer aber der beglückte Schäfer sei,

Das zu verraten hatt' er sich gehütet;

Juan war nie genannt; die Grübelei

Des Argwohns hatt' ihr Ei nicht ausgebrütet;

Ein Wort von Ines wär', als stieße man

Alfonso mit der Nas' auf Don Juan.


178.

Ein Wink genügt in delicaten Lagen;

Schweigt lieber ganz! – doch giebt es einen »Tact«,

(Dies neue Wort will mir nicht recht behagen,

Inzwischen hält es meinen Vers compact,)

Mit welchem Damen bei brutalen Fragen

Facta umschiffen, sauber und exact;

Sie wissen dann so graziös zu lügen,

Es nur mit anzusehn macht schon Vergnügen.


179.

Sie glühen, und man glaubt. Ich mindestens zieh'

Es vor, mich gleich zum Glauben zu entschließen,

Und irgend eine Antwort wag' ich nie;

Denn dann beginnt der Strom erst recht zu fließen,

Und wenn sie nicht mehr können, seufzen sie

Und senken ihre Wimpern und vergießen

Ein, zwei, drei Thränen, – dann capitulirt man,

Und dann – und dann – und dann – ja, dann soupirt man.
[64]

180.

Alfonso bat um Frieden nach den Fehden,

Den sie ihm halb versagte halb gewährte,

Doch weigerte, nach allem Ueberreden,

Sie manche Kleinigkeit die er begehrte;

Er stand, wie Adam zögernd stand vor Eden

Und sich in unfruchtbarer Reu' verzehrte,

Und bat, daß sie nicht länger spröde thue,

Da, siehe! stieß sein Fuß an ein Paar Schuhe.


181.

Zwei Schuh'! – was denn? – das sagt nicht viel, wenn sie

Für Damen passen, aber dieses Paar

(Es thut mir leid, ich kann nicht sagen wie,)

War masculinum. Sehn und packen war

Ein Augenblick. – Nun, Glück und Liebe, flieh!

Mein Blut erstarrt, es sträubt sich jedes Haar –

Alfonso prüfte sorgsam das Format

Und wurde dann von neuem desperat.


182.

Er lief hinaus, um sein Rapier zu holen,

Und Julia flog a tempo zum Closet;

»Flieh! flieh! Juan! – kein Wort mehr! – Gott befohlen!

Das Haus ist offen – lauf durchs Cabinet –

Du kennst den Weg – o Gott, ich steh' auf Kohlen, –

Lebwohl – hier ist der Schlüssel zum Stakett, –

Schnell, schnell! ich hör' Alfonso's Wiederkehr –

Noch ist es dunkel und die Straße leer.«


183.

Man muß gestehn, der Rat war gar kein schlimmer,

Der einz'ge Fehler war, er kam zu spät;

Wie die Erfahrung denn dem Schicksal immer

Einkommensteuer zahlt, eh' sie gerät.

Juan entwischt im Umsehn aus dem Zimmer

Und wär' entschlüpft bei der Rapidität,

Da leider kam Alfons im Schlafrock wieder,

Tod drohend, folglich – schlug Juan ihn nieder.
[65]

184.

Der Kampf war grimmig, und das Licht ging aus;

Antonia schrie »Gewalt!« und Julia »Feuer!«

Doch nicht ein Diener kam und half beim Strauß.

Alfonso, weich gebläut, schwor hoch und theuer,

Er wolle Rache, heute noch, durchaus!

Und auch Juan, das kleine Ungeheuer,

Stieß Flüche aus, in höherer Octave;

Er war jetzt warm und Feind der Todesstrafe.


185.

Alfonso ließ vorher den Degen fallen

Und beide fochten bloß Faust wider Faust;

Juan bemerkt' es nicht, zum Glück, – im Wallen

Der Leidenschaft war die Vernunft verbraust,

Und hätt' er jetzt den Degen in den Krallen,

So hätt' Alfons die letzte Zeit gehaust

Im Land'. – Bedenkt, wenn Gatt' und Freund sich hauen,

So könnt ihr zwiefach Witwen werden, Frauen!


186.

Alfonso würgt', um seinen Feind zu halten,

Der Andre drosselt' ihn, um wegzulaufen,

Und Ströme Blutes (aus der Nase) wallten.

Am Ende mußt' Alfonso sich verschnaufen,

Da kriegt' er einen Hieb zum Schädelspalten;

Das einz'ge Kleid Juans zerriß beim Raufen;

Er ließ es flugs im Stich, wie Joseph, – leider

Fürcht' ich, hier endet die Vergleichung beider.


187.

Jetzt kamen Lichter, Knechte, Dienerinnen;

Das Schauspiel, das sie fanden, war pikant, –

Die Zof' in Krämpfen und die Madam von Sinnen,

Alfonso matt und keuchend an der Wand,

Am Boden halbzerfetztes Tuch und Linnen,

Blutspuren, Staub, – das war es, was man fand.

Juan gewann das Thor, schloß auf im Nu,

Und dann, im Eifer, schloß er draußen zu.
[66]

188.

Hier endigt der Gesang. – Soll ich noch sagen,

Wie nun Juan sich, nackt, im Schutz der Nacht,

(Die schützt, was sie nicht sollte,) durchgeschlagen

Und kam nach Haus in unanständ'ger Tracht?

Der liebe Stadtklatsch in den nächsten Tagen,

Das Neuntagswunder, das sie draus gemacht,

Die Scheidungsklag' Alfonso's stand ausführlich

In allen Londoner Zeitungen, natürlich.


189.

Wollt ihr den ganzen Fall genau studiren,

Die Kreuzverhöre, sammt dem Thatbestand,

Die Namen aller Zeugen, das Plaidiren,

Wie appellirt ward und zuletzt erkannt. –

Es ward mehrmals gedruckt, und variiren

Die Texte auch, sind sie doch amüsant;

Der stenographische giebt wohl das Meiste,

Von Gurney, der expreß nach Spanien reiste.


190.

Frau Ines, um den Lärmen abzulenken,

Den ruchbarsten von sämmtlichen Scandalen,

Die Spanien je erlebt seit Menschendenken,

(Mindestens seit dem Abzug der Vandalen,)

Gelobt' (und niemals war sie karg im Schenken,)

Ein Paar Pfund Kerzen ein'gen Kathedralen,

Und dann – auf alter Damen Rat geschah dies –

Ließ sie Juan zu Schiff gehn via Cadiz.


191.

Sie wollte, daß er reis' und in der Ferne

Zu Land und See die frühere Moral

Verbessern mög' und ein'ge neue lerne,

In Frankreich und Italien zumal,

(Bekanntlich thun es viele Leute gerne.)

Frau Julia mußt' ins Kloster, – tiefe Qual

Erlitt sie, – aber ihres Grames Tiefe

Erhellt am besten aus nachsteh'ndem Briefe:
[67]

192.

»Es ist beschlossen, daß du scheiden mußt:

Es ist ja weis' und gut, – und doch so schwer!

Dein junges Herz – ich trage den Verlust,

Ich möchte nicht, daß es mein Opfer wär'.

Die einz'ge Kunst, von welcher ich gewußt,

War Lieb', und wär' mein Brief von ungefähr

Von Tropfen naß, – sie sind nicht was sie scheinen:

Mein Auge brennt und pocht, doch kann's nicht weinen.


193.

Ich liebt', ich liebe dich; um dich zu lieben,

Gab ich Gemahl, Ruf, Ehre, Himmel hin;

Und doch, mich dünkt der Preis nicht übertrieben,

Der Traum bleibt im Erinnern noch Gewinn.

Glaub' nicht, ich hätt' im Trotze dies geschrieben,

Ich fühl' es nur zu tief, wie schlecht ich bin!

Dies kritzl' ich nur, weil ich nicht ruhen kann,

Ich fordre nichts, ich klage niemand an.


194.

Des Mannes Lieb' ist nicht des Mannes Leben,

Sie ist des Weibes Welt! Den Mann erfreut

Am Hof, im Krieg, zu Schiff, am Markt zu streben;

Talar und Degen, Gold und Wissen beut

Stolz, Ruhm und Macht, die seine Brust erheben,

Und wen'ge sind, die solches nicht zerstreut.

Ihr habt all diesen Trost, wir nur den einen,

Nochmals zu lieben, und nochmals zu weinen.


195.

Du lebst nun fort in Glück und Herrlichkeit,

Geliebt und liebend; ich indessen geh'

Allein durchs Leben, um noch kurze Zeit

In tiefster Brust zu bergen Scham und Weh.

Die könnt' ich tragen, – aber wer befreit

Mich von der Liebe, die noch rast wie je?

Lebwohl – vergieb mir – liebe mich! doch nein,

Das Wort ist leer jetzt, – aber laß es sein.
[68]

196.

Schwach war und ist mein Herz in seiner Glut,

Doch hoff' ich, daß es Fassung noch gewinnt;

Mein Geist erlosch, doch stürmisch wallt mein Blut,

Wie Brandung rollt nach eingelulltem Wind;

Mein Herz ist weiblich und vergißt nicht gut,

Ein Bild nur sieht es, – sonst wahnsinnig blind;

So bebt die Nadel und so steht der Pol,

So sucht mein zitternd Herz nur ein Idol.


197.

Es ist genug, – und doch ist enden schwer;

Ich zaudre noch mein Siegel aufzupressen,

Obwohl mich loszureißen besser wär';

Denn meines Leidens Maß ist vollgemessen.

Wär' Kummer tödtlich, lebt' ich wohl nicht mehr, –

Wer Tod ersehnt, der wird vom Tod vergessen, –

Selbst dies Lebwohl – ich werd' es überstehen

Und leben, lieben, Segen dir erflehen.«


198.

Geschrieben auf Papier mit goldnem Rand,

Mit feinster Feder war dies Billet-doux;

Die Kerze schwankt' in ihrer weißen Hand,

Die dem Magnet gleich bebte sonder Ruh;

Doch blieb sie thränenlos. Im Siegel stand

'ne Sonnenblum'; »Elle vous suit partout,«

Ein weißer Carneol trug diese Worte,

Das Lack war scharlachrot und feinste Sorte.


199.

Dies war Juans Début. Ob die Geschichte

Nun weiter geht, das müßt ihr mich nicht fragen;

Das hängt allein vom Leser ab, – er richte.

Ich will erst hören, was die Leute sagen:

Ihr Lob ist mir ein Sträußchen, wenn ich dichte,

Und ihre Grillen will ich gern ertragen;

Wenn sie mich loben, geb' ich noch ein Paar

Geschichten zu, so etwa übers Jahr.
[69]

200.

Mein Werk ist episch, doch ich lass' es bei

Zwölf Büchern, – aber jedes Buch enthält

Liebschaft und einen Sturm und Metzelei,

Schiffskatalog, Feldherrn und eine Welt

Von Helden, – Episoden hat es drei,

Ein Rundbild von der Höll' ist schon bestellt,

Im Genre des Homer und des Virgil,

Kurzum ich mach' ein Epos ganz im Stil.


201.

Dies alles werd' ich schildern, meine Herrn,

Daß Aristoteles sich freuen soll,

Der Meister unsrer Kunst, der Dichtung Stern,

Der Viele weise macht und Ein'ge toll.

Der Stümper haßt den Reim, ich reime gern;

Kein braver Schmid fühlt für sein Werkzeug Groll;

Die mythologische Maschinerie

Ist nagelneu, und auch die Scenerie.


202.

Ein kleiner Unterschied ist zwischen meinen

Vorgängern in der Epopöe und mir,

Und zwar zu meinem Vortheil, sollt' ich meinen;

Von sonstigen Verdiensten schweig' ich hier,

Dies eine aber wird vor allen scheinen:

Die Andren schmücken aus und machen schier

Langweilig ihrer Fabeln Labyrinth,

Wogegen meine Verse Wahrheit sind.


203.

Wenn jemand einen Zweifel sich erlaubte,

So appellir' ich an Geschicht' und Facten

Und Zeitungen (an die doch jeder glaubte,)

Schauspiel' in fünf und Opern in drei Acten,

Die all' erhärten, was ich hier behaupte;

Erhärten kann ich's auch mit einer nackten

Thatsache: – ich und Andre sahn vor Jahren

Persönlich Don Juan zum Teufel fahren.
[70]

204.

Wenn ich mit Prosa jemals mich bemenge,

Werd' ich poetische Gebote schreiben,

Durch die ich alle früheren verdränge;

Ich will dem Texte Schätze einverleiben,

Die niemand ahnt, und bis zur höchsten Strenge

Werd' ich die Theorie und Regel treiben;

Der Titel heißt: »Longinus bei der Flasche

Und Aristoteles in der Westentasche.«


205.

Du sollt an Milton, Pope und Dryden glauben;

Du sollt nicht Coleridge, Wordsworth, Southey loben;

Der Erste trinkt, dem Zweiten gehn die Schrauben

Im Kopfe los, der Dritt' ist schon verschroben;

Die Hippokrene Campbells will verstauben,

Doch Crabbe trägt den Kopf noch immer oben.

Du sollt nicht stehlen aus Sam Rogers Schriften

Und mit der Muse Moore's nicht – Unfug stiften.


206.

Laß dich der Muse Sotheby' nicht gelüsten,

Noch seines Pegasus, noch alles, was er hat;

Du sollt auch nicht (wie Damen, die wir wüßten,)

Falsch Zeugniß reden, – sapienti sat;

Schreib immer so, daß wir uns nicht entrüsten;

Das ist Kritik, – nun folge deinem Rat:

Küß meine Rute oder laß das Küssen,

Doch wer nicht küßt, den werd' ich hauen müssen.


207.

Nennt jemand die Moral des Buchs nicht gut,

So bitt' ich erstlich solch ein zartes Wesen,

Doch nicht zu schrein, bis man ihm wehe thut,

Und zweitens, es zum zweiten Mal zu lesen

Und zu behaupten, (das erfordert Mut,)

Daß es nicht sittlich sei trotz allen Späßen;

Im zwölften Buch zumal zeig' ich den Frommen

Den Ort, wohin die bösen Menschen kommen.
[71]

208.

Und gäb' es dennoch irgend einen Blinden,

Der, was zu seinem Heil dient, schmäht und rügt,

Der, ganz verstrickt in geist'gen Irrgewinden,

Behauptet, daß der Augenschein betrügt,

Und schreit, »er könne die Moral nicht finden,«

So sag' ich, wenn er Pfarrer ist, er lügt;

Und ist er Hauptmann oder Journalist,

So sag' ich nur, daß er im Irrthum ist.


209.

Das Publicum, erwart' ich, wird mich loben

Und glauben, daß ich es zur Tugend führe;

Ich habe Kurzweil und Moral verwoben,

(So heilt man Zahnweh durch Korallenschnüre;)

Auch wird man hoffentlich nach diesen Proben

Gestehn, daß mir der epische Kranz gebühre, –

Indeß zur Abwehr gegen Prüd' und Kritische

Bestach ich Großmama's Journal, das »Britische«.


210.

Ich schickte dem Verleger einen Posten,

Worüber er umgehend auch quittirte,

Und hoffentlich entspricht das Lob den Kosten.

Wenn er vielleicht nachträglich revocirte

Und meine Muse briet' auf heißen Rosten,

Wenn er mir Gall' aufs Brot statt Honig schmierte,

Kurz, wenn er mir das Meine vorenthält,

So wiederhol' ich nur, er hat sein Geld.


211.

Ist diese heil'ge Allianz nur mein,

So ist das ganze Publicum für mich;

Und alle andren Blätter steck' ich ein,

Vom Pfenningsblatt bis zur Quartalschrift. Ich

Versuchte niemals ihr Client zu sein,

Weil man mir sagt, das wäre lächerlich,

Denn Edinburgh und Quarterly, die beiden,

Behandelten mich doch als einen Heiden.
[72]

212.

»Non ego hoc ferrem calida juventa

Consule Planco,« sagt Horaz und ich;

Ich meine mit dem klassischen Fragment da,

Daß vor sechs, sieben Jahren sicherlich,

(Eh' ich an Lido dachte oder Brenta,)

Ich Hieb mit Hieb vergalt und Stich mit Stich;

Dergleichen hätt' ich damals nicht gelitten,

In heißer Jugend unter George dem Dritten.


213.

Doch nun ist grau mit dreißigen mein Haar,

(Wie wird es erst mit vierzig sein? Ich dachte

An eine Perücke schon vergangnes Jahr.)

Mein Herz ist nicht viel frischer, – kurz, ich machte

Schon meinen Sommer ab, als Mai noch war,

Und fühle keinen Mut zum Streit; ich brachte

Mein Leben durch, so Capital wie Zins,

Und rühme mich nicht mehr sieghaften Sinns.


214.

Nie mehr, nie mehr, o nie mehr wird wie Thau

Die Frische meines Herzens mich durchdringen

Und meiner Brust aus jeder holden Schau

Stets neue liebliche Gefühle bringen,

So wie die Biene Honig bringt zum Bau:

Glaubst du, der Honig quell' in jenen Dingen?

Ach, nicht in ihnen, – deine eigne Macht

Ist's, die den Duft der Blume süßer macht.


215.

Nie mehr, nie mehr, mein Herz, o niemals mehr

Kannst du mein Weltall sein, du ganz allein!

Alles in allem einst, nun aber leer,

Kannst du mir weder Fluch noch Segen sein:

Die Täuschung floh und ohne Wiederkehr,

Und du bist stumpf; indeß ich bracht' es ein,

Statt deiner ward mir ein gut Theil Vernunft, –

Mich wundert nur, wo fand sie Unterkunft?
[73]

216.

Die Zeit der Lieb' ist nun dahin; nie mehr

Wird Weib noch Jungfrau – (Witwen so wie so nicht) –

Mich so zum Narren machen wie bisher;

Mit einem Wort, es ist der alte Ton nicht,

Der Leichtsinn schöner Seelen wird mir schwer,

Und außerdem bekömmt mir mein Bordeaux nicht;

Ich seh' es schon, ich muß mich wohl bereits

Dem Laster alter Herren widmen, – Geiz.


217.

Der Ruhm war mein Idol; es ward zerbrochen

An des Vergnügens und des Grams Altar,

Und diese beiden ließen mir in Wochen

Andenken, ganz genug für manches Jahr.

Wie Bacons eh'rner Kopf hab' ich gesprochen:

»Zeit ist, Zeit war!« – Gleich Schätzen blank und bar

Ist Jugend; ich verthat sie im Geheimen,

Mein Herz in Leidenschaft, mein Hirn in Reimen.


218.

Was ist der Ruhm? Platz auf gewissen Blättern

Von äußerst ungewissem Druckpapiere;

Man hat gesagt, er sei ein Bergerklettern,

Das sich, wie Berge thun, in Dunst verliere;

Die Menschen schreiben, reden, tödten, schmettern,

Die Dichter wachen Nachts bis halber viere,

Damit, wenn sie den Staub des Grabes küßten,

Ein Name bleibt, ein Bild und schlechte Büsten.


219.

Was hofft der Mensch? – Der König Cheops baute

Die erste Pyramide, hoch wie Berge,

Die sein Gedächtniß, wie er fest vertraute,

Frisch halt' und seine Mumie sicher berge.

Doch jemand, der nach alten Schätzen schaute,

Brach diebisch ein und öffnete die Särge:

Baut keine Hoffnung auf ein Denkmal je, ob's

Auch noch so hoch, – kein Stäubchen blieb von Cheops.
[74]

220.

Doch ich, der ächter Weisheit zugeschworen,

Ich sage mir sehr oft: »Ach, alles, was

Geboren wird, wird nur fürs Grab geboren,

Und Fleisch, zu Heu gemäht vom Tod', ist Gras.

Du hast die Jugend freudlos nicht verloren,

Und käm' sie auch zurück, so schwänd' auch das.

Dank' deinem Loos, daß es nicht schlimmer fällt,

Lies deine Bibel und verwahr' dein Geld.«


221.

Jetzt aber, liebe Leser, und auch ihr,

Noch liebre Käufer, – der Poet, – als ich, –

Reicht euch die Hand, ich bitt', erlaubt es mir:

Ergebner Diener, ich empfehle mich!

Wofern wir uns verstehn, begegnen wir

Uns wieder, und wo nicht, dann sicherlich

Werd' ich euch nicht mit weitren Proben quälen, –

Dies Beispiel wär' auch Andern zu empfehlen.


222.

»Geh, Büchlein! in den Bach, der einsam fließt,

Werf' ich dich jetzt; er soll dich weiter tragen;

Wenn ein'ger Wert in deinen Adern sprießt,

Dann findet dich die Welt nach manchen Tagen.«

Wo man Wordsworth versteht und Southey liest,

Da kann ich ganz der Hoffnung nicht entsagen;

Verse von Southey sind die ersten vier,

Nicht – Gott soll mich bewahren – nicht von mir.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 5, S. 19-75.
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