2. Szene.

[11] Sigismund, Rosaura, Clarin.


SIGISMUND im Turme.

Ich Armer, weh! Wie bin ich zu beklagen!

ROSAURA.

Welch klägliches Gestöhne!

Mit neuem Schmerz ergreifen mich die Töne.

CLARIN.

Und mich mit neuen Schauern.

ROSAURA.

Clarin!

CLARIN.

Gebieterin?

ROSAURA.

Fliehn wir die Mauern

des Zauberturms!

CLARIN.

Ich liefe gern von dannen,

doch selbst zum Fliehn kann ich mich nicht ermannen.[12]

ROSAURA.

Ha, schimmert nicht von ferne

ein dämmernd Licht, gleich einem bleichen Sterne,

das mit ohnmächt'gem Beben,

aufflackernd, Flamm und Strahlen läßt entschweben

und jenes Dunkels Dichte

noch dunkler macht mit zweifelhaftem Lichte?

Ja; denn bei seinem Brennen

läßt sich, obwohl in trüber Fern, erkennen

ein Kerker, zu vergleichen

schier einem Grabe von lebend'gen Leichen;

und, mir zu größerm Schrecken,

liegt drin ein Mann, den rauhe Felle decken,

in Ketten eingeschlossen

und nur von jenem Dämmerschein umflossen.

Flucht kann uns nicht mehr glücken,

so hören wir, was ihn für Leiden drücken;

horch auf, was er wird sagen.


Die Flügel der Tür öffnen sich, und Sigismund tritt heraus, mit Fellen bekleidet und gefesselt. Im Turm ist Licht.


SIGISMUND.

Ich Armer, weh! Wie bin ich zu beklagen!

Himmel, laß mich Kund erlangen,

da du so verfährst mit mir,

welch Verbrechen ich an dir

schon durch die Geburt begangen!

Doch, ich habe mich vergangen,

ich erkenn es, weil ich ward.

Strafst du mich auch noch so hart,[13]

nenn ich gnügend deine Gründe;

denn des Menschen größte Sünde

ist, daß er geboren ward.

Nur dies eine möcht ich fassen,

um mein Unglück ganz zu sehn

(darf ich, Himmel, das Vergehn,

daß ich ward, beiseite lassen),

was dich treibt, mich mehr zu hassen,

da mich mehr straft dein Gericht.

Wurden auch die andern nicht?

Und sind sie im gleichen Falle,

welches Vorrecht haben alle,

das nur mir allein gebricht?

Auch der Vogel wird, und kaum,

durch den bunten Schmuck der Glieder,

ist er Blume mit Gefieder,

Blütenstrauß von zartem Flaum,

und schon wird des Äthers Raum

seines raschen Fluges Bahn;

wenig kümmert ihn fortan,

ob des Nestes Ruh ihm fehle:

Und ich soll, bei größrer Seele,

minder Freiheit nur empfahn?

Auch das Raubtier wird; wie nur

kaum sein Fell die schönen Flecken,

einem Sternbild gleich, bedecken

(dank dem Pinsel der Natur!),

sucht es schon der Beute Spur;

dem Bedürfnis Untertan,

folgt es grausam seiner Bahn,[15]

labyrinthisch Ungeheuer:

Und ich soll, bei edlerm Feuer,

minder Freiheit nur empfahn?

Auch der Fisch im feuchten Leer

wird, aus Laich und Schlamm entsprossen;

kaum nun, als ein Kahn mit Flossen,

sieht er sich im weiten Meer,

und schon streift er rasch umher;

fast genügt dem kecken Wahn

nicht die unermeßne Bahn,

um den Wandertrieb zu stillen:

Und ich soll, bei kräft'germ Willen,

minder Freiheit nur empfahn?

Auch der Bach wird, eine Schlange,

zwischen Blumen sich verbreitend;

kaum als Silbernatter gleitend,

feiert er im Ringelgange

mit melodischem Gesange

Blumen, die ihn mild umfahn;

denn die Allmacht hat zur Bahn

ihm die freie Flur erlesen:

Und ich soll, bei höherm Wesen,

minder Freiheit nur empfahn?

Ein Vulkan, ein Ätna heißen

kann ich bei so wilden Schmerzen;

Stücke von dem eignen Herzen

möcht ich aus der Brust mir reißen.

Welches Urteil kann entreißen,

welch Gesetz, dem Menschen eben

dieses Recht zu freiem Leben,[16]

dies Geschenk der höchsten Milde,

welches Gott sogar dem Wilde,

Vogel, Fisch und Bach gegeben?

ROSAURA.

Was ich hörte, was ich sah,

wecket Mitleid mir und Zagen.

SIGISMUND.

Wer behorchte meine Klagen?

Ist's Clotald?

CLARIN zu Rosaura.

Sagt doch nur ja.

ROSAURA.

Ein Unsel'ger nur ist da,

der vernahm, wie deinen Geist

trübe Schwermut mit sich reißt.

SIGISMUND.

Nun wohlan, dein Leben misse!

Wissen sollst du nicht, ich wisse,

daß du meine Schwäche weißt.

Weil du hörtest, deshalb nur

will ich mit den nerv'gen Armen

dich zerreißen ohn Erbarmen.


Er faßt sie an.[17]


CLARIN.

Ich bin taub, Herr; ich erfuhr

nichts von Euch.

ROSAURA.

Gab die Natur

dir ein menschlich Herz zu eigen,

oh, so laß die Strenge schweigen!

SIGISMUND.

Mir bewegt dein Ton die Brust,

gibt dein Anblick süße Lust,

schafft Verwirrung dein Bezeigen.

Sprich, wer bist du? Kenn ich zwar

nur so wenig von der Welt,

daß der Turm, wo man mich hält,

Wieg und Grab zugleich mir war;

ward ich hier auch nichts gewahr,

seit ich lebend mich betrachte

(wenn ich dies für Leben achte),

als der Wildnis grause Not,

wo ich als lebendig tot

oder tot lebendig schmachte;

sah und sprach bis diese Stunde

ich auch nur den einen hier,

der von Erd und Himmel mir

gab, aus Mitleid, ein'ge Kunde;

muß ich gleich mit wahrem Grunde

(mag dein Abscheu auch entbrennen

und mich menschlich Untier nennen)[18]

zwischen Graun und Schreckgebild,

unter Menschen mich als Wild,

unterm Wild als Mensch erkennen;

lernt ich gleich, so elend schmachtend,

den Begriff der Politik,

auf der Vögel Republik

und das Reich des Wildes achtend,

maß der Sterne Bahn, betrachtend

ihrer Chöre stille Reihn:

Dennoch konntest du allein

meine Qual zu lindern taugen

und das Staunen meiner Augen,

meines Ohrs Bewundrung sein.

Ja, mit jedem Blick zu dir

wird dies Staunen mir erneuert,

und ein jeder Blick befeuert,

dich zu sehn, den Wunsch in mir.

Meinen Augen scheinet hier

ew'ger Durst bevorzustehen;

Trunk ist tödlich; dennoch stehen

sie nicht ab, und seh ich klar,

sehen bringe Todsgefahr,

sterb ich hin, um nur zu sehen.

Wohl, ich sehe dich, und sterbe!

Weiß ich, der schon jetzt verdirbt,

wenn das Sehn mir Tod erwirbt,

was das Nichtsehn mir erwerbe?

Mehr wär's als der Tod mir herbe,

mehr als Grimm und Wut und Not;

Tod wär's. So, was mich bedroht,[19]

muß ich zu ergründen streben;

denn des Unbeglückten Leben

ist wie des Beglückten Tod.

ROSAURA.

Vor Erstaunen, dich zu sehn,

zu vernehmen deine Klagen,

weiß ich kaum ein Wort zu sagen,

weiß ich Rede nicht zu stehn.

Eins nur: mir ist Heil geschehn,

da des Himmels milde Hand

heute mich hieher gesandt;

wenn's im Leiden kann erquicken,

einen andern zu erblicken,

der noch größres Leid empfand.

Man erzählt von einem Weisen,

der so elend leben mußte,

daß er nur mit Kräutern wußte,

die er auflas, sich zu speisen.

»Kann die Erde«, sprach er, »weisen

etwas Ärmers als mein Leben?«

Antwort ward ihm, da er eben

um sich sah; ein andrer Weiser

war bemüht, die kahlen Reiser,

die er wegwarf, aufzuheben.

Unter Kummer und Beschwerde

lebt ich auf der Welt und klagte;

aber als ich zu mir sagte:

›Ist ein Mensch wohl auf der Erde,

dem das Schicksal schwerer werde?‹,[20]

gabst du tröstend Antwort mir.

Dich betrachtend, fand ich hier,

daß du meiner Leiden Bürde,

die für dich Erquickung würde,

würdest sammeln mit Begier.

Und wenn etwa meine Leiden

könnten Lindrung dir verschaffen,

so hör an und nimm von ihnen,

was ich überflüssig habe.

Ich bin ...


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 11-21.
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La vida es sueño /Das Leben ist Traum: Spanisch/Deutsch

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