10. Szene.

[168] Rosaura, Sigismund, Soldaten.


ROSAURA mit Mantel, Schwert und Dolch.

Großgesinnter Sigismund,

dessen Hoheit, mutentglommen,

aus der Nacht, die sie umschattet,

dringt zu ihrer Taten Morgen;

gleich dem obersten Planeten,

welcher aus dem Arm Aurorens

wiederkehrt mit neuem Schimmer

zu den Pflanzen, zu den Rosen,

und der über Meer und Berge,

wann er kommt mit seiner Krone,

Licht verbreitet, Strahlen funkelt,

färbt die Gipfel, säumt die Wogen:

so erleuchte jetzt die Erde,

strahlenreiche Sonne Polens,

und laß ein unsel'ges Weib,

hingestreckt vor deinem Throne,

Schutz erlangen, weil sie Weib

und unglücklich ist, zwei Worte,

deren jedes hinreicht, jedes

schon zuviel ist zur vollkommnen

Schutzverpflichtung eines Mannes,

der sich rühmt des Heldenlobes.

Dreimal sahest du mich schon,[169]

und dreimal blieb dir verborgen,

wer ich bin; denn dreimal sahst du

andre Tracht an mir und Formen.

Bei dem ersten Mal erschien ich

dir als Mann im felsumschloßnen

Kerker, wo dein elend Dasein

meinem Unglück ward zum Troste.

Bei dem zweiten Mal erblicktest

du als Weib mich, da die stolze

Pracht der Hoheit dir zum Traume

ward, zum Schatten, zum Phantome.

Und das dritte Mal ist heute,

da ich, schier zum Zwitter worden,

bei der Frauen heiterm Schmuck

Männerwaffen mir erkoren.

Aber um dein Mitleid kräft'ger

mir zum Beistand aufzufodern,

wird mir meines unglücksreichen

Lebenslaufs Erzählung frommen.

An dem Hofe Moskaus hat

mich ein edles Weib geboren,

das gewiß von großer Schönheit

mußte sein, ihr Leid erwogen.

Auf sie heftete die Augen

ein Verräter; zwar verborgen

ist sein Name mir geblieben,

doch sein Heldenmut erprobet

sich an meinem; denn, als Abbild

seiner Seele, fühlt die Tochter

in sich kein so edles Blut,[171]

daß sie töricht wähnen sollte,

er sei solch ein Gott wie jener,

der, verwandelt, einst als goldner

Regen, Schwan und Stier sich zeigte

Danaen, Ledan und Europen.

Da ich sorgte, durch Erwähnung

so verrätrischer Historien

abzuschweifen, find ich nun

schon gesagt mit wenig Worten,

daß die Mutter, überredet

durch der Liebe falsches Kosen,

schöner war als dieser keine

und, wie alle, ward verstoßen.

Weil er trügrisch ew'ge Treue

und Vermählung ihr gelobte,

kam's dahin, daß die Erinnrung

weint noch heut um die Betrogne;

denn ihr ließ, so sehr Äneas

seines Trojas, der Treulose

nichts zurück als diesen Degen.

Sei die Klinge noch verborgen;

denn entblößen will ich sie,

eh ich den Bericht geschlossen.

Aus so schlecht gefügtem Bande,

das nicht binden, fesseln konnte

(war es Ehe, war's Verbrechen,

beides kann mir wenig frommen),

stamm ich ab, als meiner Mutter

Abbild und Kopie geboren;

denn ich gleich ihr, nicht an Reiz,[172]

doch an Tun und Leid vollkommen.

Und somit ist schon gesagt,

daß ich wenig Glück genossen

und, als ihres Schicksals Erbin,

gleiches Mißgeschick erprobet.

Was ich mehr vermag zu sagen,

ist der Name des Treulosen,

der mir meines Rufs Trophän,

meiner Ehre Schmuck gestohlen,

Fürst Astolf (weh, bei dem Namen

füllt sich mit Verdruß und Zorne

meine Brust; den Feind zu nennen,

hat notwendig dies zur Folge),

Fürst Astolf war der Verräter,

der, vergessend seiner Wonnen

(leicht entfliegt ja die Erinnrung,

ist die Lieb einmal entflogen),

angelockt vom reichen Glanze

der Erobrung, kam nach Polen

zur Vermählung mit Estrella,

dieser Fackel meines Todes.

Wer wird glauben, wenn ein Stern

der Geliebten Bund geschlossen,

daß ein andrer Stern, Estrella,

nun sie wieder trennen sollte?

Ich, beleidigt, ich, verhöhnet,

war bekümmert, war verworren,

war getötet, kurz, war ich;

dieses heißt; der Hölle Toben

und Verwirrung war im Babel[173]

meines Innern eingeschlossen;

und mich nun für stumm erklärend

(denn es gibt der Leiden solche,

die viel besser durch Gefühle

kund sich geben als durch Worte),

sagt ich meine Leiden schweigend,

bis an einem stillen Morgen

Violante, meine Mutter,

einst den Kerker brach; da wogten

sie hervor aus meinem Busen,

eins vom andern fortgezogen.

Mich verwirrt es nicht zu reden;

denn sobald uns kund geworden,

jemand, dem wir Schwachheit beichten,

sei der Schwachheit Mitgenosse,

hoffen wir, er wird mit milder

Nachsicht uns entgegenkommen;

und so wirkt ein schlimmes Beispiel

manchmal Gutes. Mitleid zollend,

hörte sie mein Leid und stellte

mir ihr eignes vor zum Troste:

War der Richter einst Verbrecher,

oh, wie leicht vergibt ein solcher!

Sie, durch eigne Not gewitzigt,

und um nicht von sorgenloser

Muße, von bequemer Zeit

ihrer Ehre Heil zu borgen,

ließ mich ruhig nicht im Unglück.

Daß ich dem Verführer folgte,

war ihr Rat, und durch die feinste[174]

Kunst der Lieb ihn nöt'gen sollte,

meiner Ehre Schuld zu zahlen.

Um nun leichter fortzukommen,

hüllt ich mich in Männertracht,

meines Schicksals Wink befolgend.

Drauf, ein altes Schwert mir reichend,

dieses, das ich mitgenommen

(nun ist Zeit, daß seine Klinge

sich entblößt, wie ich versprochen),

sprach die Mutter, im Vertrauen

auf dies Merkmal: »Geh nach Polen,

und bemühe dich, daß diesen

Stahl die Edelsten des Hofes

an dir sehn; denn ihrer einer

wird vielleicht wohl mitleidsvollen

Schutz gewähren deinem Unglück,

Rat und Tröstung deinen Sorgen.«

So erreicht ich dieses Land.

Übergehn wir (wiederholen,

was du weißt, war überflüssig),

daß die Wildheit meines Rosses

mich zu deiner Höhle brachte,

wo du staunend sahst mein Kommen.

Übergehn wir, daß Clotald,

rasch von Mitgefühl bewogen,

um mein Leben bat den König,

und daß dieser es verschonte;

daß Clotald, da er erfahren,

wer ich sei, mir riet, ich solle

wechseln meine Tracht, und Dienste[175]

nehmen an Estrellas Hofe,

wo ich stört in seiner Liebe

und Vermählung Fürst Astolfen.

Übergehn wir, daß du nochmals

staunend mich erblicktest dorten,

nochmals zwei Gestalten mengtest,

durch die Kleidung irr geworden;

und vernimm nun, daß Clotald,

überzeugt, es werd erfodert,

daß der Herzog und Estrella

Gatten sei'n und Herrscher Polens,

ehrenwidrig jetzt mir rät,

meinen Anspruch aufzuopfern.

Nun, o tapfrer Sigismund,

da der Rache Zeit gekommen

(denn der Himmel hat entschieden,

daß du nun durchbrechen sollest

niedriger Gefangenschaft

düstern Kerker, wo du wohntest,

an Empfindung fast ein Tier,

an Geduld ein Fels geworden),

da du gegen deinen Vater

und dein Land den Kampf beschlossen,

komm ich, dir zu helfen, mischend

zu Dianens reichem Pompe

der Minerva Kriegesrüstung,

teils gehüllt in seidne Stoffe,

teils bedeckt mit hartem Stahle,

mir vereint zum Schmuck erkoren.

Auf nun, tapfrer Oberherr![176]

Sieh, uns beiden muß es frommen,

zu verhindern, zu vernichten

jenen Bund, den man beschlossen:

Mir, daß der sich nicht vermähle,

der die Ehe mir versprochen;

und dir, daß nicht ihrer Staaten

Bündnis unsres Sieges Glorie,

durch der Stärk und Macht Vermehrung,

zweifelhaft zu machen drohe.

Als Weib komm ich, dich zur Rettung

meiner Ehr itzt aufzufodern;

und als Mann, dich anzufeuern

zur Ergreifung deiner Krone.

Als Weib komm ich, dich zu rühren,

hingeschmiegt zu deinen Sohlen;

und als Mann, dir meines Schwertes,

meines Lebens Dienst zu zollen.

Und so wisse, wenn du heut

mir als Weib mit Liebe drohest,

geb als Mann ich dir den Tod,

zur Verteid'gung fest entschlossen

meiner Ehre; denn ich bin,

sie durch Liebe wiederfordernd,

Weib, um dir mein Leid zu klagen,

Mann, um Ehre zu erobern.

SIGISMUND für sich.

Laß, o Himmel, träum ich Wahrheit,

mein Gedächtnis plötzlich stocken![177]

Denn unmöglich hält ein Traum

so viel Ding in sich geschlossen.

Stehe Gott mir bei! Wer könnte

glücklich aus dem allen kommen,

oder auch an keines denken?

Gibt es Zweifel, qualenvoller?

Wenn ich jene Hoheit träumte,

die mich dort umgab, wie konnte

dieses Weib so unfehlbare

Zeichen jetzt mir wiederholen?

Wahrheit also war's, kein Traum!

Und wenn Wahrheit (was mir Sorgen

nicht geringrer Art erweckt):

wie kann meines Lebens Folge

Traum es nennen? Gleicht dem Traume

denn die Hoheit so vollkommen,

daß man diese, wenn auch wahr,

achtet manchmal für erlogen,

und erdichtete für wirklich?

Sind sie nur so schwach gesondert,

daß man fragen muß, ob das,

was gesehn wird und genossen,

Wahrheit oder Lüge sei?

Haben Bild und Nachbild solche

große Gleichheit, daß ein Zweifel,

welches echt sei, würd erhoben?

Ist es so, und muß man endlich

sehn verschwinden gleich Phantomen

alle Majestät und Pracht,

alle Größe, Macht und Glorie:[178]

So gebrauchen wir die Zeit,

die uns hier zuteil geworden,

weil man nur in ihr genießet,

was in Träumen wird genossen.

Mich entflammt Rosauras Reiz,

meiner Macht jetzt unterworfen.

Nutzen wir den Augenblick!

Breche Liebe die Gebote

strenger Ehr und das Vertrauen,

das zum Schutz mich aufgefodert!

Dies ist Traum; und weil's das ist,

laßt uns träumen jetzt von Wonne,

die doch einst in Leid sich wandelt! –

Doch mit meinen eignen Worten

widerleg ich selber mich.

Ist es Traum, ist's eitle Glorie:

Wer, für Glorien der Erde,

möchte Himmelsglorien opfern?

Ist vergangnes Gut nicht Traum?

Wer hat Heldenglück gewonnen,

der, bei dieses Glücks Erinnrung,

zu sich selber nicht gesprochen:

ohne Zweifel träumt ich alles,

was ich sah? Steht diese Probe

mir bevor; ist eine schöne

Flamme des Genusses Wonne,

die in Asche bei dem leisen

Hauch der Morgenluft verlodert:

Laßt uns denn das Ew'ge suchen,

jenen Ruhm, den wandellosen,[179]

wo das Glück kein Schlummer ist

und kein Traumgebild die Krone. –

Ihrer Ehr entbehrt Rosaura;

doch vom Fürsten wird gefodert,

sie zu geben, nicht zu rauben.

Ja, beim Himmel! Die verlorne

will ich wieder ihr erkämpfen,

eher als mir meine Krone.

Fliehn wir der Gelegenheit

mächt'ge Lockung!


Zu den Seinen.


Rührt die Trommeln!

Denn ein Treffen will ich liefern,

eh die düstre Nacht der Sonne

goldnen Schimmer wird begraben

in die dunkelgrünen Wogen.


Will gehen.


ROSAURA.

Herr, warum so schnell enteilst du?

Wie? Mit keinem einz'gen Worte

willst du meinen Kummer trösten,

noch des Herzens Angst belohnen?

Ist es möglich, Herr? Du hältst

Aug und Ohr vor mir verschlossen?

Du verbirgst mir selbst dein Antlitz?

SIGISMUND.

Ja, Rosaura; Ehre fodert,

daß ich jetzt dich hart behandle,[180]

um mein Mitleid dir zu zollen;

Antwort weigert dir mein Mund,

daß die Ehre dir antworte;

reden will ich nicht, weil jetzt

Taten für mich reden sollen,

noch dich anschaun, weil im Drange

solcher harten Qual es not ist,

der Beschauung deiner Ehre

deiner Reize Schaun zu opfern.


Er geht mit dem Heere ab.


ROSAURA.

Welch ein rätselhaft Betragen!

Soll, zu meines Leids Vermehrung,

ich mich nun noch mit Erklärung

doppelsinn'ger Worte plagen?


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 168-181.
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La vida es sueño /Das Leben ist Traum: Spanisch/Deutsch

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