Achtes Kapitel.

[178] Hier erteilt Don Quixote vielen Unglücklichen die Freiheit, die man wider Willen hinführte, wohin sie ungern gingen.


Ci de Hamete Benengeli, der arabische und manchanische Geschichtschreiber, erzählt in dieser hochwichtigen, erhabenen, genauen, lieblichen und gut erfundenen Geschichte, daß, nachdem zwischen dem berühmten Don Quixote von la Mancha und seinem Stallmeister Sancho Pansa obige Reden vorgefallen waren, die im vorigen Kapitel vorgetragen sind, der Ritter die Augen erhob und sah, wie auf der Straße, die er zog, ihm wohl zwölf Menschen zu Fuß entgegenkamen, die, wie die Perlen eines Rosenkranzes, mit den Hälsen auf eine große eiserne Kette gereiht waren und an den Händen Handschellen trugen. Mit ihnen kamen zwei Leute zu Pferde und zwei zu Fuß. Die zu Pferde waren mit geladenen Flinten bewaffnet, die zu Fuß mit Spieß und Schwert, und sowie sie Sancho erblickte, sagte er: »Das ist eine Kette mit Ruderknechten, die der König zwingt, ihm auf den Galeeren zu dienen.«

»Wieso zwingt?« fragte Don Quixote; »wie kömmt der König dazu, irgend jemand zu zwingen?«

»Das sage ich nicht«, antwortete Sancho, »sondern das sind Leute, die man wegen ihrer Verbrechen verurteilt hat und sie zwingt, auf den Galeeren zu dienen.«

»In summa«, versetzte Don Quixote, »wenn ich dich recht verstehe, so gehen jene Leute, die man fortführt, gezwungen und nicht nach eignem freien Willen.«

»Wahrhaftig nicht«, sagte Sancho.[179]

»Da dem so ist«, erwiderte sein Herr, »so tritt hier die Ausübung meines Gewerbes ein, Zwang aufzuheben und den Unglücklichen zu helfen und beizustehen.«

»Bedenkt wohl, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »daß die Gerechtigkeit, die den König vorstellt, keinen Zwang oder Unrecht an dergleichen Leuten begeht, sondern sie werden nur wegen ihrer Verbrechen bestraft.«

Indem kam die Kette mit den Ruderknechten heran, und Don Quixote bat diejenigen, die als Wache mitgingen, mit vieler Höflichkeit, ihm den Grund oder die Gründe gefälligst mitzuteilen, warum man diese Leute auf solche Weise fortführe. Einer von den Wächtern zu Pferde antwortete, daß es Ruderknechte wären, Sklaven Seiner Majestät des Königs, die auf die Galeeren gebracht würden, mehr könne er nicht sagen und mehr sei ihm auch nicht bekannt. »Dessen ungeachtet«, erwiderte Don Quixote, »wünschte ich von jedem insbesondere die Ursach seines Unglücks zu erfahren.« Er fügte noch so viele und höfliche Bitten hinzu, um seinen Wunsch durchzusetzen, daß der andere von der Wache zu Pferde sagte: »Wir haben zwar das ganze Register und alle Urteilssprüche von jenen Nichtswürdigen bei uns, aber wir haben jetzt keine Zeit, sie auszupacken und zu lesen, der Herr darf sie nur selbst befragen, sie werden ihm auf alles Antwort geben, denn diese Menschen tun und sprechen gern Nichtswürdigkeiten.«

Mit dieser Erlaubnis, die sich Don Quixote würde genommen haben, wenn man sie ihm nicht gegeben hätte, ging er nach der Kette und fragte den vordersten, um welcher Sünden willen er in so kläglichen Zustand geraten sei. Dieser antwortete, weil er verliebt gewesen, behandle man ihn so.

»Und für nichts anders?« versetzte Don Quixote. »Bringt man die Verliebten nach den Galeeren, so hätte ich schon seit lange dort rudern müssen.«

»Meine Liebe ist nicht von der Art, wie der Herr meint«, versetzte der Ruderknecht, »meine Leidenschaft war, daß ich einen Korb mit Wäsche mit so heftiger Zärtlichkeit liebte und ihn so kräftiglich umfaßte, daß ich ihn noch nicht mit meinem Willen aus den Armen lassen würde, wenn ihn mir die Justiz nicht mit Gewalt entrissen hätte. Ich war auf der Tat ertappt, eine lange Untersuchung war unnötig, die Sache machte sich bald, ich bekam zweihundert Streiche auf den Buckel, ward zur Zugabe drei Sommer den Wasserenten gewidmet, und damit hat das Ding ein Ende.«

»Was sind Wasserenten?« fragte Don Quixote.

»Wasserenten sind die Galeeren«, antwortete der Ruderknecht, ein Bursche von ungefähr vierundzwanzig Jahren und, wie er sagte, seiner Landsmannschaft nach von Piedrahita.

Don Quixote tat dem zweiten die nämliche Frage, der aber keine Antwort gab, sondern still und schwermütig war; der erste aber antwortete für ihn und sagte: »Dieser, gnädiger Herr, geht mit uns, weil er ein Singvogel ist, ich meine ein Musikus und Sänger.«

»Wie das?« fragte Don Quixote, »Musiker und Sänger werden ebenfalls auf die Galeeren geschickt?«

»Nicht anders«, antwortete der Ruderknecht, »kein böser Ding auf der Welt als in der Not singen.«

»Ich habe vielmehr sagen hören«, sprach Don Quixote, »daß, wer singt, sein Unglück bezwingt.«

»Hier ist es aber umgekehrt«, sagte der Ruderknecht, »denn wer einmal singt, muß zeitlebens weinen.«

»Das ist mir unverständlich«, sagte Don Quixote; einer von der Wache aber antwortete: »Herr Ritter, in der Not singen bedeutet unter diesen rechtlichen Leuten auf der Tortur bekennen; dieser Sünder bekam die Tortur und bekannte, er ist ein Viehdieb und, weil er dies eingestanden hat, auf sechs Jahre auf die Galeeren verurteilt, außer daß er schon zweihundert Hiebe auf den Rücken bekommen hat; er ist immer nachdenklich und traurig, weil ihn die übrigen Schelme, sowohl die zurückgebliebenen als die hier mit ihm gehen, schlecht behandeln und ihn als einen ganz Nichtswürdigen verspotten, weil er bekannt und nicht das Herz gehabt hat, nein zu sagen; denn sie sagen, ein Nein habe nur zwei Buchstaben[180] mehr als ein Ja und daß ein Delinquent kein besser Glück wünschen könne, als daß auf seiner Zungenspitze sein Leben oder sein Tod schwebe, wenn keine andere Zeugen und Beweise gegen ihn sind; und so ganz haben sie meiner Meinung nach nicht unrecht.«

»So scheint es mir ebenfalls«, sagte Don Quixote und wandte sich zum dritten, den er wie die vorigen befragte, der auch behende und mit großer Bereitwilligkeit antwortete: »Ich gehe auf fünf Jahre zu den allerliebsten Wasserenten, weil mir zehn Dukaten mangelten.«

»Zwanzig wollte ich herzlich gern geben«, sagte Don Quixote, »um Euch aus Eurem Unglücke zu lösen.«

»Das kommt mir vor«, antwortete der Ruderknecht, »als wenn einer mitten auf der See Geld hätte und doch Hungers sterben müßte, weil er nirgends einkaufen kann, was er braucht; hätte ich diese zwanzig Dukaten zur rechten Zeit gehabt, die Ihr mir jetzt anbietet, so hätte ich damit die Feder des Schreibers geschmiert und den Kopf meines Sachwalters so aufgeklärt, daß ich mich heute mitten auf dem Platze von Zocodover in Toledo befinden könnte und nicht hier, wie ein Hund angekoppelt, zu gehen brauchte; aber Gott ist mächtig, man muß Geduld haben, und damit gut.«

Don Quixote kam zum vierten, einem Manne mit einem ehrwürdigen Gesichte, dem ein silberweißer Bart bis auf die Brust herunterging; als er diesen nach der Ursache fragte, aus der er fortgeführt würde, fing er an zu weinen und antwortete nichts. Aber der fünfte Gefangene diente zu seinem Dolmetscher und sagte: »Dieser ehrwürdige Mann kömmt auf vier Jahre auf die Galeeren, nachdem er vorher seinen Umzug zu Pferde und in großer Pracht gehalten hat.«

»Also wird er wohl«, sagte Sancho Pansa, »öffentlich am Pranger gestanden haben?«

»Freilich«, versetzte der Ruderknecht, »und sie haben es ihm darum getan, weil er ein Mittler für das Ohr und auch für die übrigen Gliedmaßen gewesen ist, dieser Ritter ist nämlich ein Kuppler und hat nebenher auch einige Streiche als Zauberer ausgeübt.«

»Hättet Ihr nicht diese Streiche erwähnt«, sprach Don Quixote, »so würde ich nicht einsehen, wie er als bloßer Liebesmittler sich die Strafe zugezogen hätte, auf den Galeeren zu rudern, sondern man hätte ihn vielmehr zum General derselben ernennen sollen, denn also müssen die Dienste eines Liebesmittlers belohnt werden; dieses Amt erfordert verständige Leute und ist in einem gut eingerichteten Staate von äußerster Notwendigkeit, so wie es immer Leute von gutem Herkommen ausüben müßten. Man sollte auch Aufseher und Examinatoren über sie ansetzen, wie es bei den übrigen Ämtern geschehen ist, mit Unterbedienten, wie die Mäkler auf der Börse sind. Auf diese Weise würde vielen Übeln vorgebeugt werden, die daher entstehen, daß sich unwissende und einfältige Menschen mit diesem Amte befassen, wie es mehr oder weniger alle die alten Weiber, schlechte Pagen und Lustigmacher sind, die wenige Jahre und noch weniger Erfahrung besitzen und die bei wichtigen Vorfällen, oder wenn es vonnöten ist, einen gescheiten Anschlag zu machen, dastehen, als wenn ihnen der Verstand verregnet wäre, und kaum wissen, welche ihre rechte oder linke Hand ist. Ich könnte hierüber noch weitläuftiger sein und Gründe anführen, warum es gut sei, diejenigen auszuwählen, die im Lande diesem so notwendigen Amte vorstehen müßten, doch ist hier nicht dazu der schickliche Ort, ich werde es aber einmal denen vortragen, die Einfluß haben und die Sache einrichten können. Ich will nur noch hinzufügen, daß das Mitleid, welches diese silberweißen Haare, dieses ehrwürdige Gesicht und diese schwere Strafe, nur für Liebesvermittelung, bei mir erregten, sehr durch den Zusatz der Zauberei vermindert ist; ob ich gleich einsehe, daß keine Zauberei in der Welt vermögend ist, den Willen zu verändern und zu bezwingen, wie einige Einfältige glauben, denn unser Geist ist frei, und weder Kräuter noch Zauberkünste können ihn überwältigen. Was alte, einfältige Weiber und nichtswürdige Schelmen wohl zu tun pflegen, ist, daß sie Gifte mischen,[181] die den Menschen töricht machen, womit sie meinen, so gewaltig zu sein, Liebe zu erregen, da es doch, wie gesagt, unmöglich ist, den freien Willen zu zwingen.«

»So ist es auch«, sagte der wackre Greis, »und wahrhaftig, gnädiger Herr, ob ich gleich in der Zauberei unschuldig war, so konnte ich doch das Liebesmittel nicht leugnen, ich glaubte aber damit nichts Böses zu tun, denn meine lautere Absicht war, daß alle Leute fröhlich sein möchten, in Ruhe und Frieden leben, ohne Hader und Zwietracht; aber dieser gute Wille hat mir nichts geholfen, ich muß dahin, von wo ich gewiß nicht wiederkomme, denn ich bin schon alt und habe außerdem noch ein Übel in der Blase, das mir keinen Augenblick Ruhe läßt.«

Er fing hierauf von neuem an zu weinen, wodurch Sancho so gerührt ward, daß er einen Real aus dem Busen zog und ihn ihm als ein Almosen reichte. Don Quixote ging weiter und fragte den folgenden nach seinem Vergehen, der viel fröhlicher als der vorige antwortete: »Ich gehe dorthin, weil ich zu übermäßig mit zwei verschwisterten Muhmen scherzte und mit zwei andern Schwestern, die mir nicht verwandt waren, kurz, ich trieb den Scherz so ins mannigfaltige, daß durch all dies Scherzen eine so verworrene Verwandtschaft entstand, daß sie kein Genealogist wieder ins reine zu bringen vermag. Alles kam aus, Freunde fehlten, Geld mangelte, so war ich nahe daran, den Hals hergeben zu müssen, und auf sechs Jahre zu den Galeeren verdammt wurde. Mir ist es recht, es ist meine Strafe, ich bin jung, das Leben geht fort, und nur mit dem Tode ist alles aus. Wollt Ihr, Herr Ritter, diesen armen Schelmen eine Gabe mitteilen, so wird es Euch Gott im Himmel belohnen, und wir auf Erden wollen sorgfältig in unsern Gebeten zu Gott bitten, daß er Euch Leben und Wohlsein in so vollem Maße schenke, wie es Euer edler und trefflicher Charakter verdient.«

Dieser war wie ein Student gekleidet, und einer von der Wache sagte, daß er ein großer Schwätzer und bedeutender Gelehrter sei. Diesen allen folgte ein Mann von guter Bildung, wohl dreißig Jahre alt, nur daß er mit einem Auge nach dem andern schielte; die Weise, wie er angefesselt war, war von der übrigen ein wenig unterschieden, denn am Fuße hatte er eine so große Kette, daß sie sich ihm um den ganzen Leib wickelte; am Halse trug er zwei Ringe, von denen der eine zur Kette gehörte, am andern aber ein sogenannter aufmerksamer Freund befestigt war, denn zwei Eisenstäbe zogen sich von oben bis zum Gürtel herunter, wo sie sich wieder in zwei Ringen endigten, an welchen seine beiden Hände mit zwei großen Schlössern angeschlossen waren, so daß er weder die Hände zum Munde erheben noch auch den Kopf zu den Händen herunterbeugen konnte. Don Quixote fragte, warum dieser Mann so viel mehr Eisen als die übrigen an sich habe. Der Wächter antwortete, weil er allein mehr Verbrechen als alle übrigen zusammen begangen habe und daß er so verwegen und listig sei, daß sie ihn immer noch nicht sicher glaubten, wenn sie ihn auch so gefesselt hätten, sondern stets seine Flucht befürchteten.

»Welche Verbrechen«, sagte Don Quixote, »kann er begangen haben, wenn er keine größere Strafe als die Galeeren verdient?«

»Er ist auf zehn Jahre verurteilt«, versetzte der Wächter, »und das ist so gut wie der Tod; man braucht nicht mehr zu wissen, als daß dieser redliche Mann der berüchtigte Gines von Pasamonte ist, sonst auch Ginesillo von Parapilla genannt.«

»Herr Commissarius«, rief sogleich der Ruderknecht, »bleiben wir ruhig und geziemlich, unterlassen wir es, uns in Namen und Zunamen zu verwickeln! Gines ist mein Name und nicht Ginesillo, und Pasamonte heißt meine Familie und nicht Parapilla, wie Ihr mich nennt, und jeder sorge nur für sich, und er wird genug zu tun finden.«

»Nicht so hochmütig!« versetzte der Commissarius, »du mein Herr Spitzbube von der ersten Sorte, wenn ich dich nicht zum Schweigen bringen soll, wie es dir gewiß nicht lieb ist.«[182]

»Es scheint wohl«, versetzte der Ruderknecht, »daß es dem Menschen so geht, wie es Gott gefällt; aber man wird es dereinst erfahren, ob ich mich Ginesillo von Parapilla nenne oder nicht!«

»Nennen sie dich denn nicht so, Straßenräuber?« fragte der Wächter.

»Ja«, antwortete Gines, »aber ich will's schon dahin bringen, daß sie mich nicht so nennen, oder ein Ding tun, was ich schon weiß. Wenn Ihr uns, Herr Ritter, etwas geben wollt, so gebt her und geht mit Gott, denn es wird langweilig, so sehr sich nach anderer Leuten Lebensumständen zu erkundigen; wollt Ihr aber die meinigen erfahren, so wißt, daß ich Gines von Pasamonte bin und meinen Lebenslauf mit diesen Fingern niedergeschrieben habe.«

»Er sagt die Wahrheit«, versetzte der Commissarius, »er hat selbst seine Geschichte niedergeschrieben, so gut man es nur verlangen kann, er hat das Buch im Gefängnisse für zweihundert Realen als Pfand zurückgelassen.«

»Und ich will es einlösen«, sagte Gines, »und wenn ich zweihundert Dukaten darauf bekommen hätte.«

»So gut ist das Buch?« fragte Don Quixote.

»Es ist so gut«, antwortete Gines, »daß der ›Lazarillo von Tormes‹ dagegen nichts ist, und ebenso alle übrigen, die in dieser Gattung geschrieben sind oder noch geschrieben werden können; ich kann Euch so viel davon sagen, daß es lauter Wahrheit enthält, und diese Wahrheiten sind so anmutig und lustig, daß es keine Erfindungen gibt, die sich ihnen vergleichen dürfen.«

»Und wie ist der Titel dieses Buches?« fragte Don Quixote.

»›Das Leben des Gines von Pasamonte‹«, antwortete jener.

»Und ist es fertig?« fragte Don Quixote.

»Wie kann es fertig sein«, antwortete Gines, »da mein Leben noch nicht fertig ist? Was ich geschrieben habe, hebt mit meiner Geburt an und beschließt da, wie ich jetzt wiederum auf die Galeeren gesandt werde.«

»Also seid Ihr schon sonst dort gewesen?« fragte Don Quixote.

»Gott und meinem Könige zu dienen, bin ich schon einmal vier Jahre darauf gewesen, ich weiß schon, wie der Zwieback und die Karbatsche schmecken«, antwortete Gines, »aber ich gräme mich nicht sonderlich, wieder hinzukommen, denn ich werde dort Zeit haben, mein Buch fertigzumachen, in dem mir noch viele Dinge auszuführen übriggeblieben sind, und auf den spanischen Galeeren ist immer mehr Ruhe, als ich dazu brauche, ich brauche freilich auch nicht zum Niederschreiben viele Zeit, denn ich weiß alles schon auswendig.«

»Du bist geschickt«, sagte Don Quixote.

»Und unglücklich«, antwortete Gines, »denn das Unglück verfolgt immer die vorzüglichen Geister.«

»Die Spitzbuben verfolgt es«, sagte der Commissarius.

»Ich habe schon gesagt, Herr Commissarius«, antwortete Pasamonte, »laßt uns ruhig und geziemlich bleiben, die Herren haben Euch Euren Stab nicht dazu anvertraut, die armen Schelme zu mißhandeln, die unter Euch stehen, sondern daß Ihr sie führt und dahin bringt, wohin der Befehl Ihrer Majestät lautet, tut Ihr anders, bei meiner Seele – – – Nun, genug! Aber vielleicht gehen einmal in der Wäsche alle die Flecken aus, die in der Schenke angeschmiert sind, und alle Welt sei ruhig und lebe wohl und spreche besser, und laßt uns weiterziehen, denn dies Wesen ist über die Gebühr langweilig.«

Der Commissarius erhob seinen Stab, um dem Pasamonte auf seine Drohungen zu antworten, aber Don Quixote legte sich dazwischen und bat, ihn nicht zu schlagen, denn es wäre nicht unnatürlich, wenn einer, dem die Hände so fest gebunden wären, der Zunge ein wenig mehr Freiheit ließe; worauf er sich gegen alle an der Kette wandte und sprach: »Aus alledem, was Ihr mir gesagt habt, vielgeliebten[183] Brüder, habe ich so viel verstanden, daß, wenn Ihr gleich für Vergehungen gestraft werdet, Ihr Euch doch mit Widerwillen Eurer Züchtigung unterwerft und sehr ungern und gegen Euren Willen derselben entgegenwandelt. Auch ist es wohl möglich, daß der wenige Mut, den dieser auf der Tortur bewies, der Geldmangel bei jenem, bei diesem der Mangel an Freunden und überhaupt das schlechte Urteil des Richters Ursache Eures Unglücks ist und daß Ihr nicht die Gerechtigkeit gefunden habt, die Euch eigentlich zukam; welches alles sich jetzt so meinen Gedanken vorstellt, daß ich angereizt, überredet, ja gezwungen bin, Euch den Zweck deutlich zu machen, zu welchem der Himmel mich auf die Erde versetzte und den Orden der Ritterschaft, den ich bekleide, erwählen hieß, als in welchem es mein Gelübde erheischt, ein Freund der Hülfsbedürftigen zu sein, wie aller, die unter dem Drucke der Gewalt seufzen. Da mir aber bekannt ist, wie es eine Regel der Klugheit fordert, das nicht im Bösen zu tun, was sich im Guten ausrichten läßt, so ergeht meine Bitte an diese Herren der Wache und den Herrn Kommissar, Euch gefälligst loszufesseln und in Frieden gehen zu lassen, da es nicht an Leuten mangeln wird, die dem Könige auf bessere Weise dienen mögen, denn mir scheint es etwas Hartes, diejenigen zu Sklaven zu machen, die Gott und die Natur als freie Leute geboren werden ließ. Überdies, meine Herren Wächter«, fuhr Don Quixote fort, »haben ja diese Unglückseligen Euch selbst nichts getan; mag jeder für sich selbst seine Sünden verantworten, denn Gott im Himmel lebt, der es sich vorbehält, das Böse zu bestrafen und das Gute zu belohnen, und es ziemt sich nicht, daß ehrliche Männer die Henker anderer Männer sind, die ihnen nichts zuleide taten. Ich bitte Euch deshalb mit dieser Ruhe und Freundlichkeit, damit ich Euch danken könne, wenn Ihr mein Begehren erfüllt, falls Ihr es aber nicht auf diesem Wege ausrichtet, so steht diese Lanze, dieses Schwert meinem tapfern Arme zu Gebote, um Euch mit Gewalt zu zwingen, es also zu vollstrecken.«

»Allerliebste Dummheit!« rief der Commissarius, »ein mausköpfiger Spaß, mit dem die lange Predigt schließt! Wir sollen die Sklaven des Königs freilassen! Als wenn wir die Macht hätten, das zu tun, oder er da, es uns zu befehlen. O geht, mein Herr, mit Gott und setzt Euch auf dem Kopfe Euer Bartbecken zurecht und sucht nicht umher nach einer dreibeinigen Katze.«

»Ihr seid selbst die Katze und die Maus, und du Spitzbube!« antwortete Don Quixote. Und Knall und Fall rannte er ihn so schnell an, daß jener nicht Zeit hatte, sich zur Wehr zu setzen, sondern von einem Lanzenstich schwer verwundet zu Boden stürzte, wobei es sich so glücklich traf, daß es derselbe war, der die Flinte führte. Die übrige Wache erstaunte und erschrak über diesen unerwarteten Angriff, da sie sich aber wieder sammelten, zogen die zu Pferde die Degen, die zu Fuß ergriffen ihre Spieße, und alle machten sich über Don Quixote, der sie mit aller Geistesruhe erwartete. Ohne Zweifel wäre es ihm übel ergangen, wenn nicht die Ruderknechte, da sie diese günstige Gelegenheit, sich frei zu machen, sahen, sie in der Tat benutzt hätten, indem sie die Kette, an der sie aufgereiht waren, zu zerbrechen suchten. Hierauf entstand eine solche Verwirrung, daß die Wachen, bald zu den Ruderknechten laufend, die sich losmachten, bald Don Quixote angreifend, der sie angriff, durchaus nichts Zweckmäßiges ausrichteten. Sancho seinerseits half dem Gines Pasamonte aus seinen Eisen heraus, der zuerst frei und ohne alle Fesseln im Felde herumlief, sich über den niedergestürzten Commissarius machte und ihm Degen und Flinte abnahm; hierauf legte er die Flinte bald auf diesen an, bald zielte er nach jenem, ohne loszuschießen, so daß bald keiner von der Wache mehr das Feld behauptete, denn alle entflohen, teils vor der Flinte des Pasamonte, teils vor den vielen Steinwürfen, mit denen sie die schon frei gewordenen Ruderknechte verfolgten. Sancho war über diese Begebenheit sehr betrübt, denn er war überzeugt, daß die Entfliehenden sogleich der Heiligen Brüderschaft den ganzen Vorfall anzeigen würden, die dann Sturmglocken läuten und mit ihren Scharen eine Streife anstellen dürfte, um die Verbrecher einzufangen; dieses trug er auch[184] seinem Herrn vor und bat ihn, sich eiligst zu entfernen, damit sie sich in das nah gelegene Gebirge verstecken könnten. »Es mag darum sein«, sagte Don Quixote, »aber ich weiß, was mir vorerst zu tun obliegt.« Worauf er denn alle Ruderknechte zusammenrief, die sich schon zerstreut und den Kommissär bis aufs Hemd ausgezogen hatten; sie stellten sich um ihn her, um zu sehen, was er haben wollte, er aber sagte: »Braven Leuten steht es gut an, für empfangene Wohltaten dankbar zu sein, und Undankbarkeit ist eine derjenigen Sünden, durch welche man Gott am meisten erzürnt; dieses sage ich, weil Ihr, meine edlen Herren, gesehen und deutlich genug erfahren habt, wie Großes Ihr von mir empfangen; zum Lohn dafür wünsche und begehre ich, daß Ihr diese Kette, die von Eurem Halse abfiel, wieder auf Euch nehmt, Euch gleich auf den Weg macht und Euch nach der Stadt Toboso begebt, um Euch dort der Dame Dulcinea von Toboso zu präsentieren, ihr sagend, daß ihr Ritter, der von der traurigen Gestalt, Euch sende und schicke, worauf Ihr denn Punkt für Punkt alles erzählen sollt, was sich in diesem berühmten Abenteuer bis zu Euer wirklichen Befreiung zugetragen hat; ist dieses vollbracht, so könnt Ihr in Gottes Namen gehen, wohin es Euch gefällt.«

Im Namen der übrigen antwortete Gines von Pasamonte: »Was Ihr uns da, gnädiger Herr und unser Erretter, auftragt, ist von der äußersten Unmöglichkeit, es auszurichten, denn wir können nicht in Gesellschaft auf den Straßen ziehen, sondern einzeln und getrennt und jeder für sich besorgt, um uns, wo möglich, in die Eingeweide der Erde zu verkriechen, damit uns nur die Heilige Brüderschaft nicht findet, die gewiß Jagd auf uns macht. Was Ihr tun mögt und mit Billigkeit tun könnt, ist diese Dienstleistung und Wanderschaft nach der Dame Dulcinea von Toboso in eine Anzahl Ave-Marias und Credos zu verwandeln, die wir zu Eurem Besten abbeten wollen, denn das läßt sich bei Tag und Nacht, auf der Flucht und auf der Ruhe, in Krieg und Frieden tun; aber zu glauben, daß wir wieder zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurückkehren werden, ich meine, daß wir unsre Kette wieder aufnehmen und uns damit auf den Weg nach Toboso machen sollen, ist, als wollte man glauben, es sei jetzt Nacht, da es doch zehn Uhr morgens ist, und es von uns verlangen heißt Birnen vom Ulmbaum fordern.«

»Aber ich schwöre«, sagte Don Quixote sehr ergrimmt, »Ihr Don Hurensohn oder Don Ginesillo von Paropillo, oder wie Ihr sonst heißen mögt, daß Ihr ganz allein gehen sollt, alle Eure Eisen zwischen den Beinen und die ganze Kette über den Buckel gehängt!«

Pasamonte, der nicht von geduldiger Gemütsart war, auch schon daraus begriffen hatte, daß Don Quixote nicht gescheit sei, indem er das tolle Unternehmen angefangen, sie frei zu machen, gab, da er sich so schlecht behandelt sah, seinen Kameraden einen Wink, die sich alsbald von allen Seiten entfernten und einen solchen Hagel von Steinen nach Don Quixote schleuderten, daß er nicht Hände genug hatte, um sich mit seinem Schilde zu schirmen, wobei der arme Rozinante sich aus allen Spornen nichts mehr machte, als wenn er aus Erz gegossen wäre. Sancho kroch hinter seinen Esel und verbarg sich dort vor dem Sturmwetter von Steinen, das auf sie beide herabstürzte. Don Quixote konnte sich nicht so ganz verschilden, daß ihn nicht einige Kiesel so gewaltig auf den Leib getroffen hätten, daß sie ihn auf die Erde warfen. Er war kaum niedergefallen, als sich der Student über ihn machte, ihm das Bartbecken vom Kopfe nahm, ihm damit drei oder vier Schläge auf den Rücken gab und es so lange gegen die Erde schmiß, daß es beinah in Stücke brach; sie nahmen ihm überdies einen Waffenrock ab, den er über der Rüstung trug, und hätten ihm ohne Zweifel selbst die Strümpfe ausgezogen, wenn sie daran nicht der Beinharnisch gehindert hätte. Dem Sancho nahmen sie seinen Regenmantel und ließen ihn entkleidet, worauf sie untereinander die in der Schlacht gewonnene Beute verteilten und jeder sich nach einer andern Gegend davonmachte, eifriger besorgt, der furchtbaren Brüderschaft zu entwischen als sich mit der Kette zu beladen und sich vor der Dame Dulcinea von Toboso zu präsentieren.[185]

Der Esel und Rozinante, Sancho und Don Quixote blieben einsam zurück, der Esel kopfhängend und nachdenklich, indem er je zuweilen die Ohren schüttelte, wohl in der Meinung, daß der Steinregen, der seine Ohren getroffen, noch nicht aufgehört habe; Rozinante, neben seinem Herrn hingestreckt, ebenfalls durch einen Wurf niedergestürzt; Sancho, ohne Mantel und in Furcht vor der Heiligen Brüderschaft; Don Quixote ungemein verdrießlich, sich so schlecht von denen behandelt zu sehen, denen er so große Wohltat erwiesen hatte.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 178-186.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Quijote
El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha: Selección. (Fremdsprachentexte)
Don Quijote
Don Quijote: Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha Roman
Don Quijote von der Mancha Teil I und II: Roman
Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon