Drittes Kapitel.

[132] Enthält die Fortsetzung der mannigfaltigen Mühseligkeit, die den braven Don Quixote und seinen wackern Stallmeister in der Schenke betrafen, die er zu seinem Unglück für ein Kastell ansah.


Um diese Zeit hatte sich Don Quixote von seiner Betäubung erholt, und mit demselben Ton der Stimme, mit welchem er am vorigen Tage seinen Stallmeister angerufen hatte, als er im Tale der Krippenstangen zu Boden gestreckt war, fing er auch jetzt wieder an: »Freund Sancho, schläfst du? Schläfst du, Freund Sancho?«

»Wie zum Henker soll ich denn schlafen?« antwortete Sancho voller Verdruß und Ärgernis, »es ist ja nicht anders, als wenn in dieser Nacht sich alle Teufel über mich hergemacht hätten.«

»Du kannst gewißlich versichert sein«, antwortete Don Quixote, »daß ich entweder ohne alle Kenntnisse bin oder daß dieses Kastell hier ein verzaubertes ist, denn du mußt erfahren – – – Aber schwöre, daß du das, was ich dir jetzt sagen werde, als ein Geheimnis bis nach meinem Tode aufbewahren willst.«

»Ich schwöre«, antwortete Sancho.

»Ich sage dieses nur«, fuhr Don Quixote fort, »weil es mir verhaßt ist, die Ehre von irgend jemanden zu kränken.«

»Nun, ich sage ja, daß ich schwöre«, entgegnete Sancho, »ich will es ja verschweigen, bis Euer Gnaden tot ist, und wollte Gott, ich dürfte es morgen schon entdecken.«

»Tue ich dir denn so viel Böses, Sancho, daß dein Wunsch meinem Leben eine so nahe Grenze steckt?«[133]

»Das ist nicht deswegen«, versetzte Sancho, »sondern es ist mir nur verhaßt, die Sachen lange aufzuheben, und da möchte ich nicht, daß sie vor dem Aufheben verfaulen möchten.«

»Es sei also, weshalb es immer sei«, sagte Don Quixote, »denn ich vertraue mehr deiner Liebe und Höflichkeit; du mußt also wissen, daß mir in dieser Nacht eins der seltsamsten Abenteuer aufgestoßen ist, das ich wohl zu schätzen verstehe, und um es dir mit wenigem zu sagen, so erfahre, daß unlängst die Tochter des Herrn dieses Kastells zu mir kam, die zarteste und schönste Jungfrau, die in einem großen Teile der Erde zu finden ist. Was soll ich dir von den Reizen ihrer Person sagen? Was von ihrem vorzüglichen Verstande? Was von andern verborgenen Dingen, die ich lieber unberührt und im Stillschweigen vergraben lasse, um die Treue nicht zu brechen, die ich meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso gelobt habe? Nur das will ich hinzufügen, daß der Himmel, neidisch über das edle Gut, welches das Glück mir in die Arme geführt hatte, oder vielleicht – und vielmehr ist dieses Gewißheit – weil, wie schon gesagt, dieses Kastell verzaubert ist, es geschah, daß eben, da ich in den süßesten und liebevollsten Gesprächen begriffen war, ohne daß ich sehen oder wissen konnte, woher sie komme, eine Hand kam, die dem Arme eines ungeheuren Riesen angehörte, und mir einen solchen Schlag auf den Backen gab, daß das Blut herausstürzte, worauf ich überdies noch so zerschlagen wurde, daß ich mich weit schlimmer als gestern befinde, als die Treiber der Unenthaltsamkeit des Rozinante halber uns die Ungebühr zufügten, deren du dich erinnern wirst. Woraus ich den Schluß ziehe, daß der Schönheitsschatz dieser Jungfrau von irgendeinem verzauberten Mohren bewacht und mir nicht zugedacht ist.«

»Und mir auch nicht«, antwortete Sancho, »denn über vierhundert Mohren haben mich dermaßen zusammengeprügelt, daß das mit den Krippenstangen nur Konfekt und Marzipan dagegen ist. Aber sagt mir nur, wie Ihr das für ein schönes und herrliches Abenteuer halten könnt, da wir doch das genossen haben, was man uns gereicht hat? Euer Gnaden freilich nicht so schlimm, denn Ihr habt doch, wie Ihr sagt, die unvergleichliche Schönheit in den Armen gehabt; aber ich? nichts als die kräftigsten Püffe, die ich noch zeit meines Lebens gefühlt habe. Ich Unglückseliger! Ich bin zum Unglücke auf die Welt gekommen! Ich bin kein irrender Ritter und denke es auch niemals zu sein, und doch muß ich von allen Balgereien das Beste abkriegen!«

»Also bist du ebenfalls geprügelt?« fragte Don Quixote.

»Habe ich es denn, zum Teufel, nicht schon gesagt?« rief Sancho.

»Gib dich zur Ruhe, mein Freund«, antwortete Don Quixote, »denn ich will alsbald den köstlichen Balsam verfertigen, der uns in einem Umsehen ganz gesund machen soll.«

Indem hatte der Häscher sein Licht wieder angezündet und kam nun herein, um nach dem vermeintlichen Toten zu sehen; wie ihn nun Sancho hereintreten sah, im Hemde, mit einem Tuche um den Kopf, die Lampe in der Hand und einem ziemlich widerwärtigen Angesichte, fragte er seinen Herrn: »Gnädiger Herr, sollte das wohl der verzauberte Mohr sein, der von neuem zu prügeln anfangen will, weil er noch im Fasse was behalten hat?«

»Der Mohr kann er nicht sein«, antwortete Don Quixote, »denn die Verzauberten lassen sich vor niemanden blicken.«

»Lassen sie sich nicht blicken, so lassen sie sich fühlen«, sagte Sancho, »das kann mein Rücken bezeugen.«

»Das könnte der meinige ebensowohl«, erwiderte Don Quixote, »aber dieses ist dennoch kein hinreichendes Anzeichen, um jenen dort für den verzauberten Mohren zu halten.«

Der Häscher kam näher, und da er die beiden in einem so ruhigen Gespräche antraf, stand er voll Erstaunen still. Don Quixote lag aber immer noch mit aufgerecktem Gesichte da, weil er sich, so zerschlagener war, nicht regen oder bewegen konnte. Der Häscher ging also zu ihm und sagte: »Nun, wie steht es, mein guter Kerl?«

»Ich würde mich anständiger ausdrücken«, erwiderte Don Quixote, »wenn ich an Eurer Stelle wäre. Spricht man hierzulande so mit irrenden Rittern, Ihr Lümmel?«

Der Häscher, der sich von einem so schlecht aussehenden Menschen so schlecht behandeln sah, verlor die Geduld und warf die Lampe mit allem Öle an Don Quixotes Kopf, worauf er ihn mit zerschlagenem Kopfe liegen ließ und in der Finsternis gleich wieder hinausging. Sancho Pansa sagte: »Ganz gewiß, gnädiger Herr, ist dieses der verzauberte Mohr, der für andere den Schatz aufheben muß, für uns aber nur Faustschläge und Lampenschmisse aufhebt.«

»So ist es«, antwortete Don Quixote, »und es ist nichts weiter gegen dergleichen Zauberdinge zu tun, wie es denn auch unnütz ist, sich darüber zu ärgern und zu erzürnen, denn sie sind nur unsichtbare Phantome, so daß wir an ihnen durchaus keine Rache nehmen können, wenn wir sie auch schaffen wollten; besser ist es, Sancho, du stehst auf, wenn du es vermagst, gehst zum Kommandanten dieser Festung und verschaffst dir etwas Öl, Wein, Salz und Rosmarin, um den heilsamen Balsam zu verfertigen, denn ich glaube, er würde mir jetzt guttun, da vieles Blut aus der Wunde fließt, die mir das Gespenst geschlagen hat.« Mit vielen Schmerzen seiner Gebeine erhob sich Sancho und ging im Finstern hinaus; er begegnete dem Häscher, der auf der Lauer stand, wie es mit seinem Feinde ablaufen würde; zu diesem sagte Sancho: »Wer Ihr auch sein mögt, mein Herr, seid so gut und erzeigt mir die Wohltat, mir ein wenig Rosmarin, Öl, Salz und Wein zu geben, um einen der besten irrenden Ritter auf der ganzen Erde gesund zu machen, der dort im Bette schwer verwundet liegt von den Händen des verzauberten Mohren, der in der Schenke umgeht.«

Nach dieser Rede hielt ihn der Häscher für einen Unsinnigen; da es aber schon anfing Tag zu werden, machte er die Tür der Schenke auf und rief den Wirt, dem er die Bitte dieses verständigen Mannes mitteilte. Der Wirt gab ihm sogleich das Verlangte, und Sancho ging zu Don Quixote zurück, der den Kopf auf den Händen stützte und sich über den Lampenschlag sehr beklagte, der ihm aber kein anderes Übel als zwei tüchtige Beulen zugefügt hatte; denn was er für Blut hielt, war nur Schweiß, den er wegen des überstandenen Ungewitters vergoß. Er nahm nun sogleich die Simpla, aus denen er ein Compositum machte, indem er sie zusammentat und eine gute Zeit kochen ließ, bis sie nach seiner Meinung die gehörige Tüchtigkeit erreicht hatten. Er forderte alsbald eine Flasche, um den Trank hineinzugießen, da aber in der Schenke keine zu haben war, so entschloß er sich, ihn in ein Ölbehältnis aus Blech zu tun, mit welchem ihm der Wirt freiwillig ein Geschenk machte. Hierauf betete er über das Gefäß wohl achtzig Paternoster, ebenso viele Ave-Marias, Salves und Credos, und bei jedem Worte machte er ein Kreuz, wie um einzusegnen; bei diesem ganzen Vornehmen waren Sancho, der Wirt und der Häscher gegenwärtig, denn der Eseltreiber war stillschweigend fortgegangen, um seine Tiere zu warten und zu versorgen.

Nachdem er alles vollbracht hatte, wollte er gleich die Trefflichkeit seines erfundenen köstlichen Balsams probieren, er trank also das Übriggebliebene aus, was er nicht in die Ölflasche hatte füllen können, und es war wohl ein viertel Quart in dem Kochtopfe zurückgeblieben. Er hatte es aber kaum getrunken, als ihn ein so heftiges Erbrechen befiel, daß er nichts im Magen behielt, und durch diese Anstrengung und Ängstigung geriet er in einen starken Schweiß, worauf er befahl, daß man ihn zudecken und allein lassen solle. Sie taten es, und er schlief über drei Stunden, worauf er erwachte und sich so stark fühlte und seine Schmerzen so gelindert, daß er sich für ganz gesund hielt und wirklich glaubte, er besitze nun den Balsam des Fierabras, mit welchem er nun künftig ohne Furcht alle Kämpfe, Schlachten und Händel, seien sie auch noch so gefährlich, bestehen könne.[137]

Sancho Pansa, der die Besserung seines Herrn auch für ein Wunder hielt, bat ihn um das, was noch im Topfe zurückgeblieben sei, welches nicht wenig war; Don Quixote bewilligte ihm dieses, und er ergriff mit vollem Zutrauen und der größten Begierde den Topf mit beiden Händen und trank wohl ebensoviel als sein Herr hinunter. Der Magen des armen Sancho mußte aber von schwächerer Reizbarkeit sein, denn vor dem Erbrechen hatte er solche Beängstigungen, wobei er schwitzte und sich quälte, daß er fest überzeugt war, daß dies seine letzte Stunde sei; und da er sich so gequält und zermartert fühlte, verfluchte er den Balsam wie denjenigen, der ihn ihm gegeben hatte. Da Don Quixote ihn in diesem Zustande sah, sagte er: »Ich glaube, Sancho, daß dein ganzes Unheil daher rührt, daß du nicht zum Ritter geschlagen bist, denn ich bin der Meinung, daß niemand, der nicht Ritter ist, sich dieses Getränkes bedienen dürfe.«

»Wenn Ihr das wußtet«, versetzte Sancho, »warum, in 's Satans Namen, habt Ihr es mich denn kosten lassen?« Indem fing der Balsam an zu wirken, und der arme Stallmeister entledigte sich seiner Bürde aus beiden Kanälen mit solcher Eile, daß weder die Binsenmatte, auf der er lag, noch das Tuch, mit dem er zugedeckt war, jemals wieder gebraucht werden konnten. Er schwitzte und arbeitete unter solchen Beklemmungen und Martern, daß nicht bloß er, sondern alle übrigen glaubten, sein Leben ginge zu Ende. Dieses Ungewitter und Abmartern dauerte ungefähr zwei Stunden, worauf er sich nicht so wie sein Herr befand, sondern so zerschlagen und vernichtet, daß er sich nicht auf den Beinen halten konnte. Don Quixote aber, der sich, wie gesagt, gesund und kräftig fühlte, wünschte, gleich abzureisen, um Abenteuer aufzusuchen, denn jeder Augenblick, den er zögerte, schien ihm ein Verlust für die Welt und die Unglücklichen, die seiner Hülfe und seines Beistandes bedürften, vorzüglich da er nun, auf seinen Balsam vertrauend, um so sicherer zum Werke schreiten könne; von seinem Vorhaben angetrieben, sattelte er also selbst den Rozinante und zäumte das Tier seines Stallmeisters auf, den er hierauf ebenfalls anziehen half und ihn dann auf den Esel setzte. Alsbald stieg er selbst zu Pferde und ergriff einen Bauernspieß, der in einem Winkel des Hofes stand, der ihm zur Lanze dienen sollte. Über zwanzig Menschen, die in der Schenke waren, standen umher und sahen ihm zu; unter diesen befand sich auch die Tochter des Wirtes, von der auch er wieder kein Auge verwandte und von Zeit zu Zeit einen Seufzer, schwer wie aus dem Innersten seiner Eingeweide, heraufholte, wovon alle meinten, es geschähe deshalb, weil ihm die Ribben sehr weh täten, wenigstens dachten so diejenigen, die ihn am vorigen Abend hatten bepflastern sehen.

Als sie nun beide beritten waren, rief er am Tor der Schenke den Wirt herbei und sagte mit feierlicher und ernster Stimme: »Viel und groß sind die Gefälligkeiten, Herr Kommandant, die ich in Eurem Kastelle erfahren, und es ist meine Pflicht, Euch durch mein ganzes Leben dafür dankbar zu sein. Kann ich sie Euch vergelten, indem ich an irgendeinem Frechen Rache nehme, der Euch Ungebühr erzeigte, so wißt, daß es mein Gewerbe mit sich führt, den Schwachen beizustehen, die zu rächen, die Unrecht erleiden, und den Übermut zu züchtigen. Sammelt Euer Gedächtnis, und wenn Ihr ein Ding der Art findet, welches Ihr mir auftragen mögt, so verspreche ich bei dem Orden der Ritterschaft, den ich empfangen habe, Euch genugzutun und Euch nach allen Euren Forderungen zu bezahlen.«

Mit eben der Feierlichkeit antwortete der Wirt: »Herr Ritter, es ist mir gar nicht vonnöten, daß Ihr mich wegen irgendeiner Ungebühr rächt, denn ich nehme meine Rache immer selbst, wenn es die Gelegenheit fügt; was ich bedarf, ist nur, daß Euer Gnaden die Zehrung dieser Nacht bezahlt, das Heu und den Hafer für die beiden Bestien sowie das Abendessen und die Betten.«

»So ist dieses wohl gar eine Schenke?« fragte Don Quixote.

»Und eine sehr vorzügliche«, antwortete der Wirt.[138]

»So habe ich mich also bisher getäuscht«, erwiderte Don Quixote, »denn wahrlich, ich dachte, es sei ein Kastell und kein unansehnliches. Da es aber kein Kastell, sondern eine Schenke ist, so kann hier nichts weiteres geschehen, als daß Ihr die Bezahlung mir erlassen mögt, denn ich kann unmöglich dem Orden der irrenden Ritter zuwiderhandeln, von denen ich gewiß weiß – denn bisher habe ich noch nirgend das Gegenteil gelesen –, daß sie niemals ihre Herberge oder andere Dinge in den Schenken bezahlen, in welchen sie sich aufhielten, denn als Recht und Privilegium kommt ihnen allenthalben eine gute Aufnahme zu, zum Lohn der unsäglichen Mühseligkeiten, denen sie sich unterziehen, indem sie Nacht und Tag Abenteuer suchen, in Winter und Sommer, zu Fuß und zu Pferde, Hunger und Durst, Hitze und Kälte erleiden und allen Unfreundlichkeiten des Himmels und jeder Widerwärtigkeit der Erde unterworfen sind.«

»Alles das kümmert mich nicht«, versetzte der Wirt, »bezahlt, was Ihr schuldig seid, und geht mir mit dem Ritterkrame, denn der taugt in meinem Krame gar nichts, sondern ich will das Meinige haben.«

»Ihr seid ein aberwitziger, elender Schenkwirt!« antwortete Don Quixote und gab dem Rozinante die Sporen, schwang den Spieß und ritt zur Schenke hinaus, ohne daß ihn einer zurückhielt; er aber, ohne umzuschauen, ob ihm sein Stallmeister folge, entfernte sich eine ziemliche Strecke. Der Wirt, der ihn, ohne bezahlt zu haben, wegreiten sah, wandte sich an Sancho Pansa, um sein Geld zu bekommen, der aber die Antwort gab, daß, da sein Herr nicht habe bezahlen wollen, er solches auch nicht zu tun begehre, er sei der Stallmeister eines irrenden Ritters, er müsse also mit seinem Herrn derselben Vorschrift und Gesetzgebung gehorchen, in den Herbergen und Schenken durchaus nichts zu bezahlen. Der Wirt wurde böse und drohte ihm, daß, falls er nicht bezahle, er ihn so mahnen wolle, daß er es fühlen würde. Worauf Sancho erwiderte, daß kraft der Ritterschaft, der sein Herr zugetan sei, er nicht einen Heller bezahlen würde, wenn es ihm auch das Leben kosten sollte, denn durch seine Schuld sollte nicht dieser alte und löbliche Gebrauch der irrenden Ritter verlorengehen und die Stallmeister solcher Herren sollten in zukünftigen Zeiten ihm den Vorwurf machen können, daß er ein so treffliches Privilegium gebrochen habe.

Das böse Schicksal des unglücklichen Sancho fügte es so, daß sich unter den Leuten, welche in der Schenke waren, vier Tuchscherer von Segovia, drei Hechelkrämer vom Markte von Kordova und zwei Weißkäufer der Messen von Sevilla befanden, lustiges, aufgewecktes und ebenso boshaftes und schadenfrohes Volk, die, wie von einem Geiste zugleich angetrieben, Sancho nahmen und ihn vom Esel hoben, worauf einer das Bettuch des Wirtes herausholte, sie ihn darauf legten und dann die Augen in die Höhe richteten, aber bemerkten, daß die Decke zu dem Werke, das sie vornehmen wollten, zu niedrig sei; sie entschlossen sich also, in den Hof zu gehen, der nur vom Himmel beschränkt wurde. Hier legten sie Sancho mitten auf das Tuch, warfen ihn in die Höhe und fingen ihn wieder auf und spielten so mit ihm wie mit einem Hunde im Karneval. Der arme Geprellte erhob ein so lautes Geschrei, daß es in die Ohren seines Herrn drang, der sogleich stillhielt, um aufmerksam hinzuhorchen, weil er dachte, es möchte ihm ein neues Abenteuer bevorstehen, bis er bemerkte, daß derjenige, der so jammerte, sein Stallmeister sei; sogleich lenkte er um und ritt in einem steifen Galopp zur Schenke zurück, die er verschlossen fand; er umkreiste sie also, um irgendeinen Eingang zu finden. Sowie er an die Mauern des Hofes kam – die nicht sonderlich hoch waren –, sah er das üble Spiel, das mit seinem Stallmeister vorgenommen wurde. Er sah ihn durch die Luft mit solcher Anmut und Behendigkeit niederfallen und wieder aufsteigen, daß er nach meiner Meinung darüber gelacht hätte, wenn sein Zorn nicht zu mächtig geworden wäre. Er machte den Versuch, vom Pferde auf die Mauer zu steigen, aber er war so zerschlagen und zerstoßen, daß er nicht einmal aus dem Sattel kommen konnte, worauf er vom Pferde herunter denen, die Sancho[141] prellten, so schreckliche Schmähungen und Verwünschungen zurief, daß sie sich unmöglich niederschreiben lassen. Sie aber ließen sich im Lachen und in ihrer Beschäftigung nicht stören, auch ließ der fliegende Sancho seine Klagen nicht, die er bald mit Drohungen, bald mit Bitten vermischte; alles aber war ohne Erfolg und Nutzen, bis sie aus bloßer Ermüdung die Sache ließen. Sie führten ihm seinen Esel herbei, setzten ihn darauf, bekleideten ihn mit seinem Mantel, und da ihn die mitleidige Maritorne so ermattet sah, schien es ihr dienlich, ihm mit einem Becher Wasser zu Hülfe zu kommen, das sie auch selbst aus dem Brunnen schöpfte, damit es um so frischer sei. Sancho nahm den Becher und setzte ihn zum Munde, hielt aber bei dem Zurufen seines Herrn inne, welcher schrie: »Sohn Sancho, trink kein Wasser, mein Sohn, trink es nicht, es bringt dich um! Schaue hier den köstlichen Balsam« – wobei er ihm die blecherne Flasche zeigte – »mit zwei Tropfen, die du davon nimmst, bist du gesund und frisch!«

Bei diesen Worten sah ihn Sancho über die Schultern an und sagte unter andern härtern Redensarten: »Ihr habt wohl schon wieder vergessen, daß ich kein Ritter bin, oder Ihr wollt wohl, daß ich die Eingeweide auch vollends herausspeien soll, die mir etwa noch übriggeblieben sind? Behaltet Euren Trank, in 's Teufels Namen, und laßt mich!« Und indem er diese Worte noch sprach, fing er auch schon an zu trinken. Da er aber beim ersten Schlucke spürte, daß es Wasser sei, hatte er keine Lust fortzufahren, sondern er bat Maritorne, ihm Wein zu geben, die es auch mit gutem Willen tat und ihn sogar von ihrem Gelde bezahlte; denn man kann mit Recht von ihr sagen, daß sie, obwohl sie nicht die Beste war, doch immer noch einige Spuren und Schatten vom Christentum behalten hatte.

Nachdem Sancho getrunken hatte, trat er seinen Esel in die Seite, und sowie das Tor der Schenke aufgemacht wurde, rannte er hindurch, sehr zufrieden, daß er doch nichts bezahlt und seinen Willen durchgesetzt habe, wenn es auch auf Kosten seines gewöhnlichen Bürgen, nämlich seines Rückens, geschehen war. Der Wirt behielt freilich als Bezahlung seiner Schuld den Schnappsack zurück, aber Sancho hatte es in dem Tumulte nicht bemerkt. Der Wirt wollte, als er hinaus war, das Tor verriegeln, aber die Prellenden gaben es nicht zu, denn diese waren Leute, die den Don Quixote, wenn er auch wirklich ein irrender Ritter von der Tafelrunde gewesen wäre, doch nicht für zwei Dreier achteten.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 132-135,137-139,141-142.
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