Neuntes Kapitel.

[186] Was dem berühmten Don Quixote in dem Schwarzen Gebirge begegnete, eines der wundersamsten Abenteuer, die in dieser wahrhaften Geschichte vorgetragen werden.


Wie sich nun Don Quixote so schlimm zugerichtet sah, sagte er zu seinem Stallmeister: »Immer, Sancho, habe ich sagen hören, den Nichtswürdigen Gutes erzeigen heiße Wasser ins Meer tragen; hätte ich deinen Worten geglaubt, so hätte ich freilich diesen Verdruß nicht erfahren, aber da es nun geschehen ist, so sei die Geduld mein Trost, und daß ich ins künftige Rat annehmen werde.«

»Ihr werdet gerade so Rat annehmen«, antwortete Sancho, »wie ich ein Türke bin; da Ihr aber doch sprecht, daß Ihr dieses Unglück nicht erfahren, wenn Ihr mir geglaubt hättet, so glaubt mir nur jetzt, damit Ihr nicht ein anderes, noch größeres Unglück erlebt, denn Ihr müßt wissen, daß sich die Heilige Brüderschaft nichts um die Ritterschaft schert, denn sie gibt für alle irrenden Ritter zusammen noch keine zwei Dreier, und mir ist immer schon, als wenn uns ihre Spieße um die Ohren brummen.«

»Du bist eine geborne Memme, Sancho«, sagte Don Quixote, »damit du aber nicht sagen könnest, ich sei halsstarrig und befolge niemals deinen Rat, will ich dieses Mal tun, was du mir rätst, und dem Unheil, das du fürchtest, aus dem Wege gehen; doch nur unter der einen Bedingung, daß du niemals so im Leben wie im Sterben jemanden sagen dürfest, ich zöge mich aus Furcht vor der Gefahr, sondern nur deinen Bitten zu Gefallen zurück: denn sagst du es anders, so lügst du, und jetzt wie alsdann, auch alsdann so wie jetzt werde ich dich Lügen strafen, und du wirst lügen, sooft du es denken oder sagen magst, und erwidere nichts weiter, denn wenn du es nur denkst, daß ich irgendeiner Gefahr aus dem Wege trete,[187] vorzüglich dieser, die in der Tat so gleichsam einen kleinen Anschein von gegründeter Furcht mit sich führt, so bin ich entschlossen, hier zu bleiben und ganz allein alles zu erwarten, nicht allein diese Heilige Brüderschaft, die dich besorgt macht, sondern zugleich alle Brüder der zwölf israelitischen Stämme, samt den sieben Makkabäern, ingleichen Kastor und Pollux, wie nicht minder alle Brüder und Brüderschaften, die es nur in der Welt geben mag!«

»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »sich zurückziehen ist ja nicht fliehen, sowenig wie bleiben immer Verstand ist, wenn die Gefahr größer ist als die Hoffnung der Rettung; kluge Leute schonen sich heute für morgen und setzen ihr ganzes Glück nicht an einem Tage, und wenn ich gleich nur ein gemeiner Mann und Bauer bin, so habe ich doch jederzeit meine Ehre darin gesucht, mich verständig aufzuführen; darum laßt's Euch nicht gereuen, meinen guten Rat anzunehmen, sondern steigt auf den Rozinante, wenn Ihr könnt, wo nicht, so will ich Euch helfen, und folgt mir nach, denn es schwant mir, daß wir die Beine nötiger als die Hände brauchen werden.«

Don Quixote stieg auf, ohne irgend etwas zu antworten, Sancho, auf seinem Esel sitzend, führte an, und so gelangten sie in einen Teil des Schwarzen Gebirges, dem sie sich nahe befanden; Sancho hatte die Absicht, es ganz zu durchschneiden und sich nach Viso oder Almodovar del Campo zu begeben und sich etliche Tage in diesen Berggegenden zu verstecken, damit sie von der Heiligen Brüderschaft nicht gefunden würden. Den Mut dazu gab ihm, daß er gesehen hatte, wie sein Mundvorrat, der sich auf dem Esel befunden hatte, aus der Schlacht mit den Ruderknechten gerettet war, etwas, das er für ein Wunderwerk hielt, da die Ruderknechte auf alles so heftige Jagd gemacht hatten.

Noch in dieser Nacht kamen sie bis in die Mitte des Schwarzen Gebirges, und Sancho schlug vor, die Nacht und noch etliche nachfolgende Tage dort zuzubringen, wenigstens so lange, als ihre Speisekammer sie versorgte, und also machten sie ihr Nachtlager in einer Gegend zwischen zwei Felsen, in denen sich viele Korkbäume befanden. Aber das Fatum, welches nach der Meinung derer, die nicht vom Lichte der wahren Lehre erleuchtet sind, alles lenkt und nach seiner Weise regiert und vollführt, führte den Gines von Pasamonte, diesen berühmten Schelm und Räuber, der durch Tugend und Tollheit des Don Quixote von der Kette erlöst war und der ebenfalls aus Besorgnis vor der Heiligen Brüderschaft, die er mit großem Rechte fürchtete, auf den Einfall kam, sich in das Gebirge zu verstecken; diesen brachte sein Schicksal und seine Furcht an die nämliche Stelle, die sich Don Quixote und Sancho Pansa erwählt hatten; er erkannte sie und traf sie, da sie eben einschlafen wollten. Wie nun Bösewichter immer undankbar sind, die Not auch oft das Äußerste versucht, die gegenwärtige Hülfe auch der zukünftigen vorgezogen wird, so fiel Gines, der weder dankbar noch von edler Gesinnung war, darauf, dem Sancho Pansa seinen Esel zu stehlen, indem er auf den Rozinante keine Rücksicht nahm, den er für ein gänzlich wertloses Stück, sowohl zum Verpfänden als zum Verkaufen, achtete. Sancho Pansa schlief, er stahl ihm sein Tierlein, und eh es noch tagte, war er schon so weit entfernt, daß er nicht wiedergefunden werden konnte.

Die Morgenröte ging auf, die Erde zu erfreuen und Sancho Pansa zu betrüben, denn er traf seinen Grauen nicht mehr an; wie er sich ohne ihn sah, begann er so heftig und laut den allerkläglichsten Jammer, daß Don Quixote bei seinem Geschrei erwachte und folgende Reden vernahm: »O du mein eingeborner Sohn! Du in meinem väterlichen Hause erwachsen! Du Kleinod meiner Kinder, Trost meines Weibes, Neid meiner Nachbarn, Stütze meiner Arbeiten! O du Ernährer meiner halben Person, denn du verdientest mir täglich sechsundzwanzig Maravedis, und das war mein halbes Auskommen

Da ihn Don Quixote so jammern hörte und die Ursache erfuhr, suchte er Sancho mit den besten Trostgründen zu beruhigen, er bat ihn, sich in Geduld zu fassen, und versprach zugleich, ihm eineVerschreibung auszustellen, auf welche er drei von den fünf Eseln erhalten solle, die er zu Hause habe. Hiermit gab sich Sancho zufrieden und trocknete seine Tränen, unterdrückte sein Schluchzen und sagte Don Quixote für die Wohltat, die er ihm erwiesen, herzlichen Dank. Diesem, sowie er nur das Gebirge betreten hatte, jauchzte das Herz, denn diese Örter schienen ihm besonders für Abenteuer schicklich, wie er sie suchte. Ihm fielen alle die wunderbaren Begebenheiten ein, die in dergleichen Einsamkeiten und wilden Gebirgen den irrenden Rittern begegnet waren. Hingerissen und vergeistert von diesen Vorstellungen, zog er fort, ohne an etwas weiteres zu denken, auch Sancho hatte keine andere Sorge – seitdem er glaubte, sich in einer sichern Gegend zu befinden –, als seinem Magen mit den Eßwaren gütlich zu tun, die ihm noch von der Beute der Geistlichen geblieben waren. So folgte er seinem Herrn, mit allen dem beladen, was der Graue hätte tragen sollen, aus dem Beutel herauslangend und in seinen Wanst hineinstopfend, wobei er für ein neues Abenteuer, solange er sich so befand, nicht einen Pfennig gegeben hätte.

Indem hob er die Augen auf und bemerkte, wie sein Herr anhielt, bemüht, mit der Spitze seiner Lanze einen Bündel aufzuheben, der auf der Erde lag; er machte sogleich Anstalt, ihm zu helfen, wenn es nötig wäre, und als er näher kam, hob jener mit der Lanzenspitze ein Reitkissen und einen Mantelsack auf, beide halb oder vielmehr ganz vermodert und zerrissen; sie waren aber von so großem Gewicht, daß Sancho absteigen mußte, um sie aufzuheben, worauf ihm sein Herr befahl, nachzusehen, was sich im Mantelsacke befinde. Sancho richtete dieses Gebot mit vieler Behendigkeit aus, und ob der Mantelsack gleich mit Kette und Schloß zugemacht war, so konnte er doch durch die Löcher alles sehen, was er enthielt, nämlich vier Hemden von der feinsten Leinewand, noch anderes linnenes Gerät, sehr nett und sauber, in einem Tuche fand er eine ziemliche Summe goldener Taler, und sowie er diese erblickte, rief er aus: »Gelobt sei Gott, der uns endlich ein Abenteuer zubereitet, das was trägt!« Und sowie er weiter suchte, fand er ein kleines Taschenbuch mit reichen Verzierungen; dieses ließ sich Don Quixote reichen und befahl ihm, das Geld zu bewahren und für sich zu behalten. Sancho küßte ihm für diese Güte die Hand, und indem er noch alle Wäsche aus dem Mantelsacke aussackte, stopfte er alles in den Beutel der Eßwaren hinein. Alles dieses sah Don Quixote mit an und sagte: »Es scheint, Sancho – und anders ist es gar nicht möglich –, daß ein verirrter Reisender, der durch dieses Gebirge gezogen ist, von Räubern angefallen sei, die ihn umgebracht und an irgendeiner verborgenen Stelle begraben haben.«

»Das kann nicht sein«, antwortete Sancho, »denn wären es Räuber gewesen, so hätten sie das Geld wohl nicht liegenlassen.«

»Du hast recht«, sagte Don Quixote, »und so kann ich nicht raten noch begreifen, was es wohl sein mag; doch Geduld, wir wollen sehen, ob sich in dieser Schreibtafel nicht irgend etwas aufgezeichnet findet, wodurch wir auf die Spur geraten und das entdecken, was wir gern wissen möchten.«

Er schlug das Buch auf, und zuerst fand er als Konzept, aber doch mit deutlichen Buchstaben geschrieben, ein Sonett, welches er laut ablas, damit es auch Sancho hören konnte:


Du, Amor! weißt kein Wort von meinen Leiden,

Ha! grausam bist du oder willst mir zeigen,

Wie Strafe ohne Schuld mich möge beugen,

Drum wühlt die Qual in meinen Eingeweiden.


Doch muß Allwissenheit den Gott bekleiden;

Ein Gott ist er; auch muß der Vorwurf schweigen,[191]

Daß Götter wüten; aber warum steigen

Die Martern in mein Herz, die es zerschneiden?


Ich wag es nicht, dich, Phillis, zu verklagen;

Daß du so großes Unheil mir geschicket;

Den Himmel schmähn, wer mag sich's unterwinden?


Daß ich bald sterbe, dies nur kann ich sagen,

Für Unheil, dessen Grund man nicht erblicket,

Kann nur ein Wunderwerk die Heilung finden.


»Aus diesen Reimen«, sagte Sancho, »wird auch nichts klar, wenn uns nicht, so Gott will, der Filz da auf den rechten Weg bringt.«

»Wo ist denn ein Filz?« fragte Don Quixote.

»Mir war doch«, sagte Sancho, »als wenn Ihr von Filz oder Pilz etwas daherlaset.«

»Nein Phillis«, antwortete Don Quixote, »und dieses ist sonder Zweifel der Name der Dame, über wel che sich der Verfasser dieses Sonettes beklagt, der in der Tat ein feiner Poet ist, bin ich anders in der Kunst nicht unerfahren.«

»So versteht Euer Gnaden sich auch«, sagte Sancho, »auf die Reimerei?«

»Und besser, als du wohl glauben magst«, antwortete Don Quixote, »das sollst du gewahr werden, wenn ich dich mit einem ganzen Bogen voller Verse, eng geschrieben, an meine Gebieterin Dulcinea von Toboso senden werde; denn du mußt wissen, Sancho, daß alle irrenden Ritter voriger Zeiten oder doch die meisten große Reimer und Musiker waren, mit welchen beiden Talenten oder, richtiger zu reden, Liebenswürdigkeiten stets die verliebten Irrenden begabt sind; freilich wohl enthielten die Gedichte der ehemaligen Ritter mehr Geist als Kunst.«

»Leset mehr«, sagte Sancho, »vielleicht finden wir, was wir wollen.«

Don Quixote schlug das Blatt um und sagte: »Dieses ist Prosa und scheint ein Brief.«

»Ein Sendschreiben, gnädiger Herr?« fragte Sancho.

»Nach dem Anfange zu urteilen, handelt er von Liebe«, antwortete Don Quixote.

»So leset es nur laut«, sagte Sancho, »ich habe eine große Freude an den Liebessachen.«

»Gern«, antwortete Don Quixote und fing an laut zu lesen, wie Sancho ihn gebeten hatte, worauf er sah, daß der Brief folgenden Inhalts war:

Dein falsches Versprechen und mein gewisses Unglück treiben mich weit hinweg, so daß Du wohl die Nachricht von meinem Tode, nie aber meine Klagen vernehmen wirst. Du hast mich verworfen, Undankbare! für einen, der reicher, nicht aber besser ist als ich; denn wäre Tugend ein Reichtum, den man achtete, so würde ich nicht fremdes Glück beneiden wie eignes Unglück beweinen. Wie hoch Deine Schönheit Dich erhob, so tief stürzen Deine Handlungen Dich herab; nach jeder schienst Du ein Engel, diese beweisen mir, daß Du ein Weib bist. Lebe in Frieden, Du, die mir Krieg erregt hat, und gebe der Himmel, daß der Betrug Deines Gemahls nie entdeckt werde, damit Du das nicht bereuest, was Du getan hast, und ich nicht so gerächt werde, wie ich es nicht wünsche.

Als Don Quixote diesen Brief geendigt hatte, sagte er: »Hieraus sowie aus den Versen läßt sich nichts weiter ermessen, als daß der Verfasser von beiden ein unglücklich Liebender sei.« Er blätterte hierauf die ganze Schreibtafel durch und fand noch andere Verse und Briefe, von denen er einige lesen konnte,andere nicht; aber der Inhalt von allen waren Klagen, Trauer, Mißtrauen, Lust und Unlust, Gunst und Verschmähung, jene gepriesen, diese beweint. Indes Don Quixote das Buch durchsuchte, durchsuchte Sancho den Mantelsack, ohne in ihm sowie in dem Reitkissen eine Naht unbeachtet zu lassen; er prüfte und erforschte jede Falte, er pflückte jedes Häufchen Wolle auseinander, denn er wollte nichts aus Eilfertigkeit oder Achtlosigkeit übergehen; eine solche Gier hatten in ihm die gefundenen Goldstücke erweckt, die sich über hundert beliefen, und ob er gleich nicht mehr als die schon gefundenen entdeckte, so glaubte er sich doch für die Prelle, für das Brechmittel, die Einsegnungen der Krippenstangen, die Faustschläge des Eseltreibers, für den Verlust des Schnappsackes, die Beraubung des Mantels und für allen Hunger, Durst und Mühseligkeit, die er nur immer im Dienste seines trefflichen Herrn ausgestanden hatte, durch die Güte, daß ihm dieser Fund überlassen wurde, hinlänglich belohnt. Der Ritter von der traurigen Gestalt ging mit dem heftigen Wunsche schwanger, zu wissen, wer der Herr des Mantelsackes sei, aus dem Sonette wie aus dem Briefe, aus den goldnen Münzen wie aus der feinen Wäsche zog er den Schluß, daß es kein anderer als ein Verliebter von Rang und Stand sein könne, den Verschmähung und Unfreundlichkeit seiner Dame zu irgendeinem verzweifelten Entschlusse geführt habe; da aber in dieser unbewohnbaren wilden Gegend niemand zu sehen war, den er hätte fragen können, so dachte er nur darauf, seinen Weg fortzusetzen, ohne einen andern einzuschlagen, als den Rozinante wählte, immer mit der Einbildung angefüllt, daß ihm in diesen Wüsteneien notwendig ein seltsames Abenteuer aufstoßen müsse.

Sowie er noch mit diesen Gedanken fortzog, bemerkte er, wie auf dem Rücken des Berges, der vor ihm lag, ein Mensch sich mit bewundernswürdiger Schnelligkeit von Stein zu Stein und von Busch zu Busch in Sprüngen fortbewegte; er war halb nackt, sein Bart schwarz und dick, die häufigen Haare in Verwirrung, die Füße ohne Schuhe und die Beine ganz unbedeckt; um die Schenkel trug er Beinkleider, dem Anschein nach von bräunlichem Samt, aber sie waren so zerrissen, daß man an vielen Stellen das Fleisch erblicken konnte; sein Kopf war entblößt, und ob er gleich, wie gesagt, schnell vorüberlief, sah und erkannte der Ritter von der traurigen Gestalt dennoch alle diese Merkmale. So viele Mühe er sich aber auch gab, war es ihm doch unmöglich, ihm zu folgen, denn der Schwachheit des Rozinante widerstand es, scharf in diesen Unwegen zu rennen, da überdies sein Gemüt saumselig und phlegmatisch war.

Plötzlich fiel es dem Don Quixote ein, daß ebendieser der Herr des Reitkissens und des Mantelsackes sein müsse, und zugleich faßte er den Vorsatz, ihn aufzusuchen, und wenn er auch ein Jahr im Gebirge herumziehen müßte, um ihn zu finden; somit befahl er dem Sancho, vom Esel abzusteigen und von der einen Seite die Runde um den Berg zu machen, indem er von der andern Seite herumgehen wollte, weil sie durch diese Anstalt vielleicht den Menschen anträfen, der mit so großer Eile ihnen vorübergerennt sei.

»Das kann nicht geschehen«, antwortete Sancho, »denn sowie ich mich von meinem werten Herrn entferne, ist die Furcht bei mir, die mir tausenderlei Schrecken und Einbildungen verursacht; das, was ich jetzt sage, mag zugleich zur Nachricht dienen, daß ich mich in Zukunft nicht um einen Fingerbreit von Euer Edlen entfernen werde.«

»Es sei also«, sprach der von der traurigen Gestalt, »und es freut mich sehr, daß du meiner Geisteskraft so fest vertraust, die dich auch niemals verlassen soll, selbst wenn dein Geist deinen Körper verließe; gehe mir also langsam, oder wie es dir am besten deucht, nach, gebrauche deine Augen statt Lichter, indem wir durch diese Klüfte schweifen, vielleicht treffen wir den Menschen, den wir erblickten, der ohne allen Zweifel der Eigentümer unseres Fundes sein muß.«

Worauf Sancho die Antwort gab: »Es wäre doch besser, ihn nicht zu suchen, denn wenn wir ihn finden[199] und er vielleicht der Herr von dem Gelde ist, so folgt daraus klar, daß ich es ihm wiedergeben muß, darum ist es besser, wir lassen die unnütze Mühe, damit ich es mit gutem Gewissen einstecken kann, bis wir auf eine andere, nicht so vorwitzige und mühselige Weise den wahrhaftigen Herrn entdecken, vielleicht zu einer Zeit, wenn es schon verzehrt ist, wo dann der Kaiser sein Recht verloren hat.«

»Du bist im Irrtume, Sancho«, antwortete Don Quixote, »denn indem wir nur auf die Vermutung geraten sind, daß er der Eigentümer sein möge, sind wir auch schon verpflichtet, ihn zu suchen und ihm sein Geld zurückzugeben; suchen wir ihn aber nicht, so ist die Vermutung, daß er der Eigentümer sein möchte, für uns so gut ein Verbrechen, als wenn es wir gewiß wüßten; also, Freund Sancho, möge dir das Suchen keinen Verdruß erregen, denn es ist meine Sache, ihn aufzufinden.« Mit diesen Worten spornte er den Rozinante, und Sancho folgte zu Fuß und beladen nach. Nachdem sie um einen Teil des Berges geritten waren, sahen sie in einem Bache ein totes, von Hunden und Raben halb verzehrtes, gesatteltes und aufgezäumtes Maultier liegen, welches sie in der Vermutung bestätigte, daß der Flüchtling der Eigentümer des Tieres und des Mantelsackes sei. Wie sie es noch beschauten, hörten sie eine Pfeife, wie von einem Hirten, der eine Herde führt, und sie sahen auch links eine große Anzahl Ziegen und hinter diesen oben auf dem Bergrücken einen Hirten, der sie hütete, einen alten Mann. Don Quixote rief und bat, daß er zu ihnen herunterkommen möchte. Jener antwortete mit lautem Geschrei, wie sie in diese Gegend geraten wären, die wenig oder gar nicht betreten würde, außer von den Füßen der Ziegen oder der Wölfe oder anderer Bestien, die sich dort herumtrieben. Sancho antwortete, er möchte heruntersteigen und sie wollten ihm dann alles erzählen.

Der Ziegenhirt stieg herunter, und als er an die Stelle kam, wo Don Quixote stand, sagte er: »Ihr beschaut gewiß den Mietesel, der hier tot in dem Loche liegt, er liegt nun wahrhaftig schon seit sechs Monaten auf der Stelle da; aber sagt, habt Ihr nirgends seinen Herrn nicht getroffen?«

»Wir haben nichts getroffen«, antwortete Don Quixote, »als ein Reitkissen und einen Mantelsack, die wir nicht weit von hier fanden.«

»Auch ich habe es gefunden«, antwortete der Ziegenhirt, »aber ich habe es niemals aufnehmen, ja ihm nicht einmal nahe kommen wollen, weil ich vor Schaden bange war, und daß sie es mir einmal für einen Diebstahl auslegen könnten; der Teufel ist pfiffig und legt uns oft etwas vor die Füße, worüber man stolpert und fällt, man weiß nicht, wie es kömmt.«

»Gerade wie ich gesagt habe«, antwortete Sancho, »denn auch ich habe es gefunden, aber ich mochte ihm nicht auf einen Steinwurf nahe kommen; da habe ich es gelassen, und da mag es bleiben, wie es war, denn ich mag nicht die Katzen, daß sie mich kratzen.«

»Sagt mir doch, guter Freund«, sprach Don Quixote, »wißt Ihr nicht etwas Näheres von dem Herrn der Sachen?«

»Was ich Euch sagen kann«, antwortete der Ziegenhirt, »ist, daß es nun gerade sechs Monate sein mögen, einige Tage auf und ab, als ein junger Herr zu einer Schäferhütung kam, drei Meilen von hier; er sah vornehm und stattlich aus und ritt auf eben dem Maulesel, der nun hier tot liegt, er hatte auch das nämliche Felleisen, das Ihr, wie Ihr sagt, gefunden und nicht angerührt habt. Er fragte uns, welcher Teil des Gebirges am wildesten und einsamsten wäre, worauf wir ihm die Gegend nannten, in der wir uns jetzt befinden, und so ist es auch, denn wenn Ihr Euch nur noch eine halbe Meile tiefer hineinbegebt, so findet Ihr vielleicht keinen Rückweg, und es ist schon ein Wunder, wie Ihr nur bis hierher gekommen seid, denn kein Weg noch Fußsteig führt nach dieser Stelle. Wie also der junge Mensch unsre Antwort vernommen hatte, ritt er nach der Gegend fort, die wir ihm bezeichnet hatten, indem uns allen sein schönes Ansehen gefiel und wir uns über seine Fragen verwunderten sowie über die Hast, mit der er alsbald denWeg ins Gebirge einschlug. Seitdem sahen wir ihn nicht mehr, bis er nach etlichen Tagen einem von unsern Hirten begegnete, ohne ein Wort zu sprechen, sich an ihn machte und ihm viele Schläge und Stöße gab, worauf er sich der Schäfertasche bemächtigte und Brot und Käse, das darin war, herausnahm, hierauf aber mit erstaunlicher Schnelligkeit in das Gebirge zurückrannte. Da etliche von uns Ziegenhirten dies erfuhren, gingen wir wohl zwei Tage in den wüstesten Gegenden des Gebirges herum, um ihn zu suchen, worauf wir ihn denn auch in der Höhlung eines großen, dicken Korkbaumes fanden. Er kam sehr ruhig auf uns zu, seine Kleidung war schon zerrissen, sein Angesicht entstellt und von der Sonne verbrannt, so daß wir ihn kaum wiedererkannten, doch gaben uns seine Kleider, ob sie schon zerrissen waren, Merkmale genug, woraus wir abnahmen, daß er der nämliche sei, den wir suchten. Er grüßte uns sehr höflich und sagte uns in wenigen und verständigen Worten, daß wir uns nicht über sein Bezeigen verwundern möchten, denn so müsse er sein Wesen treiben, um eine gewisse Buße zu vollbringen, die ihm wegen seiner mannigfaltigen Sünden auferlegt sei. Wir baten ihn hierauf, daß er uns doch sagen möchte, wer er sei, aber dazu konnten wir ihn nicht bringen; worauf wir ihn auch ersuchten, daß, wenn er zu seinem Unterhalte etwas bedürfte, er uns sagen sollte, wo wir ihn antreffen könnten, denn wir wollten es ihm mit aller Liebe und Freundschaft bringen, wäre aber auch dies nicht nach seinem Wohlgefallen, so möchte er uns wenigstens darum ansprechen, es aber den Hirten nicht mit Gewalt wegnehmen. Er dankte uns für unsre Freundschaft sehr und bat uns wegen der Gewalttätigkeiten um Verzeihung, versprach auch, uns ins künftige, um Gottes willen, darum anzusprechen, ohne jemand Leids zu tun. Was aber seine Wohnung betreffe, fuhr er fort, so habe er keine andre als das, was er gerade fände, wenn ihn die Nacht überraschte. Er endigte seine Rede mit solchem herzdurchdringenden Weinen, daß wir alle, die wir zuhörten, von Stein hätten sein müssen, wenn wir nicht auch geweint hätten, denn wir erinnerten uns, in welcher Gestalt wir ihn das erstemal gesehen hatten und wie wir ihn nun vor uns sahen, denn, wie gesagt, er war ein sehr schöner und ansehnlicher junger Herr, und seine höflichen und wohlgesetzten Reden bewiesen auch, daß er von vornehmer Familie sein mußte, und ob wir, seine Zuhörer, gleich nur Bauersleute waren, so war doch seine Lieblichkeit so stark, daß selbst ein bäuerisches Gemüt davon durchdrungen werden mußte. Indem er nun noch am besten in seiner Rede fortfuhr, hielt er plötzlich inne und verstummte, lange Zeit verschloß er die Augen, indes wir alle verwundert dastanden und warteten, was aus dieser Verzückung werden sollte; es war uns ein kläglicher Anblick, denn sowie er die Augen wieder aufmachte, sah er lange Zeit ganz starr den Boden an, ohne die Augenwimpern zu bewegen, dann drückte er sie wieder zu, rührte die Lippen und zog die Augenbrauen zusammen, woraus wir leichtlich abnahmen, daß ihn wieder ein Anstoß von Wahnsinn überfiele. Er gab uns auch zu erkennen, wie richtig unsre Vermutung gewesen sei, denn wild sprang er plötzlich von der Erde auf und warf sich auf den, der ihm am nächsten stand, mit so großer Gewalt und Wütigkeit, daß, wenn wir ihn ihm nicht aus den Händen rissen, er ihn gewiß mit Faustschlägen und Hieben umgebracht hätte, wobei er beständig ausrief: ›Ha! nichtswürdiger Fernando! Jetzt sollst du deine Beleidigungen bezahlen, diese Hände sollen dir das Herz ausreißen, in welchem alle Bosheiten herbergen und wohnen, vorzüglich Betrug und Hinterlist.‹ Er fügte noch mehr Reden hinzu, die sich alle darauf bezogen, von einem Fernando Übles zu sprechen und ihn als einen Verräter und Nichtswürdigen zu behandeln. Wir verließen ihn sehr betrübt, und er, ohne ein Wort zu sagen, entfernte sich von uns und rannte so schnell in das Buschwerk und die Steinklippen hinein, daß wir ihm nicht folgen konnten. Daraus schlossen wir aber, daß die Raserei ihn nur zu Zeiten überfiele und daß ein gewisser Fernando ihm ein überaus großes Unrecht zugefügt haben müsse, daß er dadurch so weit heruntergebracht sei. Diese Vermutungen haben sich auch bestätigt, denn er hat sich seitdem oftmals sehen lassen, manchmal um die Schäfer zu bitten, daß sie ihm etwas von ihrem[207] Essen mitteilen möchten, manchmal nimmt er es ihnen aber auch wieder mit Gewalt weg, denn sobald er in seiner Raserei ist, achtet er nicht darauf, wenn ihm die Hirten auch alles in Güte anbieten, sondern er erobert es mit Schlägen, und wenn er wieder bei Sinnen ist, bittet er es um Gottes willen und mit vieler Höflichkeit und Artigkeit ab, auch dankt er ihnen mit vieler Rührung und Vergießung häufiger Tränen. Seitdem, meine Herren«, fuhr der Ziegenhirt fort, »haben ich und vier andre Schäfer, zwei Knechte nämlich und zwei von meinen Freunden, uns vorgenommen, ihn so lange zu suchen, bis wir ihn finden, und wenn wir ihn gefunden haben, wollen wir ihn, sei es nun mit Güte oder Gewalt, nach Almodovar führen, was nur acht Meilen von hier liegt, und ihn da kurieren lassen, wenn seine Krankheit eine Kur verträgt, oder doch, wenn er bei Sinnen ist, von ihm erfahren, wer er sein mag, damit man der Familie Nachricht von seinem Unglücke geben kann. Dies, meine Herren, ist alles, was ich Euch auf Eure Fragen antworten kann, der, dem die Sachen gehören, die Ihr gefunden habt, ist der nämliche, den Ihr mit so großer Behendigkeit und halb nackt vorüberrennen sahet.« – Denn Don Quixote hatte ihm schon erzählt, wie er einen Menschen im Gebirge habe klettern sehen. – Dieser war durch das, was ihm der Ziegenhirt erzählt hatte, in Erstaunen gesetzt, und seine Begierde, zu erfahren, wer der arme Wahnsinnige sei, war dadurch um vieles erhöht, er nahm sich also nochmals, wie er schon vorher beschlossen hatte, vor, ihn im ganzen Gebirge aufzusuchen und keine Kluft und keine Höhle unbeachtet zu lassen, bis er ihn endlich gefunden hätte. Das Schicksal führte es aber besser, als er es erwartete oder hoffte, denn in demselben Augenblicke zeigte sich in einem hohlen Wege zwischen den Bergen der junge Mensch, den er suchte, der etwas für sich murmelte, was man nicht nahe an ihm, viel weniger in der Entfernung verstehen konnte. Seine Tracht war, wie sie oben beschrieben ist, nur bemerkte Don Quixote in der Nähe, daß das zerrissene Koller, das er trug, von Ambra-Farbe sei, wodurch er völlig überzeugt wurde, daß ein Mensch, der solche Kleider führe, von keinem gemeinen Stande sein müsse.

Als der Jüngling näher kam, grüßte er sie mit rauher und heiserer Stimme, aber mit vieler Höflichkeit. Don Quixote erwiderte den Gruß ebenso artig, stieg vom Rozinante ab und umarmte ihn mit edlem Anstande und großer Leutseligkeit, indem er ihn eine geraume Zeit fest in seinen Armen geschlossen hielt, als wenn er ihn seit vielen Jahren kennte. Der andre, den man den Zerlumpten von der kläglichen Gestalt nennen könnte, wie Don Quixote der von der traurigen heißt, entfernte ihn ein wenig von sich, nachdem sie sich wieder aus den Armen gelassen hatten, und legte seine Hände auf die Schultern Don Quixotes; er beschaute ihn dann, als wollte er sich besinnen, ob er ihn kennte, vielleicht ebenso erstaunt, die Gestalt, Bildung und Waffenrüstung Don Quixotes vor sich zu sehen, als Don Quixote erstaunt war, ihn zu erblicken. Der erste, der endlich nach der Umarmung redete, war der Zerlumpte, und er sagte, was man alsbald vortragen wird.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 186-189,191-193,199-201,207-208.
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