Sechzehntes Kapitel.

[269] Welches von der Verständigkeit der schönen Dorothea handelt, nebst andern angenehmen und lustigen Dingen.


Der Pfarrer hatte kaum ausgeredet, als Sancho sagte: »Bei meiner Seele, Herr Lizentiat, der diese Tathandlung unternommen hat, war kein anderer als mein Herr, ich mochte ihm sagen, was ich wollte, und ihn noch so viel warnen, daß er bedenken möchte, was er täte und wie es Sünde sei, die Kerle frei zu machen, die wegen erschrecklicher Spitzbüberei beiseite geschafft würden.«

»Flegel!« rief hier Don Quixote aus, »irrende Ritter kümmert es nie und ist ihnen nicht fragenswert, weshalb die Betrübten, Gefesselten und Unterdrückten, die ihnen auf ihren Reisen begegnen, also aufziehen, ob dieses ihrer Verbrechen oder ihrer Verdienste wegen geschieht; ihnen liegt es einzig ob, Hülfsbedürftigen zu helfen, sich ihr Unglück, nicht ihre Schuld vor die Augen stellend; ich traf auf eine Schnur und Rosenkranz höchst betrübter und unglückseliger Menschen und tat mit ihnen das, was meine Religion mir befiehlt; und damit gut! Und wem dieses etwas Übles dünkt, die heilige Würde des Herrn Lizentiaten und seine ehrwürdige Person ausgenommen, dem sage ich, daß er wenig vom Ritterwesen versteht und daß er wie ein Hurensohn und wie ein schlechter Kerl lügt, und dieses will ich ihm mit meinem Schwerte beweisen, soweit sich der Himmel erstreckt!« Mit diesen Worten setzte er sich in den Steigbügeln fest und drückte seine Blechhaube ins Gesicht; denn das Barbierbecken, das ihm der Helm Mambrins war, führte er hinten am Sattelknopfe mit sich, um es erst von der üblen Behandlung, die ihm von den Ruderknechten widerfahren war, ausbessern zu lassen.[270]

Dorothea, die, verständig und witzig, auch schon mit Don Quixotes verschobenem Gemüte bekannt war und sah, daß alle, Sancho Pansa ausgenommen, ihren Spaß mit ihm trieben, wollte auch nicht zurückbleiben und sagte, da sie ihn so heftig erzürnt sah: »Herr Ritter, Ihr wollet Euch der Gabe erinnern, die Eure Gnade mir versprochen, vermöge welcher Verheißung Ihr Euch in kein anderes Abenteuer einlassen dürft, wenn Ihr auch noch so dringend aufgefordert werdet; darum beruhigt Euer tapferes Herz; denn hätte der Herr Lizentiat gewußt, daß durch diesen unüberwindlichen Arm die Ruderknechte wären befreit worden, so hätte er sich wohl lieber dreimal auf den Mund geschlagen, ja dreimal auf die Zunge gebissen, ehe er ein Wort gesprochen, was meines gnädigen Herrn Unwillen erweckt.«

»Das beschwöre ich«, sagte der Pfarrer, »ja ich hätte mir eher den Bart ausgerauft.«

»Ich will mich beruhigen, meine Gebieterin«, sprach Don Quixote, »den gerechten Zorn unterdrücken, der sich in meinem Herzen erhob, und ruhig und friedlich dahinziehen, bis ich Euch die versprochene Gabe gewährt habe; doch zur Belohnung dieses guten Vorsatzes bitte ich Euch demütigst, mir zu sagen, welches Eure Bekümmernis sei, ingleichen wie viele, welche und welcher Gestalt diejenigen Personen, an denen ich die verschuldete, genügende und vollkommene Rache zu nehmen habe.«

»Dieses will ich gern tun«, antwortete Dorothea, »wenn es Euch nicht verdrießlich fällt, traurige Begebenheiten und Unglück zu hören.«

»Niemals wird es mir verdrießlich fallen, meine Gebieterin«, antwortete Don Quixote.

Worauf Dorothea antwortete: »Wenn es sich so verhält, so wollt Ihr mir ein aufmerksames Gehör vergönnen.«

Als sie dies sagte, begaben sich Cardenio und der Barbier ihr zur Seite, neugierig, zu sehen, wie die kluge Dorothea ihre Geschichte ersinnen würde; das nämliche tat Sancho, der so betört wie sein Herr mit ihr zog; sie aber, nachdem sie sich im Sattel zurechtgesetzt, zur Vorbereitung gehustet und andere Bewegungen gemacht hatte, fing sehr zierlich ihren Vortrag auf folgende Weise an:

»So müßt Ihr also, geehrte Herren, zuvörderst wissen, daß ich genannt werde – – –« Hier hielt sie ein wenig inne; denn sie hatte den Namen, den der Herr Pfarrer ihr beigelegt, vergessen; er aber kam ihr sogleich zu Hülfe, weil er die Ursache ihrer Pause erriet, und sagte: »Es ist nicht zu verwundern, gnädige Dame, wenn Eure Hoheit bei der Erzählung Eures Unglücks in Verwirrung und Verlegenheit gerät; denn oft sind die Leiden so groß, daß auch das Gedächtnis derer, die ihnen unterliegen, darunter leidet, so daß die Betrübten sich oft selbst ihres Namens nicht erinnern können, wie es Eurer Durchlauchtigkeit widerfahren, die es in der Tat vergessen, daß sie die Prinzessin Mikomikona ist, rechtmäßige Thronerbin des großen Mikomikonischen Reichs; mit dieser kleinen Erinnerung kann Eure Hoheit nun leicht alles in ihr bekümmertes Gedächtnis zurückrufen, was dieselbe nur hat vortragen wollen.«

»So ist es«, antwortete die Jungfrau, »und ich glaube, daß ich nun ohne weitere Erinnerung mit Leichtigkeit meine wahrhafte Geschichte werde in Worte führen können; mein Vater nämlich, der Tinacrio der Wissende hieß, war ungemein in der Kunst der Magie erfahren und erfuhr durch seine Wissenschaft, daß meine Mutter, die Königin Xamarilla, früher sterben würde als er; daß er aber auch bald darauf das Leben verlassen und mich als vater- und mutterlose Waise zurücklassen müsse; doch bekümmerte ihn dieses nicht so sehr, wie er sagte, als er sich darüber ängstigte, daß er gewiß vorherwisse, wie ein ungefüger Riese, Beherrscher einer großen Insel, die dicht an unser Reich grenzte, und der Pandalifando mit dem schiefen Blicke genannt wurde: denn es ist wahr, daß ihm die Augen zwar gerade und gut stehen, er aber immer in die Quere sieht, als wenn er schielte, was er nur aus Bosheit tut, um die, welche er ansieht, in Furcht und Schrecken zu setzen. Er wußte also, daß dieser Riese kaum erfahren würde, ich sei eine Waise, als er auch schon mit einer großen Macht mein Reich überziehen und es mir ganz entreißen[271] würde, ohne mir zu meinem Aufenthalte auch nur einen kleinen Flecken übrigzulassen; daß ich aber diesem Unglücke entweichen könne, wenn ich mich bequemte, ihn zu heiraten; aber er wußte auch recht gut, daß mir eine solche ungleiche Vermählung niemals in den Sinn kommen würde, und darin hatte er recht; denn es ist mir niemals eingefallen, mich mit diesem oder einem andern Riesen zu verheiraten, wenn er auch noch so groß und ungeheuer wäre; mein Vater sagte mir aber auch zugleich, daß, wenn er tot sei und Pandalifando Miene mache, mein Reich zu überziehen, ich mich nicht verteidigen sollte – denn dieses würde nur zu meinem Untergange gereichen –, sondern daß ich ihm mein Königreich ohne Widerstand überlassen möchte, wenn ich den Tod und das Verderben meiner braven und getreuen Untertanen vermeiden wolle; denn es sei mir unmöglich, mich gegen die Teufelskräfte des Riesen zu verteidigen; daß ich mich aber mit einigen Gefährten sogleich auf den Weg nach Hispania machen solle, denn dort sei meine Hülfe anzutreffen, ich würde nämlich hier einen irrenden Ritter finden, dessen Ruhm sich um diese Zeit schon durch das ganze Land verbreitet hätte und der, wenn ich mich recht erinnere, Don Glühpfote oder Don Kühschoote heißen sollte.«

»Don Quixote wird er gesagt haben, Dame«, fiel hier Sancho Pansa ein, »oder mit seinem zweiten Namen, der Ritter von der traurigen Gestalt.«

»So ist es auch«, sagte Dorothea. »Er sagte mir ferner, daß er groß von Körper sei, von dürrem Antlitz und daß er auf der rechten Seite unter der linken Schulter oder dort herum ein braunes Mal habe, mit einigen borstenähnlichen Haaren.«

Als Don Quixote dies vernahm, sagte er zu seinem Stallmeister: »Hierher, Sohn Sancho, hilf mich entkleiden, damit ich sehe, ob ich der Ritter sei, von dem der weise König prophezeit hat.«

»Warum will sich mein Herr entkleiden?« fragte Dorothea.

»Um zu sehen, ob ich das Mal besitze, von dem Euer Vater gesprochen«, antwortete Don Quixote.

»Es ist nicht nötig, Euch auszukleiden«, sprach Sancho, »denn ich weiß, daß Ihr mitten auf dem Rücken ein solches Mal habt, welches einen tapfern Menschen bezeichnet.«

»Dies ist hinreichend«, sprach Dorothea, »denn Freunde müssen nicht auf Kleinigkeiten achten; ob es nun auf der Schulter oder auf dem Rücken ist, das hat nichts zu sagen, genug, daß sich dort herum das Mal findet: denn alles ist doch ein Fleisch; und gewiß hat mein guter Vater alles richtig getroffen; ich aber ebenso richtig, indem ich mich dem Herrn Don Quixote empfohlen habe, der derselbe ist, von dem mein Vater gesprochen, denn die Anzeigen des Gesichts treffen mit dem großen Rufe vollkommen überein, den dieser Ritter nicht nur in Spanien, sondern auch in der ganzen la Mancha erlangt hat. Denn kaum war ich bei Ossuna ans Land gestiegen, als ich so viel von seinen Unternehmungen erzählen hörte, daß mir mein Geist augenblicklich sagte, er sei derselbe, den ich zu suchen gekommen.«

»Wie seid Ihr aber zu Ossuna ans Land gestiegen, meine Dame«, fragte Don Quixote, »da es doch kein Seehafen ist?«

Ehe aber noch Dorothea antworten konnte, nahm der Pfarrer das Wort und sagte: »Die durchlauchtige Prinzessin muß es wohl so meinen, daß, nachdem sie zu Malaga ans Land gestiegen, Ossuna der erste Ort gewesen, wo sie den Ruf von Euer Gnaden vernommen.«

»Das habe ich sagen wollen«, sagte Dorothea.

»Und somit fahre nun«, sagte der Pfarrer, »Eure Majestät fort, Dero Geschichte zu beendigen.«

»Es ist nichts weiter zu beendigen«, antwortete Dorothea, »als daß mein Schicksal mir endlich so günstig gewesen, daß ich den gnädigen Herrn Don Quixote gefunden und daß ich mich nun schon wieder für die Königin und Beherrscherin meines Reichs ansehe; denn seine Höflichkeit und sein hochadeliger Sinn hat mir versprochen, mir dahin zu folgen, wohin ich ihn führen werde, welches nirgends anders hin sein[272] soll als vor die Augen des Pandalifando mit dem schiefen Blicke, damit er ihn umbringe und mir das wiedergebe, was jener mir gegen alles Recht entrissen hat; auch wird dies alles, von Wort zu Wort, so eintreffen, denn Tinacrio der Wissende, mein edler Vater, hat es so prophezeit, der mir zugleich auch schwarz auf weiß in chaldäischen oder griechischen Buchstaben hinterlassen – denn ich kann sie nicht lesen –, daß, wenn jener prophezeite Ritter, nachdem er den Riesen enthauptet, sich mit mir vermählen will, ich mich ihm sogleich, ohne die mindeste Einwendung, zur rechtmäßigen Gemahlin übergeben muß und ich ihm mit meiner Person zugleich den Besitz meines Königreichs überliefere.«

»Wie dünkt es dir, Freund Sancho?« sagte hierauf Don Quixote; »vernimmst du, was vorgeht? Sagte ich dir dieses nicht? Nun schau doch, ob ein Königreich zur Herrschaft, eine Königin zur Vermählung mangelt.«

»Meiner Seel«, rief Sancho aus, »ein Hundsfott, wer sich nicht gleich vermählt, sowie dem Herrn Pantalonfando das Gurgelchen abgeschnitten ist! denn wenn die Königin häßlich ist, so wollte ich nur, daß sich alle Flöhe in meinem Bette in dergleichen verwandelten!« Bei diesen Worten schlug er zweimal hoch mit den Beinen aus, wodurch er das größte Vergnügen zu erkennen gab; dann faßte er das Maultier der Dorothea beim Zügel, hielt es an, kniete vor ihr nieder und bat, ihm die Hand zum Kusse zu reichen, als einen Beweis, daß er ihr als seiner Königin und Gebieterin huldigte. Wer hätte wohl von den Anwesenden nicht gelacht, da sie diese Tollheit des Herrn und diese Dummheit des Dieners sahen? Dorothea reichte ihm die Hand und versprach, ihn in ihrem Reiche zu einem großen Herrn zu machen, sobald ihr der Himmel so gnädig sei, daß sie es wieder in Ruhe besitze. Sancho dankte mit solchen Redensarten, daß alle von neuem lachen mußten.

»Dieses, meine Herren«, fuhr Dorothea fort, »ist meine Geschichte, es bleibt nur noch das zu erzählen übrig, daß mir von allen den Leuten, die ich zur Begleitung aus meinem Königreiche mit mir nahm, nur dieser großbärtige Stallmeister übriggeblieben ist; denn alle übrigen ertranken in einem heftigen Sturme, der uns im Angesichte des Hafens ergriff; er und ich aber kamen auf zwei Brettern, wie durch ein Wunderwerk, ans Land, wie denn mein ganzes Leben wunder-und geheimnisvoll ist, wie Ihr auch werdet bemerkt haben. Bin ich nun irgendworin zu umständlich oder auch nicht ausführlich genug gewesen, so meßt nur dem die Schuld bei, wovon der Herr Lizentiat gleich im Anfange meiner Erzählung sprach, daß nämlich immerwährende und ungeheuere Leiden dem leicht das Gedächtnis rauben, der ihnen unterliegt.«

»Mir soll dieses nicht geraubt werden, o erhabene und seelenstarke Dame!« rief Don Quixote, »so viele, so große und unerhörte ich auch in Eurem Dienste erdulden mag; und so bestätige ich also von neuem die Gabe, die Euch versprochen wurde, und schwöre Euch, bis an das Ende der Welt zu gehen, um Euren so stolzen Feind zu erblicken, dem ich durch Hülfe Gottes und meines Armes das übermütige Haupt herunterschlagen will, mit der Schneide dieses, ich mag nicht sagen guten, Schwertes. Dank sei's dem Gines von Pasamonte, der mir das meinige entführte!« Dies sagte er zwischen den Zähnen und fuhr dann so fort: »Hab ich es heruntergeschlagen und Euch in den ruhigen Besitz dieses Landes gesetzt, so wird es auf Eurem Willen beruhen, mit Eurer Person zu tun, was Euch am besten gefällt; denn während alle meine Gedanken eingenommen und mein Wille gefesselt, mein Verstand dahin für jene – – – Ich breche hier ab; aber unmöglich ist es mir, auch nur mit einem einzigen Gedanken an eine Vermählung zu denken, und wenn es selbst mit dem Vogel Phoenix wäre.«

Dem Sancho gefielen die letzten Worte seines Herrn, daß er sich nicht verheiraten wolle, so wenig, daß er im größten Zorn mit lauter Stimme rief: »Nun, bei meiner Seelen Seligkeit, Euer Gnaden, mein Herr Don Quixote hat nicht so viel Verstand wie ein Pferd! Hat man so was gesehen? Ist es möglich, daß[273] Ihr Euch nur noch darüber besinnen könnt, Euch mit solcher erhabenen Prinzessin zu vermählen? Meint Ihr denn, das Schicksal wird Euch solches Glück hinter jedem Zaune finden lassen, wie Euch hier von selbst in die Hände läuft? Ist denn die Dame Dulcinea etwa schöner? Ja, hat sich was! Weit davon! Weit davon! Ja, wahrhaftig, sie verdient nicht einmal, der da die Schuhriemen aufzulösen! Da werd ich wohl meine Grafschaft am Jüngsten Tage erhalten, wenn Ihr immer Bratwürste aus dem Wasser angeln wollt! Heiratet, heiratet sie doch in 's Teufels Namen, nehmt das Königreich, das Euch so gebraten in den Mund fliegt, und wenn Ihr nun König seid, so macht mich zum Markgrafen oder Feldmarschall, und alles andere mag dann der Teufel holen!«

Don Quixote, der dergleichen Lästerungen gegen seine Dame Dulcinea ausstoßen hörte, konnte dieses nicht ertragen, sondern erhob den Lanzenstab, und ohne dem Sancho ein Wort zu sagen oder nur zu rufen: Vorgesehn!, gab er ihm zwei so starke Schläge, daß dieser sich zur Erde begab, und er würde ihn heut auch ohne Zweifel umgebracht haben, wenn ihm nicht Dorothea gute Worte gegeben und zugerufen hätte, ihm nicht mehr zu geben. »Denkst du«, rief er endlich aus, »du gemeiner Schlingel, daß dergleichen immerwährend statthaben soll und daß ich immer die Hände in den Schoß lege? daß es immer deine Rolle sein soll, mich zu beleidigen, wie die meinige, dir zu verzeihen? Sei ja von diesem Gedanken fern, verfluchter heidnischer Halunke: denn der bist du wahrhaftiglich, da du mit deiner Zunge die unvergleichliche Dulcinea verwundest; weißt du denn nicht, Hundsfott, Schuft, Spitzbube, daß, wenn sie meinem Arme nicht Stärke liehe, seine Kraft niemals hinreichte, einen Floh zu erschlagen? Sprich, du natternzungiger Flegel, wer hat denn dieses Königreich gewonnen, diesem Riesen das Haupt abgeschlagen, dich zum Marques eingesetzt – denn in meinem Sinne ist alles dieses schon getan, weil es bei mir heißt, ein Wort, ein Mann –, wenn es nicht die Kraft der Dulcinea war, die meinen Arm zum Werkzeuge ihrer Taten macht? Sie kämpft in mir, sie siegt in mir, in ihr nur atme ich, mein Leben und Weben steht in ihr! Und du, schrecklicher Hurensohn, o wie bist du von aller Dankbarkeit so entblößt, daß du ihr mit Schmähungen lohnst, ihr, die dich aus dem Staube erhoben und dich zum Herrn und Gebieter gemacht?«

Sancho war nicht so sehr betäubt, daß er nicht alle Worte seines Herrn hätte hören sollen; er erhob sich also mit einiger Behendigkeit und begab sich hinter Dorotheas Maultier, von wo er zu seinem Herrn sprach: »Sagt doch, gnädiger Herr, ob's nicht wahr ist, daß, wenn Ihr den Entschluß gefaßt habt, Euch nicht mit dieser großen Prinzessin zu verheiraten, es dann einleuchtend ist, daß Euch das Königreich nicht anheimfällt? Und wenn das nicht ist, was könnt Ihr mir doch für Belohnungen zukommen lassen? Das ist es ja nur, worüber ich mich beklage. Verheiratet Euch doch nur ein für allemal mit dieser Königin, die wir hier haben, wie vom Himmel geregnet, so könnt Ihr Euch auch nachher der Dulcinea wieder annehmen; denn Ihr seid wohl nicht der erste König in der Welt, der sich Kebsweiber gehalten hat. Die Schönheit geht mich nichts weiter an; denn wenn ich die Wahrheit sagen soll, so kommen sie mir beide hübsch vor; denn die Dame Dulcinea habe ich mein' Tage nicht gesehen.«

»Wie, du hast sie nicht gesehen, Verräter, Gotteslästerer?« rief Don Quixote aus; »hast du mir denn nicht soeben einen Befehl von ihr überbracht?«

»Ich sage nur, daß ich sie nicht so nahe gesehen habe«, sagte Sancho, »um ihre Schönheiten genau und Stück für Stück schätzen zu können; aber so in Bausch und Bogen kam sie mir hübsch vor.«

»Nun will ich dir verzeihen«, sprach Don Quixote, »vergib du mir ebenfalls die Kränkung, die ich dir zugefügt; denn niemals hat der Mensch die ersten Bewegungen in seiner Gewalt.«

»Ja, das sehe ich«, antwortete Sancho, »und so ist bei mir die Lust zu reden immer eine erste Bewegung, und ich kann es nie lassen, das auszureden, was mir in den Mund läuft.«[274]

»Dessenungeachtet«, sprach Don Quixote, »magst du, mein Sancho, zuschauen, was du sprichst; denn der Krug geht so lange zu Wasser – – – Mehr will ich nicht sagen.«

»Gut, gut«, antwortete Sancho, »es lebt ein Gott im Himmel, der wird entscheiden, wer von uns beiden etwas Böseres tut, ich, wenn ich nicht geziemend spreche, oder Ihr, wenn Ihr ungeziemend handelt.«

»Nicht weiter!« sagte Dorothea; »geht, Sancho, und küßt Eurem Herrn die Hand, bittet ihn um Verzeihung und seid von jetzt an im Loben wie im Tadeln etwas vorsichtiger, und sprecht niemals wieder von dieser Dame Toboso übel, die ich zwar nicht kenne, ihr aber zu dienen wünsche, und vertraut auf Gott, der Euch gewiß in eine Lage setzen wird, in der Ihr wie ein Prinz leben könnt.«

Sancho schlich mit niederhängendem Kopfe und bat seinen Herrn um die Hand, der sie ihm mit feierlichem Anstande reichte. Nachdem sie Sancho geküßt hatte, gab jener ihm seinen Segen und sagte, daß sie sich etwas entfernen wollten, weil er ihn manches zu fragen und mit ihm Sachen von der äußersten Wichtigkeit abzuhandeln habe.

Sancho tat es, und die beiden gingen etwas weiter abseits. Don Quixote sprach zu ihm: »Seit du zurückgekehrt bist, habe ich weder Zeit noch Raum gewonnen, um dich über einige besondere Umstände zu befragen, die die Gesandtschaft sowie die Antwort betreffen, die du mir überbracht hast; da uns nun aber jetzt das Glück so Raum wie Zeit vergönnt, so versage mir nicht länger die Freude, welche du mir mit deinen guten Zeitungen schenken kannst.«

»Fragt nur, Gnädiger, was Ihr wollt«, antwortete Sancho, »wie die Erkundigung sein wird, so soll auch der Bescheid lauten; aber darum bitte ich Euch, mein lieber gnädiger Herr, daß Ihr nicht künftig so rachsüchtig seid.«

»Warum sagst du dieses, Sancho?« fragte Don Quixote.

»Ich sage dieses nur«, antwortete er, »weil die Schläge von heute mehr wegen der Händel herrühren, die der Teufel neulich in der Nacht zwischen uns anzettelte, als wegen dessen, was ich gegen die Dame Dulcinea sagte, die ich liebe und verehre wie eine Reliquie, wenn es auch nicht ihretwegen geschehe, doch schon Euch zu Gefallen.«

»Verfalle beileibe nicht wieder auf diese Reden, Sancho«, sagte Don Quixote; »denn sie erregen mir Verdruß. Ich habe dir einmal vergeben; aber du kennst wohl selbst das Sprichwort, daß für neue Verbrechen auch neue Strafen gehören.«

Indem dieses vorging, bemerkten sie auf ihrem Wege einen Menschen auf einem Esel, der ihnen entgegenkam, und als er näher geritten, schien er ein Zigeuner zu sein; Sancho aber, dem die Augen und die Seele aufgingen, wenn er nur einen Esel gewahr ward, hatte kaum diesen Menschen erblickt, als er ihn auch für den Gines von Pasamonte erkannte, und da er sich im Zigeuner sowenig verrechnet, so kam auch das Fazit seines Esels heraus, wie es auch zutraf; denn es war der Graue, auf welchem Pasamonte ritt; der, um nur nicht erkannt zu werden und den Esel zu verkaufen, die Tracht eines Zigeuners angelegt hatte, mit deren Sprache und Sitten er auf das genaueste bekannt war.

Sancho aber erkannte ihn gleich, indem er ihn sah, und schrie auch gleich mit der lautesten Stimme: »Ha! Du Spitzbube, Ginesillo, gib mir mein Kleinod, mein Leben her! Du sollst mir meine Ruhe nicht entziehen; gib mir den Esel, her mit dem Püppchen; lauf, Halunke; fort mit dir, Spitzbube; gib raus, was nicht dein ist!«

Es waren weder so viele Worte noch Schimpfreden vonnöten; denn gleich beim ersten sprang Gines ab und fing so an zu traben, daß man es wohl ein Rennen nennen konnte und er im Augenblicke den beiden völlig aus dem Gesichte verschwunden war. Sancho ging zu seinem Grauen, umarmte ihn und[275] sagte: »Wie ist es dir gegangen, mein Seelchen, mein herzliebster Grauer, mein Kamerad?« Und mit diesen Worten küßte er ihn und liebkosete ihn, als wenn er ein Mensch gewesen wäre. Der Esel stand still und ließ sich von Sancho küssen und liebkosen, ohne ein einziges Wort zu erwidern. Alle kamen hinzu und wünschten ihm zu dem wiedergefundenen Grauen Glück, vorzüglich Don Quixote, der ihm sagte, daß deswegen doch die Verschreibung auf die drei jungen Esel ihre Gültigkeit behalten solle. Sancho bedankte sich dafür.

Indem die beiden in diesen Gesprächen begriffen waren, sagte der Pfarrer zu Dorothea, daß sie es sehr verständig angefangen, die Erzählung so zu erfinden und sie nicht lang zu machen, auch daß der Inhalt so große Ähnlichkeit mit den Ritterbüchern gehabt habe.

Sie antwortete, daß sie viele Zeit mit Lesung derselben zugebracht habe; daß sie aber die Lage der Provinzen und Seehäfen nicht wüßte und aus Unwissenheit erzählt, sie sei zu Ossuna ans Land gestiegen.

»Ich bemerkte es«, sagte der Pfarrer, »und deshalb eilte ich mit meiner Erklärung zu Hülfe, die alles wiedergutmachte. Ist es aber nicht ein wunderliches Ding, daß dieser unglückliche Mann alle diese Erfindungen und Lügen so leicht glaubt, bloß, weil sie denselben Stempel und Gepräge haben wie die Albernheiten seiner Bücher?«

»Freilich«, sagte Cardenio, »es ist so seltsam und unerhört, daß man es vielleicht mit großem Scharfsinne nicht so erfinden und erdichten könnte, wenn einer darauf ausginge.«

»Auch ist es wunderbar«, sagte der Pfarrer, »daß außer den Narrheiten, die dieser gute Mann vorbringt, wenn es seine Verrücktheit betrifft, er überaus verständige Sachen redet und in allen Dingen einen hellen und gesunden Verstand beweist, so daß, wenn er nicht auf seine Ritterschaft gebracht wird, ihn jedermann für überaus verständig halten würde.«

Indes sie dieses Gespräch fortsetzten, fuhr auch Don Quixote in dem seinigen fort und sagte zu Sancho: »Wir wollen, Freund Sancho, alle diese Kleinigkeiten in Ansehung unserer Händel dem Winde und dem Meere übergeben; jetzt sage mir nur, ohne innerlich Unwillen oder Groll gegen mich zu hegen, wo, wie und wann fandest du Dulcinea? Was machte sie? Was sagtest du ihr? Was antwortete sie? Welche Miene machte sie, als sie meinen Brief las? Wer hat ihn dir abgeschrieben? Dies sage, nebst allem übrigen, was in dieser Sache wissenswürdig oder nötig ist, ohne daß du etwas zusetzest oder erdichtest, um mir Freude zu machen, noch weniger etwas unterdrückest, um sie mir nicht zu entreißen.«

»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »die Wahrheit zu sagen, so hat mir kein Mensch den Brief abgeschrieben; denn ich hatte gar keinen Brief bei mir.«

»Es ist, wie du sagst«, sprach Don Quixote; »denn das Taschenbuch, wohinein ich ihn schrieb, fand ich zwei Tage nach deiner Abreise bei mir, worüber ich sehr bekümmert war, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was du anfangen würdest, und immer glaubte, du würdest an der Stelle umkehren, an welcher du den Brief vermißtest.«

»So wär's gekommen«, antwortete Sancho, »wenn ich den Brief nicht im Kopfe behalten hätte, wie Ihr ihn mir vorlaset, so daß ich ihn einem Küster hersagte, der ihn aus meinem Gedächtnisse Wort für Wort niederschrieb und mir sagte, daß er zeit seines ganzen Lebens, so viele Bannbriefe er auch gelesen hätte, doch niemals einen so rührenden Brief wie den da gesehen oder gelesen habe.«

»Und du hast ihn noch ganz im Gedächtnisse, Sancho?« fragte Don Quixote.

»Nein, gnädiger Herr«, antwortete Sancho; »denn da ich ihn hergebetet hatte und nun sah, daß ich ihn nicht mehr brauchte, übergab ich ihn in die Vergessenheit; was ich mich noch besinnen kann, ist das Mein Närrchen, ich will sagen Monarchin, und zuletzt: Der Eurige bis in den Tod, der Ritter von der traurigen Gestalt, und zwischen den beiden Sachen steckten wohl etliche hundert Seelen, Leben und Herzen.«

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 269-276.
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