Vierzehntes Kapitel.

[246] Handelt von dem neuen und angenehmen Abenteuer, welches dem Pfarrer und Barbier in dem nämlichen Gebirge begegnete.


Höchst beglückt und freudenreich waren die Zeiten, in welchen der kühnste Ritter Don Quixote von la Mancha der Welt erschien, denn, indem er dazumal den ehrenvollen Entschluß faßte, den erloschenen und gleichsam erstorbenen Orden der irrenden Ritterschaft zu erwecken und der Welt zurückzugeben, geschieht es, daß wir uns in unsern Tagen, die einer erheiternden Unterhaltung so sehr bedürfen, nicht nur der Süßigkeiten seiner wahrhaftigen Geschichte erfreuen, sondern zugleich der Erzählungen und Episoden, die zum Teil ebenso anmutig, kunstreich und wahrhaftig sind als die Geschichte selbst, welche ihren sauber gehechelten, geflochtenen und abgeteilten Faden aufnimmt und erzählt, wie der Pfarrer, als er sich eben bereitete, dem Cardenio Trost zuzusprechen, von einer Stimme, die sein Ohr vernahm, unterbrochen wurde, welche in klagenden Tönen folgendes sagte:

»O Himmel! Sollte ich schon den Ort gefunden haben, der zum verborgenen Grabe der Last dieses meines Körpers dienen kann, die ich so sehr wider meinen Willen trage? Ja, so wird es sein, wenn diese Gebirge so einsam sind, wie sie mir erscheinen. Ach, ich Unglückselige! Wieviel liebere Gesellschaft werden diese Felsen und Abgründe für mein Vorhaben sein – denn sie vergönnen es mir, mein Unglück dem Himmel zu klagen – als die Gegenwart irgendeiner menschlichen Gestalt! denn von keinem auf Erden kann ich Rat in meinem Zweifeln hoffen, Trost in meinen Schmerzen, Hülfe in meinen Leiden.«[247]

Alle diese Worte hörten und verstanden der Pfarrer und die mit ihm waren, und da sie glaubten, wie es auch in der Tat war, daß der Klagende sich in der Nähe befinden müsse, so standen sie auf, ihn zu suchen, und sie waren kaum zwanzig Schritte gegangen, als sie hinter einem Felsen, am Fuße eines Eschenbaumes, einen Jüngling wahrnahmen, in der Kleidung eines Bauern, der das Gesicht gegen den Boden neigte, weil er im vorüberfließenden Bache seine Füße wusch, weswegen sie nicht sogleich betrachten konnten; sie waren auch so leise herangeschlichen, daß er sie nicht vernahm, auch weiter auf nichts achtete, als seine Füße zu waschen, die nicht anders wie zwei Stücke weißen Kristalls aussahen, die dort zwischen anderm Gestein im Bache gewachsen wären. Der Glanz der schönen, weißen Füße setzte sie in Erstaunen; denn sie schienen nicht gemacht, auf Kiesel zu treten oder hinter dem Pfluge und den Rindern herzuschreiten, wie man doch nach der Bekleidung hätte schließen sollen. Wie sie also sahen, daß sie nicht bemerkt wurden, gab der Pfarrer, welcher der vorderste war, den übrigen ein Zeichen, daß sie sich ruhig verhalten oder hinter einigen Felsenstücken dort verbergen möchten; dies taten sie alle, indem sie aufmerksam beobachteten, was der Jüngling tun würde. Dieser trug ein graues Wams, das um die Hüften mit einem weißen Tuche festgegürtet war; seine Beinkleider und Strümpfe waren ebenfalls von grauem Tuche, der Kopf war mit einer grauen Mütze bedeckt; die Strümpfe hatte er bis zur Hälfte der Beine hinaufgezogen, welche vollkommen dem weißesten Alabaster glichen; jetzt war er mit dem Waschen der schönen Füße fertig, worauf er sie mit einem Tuche, das er unter der Mütze hervornahm, trocknete, und indem er dieses herabnahm, erhob er sein Gesicht, und diejenigen, die ihn betrachteten, sahen durch diese Bewegung eine so unvergleichliche Schönheit, daß Cardenio zum Pfarrer leise sagte: »Ist dieses nicht Luzinde, so ist es kein menschliches, sondern ein göttliches Gebild.« Der Jüngling nahm nun die Mütze ab, und sowie er den Kopf von einer zur andern Seite schüttelte, flossen ringsum so strahlende Haarlocken hinunter, daß die Sonne ihren Glanz beneiden durfte. Hieraus ersahen sie, daß derjenige, der ihnen ein Bauerknabe schien, ein Mädchen sei, und zwar das zarteste und schönste, das ihre Augen bis dahin jemals gesehen hatten, selbst den Cardenio nicht ausgenommen, wäre ihm nicht die holdselige Luzinde bekannt gewesen, denn er gestand selbst nachher, daß nur Luzindens Schönheit sich mit dieser messen dürfe. Die langen, goldenen Haare bedeckten nicht nur die Schultern, sondern senkten sich so tief rund auf allen Seiten hinab, daß man vom Körper nichts als die Füße sehen konnte, von solcher Fülle und Länge waren ihre Locken. Hierauf brauchte sie statt eines Kammes ihre Hände, die, wenn die Füße im Wasser Kristalle schienen, in den Haaren sich nicht anders wie Figuren geformten Schnees ausnahmen; welches alles um so mehr die Bewunderung und den Wunsch bei den dreien, welche sie beobachteten, erregte, zu erfahren, wer sie sei; deshalb beschlossen sie, sich zu zeigen, und auf die Bewegung, die sie im Annähern machten, erhob das schöne Mädchen das Angesicht, strich mit beiden Händen die Haare von den Augen hinweg und sah nun die, die das Geräusch machten; aber kaum hatte sie sie bemerkt, als sie aufsprang und, ohne die Schuhe anzulegen oder die Haare aufzusammeln, in größter Eile ein leinen Bündel ergriff, das neben ihr lag, und sich voll Furcht und Schrecken auf die Flucht begab; sie war aber nicht sechs Schritte gelaufen, als ihre zarten Füße die Härte der Steine nicht länger aushalten konnten und sie auf die Erde niederfiel; als die drei dies sahen, eilten sie herzu, und der Pfarrer sagte zuerst: »Bleibt, Señora, wer Ihr auch sein mögt, denn wir alle, die Ihr hier seht, haben nur die Absicht, Euch zu dienen; ohne Ursache begebt Ihr Euch also auf diese ungeziemende Flucht; denn Eure Füße können sie sowenig aushalten, als wir dareinwilligen können.«

Auf dieses sagte sie kein Wort, so war sie erschrocken und in Verwirrung. Hierauf traten sie hinzu, und der Pfarrer nahm ihre Hand und fuhr so fort: »Was Eure Kleidung, Señora, uns leugnen sollte, haben uns Eure Locken entdeckt, deutliche Zeichen, daß keine geringen Ursachen Euch veranlaßt haben,[248] Eure Schönheit durch so unwürdige Tracht zu entstellen und sie so einsamer Wildnis zu verraten, in der Ihr uns zum Glücke gefunden habt, um Euch wenigstens zu trösten, wenn wir Euch nicht helfen können; denn kein Übel ist so drückend oder so gar verzweifelt, solange das Leben noch währt, daß es nicht mindestens Rat zulassen sollte, wenn er dem, der dessen bedarf, aus guter Absicht gegeben wird; also, Señora oder Señor, oder was Ihr sonst sein wollt, erholt Euch von dem Schrecken, den unser Anblick Euch verursacht, und erzählt uns Euer gutes oder schlimmes Glück; denn Ihr werdet finden, wie jeder von uns ein Mitgefühl für Eure Leiden hat.«

Indem der Pfarrer diese Worte sagte, stand das verkleidete Mädchen wie versteinert; sie betrachtete alle, ohne nur die Lippen zu regen oder eine Silbe zu sprechen, ebenso wie ein unerfahrner Bauer, dem plötzlich seltene und nie gesehene Dinge vor die Augen kommen; da aber der Pfarrer wiederum zu dem nämlichen Endzwecke andere Worte anknüpfte, holte sie einen tiefen Seufzer, brach ihr Schweigen und sagte: »Da es der Einsamkeit dieser Gebirge unmöglich gewesen ist, mich zu verstecken, und meine aufgelösten Haare auch meiner Zunge nicht erlauben, Lügen zu sagen, so wäre es jetzt wohl vergeblich, von neuem mich hinter eine Erdichtung zu verbergen, der Ihr vielleicht mehr aus Höflichkeit als einem andern Grunde Glauben beimessen würdet; dies vorausgesetzt, sage ich Euch, meine Herren, daß ich Euch für Eure freundlichen Anerbietungen danke, die mir die Pflicht auflegen, alle Eure Bitten zu erfüllen; nur besorge ich, die Erzählung meiner Unglücksfälle wird bei Euch ebensoviel Mitleiden als Unwillen erregen, weil Ihr keine Hülfe, mir zu helfen, keinen Rat, mir beizustehen, finden werdet; dennoch aber, damit nicht meine Ehre Eurem gütigen Willen zweideutig erscheine, da Ihr schon erkannt habt, daß ich ein Weib bin, und Ihr mich als Mädchen, einsam und in dieser Kleidung, seht, welches zusamt, wie jedes einzeln, jede gute Meinung zu Boden werfen könnte, will ich Euch das sagen, was ich gern verschwiege, wenn es mir möglich wäre.«

Alles dies sagte ohne Anstoß diejenige, die ein so schönes Mädchen zu sein schien, mit so leichter Zunge und so süßer Stimme, daß jene über ihren Verstand nicht weniger als über ihre Schönheit erstaunten, und da sie ihr von neuem ihre Dienste anboten und sie von neuem baten, ihr Versprechen zu erfüllen, so setzte sie sich, ohne sich länger bitten zu lassen, indem sie mit größtem Anstande ihre Schuhe anlegte und ihre Haare aufwickelte, auf ein Felsenstück, und nachdem die drei sich um sie gelagert und sie sich bemüht hatte, einige Tränen zu unterdrücken, die ihr in die Augen stiegen, begann sie mit sanfter und melodischer Stimme die Geschichte ihres Lebens auf folgende Weise:

»Hier in Andalusien liegt ein Ort, von dem ein Herzog seinen Titel führt, welcher ihn zu einem von denen macht, die man die Granden von Spanien nennt. Dieser hat zwei Söhne, der ältere, Erbe seiner Güter und, wie es scheint, seiner Tugenden; der jüngere aber mag wohl nur Erbe der Verrätereien des Vellido und der Tücke des Galalon sein. Dieses Herrn Vasallen sind meine Eltern, von geringer Abkunft, doch reich, daß, wenn die Natur ihnen ebenso günstig gewesen wäre als das Glück, sie weder etwas zu wünschen hätten, noch ich in mein gegenwärtiges Elend verwickelt wäre; denn wohl mag mein schlimmes Glück nur dadurch veranlaßt sein, daß sie von keinem edlen Geschlechte abstammen; doch sind sie nicht so niedrig, daß sie sich ihres Standes zu schämen hätten, doch ebensowenig vornehm genug, um mir den Gedanken nehmen zu können, daß nur aus ihrer Niedrigkeit mein Unglück erwachsen sei; kurz, sie sind Landarbeiter, abhängig, nie vermischt mit einem schlecht berufenen Stamme, sondern alte, unbefleckte Christen und von so uralter Reinheit, daß ihr Reichtum und Wohlstand ihnen wohl die Würde der Hidalgos, ja der Ritter erwerben könnte. Doch schätzten sie das für ihren größten Reichtum und besten Adel, mich zur Tochter zu haben; und da sie keinen andern Erben oder Erbin hatten und sie mich zärtlich als ihr Kind hielten, wurde ich so von ihnen geliebt, wie nur je eine Tochter geliebt wurde; ich war der[249] Spiegel, in dem sie sich betrachteten, die Stütze ihres Alters, das Ziel aller ihrer Wünsche, die sie mit denen zum Himmel vereinigten und mit denen die meinigen durchaus übereinstimmten, da sie immer die besten waren; nicht weniger, wie ich die Beherrscherin ihrer Liebe war, war ich es über alle ihre Güter; ich nahm Diener an und gab ihnen den Abschied, die Rechnungen über Aussaat und Ernte gingen durch meine Hände; über die Ölmühlen, die Weinkeltern, über die Herden des großen und kleinen Viehes, über die Bienenzucht, kurz, über alles, was zum Besitztume eines so reichen Landmannes gehört, als mein Vater war, führte ich die Rechnung; ich war die Haushälterin und Herrscherin, und meine Sorgfalt erwarb mir sein Wohlgefallen in solchem Maße, daß ich es unmöglich ausdrücken kann. Die Stunden, die mir vom Tage übrigblieben, nachdem ich die nötige Zeit den obersten Hirten oder Winzern gewidmet hatte, wendete ich zu jenen Übungen an, die den Jungfrauen ebenso nützlich als nötig sind, wie die Arbeiten mit der Nadel oder am Stickrahm, oft auch das Spinnrad; und ließ ich diese Arbeiten, um meinen Sinn zu ermuntern, so las ich zu meinem Vergnügen irgendein geistliches Buch, oder ich spielte meine Harfe; denn die Erfahrung zeigte mir, wie die Musik unruhige Gemüter beruhigt und die Leiden der Seele erleichtert. Ein solches Leben führte ich in meiner Eltern Hause, welches ich Euch nicht aus Prahlerei so umständlich beschrieben habe, oder um zu zeigen, daß ich reich sei, sondern damit Ihr sehen mögt, wie ich ohne meine Schuld aus jener glücklichen Lage in das Elend geraten bin, in welchem ich mich jetzt befinde.

Wie ich also mein Leben so eingezogen unter diesen Beschäftigungen fortführte, daß man es mit dem Aufenthalte in einem Kloster vergleichen durfte, ohne, wie ich es glaubte, von jemand anders als den Dienern im Hause gesehen zu werden – denn wenn ich zur Messe ging, geschah es so früh am Tage, überdies von meiner Mutter und meinen Mägden begleitet, auch so verhüllt und verschleiert, daß meine Blicke kaum mehr Boden sahen als den, wo ich den Fuß hinsetzte –, so vermochten es dennoch die Augen der Liebe oder vielmehr der Müßigkeit, die schärfer sind als die Augen des Luchses, daß Don Fernando mich bemerkte, denn so heißt der jüngere Sohn des Herzogs, von dem ich erst gesprochen habe.«

Kaum hatte die Erzählerin den Namen des Don Fernando genannt, als Cardenio die Farbe im Gesichte veränderte, wobei ihm in heftiger Erschütterung der Schweiß ausbrach, so daß der Pfarrer wie der Barbier, die auf ihn achtgaben, schon befürchteten, daß er den Anfall von Wahnsinn bekommen möchte, der ihn, wie sie gehört hatten, von Zeit zu Zeit heimsuchte; aber Cardenio tat in seiner Erschütterung nichts anderes, als daß er erstaunt dastand und das Landmädchen starr ansah, indem er zu wissen glaubte, wer sie sei; sie aber, ohne Cardenios Bewegungen zu bemerken, fuhr also in ihrer Erzählung fort:

»Er hatte mich kaum gesehen, als er auch, wie er mir nachher sagte, sich so von Liebe zu mir ergriffen fühlte, wie ich es wohl an seinem Betragen wahrnehmen konnte. Um aber bald die Geschichte meiner endlosen Leiden zu endigen, so übergehe ich alle Bemühungen des Don Fernando, die mir seine Absicht kundtun sollten; er bestach alle Leute in meinem Hause; meine Angehörigen erhielten Geschenke und Begünstigungen von ihm; jeder Tag war ein Fest und führte eine Ergötzlichkeit in meine Straße; in den Nächten konnte vor Spiel und Gesang niemand schlafen; der Briefchen, die mir, ohne zu wissen wie, in die Hände kamen, waren unzählige, voll von glühender Liebe und Ergebenheit, mehr Beteuerungen und Schwüre als Buchstaben; alles dieses aber erweichte mich so wenig, daß es mich im Gegenteil so gegen ihn verhärtete, daß er mir wie mein Todfeind erschien, so daß alles, was er tat, um mich seinen Wünschen geneigt zu machen, durchaus die entgegengesetzte Wirkung hervorbrachte; nicht, als ob mir die edle Gestalt Don Fernandos mißfallen hätte oder als ob ich auf seine Bemühungen einen Unwillen geworfen: denn ich empfand im Gegenteil ein gewisses Vergnügen, mich von einem so vorzüglichen Ritter geschätzt und geliebt zu sehen; auch verdroß es mich nicht, mein Lob in seinen Briefen zu lesen – denn[250] wenn wir Weiber auch noch so häßlich sind, so schmeichelt es uns doch, wie ich glaube, immer uns schön genannt zu hören –, sondern meine Tugend und der gute Rat meiner Eltern widersetzten sich ihm, die schon um die Absicht Don Fernandos wußten, weil er sich nicht darum kümmerte, ob die ganze Welt sie erführe. Meine Eltern sagten mir, wie sie meiner Tugend allein ihre Ehre und ihren guten Ruf vertrauten, daß ich die Ungleichheit bedenken möchte, die mich und Don Fernando voneinander trennte, und daraus schließen, daß seine Absichten, wenn er auch andere Reden führe, nur dahin zielten, sein Vergnügen, nicht aber meine Wohlfahrt zu befördern; wenn ich also gesonnen sei, seinen unrechtmäßigen Bewerbungen ein Hindernis in den Weg zu stellen, so wollten sie mich schnell verheiraten, mit wem ich es am liebsten möchte, entweder mit einem der Vornehmsten unseres Ortes oder aus der Nachbarschaft; denn unser großes Vermögen wie mein guter Ruf machte jede Wahl möglich. Durch diese gewissen Aussichten und die Wahrheit ihrer Vorstellungen stärkte ich mich in meinem Vorsatze und gab dem Don Fernando auch nicht eine einzige Silbe zur Antwort, die ihm, selbst nur aus der Ferne, die Hoffnung hätte einflößen können, seine Wünsche erfüllt zu sehen; diese Zurückgezogenheit aber, die er für Verschmähung halten sollte, mußte vielleicht nur noch heftiger seine Begier entzünden, denn so muß ich seine Gesinnung gegen mich nennen, die ich Euch, wenn sie gestaltet war, wie sie hätte sein sollen, heute nicht beschreiben dürfte, weil mir dann die Ursache fehlen würde, davon zu erzählen; kurz, Don Fernando erfuhr, daß meine Eltern damit umgingen, mich zu versorgen, um ihm jede Hoffnung meines Besitzes zu entreißen oder mir wenigstens mehr Wächter zu meinem Schutze zu geben, und diese Nachricht bewog ihn, das zu tun, was Ihr jetzt vernehmen sollt.

Als ich mich nämlich in einer Nacht in meinem Zimmer allein befand, nur in der Gesellschaft eines Mädchens, die mich bediente, die Türen wohl verschlossen, damit mir aus Nachlässigkeit nichts begegnen möchte, was meine Ehre in Gefahr bringen könnte, fand ich plötzlich, ohne zu wissen oder zu begreifen wie, in meiner stillen Einsamkeit und trotz meiner Vorsicht ihn vor mir, dessen Anblick mich so erschütterte, daß meine Augen ihre Kraft verloren und meine Zunge verstummte; darum stand es nicht in meiner Gewalt, um Hülfe zu rufen, auch glaube ich nicht, daß er es geduldet hätte; denn schnell eilte er auf mich zu, faßte mich in seine Arme – weil ich, wie gesagt, keine Kräfte hatte, um mich zu verteidigen, so erschüttert wie ich war – und überhäufte mich mit so vielen Worten, daß es mir unbegreiflich ist, wie die Lüge sich so geschickt verstellen kann, daß sie wie Wahrheit erscheint; der Verräter brachte es dahin, daß seine Tränen seine Worte, seine Seufzer sein Versprechen bekräftigten. Ich armes Kind, einsam unter den Meinigen aufgewachsen, schlecht geübt zu dergleichen Dingen, fing an, ich weiß nicht wie, alle diese Falschheit für Wahrheit zu halten, doch nicht so, daß ich zu einem andern als erlaubten Mitleiden durch seine Seufzer und Tränen wäre bewogen worden. Darauf, als das erste Erschrecken vorüber war, sammelte ich wieder meine zerstreuten Geister, und mit mehr Festigkeit, als er vielleicht erwartet hatte, sagte ich zu ihm: ›Wenn ich so, Señor, wie ich mich in deinen Armen finde, in die Klauen eines wilden Löwen gefallen wäre und mich dadurch erretten könnte, daß ich etwas täte oder sagte, was meiner Tugend entgegen wäre, so wäre es mir ebenso unmöglich, das zu tun oder zu sagen, wie es mir unmöglich ist, nicht mehr das zu bleiben, was ich bis jetzt war; darum, wenn du meinen Leib auch mit deinen Armen umgürtet hältst, so ist meine Seele doch mit Gesinnungen der Tugend umschlossen, die von den deinigen so verschieden sind, wie du es wahrnehmen sollst, wenn du Gewalt brauchen und so noch weiter vorschreiten wolltest. Ich bin deine Vasallin, aber nicht Sklavin; der Adel deines Blutes hat kein Recht, das meinige zu entehren oder es als ein niedriges zu verachten; als Landmädchen, als Bäuerin halte ich mich so gut, wie du dich als Herr und Ritter dünkst; deine Stärke soll nichts über mich vermögen; deine Schätze sollen mich nicht blenden; deine Worte haben keine Kraft, mich zu täuschen; deine Seufzer werden mich[251] nie bewegen; sähe ich aber alles dieses an einem Manne, den meine Eltern mir zum Gatten bestimmt haben, dann würde ich seinem Willen den meinigen unterwerfen, ja, mein Wille würde mit dem seinen ein und derselbe sein, so daß mich, wenn ich meine Ehre behielte, auch keine Reue quälen und ich dir dann, Señor, das freiwillig geben würde, was du mir jetzt mit Gewalt zu entreißen suchst; alles dieses sage ich, damit du nicht glauben mögest, daß irgend jemand etwas von mir erlange, der nicht mein rechtmäßiger Gemahl ist.‹

›Wenn dir nur dies Bedenken macht, schönste Dorothea‹« – denn so ist der Name dieser Unglücklichen –, »sagte der unedle Ritter, ›so reiche ich dir hiermit die Hand, der Deinige zu sein, und von der Aufrichtigkeit dieses Versprechens sei der Himmel Zeuge, dem nichts verborgen bleibt, und dies Bildnis der Mutter Gottes, das du hier hast.‹«

Als Cardenio vernahm, daß sie Dorothea heiße, ward er von neuem verwirrt und war nun von der Richtigkeit seiner ersten Vermutung überzeugt; er wollte aber die Erzählung nicht unterbrechen, um den Ausgang zu erfahren, den er fast schon wußte, er sagte nur: »Wie, Señora, dein Name ist Dorothea? Ich habe schon sonst diesen Namen von einer erfahren, die fast mit dir ein gleiches Elend erduldete; doch fahre fort, mit der Zeit will ich dir Dinge sagen, die dich nicht weniger erstaunen als betrüben werden.« Dorothea erstaunte über diese Rede des Cardenio sowie über seinen sonderbaren und kläglichen Aufzug und bat ihn, wenn er etwas von ihrem Schicksal wisse, es ihr sogleich zu sagen; denn wenn das Glück ihr etwas Gutes gelassen, so sei es der Mut, den sie fühle, jeder Kläglichkeit, die ihr begegnen möchte, zu trotzen, da sie gewiß sei, daß keine sie erreichen werde, die diejenige, welche sie schon bedrücke, im mindesten vermehren könne.

»Ich werde«, antwortete Cardenio, »das nicht vergessen, Señora, was ich dir sagen wollte, wenn meine Einbildung nämlich Wahrheit ist; es ist aber jetzt noch nicht Zeit und nutzt dir noch nicht, es zu erfahren.«

»Es sei, was es wolle«, antwortete Dorothea, »um in meiner Erzählung fortzufahren, so nahm Don Fernando ein Bildnis, welches sich im Zimmer befand, und rief es zum Zeugen unserer Vermählung an, mit herzerschütternden Worten und unter furchtbaren Schwüren tat er mir das Versprechen, mein Gemahl zu sein; ehe er aber seine Rede vollendete, bat ich ihn noch einmal, wohl zu überlegen, was er tue, zu bedenken, wie sein Vater zürnen werde, wenn er ihn mit einer Bürgerlichen, seiner Vasallin, verbunden sähe; meine Schönheit würde diesen nicht verblenden, denn sie sei nicht groß genug, seinen Fehler zu entschuldigen; wünsche er aus Liebe zu mir mein Bestes, so müßte er mein Geschick so eben fortlaufen lassen, wie es mein Stand mit sich bringe, denn solche ungleiche Heiraten brächten nie Freude, auch daure die Lust nie lange, mit der sie begonnen würden. Dieses alles stellte ich ihm vor und fügte noch manches andere hinzu, dessen ich mich jetzt nicht erinnere; aber nichts war stark genug, ihn von seinem Vorsatze abwendig zu machen: denn der, der nicht zu bezahlen denkt, sondern nur als Betrüger den Handel schließt, wird von keinen Schwierigkeiten irregemacht. Ich sprach zugleich einige Worte mit mir selber und sagte zu mir: Ich bin wohl nicht die erste, die durch Heirat aus einem niedrigen Stande vornehm geworden, auch wird Don Fernando nicht der erste sein, den Schönheit oder vielmehr verblendete Leidenschaft dahin brachte, sich eine Gefährtin, seiner Hoheit ungleich, zu erwählen; da es nun kein neuer und unerhörter Gebrauch ist, so tue ich nicht unrecht, die Ehre anzunehmen, die mir das Schicksal anbietet, und wenn auch sein Vorsatz nur so lange währt, als er seine Leidenschaft befriedigt, so bin ich doch vor Gott seine rechtmäßige Gemahlin; will ich ihn aber mit Verachtung von mir treiben, so tut er vielleicht, was er nicht sollte, und bedient sich der Gewalt, dann bin ich entehrt, und ich habe keine Entschuldigung meiner Schuld gegen die, die nicht wissen, wie ich in diese Lage gekommen bin:[252] denn mit welchen Worten möchte ich wohl meine Eltern und andere Leute überzeugen können, daß dieser Ritter ohne meine Bewilligung in mein Zimmer gekommen sei? Alle diese Fragen und Antworten gingen in einem Augenblicke durch mein Gedächtnis; aber vorzüglich überwältigten mich, ohne daß ich es merkte, Don Fernandos Schwüre zu meinem Verderben, die Zeugen, die er anrief, die Tränen, die er vergoß, ja, seine schöne und liebenswürdige Bildung, alles erhöht durch so viele Beweise wahrhafter Liebe, daß jedes andere Herz, das ebenso frei und wenig mißtrauisch als das meinige war, wäre bezwungen worden; ich rief meine Magd, damit zu den himmlischen Zeugen noch andere auf Erden hinzugefügt würden; Don Fernando erneuerte und bestätigte hierauf seine Schwüre, rief noch mehr Heilige als Zeugen unseres Bundes an, verdammte sich selbst mit tausend Verwünschungen, wenn er seine Versprechungen nicht erfüllen würde, von häufigen Tränen wurden seine Augen naß, seine Seufzer vermehrten sich, er drückte mich inniger in seine Arme, aus denen er mich noch nicht losgelassen hatte, und nun, indem sich das Mädchen aus dem Zimmer entfernte, hörte ich auf, ein Mädchen zu sein, und er wurde ein vollkommner Verräter und Nichtswürdiger.

Der Tag, der auf diese Nacht meines Unglücks folgte, kam, obgleich, wie ich glaube, nicht mit der Schnelligkeit, mit der Don Fernando ihn wünschte; denn sobald die Begierde gestillt ist, ist es der heftigste Wunsch, sich von da zu entfernen, wohin die Begier erst getrieben hat; dies glaube ich, weil Don Fernando eilte, sich von mir zu entfernen, und durch Hülfe des Mädchens, derselben, die ihn erst hereingelassen hatte, befand er sich vor Tagesanbruch auf der Straße; indem er Abschied nahm, wiederholte er mir, doch nicht mit ebendem Eifer und der Heftigkeit, wie er es bei seiner Ankunft tat, daß ich mich auf seine Treue verlassen könne, daß seine Eidschwüre wahrhaftig und unverbrüchlich wären, wobei er, zu größerer Bestätigung seines Wortes, einen kostbaren Ring vom Finger zog und ihn an den meinigen steckte; kurz, er entfernte sich nun, und ich blieb zurück, ich weiß nicht, ob traurig oder vergnügt, nur dies weiß ich zu sagen, daß ich verwirrt und nachdenklich war und wie von mir selbst durch diese neue Begebenheit entfremdet, so daß ich es auch nicht über mich vermochte oder es vielmehr ganz vergaß, mit meinem Mädchen wegen ihrer Verräterei zu schelten, daß sie Don Fernando in mein Zimmer verschlossen habe, denn ich war noch ungewiß, ob ich das, was mir begegnet war, für gut oder für schlimm halten sollte. Beim Abschied sagte ich dem Don Fernando, daß er mich auf ebendem Wege die künftigen Nächte sehen könne, weil ich die Seinige sei, bis er es für gut fände, die Sache bekanntzumachen; aber er kam, die folgende Nacht ausgenommen, nicht wieder, auch sah ich ihn auf der Straße nicht, ebensowenig in der Kirche, während eines Monates, denn vergebens bemühte ich mich, ihn zu sprechen, weil ich wußte, daß er in der Stadt war und fast täglich auf die Jagd ging, ein Vergnügen, welches er ungemein liebte; ich weiß, wie bitter und unglückselig mir diese Tage und Stunden waren, ich weiß auch, wie sich in ihnen nun meine Zweifel entsponnen, ja, wie ich auch dem Versprechen des Don Fernando nicht mehr traute; ebenso weiß ich, daß mein Mädchen nun die Worte anhören mußte und die Vorwürfe, die sie erst über ihr kühnes Unterfangen nicht gehört hatte; ich weiß, daß ich gezwungen war, über meine Tränen sowie über die Farbe meines Gesichts zu wachen, um nicht die Fragen meiner Eltern zu erregen, was mir fehle, und ich dadurch gezwungen sei, Lügen zu erfinden; doch hörte dies alles mit einem Schlage auf, denn ein solcher traf mich, der alle Rücksichten niederwarf und alle geziemenden Gedanken beendigte, wodurch meine geheimsten Gedanken sich offenbar machten, und dies war, weil man nach einigen Tagen im Orte davon redete, wie sich Don Fernando in einer nah gelegenen Stadt mit einer Jungfrau von äußerster Schönheit vermählt habe, die von vornehmen Eltern stamme, doch keine so reiche Mitgift besitze, daß sie eine so große Vermählung hätte erwarten dürfen; man nannte sie Luzinde und erzählte noch mehr Dinge, die sich auf ihrer Hochzeit zugetragen hatten, die verwundernswürdig waren.«[253]

Cardenio hörte den Namen Luzinde, doch tat er nichts weiter, als daß er die Schultern zusammenzog, sich auf die Lippen biß, die Augenbrauen faltete und augenblicks darauf zwei Tränenströme seinen Augen entrollen ließ. Dorothea fuhr aber dennoch so in ihrer Erzählung fort: »Wie ich diese betrübte Zeitung vernahm, statt daß mir das Herz hätte dabei erstarren sollen, so entzündete es sich vielmehr so in Zorn und Wut, daß wenig fehlte, ich hätte laut in den Gassen geschrien und die schändliche Treulosigkeit und Bosheit verkündigt; doch mäßigte ich für jetzt meine Wut, weil ich darauf dachte, das in der kommenden Nacht ins Werk zu richten, was ich auch tat, mir nämlich diese Tracht anzulegen, die ich von einem Hirten erhielt, einem Knechte meines Vaters, dem ich mein ganzes Unglück entdeckte und ihn bat, mich bis nach der Stadt zu begleiten, in der mein Feind seinen Aufenthalt genommen hatte; er, nachdem er mir erst meinen Vorsatz verwiesen und mir mein Unternehmen hatte verleiden wollen, mich aber entschlossen sah, versprach, mir Gesellschaft zu leisten und mich, wie er sagte, bis an der Welt Ende zu begleiten; sogleich packte ich in einen leinenen Beutel einen weiblichen Anzug, nebst einigen Kleinodien, und Geld auf alle Fälle, und ohne meinem verräterischen Mädchen ein Wort zu sagen, verließ ich das Haus in stiller Nacht, in Begleitung des Dieners und mannigfaltiger Vorstellungen, und machte mich zu Fuße auf den Weg nach der Stadt, von dem Vorsatze beflügelt, ihn zu finden und, wenn auch nicht zu hindern, was ich schon getan glaubte, doch wenigstens den Don Fernando zu fragen, mit welchem Herzen er es habe tun können.

In zwei und einem halben Tage gelangte ich, wohin ich wünschte, und sowie ich in die Stadt getreten war, fragte ich nach dem Hause, in dem die Eltern der Luzinde wohnten, und der erste, dem ich diese Frage tat, antwortete mir mehr, als ich zu hören wünschte; er gab mir Nachricht vom Hause und von allem, was sich mit der Tochter des Hauses zugetragen hatte: eine Sache, die in der Stadt so bekannt war, daß man an allen Orten laut davon redete; er erzählte mir, wie an dem Abende, da Luzinde mit Don Fernando vermählt wurde, als sie das Ja ausgesprochen, seine Gattin zu sein, sie von einer plötzlichen Ohnmacht befallen wäre; wie ihr Gemahl nun zu ihr gegangen, ihr die Brust frei zu machen, damit sie Luft schöpfen könne, habe er ein Blatt von Luzindens Hand gefunden, in welchem sie bestimmt erklärte, daß sie unmöglich die Gemahlin Don Fernandos sein könne, weil sie es schon vom Cardenio sei, der, nach dem Berichte dieses Mannes, ein vornehmer Ritter aus derselben Stadt war; daß sie dem Don Fernando ihr Jawort gegeben, habe sie nur getan, um ihren Eltern gehorsam zu sein; kurz, das Blatt enthielt nach seiner Erzählung solche Ausdrücke, daß man aus diesen begriff, sie habe den Vorsatz gehabt, sich selber umzubringen, sowie die Zeremonie beendigt gewesen; zugleich hatte sie die Ursachen angezeigt, aus denen sie sich des Lebens berauben wollte; alles dieses soll auch ein Dolch bestätigt haben, den man in einem Teile ihrer Kleidung fand. Als dem Don Fernando dies alles kund wurde und er meinte, von Luzinden hintergangen, verschmäht und verachtet zu sein, stürzte er auf sie zu, noch ehe sie aus ihrer Ohnmacht zurückgekommen war, und faßte den gefundenen Dolch, um sie zu erstechen, was er auch getan hätte, wenn ihn die Eltern und die übrigen, die zugegen waren, nicht daran gehindert hätten; man sagte auch, daß sich Don Fernando schnell entfernt, Luzinde sich aber erst am folgenden Tage von ihrer Betäubung erholt und dann ihren Eltern erzählt habe, wie sie die wahrhaftige Gemahlin des erst genannten Cardenio sei; man wußte auch, daß dieser Cardenio bei der Vermählung selbst gegenwärtig gewesen sei, und als er sie vermählt gesehen, was er nie hatte glauben können, sei er verzweifelnd aus der Stadt entflohen, habe aber ein geschriebenes Blatt zurückgelassen, in dem er Luzindens Treulosigkeit verwünschte, und daß er dort hinginge, wo ihn niemals das Auge eines Menschen wiederfinden solle. Dieses alles war in der ganzen Stadt allgemein bekannt, alle sprachen davon; noch mehr aber redeten sie darüber, als man erfuhr, daß Luzinde aus dem Hause ihrer Eltern und aus der Stadt entflohen sei;[254] denn man fand sie nicht in der Stadt, worüber ihre Eltern fast wahnsinnig wurden und nicht wußten, welche Mittel sie ergreifen sollten, um sie wiederzufinden. Als ich dies erfuhr, erwachten meine Hoffnungen von neuem, es schien mir jetzt besser, daß ich Don Fernando nicht gefunden hatte; denn da ich ihn nicht verheiratet fand, schien mir noch nicht ganz das Tor meines Trostes verschlossen; ich glaubte, der Himmel habe vielleicht seiner zweiten Heirat dies Hindernis geschickt, um seine Pflicht für die erste in ihm wiederzuerwecken, ihn zu erinnern, daß er ein Christ sei und daß er seine Seligkeit höher als alle irdischen Rücksichten achten müsse; alles dies stellte sich meiner Einbildung dar, und ich tröstete mich, ohne einen Grund des Trostes; ich ersann ferne, kaum schimmernde Hoffnungen, um ein Leben zu fristen, das ich jetzt hasse. Indem ich noch in der Stadt war, ohne zu wissen, was ich tun sollte, weil ich Don Fernando nicht fand, hörte ich einen öffentlichen Ausruf, welcher demjenigen eine große Belohnung nachwies, der mich auffände, wobei er mein Alter und die Kleidung, die ich trug, als Zeichen beschrieb; ich hörte ihn sagen, der Bursche, der mit mir ging, habe mich aus dem Hause meiner Eltern entführt: etwas, das mir durch die Seele ging, weil ich sah, wie sehr meine Ehre vernichtet war, daß man nicht nur meine Entfernung, sondern auch meinen Begleiter bekanntmachte, einen Gegenstand, der so niedrig und meiner Neigung durchaus unwürdig war. Sowie ich den Ausruf gehört hatte, verließ ich mit meinem Diener die Stadt, der schon anfing mir Proben zu geben, daß er in der mir versprochenen Treue wankend werde; in derselben Nacht begaben wir uns, aus Furcht, gefunden zu werden, in die verborgenen Schlüfte dieses Gebirges; wie man aber zu sagen pflegt, daß ein Unglück das andere herbeirufe und daß das Ende eines Leidens gewöhnlich nur der Anfang eines andern, noch größern sei, dies bewies sich an mir; denn mein guter Diener, bis dahin treu und zuverlässig, sah mich kaum in dieser Einsamkeit, als er, mehr durch sein schlechtes Gemüt als meine Schönheit gereizt, sich die Gelegenheit zunutze machen wollte, die ihm diese Wildnisse anzubieten schienen, und Ehrbarkeit, Furcht Gottes und Achtung gegen mich vergaß und mir seine Liebe antrug; und da er sah, wie ich auf seine unehrbaren Anträge mit frommen und geziemenden Worten erwiderte, ließ er die Bitten, deren er sich erst bediente, und fing an Gewalt zu brauchen; aber der gerechte Himmel, der selten oder niemals ermangelt, den tugendhaften Willen zu erkennen und zu beschützen, beschützte auch den meinigen so sehr, daß ich ihn mit meinen wenigen Kräften und mit kleiner Anstrengung von einem Abschusse herunterschleuderte, wo ich ihn, ich weiß nicht ob lebend oder tot, liegen ließ und gleich mit aller Schnelligkeit, die mir Schreck und Mattigkeit ließen, in diese Berge hinaufeilte, ohne andere Absicht und Gedanken, als mich hier zu verbergen und meinem Vater und andern zu entfliehen, die sich aufmachen würden, mich zu suchen. Mit diesem Vorsatze hatte ich schon einige Monate hier gelebt; denn ich traf auf einen Bauer, der mich als Knecht nach einem Dorfe in das innerste Gebirge mit sich nahm, wo ich diese Zeit über als sein Hirt gedient habe, indem ich mich immer auf dem Felde aufzuhalten suchte, um diese Haare zu verstecken, die mich heute, ohne daß ich es dachte, verraten haben; aber meine Mühe und Vorsicht war auch damals ohne Nutzen; denn mein Herr merkte, daß ich kein Mann sei, und derselbe schlechte Vorsatz wie in meinem Diener entstand in ihm; da aber das Glück uns mit der Widerwärtigkeit nicht immer die Hülfe reicht, so mochte sich auch kein Hohlweg oder Absturz finden, von wo ich den Herrn so hinunterstürzte, wie ich dem Diener getan hatte, also hielt ich es für zuträglicher, von ihm zu gehen und mich von neuem in diesen Wildnissen zu verbergen, als meine Kräfte oder meine Rechtfertigung gegen ihn zu versuchen; also verbarg ich mich, wie gesagt, wieder hier, um hier einen Ort zu finden, wo ich ungestört den Himmel um Mitleid anflehen kann, und daß er mir ein Mittel zeige, aus meinem Elende zu kommen oder hier in dieser Wüstenei zu sterben, damit kein Andenken der Unglückseligen übrigbleibe, die ohne ihre Schuld der Gegenstand der Gespräche und des Spottes so in ihrer wie in fremder Gegend geworden ist.«

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 246-255.
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