Sechstes Kapitel.

[331] Enthält die Fortsetzung der Geschichte der berühmten Mikomikonischen Infantin, nebst andern lustigen Abenteuern.


Alles dieses hatte Sancho mit dem tiefsten Schmerze seiner Seele angehört, denn er sah, daß die Hoffnungen auf seine Herrschaft verschwanden und in den Brunnen fielen und daß die treffliche Mikomikonische Prinzessin sich in Dorothea und der Riese in Don Fernando verwandelten, indes sein Herr, um diesen Hergang unbekümmert, fest schlief, ohne an etwas Böses zu denken. Dorothea konnte sich immer noch nicht versichern, ob ihr Glück nicht etwa nur ein Traum sei, ebenso dachte Cardenio, und Luzinde war in derselben Stimmung. Don Fernando dankte dem Himmel für die Gnade, die er ihm hatte widerfahren lassen, daß sie ihn aus jenem verwickelten Labyrinthe erlöst, in welchem er so leicht seine Ehre und seine Seele auf das Spiel setzen konnte, und kurz, alle, die in der Schenke waren, waren sehr zufrieden und über den glücklichen Ausgang vergnügt, welchen alle Leiden und Widerwärtigkeiten gewonnen hatten. Der Pfarrer brachte, als ein verständiger Mann, alles in sein völliges Gleichgewicht, er wünschte jedem besonders Glück, sein Heil gefunden zu haben; am meisten aber frohlockte die Wirtin, weil ihr der Pfarrer und Cardenio das Versprechen gegeben hatten, allen Schaden, den sie um Don Quixote willen erlitten, mit Zinsen zu ersetzen.

Nur Sancho war, wie gesagt, betrübt, mutlos und niedergeschlagen, und mit diesem melancholischen Aussehen trat er zu seinem Herrn hinein, der eben aufgewacht war, und sagte: »Ihr könnt nun, gnädiger[332] Herr Traurige Gestalt, so lange schlafen, als Ihr nur Lust habt, ohne Euch darum zu kümmern, einen Riesen totzuschlagen oder die Prinzessin in ihr Reich einzusetzen, denn alles ist schon getan und vollbracht.«

»Das ist mir wohl glaublich«, antwortete Don Quixote, »denn ich habe mit dem Riesen die schrecklichste und entsetzlichste Schlacht gehalten, die ich nur in der ganzen Zeit meines Lebens zu halten gedenke; mit einem Hiebe, schwapp! schmiß ich ihm den Kopf auf die Erde, und das hervorströmende Blut war so stark, daß es nur über den Boden wie Wasser weglief.«

»Daß es wie roter Wein weglief, solltet Ihr richtiger sagen«, antwortete Sancho; »denn Ihr müßt wissen, wenn es Euch nicht schon bekannt ist, daß der umgebrachte Riese ein zerstochener Schlauch ist, das Blut war einhundert Kannen roter Wein, die er im Leibe hatte, und der abgehauene Kopf ist die Hure, die mich geboren hat, und alles zusammen mag nun der Satan holen!«

»Was spricht denn der Narr?« erwiderte Don Quixote; »bist du bei Sinnen?«

»Steht nur auf«, sagte Sancho, »so werdet Ihr wohl die schöne Bescherung sehen, die Ihr angerichtet habt, und was wir alles zu bezahlen haben und wie sich die Königin in eine gewöhnliche Dame Dorothea verwandelt hat, nebst anderen Begebenheiten, die, wenn Ihr sie nur gewahr werdet, Euch in Erstaunen setzen sollen.«

»Über nichts werde ich mich verwundern«, erwiderte Don Quixote, »denn wenn du dich anders erinnerst, so sagte ich dir, als wir uns jüngst hier befanden, daß alles, was uns hier zustieß, nur Dinge der Bezauberung seien, und es wäre nichts Sonderliches, wenn es sich jetzt wieder also befände.«

»Das würde ich alles glauben«, antwortete Sancho, »wenn meine Prellerei auch ein Ding der Art gewesen wäre, aber das war sie nicht, sondern sehr wirklich und äußerst wahrhaftig; ich sah selbst, wie der Wirt, der sich noch gegenwärtig hier befindet, den einen Zipfel des Bettuches hielt und mich mit großer Freude und Fröhlichkeit in den Himmel schmiß, wobei ich sein Lachen ebenso hörte, wie ich seine große Stärke spürte; und wenn man so die Personen kennt, so denke ich bei mir, ob ich gleich nur ein einfältiger Mensch und armer Sünder bin, daß da nichts von Zauberei darunter steckt, sondern alles nur Prellerei und schlimmes Glück ist.«

»Nun wohlauf, Gott wird uns beistehen«, sagte Don Quixote, »gib mir meine Kleider, und ich will alsbald hinaustreten und alle Begebenheiten und alle Verwandlungen ansehen, von welchen du sprichst.«

Sancho half ihn ankleiden, und während dieser Zeit erzählte der Pfarrer dem Don Fernando und den übrigen von den Torheiten des Don Quixote, und welche List sie gebraucht hätten, um ihn von dem Felsen Armut herunterzulocken, wohin er sich aus der Einbildung begeben, er sei von seiner Dame verschmäht; er erzählte ihnen zugleich die Abenteuer, die er von Sancho erfahren hatte; worüber sie sich nicht wenig verwunderten und sehr lachten, denn allen schien dies die ausschweifendste Art des Wahnsinns, die nur jemals ein zerrüttetes Hirn einnehmen könne. Der Pfarrer fuhr fort, daß, da das gute Glück der Señora Dorothea sie nun hindere, seinen ersten Vorsatz weiter durchzuführen, müsse man jetzt etwas Neues ersinnen, um ihn nach seiner Heimat zurückzubringen. Cardenio schlug vor, im ersten Anschlage fortzufahren und daß Luzinde nunmehr die Rolle der Dorothea darstellen könne.

»Nein«, sagte Don Fernando, »das ist unnötig, ich will, daß Dorothea ihre Erfindung fortsetze, denn da wir von hier nach dem Wohnorte des guten Ritters nicht weit haben, so wird es mir ein Vergnügen sein, zu seiner Herstellung etwas beizutragen. Seine Heimat ist nur zwei Tagereisen von hier. Aber wenn sie auch weiter entfernt läge, würde ich doch mit Freuden den Weg machen, um dies gute Werk zu vollbringen.«

Indem trat Don Quixote herein, mit allen seinen Harnischstücken gewappnet, mit dem Helme,[333] dem zerschlagenen des Mambrin, auf dem Haupte, am Arm den Schild und auf seine Stange oder Knüttel gestützt. Don Fernando sowie die übrigen erstaunten über das höchst seltsame Aussehen des Don Quixote, über sein Antlitz, das eine halbe Meile in der Länge betrug und dürr und bleich war, über seine ungleichen Waffenstücke und sein abgemessenes Betragen; sie schwiegen, um zu sehen, was er sagen würde. Er aber, die Augen auf die schöne Dorothea geheftet, sagte mit dem feierlichsten Anstande: »Ich habe, schöne Dame, von meinem Stallmeister in Erfahrung gebracht, wie Eure Hoheit sich vernichtet und gänzlich sich selber verstoßen habe, indem Ihr Euch aus einer bisherigen Königin und mächtigen Herrscherin in eine gewöhnliche Jungfrau verwandelt habt; ist solches auf Befehl des königlichen Nekromanten, Eures Vaters, geschehen, weil er fürchtet, daß Ihr von mir nicht die geziemende und notdürftige Hülfe erhalten könntet, so sage ich ihm, daß er wenig weiß, wovon die Rede ist, so wie er nur ein kleines in den Historien der Ritterschaft bewandert sein muß, denn hätte er sie so aufmerksam gelesen und studiert, wie ich solche seit langer Zeit studiert und gelesen habe, so würde er auf jeder Seite darauf gestoßen sein, wie andere Ritter von geringerem Ruhme, als der meinige ist, weit gefährlichere Dinge vollbracht haben, da es nichts Sonderliches ist, ein Rieslein totzumachen, sei es auch noch so trotzig, denn es ist noch nicht gar lange, daß ich mit ihm etwas vorhatte, und – – – Aber ich will schweigen, damit man mich nicht Lügen strafe; doch die Zeit, die Entdeckerin aller Dinge, wird es enthüllen, wenn man es am mindesten denkt.«

»Mit zwei Schläuchen hattet Ihr etwas vor und mit keinem Riesen!« rief der Wirt hier aus, aber Don Fernando gebot ihm Stillschweigen, daß er keinesweges die Rede Don Quixotes unterbrechen möge. Und Don Quixote fuhr also fort: »Ich sage also, erhabene und erblose Herrscherin, daß, wenn aus jener oben angeführten Ursache Euer Vater mit Eurer Person diese Metamorphose vorgenommen, Ihr ihm durchaus keinen Glauben beimessen sollt, denn es gibt keine Gefahr auf Erden, durch die sich mein Schwert nicht einen Weg zu bahnen wüßte, mit diesem will ich das Haupt Eures Feindes auf das Land legen, von welchem ich Euch das Diadem in wenigen Tagen um Eure Schläfe binden werde.«

Hier endete Don Quixote und erwartete die Antwort der Prinzessin. Diese, die schon den Willen Don Fernandos wußte, daß sie die Täuschung fortführen solle, bis man Don Quixote nach seiner Heimat gebracht, antwortete daher mit vieler Zierlichkeit und großem Ernst: »Wer es immer sei, der Euch gesagt, tapferer Ritter von der traurigen Gestalt, daß ich mich meines vorigen Zustandes entkleidet, hat Euch nicht mit Wahrheit berichtet, denn dieselbe, die ich gestern war, bin ich noch heute; es hat sich freilich eine gewisse Veränderung mit mir in einigen glücklichen Zufällen zugetragen, wodurch ich etwas Besseres erlangt habe, als ich mir nur wünschen konnte; deswegen aber habe ich das nicht zu sein aufgegeben, was ich vormals war, so wie ich noch die nämlichen Gedanken nähre, mich der Gewalt Eures gewaltigen und unüberwindlichen Armes zu bedienen, wie ich immer getan habe; also, mein gnädiger Herr, erweist dem Vater, der mich gezeugt, die ihm gebührende Ehre und haltet ihn wie vormals für einen klugen und vorsichtigen Mann, da er durch seine Wissenschaft einen so leichten und zuverlässigen Weg ausgemittelt hat, mich aus meinen Leiden zu erlösen, denn ich bin des Glaubens, daß, wenn es nicht durch Euch geschehen, ich niemals wieder zu meinem Glücke gelangt wäre, und hierin sage ich so sehr die Wahrheit, daß es die meisten dieser hier gegenwärtigen Herren bezeugen können; was uns zu tun obliegt, ist, uns morgen auf den Weg zu machen, weil wir heut nicht mehr weit reisen könnten, und was dann übrigens mein Glück betrifft, so will ich dieses Gott und der Tapferkeit Eures Herzens anheimstellen.«

Dieses sagte die verständige Dorothea; und nachdem es Don Quixote vernommen hatte, wendete er sich zu Sancho und sagte zu ihm mit den Gebärden des größten Zornes: »Jetzt sag ich, o Sancho-Bestie, daß du der größte Kapital-Halunke seist, der nur in Spanien lebt! Sprich, du Erzspitzbube[334] von Landstreicher, hast du mir nicht eben gesagt, daß diese Prinzessin sich in eine Jungfrau verwandelt habe und Dorothea heiße? und daß der Kopf, den ich nach meinem Verstande einem Riesen abgehauen, die Hure sei, die dich geboren, nebst anderen Tollheiten, die mich in die größte Verwirrung gebracht, in der ich mich nur zeit meines Lebens befunden habe? Aber ich schwöre« – – – (er blickte zum Himmel und biß die Zähne zusammen), »daß ich an dir ein Exempel statuieren will, um Grütze allen lügenhaften Stallmeistern in den Kopf zu bringen, die den irrenden Rittern von jetzt an bis in Ewigkeit dienen!«

»Beruhigt Euch nur, mein gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »denn es kann wohl sein, daß mir über die Veränderung der gnädigen Mikomikonischen Prinzessin ein Irrtum zugestoßen ist; was aber den Kopf des Riesen oder wenigstens die zerstochenen Schläuche betrifft, und daß das Blut nur roter Wein war, darin bin ich, beim lebendigen Gott, in keinem Irrtum, denn die Schläuche stehen noch zerstochen zu Häuptern Eures Bettes, und eine große See von rotem Wein schwimmt in der Stube; und glaubt Ihr's nicht, so werdet Ihr es schon, wenn man die Eier aufmacht, gewahr werden, wenn nämlich Ihr Gnaden, der Herr Wirt von hier, Euch von allem Schaden die Rechnung vorlegen wird; was aber das betrifft, daß die gnädige Königin wieder ist, was sie war, so freue ich mich von ganzem Herzen darüber, denn ich kriege auch meinen Teil davon, wie jedes andere Menschenkind.«

»So sage ich dir also, Sancho«, sprach Don Quixote, »daß du ein dummer Lümmel bist, vergib mir, und damit sei es genug.«

»Es sei genug«, sagte Don Fernando, »man spreche hierüber nicht weiter, und da die durchlauchtige Prinzessin will, daß man morgen abreise, weil es heut schon zu spät ist, so geschehe es also, und laßt uns diese Nacht bis zum Tagesanbruch in guter Eintracht miteinander zubringen, dann wollen wir den Herrn Don Quixote begleiten und Zeuge seiner tapfern und unerhörten Taten sein, die er im Verlauf dieser großen Unternehmung, der er sich unterzogen, verüben wird.«

»Ich bin derjenige, der Euch Dienste leisten und begleiten wird«, antwortete Don Quixote, »ich erkenne die Gnade, die Ihr mir erweist, wie die gute Meinung, die Ihr von mir hegt und die ich zu bestätigen suchen werde, oder es soll mir das Leben kosten, ja noch mehr, wenn dieses möglich wäre.«

Noch viele andere Artigkeiten und freundliche Erbietungen fielen zwischen Don Quixote und Don Fernando vor. Sie wurden aber durch einen Reisenden beendigt, der jetzt in die Schenke trat und dessen Tracht zeigte, daß er ein Christ sei, der kürzlich aus dem Gebiete der Mohren zurückgekehrt war, denn er trug ein kurzes Oberkleid von blauem Zeuge, kleinen Ärmeln und ohne Halskragen, seine Beinkleider waren von der nämlichen Farbe; und auf dem Kopfe hatte er einen blauen Bund; er hatte dattelfarbige Halbstiefeln zum Aufschnüren und ein mohr'sches Schwert in einem Bandelier, das ihm über die Brust hing. Gleich nach ihm kam auf einem Maultier eine Frau in mohrischer Kleidung, deren Gesicht mit einem Tuche verhängt war; sie hatte einen brokatenen Kopfschmuck, und ein weiter Schleier floß ihr von dem Haupte bis zu den Füßen hinab. Der Mann war von starkem und angenehmem Äußeren, er schien ungefähr vierzig Jahre alt, von bräunlichem Gesicht, mit großem Zwickelbart und den Bart zierlich gekräuselt, so daß man ihn nach seinem Ansehen, wenn er besser gekleidet gewesen wäre, für einen Mann von Stande gehalten hätte. Indem er hereintrat, forderte er ein Zimmer, und da man ihm sagte, daß in der Schenke keins zu haben sei, schien er verdrüßlich zu werden, er ging hierauf zu der, die ihrer Kleidung nach eine Mohrin schien, und hob sie in seinen Armen herunter.

Luzinde, Dorothea, die Wirtin, ihre Tochter und Maritorne, die von der ihnen ganz neuen Kleidung angezogen wurden, umgaben die Mohrin, und Dorothea, die immer artig, verständig und liebenswürdig war, da sie sah, daß beide über das mangelnde Zimmer verdrüßlich waren, sagte: »Seid nicht, Señora, unzufrieden damit, daß es hier an aller Bequemlichkeit mangelt, denn es pflegt in den Schenken an allem[335] zu fehlen; wenn es Euch aber gefällt, mit uns zu sein« (indem sie auf Luzinden wies), »so werdet Ihr doch vielleicht hier einige Annehmlichkeiten mehr antreffen, als die Ihr auf dem übrigen Wege nicht gefunden habt.«

Die Verschleierte antwortete nicht, sondern sie stand auf, von wo sie sich niedergesetzt hatte, legte die Hände kreuzweis über die Brust und neigte den Kopf und den Körper zum Zeichen ihres Dankes. Aus ihrem Stillschweigen schlossen sie, daß sie eine Mohrin sein müsse und die christliche Sprache nicht reden könne. Indem trat der Gefangene hinzu, der indes anders beschäftigt gewesen war; als er sah, daß sie alle die Fremde umgaben und diese auf ihr Anreden nichts erwiderte, sagte er: »Dies Mädchen, meine Damen, versteht unsere Sprache kaum, denn sie ist nur mit ihrer Landessprache vertraut, und deshalb kann sie auf nichts antworten, was sie gefragt wird.«

»Wir fragen sie nichts«, antwortete Luzinde, »wir bieten ihr nur für diese Nacht unsere Gesellschaft und einen Teil unseres Gemachs an, wo wir ihr alle hier mögliche Bequemlichkeit mitteilen wollen, so wie wir ihr gern alle Dienste leisten, die Fremde, besonders Frauen, erwarten dürfen.«

»Für sie und für mich«, antwortete der Gefangene, »küsse ich Euch, Señora, die Hände; ich erkenne diese Gütigkeit so, wie ich soll, denn ich sehe, daß ich vornehmen und edlen Damen verbunden bin.«

»Sagt mir, Señor«, fragte Dorothea, »ist diese Señora Christin oder Mohrin? denn aus ihrer Kleidung und ihrem Stillschweigen schließen wir, daß sie das ist, was wir lieber nicht von ihr wünschten.«

»Sie ist Mohrin in Ansehung ihrer Tracht und im Körper, aber in der Seele ist sie eine herzliche Christin, denn ihr größter Wunsch ist es, Christin zu werden.«

»So ist sie nicht getauft?« fragte Luzinde.

»Noch hat die Gelegenheit dazu gefehlt«, antwortete der Gefangene, »seit wir Algier, ihr Vaterland, verlassen haben, und sie ist noch in keiner so dringenden Lebensgefahr gewesen, daß man sie hätte taufen müssen, ohne daß sie alle die Zeremonien kannte, die unsere Mutter, die heilige Kirche, befiehlt, aber mit Gottes Hülfe wird sie mit allen jenen Feierlichkeiten getauft werden, die ihr Stand erfordert, denn sie ist vornehmer, als sie nach ihrer oder meiner Kleidung scheint.«

Nach diesen Worten wurden alle Umstehende neugierig, zu erfahren, wer die Mohrin und der Gefangene seien; aber keiner wollte ihn fragen, weil es ihm nötiger schien zu ruhen, als seinen Lebenslauf zu erzählen. Dorothea nahm sie bei der Hand und ließ sie neben sich niedersetzen, worauf sie sie bat, daß sie den Schleier abnehmen möchte. Sie sah den Gefangenen an, als wenn sie ihn fragte, was jene sage und was sie tun solle. Er sagte ihr auf arabisch, daß sie gebeten würde, den Schleier abzunehmen, und daß sie es tun möchte; sie nahm hierauf den Schleier ab und entdeckte ein so schönes Angesicht, daß Dorothea sie schöner als Luzinde und Luzinde sie schöner als Dorothea fand, und alle Umstehende fällten das Urteil, daß, wenn sich jemand mit den beiden vergleichen dürfe, es die Mohrin sei, ja einige gaben ihr noch in manchen Dingen den Vorzug. Da die Schönheit nun immer die Gewalt hat, die Gemüter zu fesseln, so beeiferten sich alle sogleich, der schönen Mohrin zu dienen und sich ihr gefällig zu machen.

Don Fernando fragte den Gefangenen, wie die Mohrin heiße. Er antwortete: »Lela Zoraida«; wie sie dies hörte und merkte, was der Christ gefragt habe, rief sie eilig und mit sehr zierlichem Eifer: »Nicht, nicht Zoraida, Maria, Maria«, wodurch sie zu verstehen geben wollte, daß sie Maria und nicht Zoraida heiße.

Diese Worte und der große Eifer, mit dem die Mohrin sie sagte, rührten einige von den Umstehenden bis zu Tränen, besonders die Frauen, die von Natur zart und mitleidig sind. Luzinde umarmte sie mit inniger Liebe und sagte: »Ja, ja, Maria, Maria! Zoraida macange!«, welches soviel als nein bedeutet.

Indem war es Abend geworden, und auf Veranstaltung derjenigen, die mit Don Fernando gekommen[336] waren, hatte der Wirt mit aller Sorgfalt eine Abendmahlzeit zubereitet, so gut er sie nur schaffen konnte. Als es nun Zeit zum Essen geworden, setzten sich alle um einen breiten Wandtisch, denn ein runder oder viereckter Tisch war nicht in der Schenke; die Haupt-und vornehmste Stelle, so sehr er sich auch weigerte, wurde dem Don Quixote gegeben, der die Mikomikonische Fürstin zu seiner Seite haben wollte, weil er ihr Beschützer sei. Darauf setzten sich Luzinde und Zoraida und gegenüber Don Fernando und Cardenio, dann der Gefangene und die übrigen Ritter, an der Seite der Damen der Pfarrer und der Barbier. So aßen sie sehr vergnügt und ergötzten sich noch mehr, als Don Quixote zu essen aufhörte und, von einem ähnlichen Geiste getrieben, der ihn bewog zu reden, als er mit den Ziegenhirten speiste, also zu sprechen anfing: »In Wahrheit, Señores, wenn man es recht erwägt, so erfahren diejenigen große und unerhörte Dinge, die sich zum Orden der irrenden Ritterschaft bekennen; denn wer unter den Lebenden, der jetzt in die Tür dieses Kastells hereinträte und uns sähe, wie wir hier sitzen, würde glauben, daß wir das sind, was wir sind? Wer würde darauf verfallen, daß diese Dame, die zu meiner Seite sitzt, die große Königin sei, für welche wir sie alle kennen, und daß ich jener Ritter von der traurigen Gestalt bin, den das Gerücht im Munde führt? Nun ist es außer allem Zweifel, daß diese Kunst und dieses Geschäft alle übrigen übertrifft, die nur jemals von den Menschen sind erfunden worden, und man muß es um so höher achten, je mehr es Gefahren unterworfen ist. Diejenigen mögen nur schweigen, die die Wissenschaften über die Waffen stellen wollen, denn wer sie auch sein mögen, so sage ich ihnen, daß sie nicht wissen, was sie sagen. Denn der Grund, den diese anzugeben pflegen und auf welchem sie sich am meisten stützen, ist der, daß die Arbeiten des Geistes höher als die des Körpers stehen und daß die Waffen nur vom Körper geübt werden; als wenn ihre Ausübung nichts weiter als die Tätigkeit eines Sänftenträgers wäre, der nichts weiter als nur tüchtige Kräfte nötig hat; oder als wenn in dem, was wir das Handwerk der Waffen nennen, nicht alle Tugenden der Tapferkeit befangen lägen, die, recht ausgeübt, einen großen Verstand erfordern; oder als wenn der Krieger nicht, dem eine Armee oder die Verteidigung eines festen Platzes anvertraut ist, ebenso mit dem ganzen Geiste wie mit dem Körper arbeiten müßte. Man erwäge doch nur, ob er mit seinen körperlichen Kräften die Absicht des Feindes wissen und erraten kann, seine Plane, Kriegslisten, Anfälle, wie er jedem möglichen Unglück zuvorkommen muß, daß alle diese Dinge Verrichtungen des Verstandes sind, an welchen der Körper keinen Teil nehmen kann. Wenn dem nun so ist, daß die Waffen ebensoviel Geist als die Wissenschaften erfordern, so wollen wir nun untersuchen, welcher Geist, ob der des Gelehrten oder der des Kriegers, mehr erarbeitet; und dieses wird sich aus dem Ziele und Zwecke erkennen lassen, den sich jeder von beiden vorsetzt, denn die Absicht wird um so höher zu schätzen sein, je mehr ihr Endzweck groß und edel ist. Der Zweck und das Ziel der Wissenschaften ist – denn ich rede hier nicht von den göttlichen, die die Seelen zum Himmel führen und lenken wollen, denn diesem endlosen Endzweck darf sich kein anderer gleichstellen –, ich rede hier von den weltlichen Wissenschaften, deren Ziel es ist, die Gerechtigkeit gleich zu verteilen und jedem das zu geben, was ihm zukommt, und auf die Erhaltung der guten Gesetze zu wachen: gewiß ein edler, großer und preiswürdiger Endzweck! Aber dennoch ist er jenem nicht zu vergleichen, den sich die Waffen vorgesetzt haben, deren letztes Ziel der Friede ist, das höchste Gut, welches sich die Menschen in diesem Leben wünschen können; so waren die frohsten Nachrichten, die so Welt wie Menschen empfingen, jene, die die Engel in der Nacht, die unser Tag war, verkündigten, als sie in den Lüften sangen: ›Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden allen gutgesinnten Menschen‹; und der Gruß, den der oberste Herr der Erde und des Himmels seinen Schülern und Freunden lehrte, war der, daß sie, wenn sie ein Haus beträten, sagen sollten: ›Friede sei mit diesem Hause‹, und er selber sagte oftmals: ›Meinen Frieden gebe ich Euch, meinen Frieden lasse ich Euch, mein Friede sei mit Euch!‹ So war dies, von dieser Hand gegeben, das höchste Kleinod,[337] ohne welches auf Erden wie im Himmel kein anderes Glück zu finden ist; dieser Friede ist der wahrhafte Endzweck des Krieges, denn Waffen und Krieg sind gleichbedeutende Namen. Diese Wahrheit vorausgesetzt, daß der Zweck des Krieges der Friede sei und daß er hierin den Zweck der Wissenschaften übertreffe, wollen wir nun die körperlichen Leiden des Gelehrten untersuchen und sie mit denen des Kriegers vergleichen, um zu sehen, welche größer sind.«

Auf diese Art und in so guten Ausdrücken fuhr Don Quixote in seiner Rede fort, so daß ihn keiner von seinen Zuhörern für einen Toren halten konnte; sondern da die meisten Ritter waren, die sich zum Waffenhandwerke bekannten, hörten sie ihm vielmehr mit großem Vergnügen zu, und er nahm so die Rede von neuem auf: »Ich sage demnach, daß die Leiden des Studierenden folgende sind: Vornehmlich Armut, nicht als ob sie alle arm wären, sondern ich setze diesen Fall nur als das möglichst größte Unglück voraus; und indem ich gesagt habe, daß er an der Armut leidet, brauche ich nach meiner Meinung kein weiteres Übelbefinden hinzuzufügen, denn wer arm ist, der hat kein anderes Gut, das ihm zu Gebote steht. Diese seine Armut fühlt er bald im Hungern, bald in der Kälte, bald in der Entblößung, bald in allem zugleich; aber doch ist sie nicht so groß, daß er nicht essen sollte, wenn er es auch etwas später als die übrigen tut, wenn es auch von den Überbleibseln der Reichen geschieht; denn das ist das größte Elend der Studierenden, wenn sie nach fremden Brosamen gehen müssen, auch finden sie einen fremden Ofen oder Kamin, an dem sie sich, wenn auch nicht erwärmen, doch auftauen können, und endlich schlafen sie doch in der Nacht unter einem Dache. Des übrigen Mangels will ich gar nicht erwähnen, als der Mangel der Hemden ist und die Entbehrung der Schuhe, die Seltenheit und Abgetragenheit der Kleider, noch daß sie sich vor übermäßiger Lust den Magen verderben, wenn sie das Glück irgendeinmal zu einem Schmause führt. Auf diesem beschriebenen, steilen und beschwerlichen Wege, indem sie hier straucheln, dort fallen, da wieder aufstehen und hier von neuem wieder stürzen, ersteigen sie den Gipfel, den sie wünschen, und so haben wir viele hinaufgelangen sehen, die auch durch diese Syrten, Skyllen und Charybden gewandert sind, von dem günstigen Glücke unterstützt; so haben wir sie nachher Befehle geben und von einem Stuhle die Welt beherrschen sehen, indem sie den Mangel in Überfluß, den Frost in Wohlleben, die Blöße in Schmuck, das Schlafen auf einer schilfenen Matte in Ruhen auf köstlichen und teuren Betten verwandelt haben, eine Belohnung, die sie mit Recht durch ihre Tugend verdienten. Vergleichen wir aber diese Leiden mit denen des Kriegers und stellen sie ihnen entgegen, so erscheinen sie bei weitem als die geringeren, wie man sogleich sehen wird.«

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 331-338.
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