Zweites Kapitel.

[84] Ein anmutiges Gespräch zwischen Don Quixote und Sancho Pansa, seinem Stallmeister.


Indessen hatte sich Sancho Pansa, von den Burschen der Mönche etwas zerdroschen, aufgerichtet; er hatte der Schlacht seines Herrn Don Quixote aufmerksam zugeschaut und herzlich zu Gott gebetet, daß er ihm den Sieg verleihen und eine Insel gewinnen lassen möge, über welche er ihn, seinem Versprechen gemäß, zum Statthalter setzen könne. Da er nun merkte, daß der Kampf entschieden war und sein Herr wieder auf den Rozinante steigen wollte, kam er hinzu, ihm den Steigbügel zu halten, und ehe jener noch aufgestiegen war, warf er sich vor ihm nieder, ergriff seine Hand, küßte sie und sagte: »Erinnere sich mein gnädiger Herr Don Quixote nunmehr, mir die Regierung der Insula zu schenken, die in diesem hartnäckigen Kampfe gewonnen ist, sie sei auch noch so groß, ich fühle Tüchtigkeit in mir, sie zu regieren, trotz einem in der ganzen Welt, der nur je Inseln regiert hat.«

Hierauf erwiderte Don Quixote: »Sei wissend, Bruder Sancho, daß dieses Abenteuer, wie dem ähnliche, keine Inseln-, sondern nur Kreuzwegsabenteuer sind, in denen man nichts gewinnt als zerschlagene Köpfe und abgehauene Ohren. Fasse Geduld, es werden sich Abenteuer einstellen, die dir nicht nur eine Statthalterschaft, sondern wohl noch mehr eintragen sollen.«

Sancho war sehr erfreut und küßte wieder die Hand und den Harnisch, worauf er ihm auf seinen Rozinante half, selbst den Esel bestieg und seinem Herrn nachritt, der, ohne weiter mit denen in der[85] Kutsche zu sprechen, sich eilig in ein nah gelegenes Gehölz wandte. Sancho folgte ihm im vollen Trabe seines Tieres, aber Rozinante war so behende, daß er weit zurückblieb und seinem Herrn laut zurufen mußte, er möchte auf ihn warten. Don Quixote tat es, er hielt den Rozinante so lange an, bis ihn sein Stallmeister eingeholt hatte, der darauf, als er nahe gekommen, sagte: »Es wäre wohl gut, Herr, wenn wir uns in eine Kirche flüchteten, denn da der so übel zugerichtet ist, mit dem Ihr Euch geschlagen habt, so ist er imstande, alles der Heiligen Brüderschaft zu klagen, daß sie uns fangen; haben die uns aber einmal hingesetzt, so kann wahrhaftig der Himmel darüber einfallen, ehe sie uns wieder aus dem Gefängnis lassen.«

»Sei ohne Sorge«, sagte Don Quixote, »wann hast du jemals gesehen oder gelesen, daß ein irrender Ritter vor Gericht geführt sei, wenn er auch tausend Homizidien begangen hätte.«

»Von den Omezilien versteh ich nichts«, antwortete Sancho, »habe mich auch zeitlebens auf keine eingelassen, aber das weiß ich, daß sich die Heilige Brüderschaft darum bekümmert, wer sich auf dem freien Felde rauft; alles übrige geht mich nichts an.«

»Du darfst nicht zweifeln, Freund«, antwortete Don Quixote, »daß ich dich aus den Händen der Chaldäer, geschweige der Brüderschaft erretten wollte. Aber sage mir aufrichtig, hast du wohl einen so tapfern Ritter, als ich bin, auf der ganzen bisher bekannten Erde gesehen? Hast du in den Historien von einem gelesen, der beweist oder bewiesen hat größere Kühnheit in Angriffen, mehr Festigkeit in der Ausdauer, mehr Geschicklichkeit zu verwunden und größere Behendigkeit niederzuwerfen?«

»Die Wahrheit ist«, antwortete Sancho, »daß ich niemals eine Historie gelesen habe, denn ich kann nicht lesen und schreiben, aber das will ich behaupten, daß ich einem so verwegnen Herrn als Euer Gnaden in meinem ganzen Leben noch nicht gedient habe, und Gott gebe nur, daß die Verwegenheit nicht so bezahlt wird, wie ich schon gesagt habe. Ich bitte aber Euer Gnaden, sich zu verbinden, denn aus dem Ohre läuft vieles Blut, ich habe Scharpie und etwas weiße Salbe im Schnappsacke.«

»Wir könnten dessen entübrigt sein«, antwortete Don Quixote, »wenn ich darauf gefallen wäre, mir eine Flasche von dem Balsame Fierabras' zu machen; denn mit einem einzigen Tropfen könnten wir Zeit und Medizin ersparen.«

»Was für eine Flasche und was für ein Balsam ist das?« fragte Sancho Pansa.

»Es ist Balsam«, erwiderte Don Quixote, »von welchem ich das Rezept im Gedächtnis habe, bei welchem man den Tod nicht zu fürchten oder zu besorgen braucht, an irgendeiner Wunde zu sterben. Wann ich ihn also verfertige und ihn dir übergebe, so hast du nichts weiter zu tun, als, wenn du mich in einer Schlacht mitten durchgehauen siehst – wie dies denn oftmals begegnet –, die Hälfte des Körpers, die auf den Boden gefallen ist, sauber aufzuheben, sie behende, ehe das Blut erkaltet, auf die andere Hälfte, die im Sattel sitzt, aufzupassen und sie sorgfältig und gerecht einzufugen. Zugleich gibst du mir zwei Schluck von dem genannten Balsam zu trinken, und du wirst sehen, daß ich dann so gesund bin wie ein Fisch.«

»Wenn das so ist«, sagte Sancho, »so will ich mich der Regierung der versprochenen Insel begeben, und ich verlange zum Lohn meiner vielen und tapfern Dienste nichts anderes, als daß Ihr mir das Rezept dieses erstaunlichen Getränkes mitteilt, wovon nach meiner Rechnung die Unze wohl ihre zwei Realen wert sein mag, und mehr brauch ich dann nicht, um mein Leben ehrlich und lustig hinzubringen. Aber nun muß ich noch wissen, ob es ihn zu machen viel kosten wird.«

»Mit weniger als drei Realen kannst du drei Quart zubereiten«, antwortete Don Quixote.

»O du allerhöchster Himmel!« rief Sancho aus, »warum macht Ihr ihn denn nicht und lehrt es mir gleich?«[86]

»Sei nur ruhig, Freund«, sagte Don Quixote, »noch größere Geheimnisse will ich dir lehren, noch größern Lohn sollst du empfahen, aber jetzt wollen wir auf die Verbindung denken, denn das Ohr schmerzt mich mehr, als ich es sage.«

Sancho nahm aus dem Beutel Scharpie und Salbe, aber als Don Quixote sah, wie sein Helm verdorben war, wollte er unsinnig werden; er legte die Hand an das Schwert, erhub die Augen zum Himmel und sagte: »Ich schwöre hier beim Schöpfer aller Dinge, bei den heiligen vier Evangelien, wo sie am umständlichsten geschrieben stehen, eben das Leben zu führen, welches der große Marques von Mantua führte, als er schwur, den Tod seines Neffen Balduin zu rächen, welches darin bestand, auf keinem Tischtuche zu essen, mit seiner Gemahlin sich nicht zu ergötzen, nebst andern Dingen, deren ich mich nicht erinnere, die ich aber hier zugleich befasse, bis ich vollständige Rache an dem genommen, der mir diesen Schimpf erwiesen.«

Als Sancho dies hörte, sagte er: »Bedenkt, mein gnädiger Herr Don Quixote, daß, wenn der Ritter das tut, was Ihr ihm befohlen habt, nämlich hinzugehen und sich der Dame Dulcinea von Toboso zu präsentieren, daß er dann alles getan hat, was ihm zukömmt, und also keine andere Strafe verdient, wenn er kein neues Verbrechen begeht.«

»Du hast gut und trefflich gesprochen«, antwortete Don Quixote, »ich vernichte also den Eid, insofern ich eine neue Rache nehmen wollte; aber ich wiederhole und bestätige ihn, das obgenannte Leben zu führen, bis ich mit Gewalt von einem Ritter einen so schätzbaren Helm erobere, als dieser ist. Und gedenke nur nicht, Sancho, daß ich dieses vom Zaune breche, sondern ich ahme hierin buchstäblich das nach, was sich in Ansehung des Helmes des Mambrin zutrug, der dem Sacripante so kostbar war.«

»Laßt doch, gnädiger Herr, den Teufel diese Schwüre holen«, versetzte Sancho, »die der Seligkeit zum Schaden und dem Gewissen zur Last gereichen! Bedenkt nur, wenn wir nun in vielen Tagen auf keinen Menschen treffen, der einen Helm führt? Was sollen wir dann machen? Sollen wir den Schwur erfüllen, der so viel Unbequemlichkeit und Drückendes hat, wie in den Kleidern zu schlafen und in keiner Herberge einzukehren, nebst tausend andern Kasteiungen, die in dem Schwure des unsinnigen alten Kerls, des Marques von Mantua, vorkommen, den Ihr nun wieder in Gang bringen wollt? Bedenkt nur, gnädiger Herr, daß auf allen diesen Wegen hier keine geharnischten Männer reisen, sondern Eseltreiber und Fuhrleute, die gar keine Helme tragen, ja die vielleicht in ihrem ganzen Leben keinen Helm haben nennen hören.«

»Du irrst in diesem«, antwortete Don Quixote, »denn nicht zwei Stunden werden wir auf den Kreuzwegen fortreisen, ohne mehr Geharnischte anzutreffen, als nach Albraca kamen, um Angelika die Schöne zu entsetzen.«

»Gut denn, mag's so sein«, sagte Sancho, »und ich bitte Gott, daß es uns gut gelinge und daß bald die Zeit kommen mag, die Insel zu gewinnen, die mir so köstlich ist, dann will ich sterben.«

»Ich habe es dir gesagt, Sancho, daß du desfalls unbekümmert sein darfst, denn wenn uns auch eine Insel fehlen sollte, so bleibt uns jedenfalls doch das Königreich Dänemark oder das von Sobradisa, die sich dir wie ein Paar Handschuh anpassen werden und die dich um so mehr vergnügen müssen, da sie auf dem festen Lande liegen. Aber wir wollen dieses der Zeit überlassen; jetzt schaue zu, ob du in deinem Schnappsacke etwas Eßbares führst; dann wollen wir sogleich ein Kastell aufsuchen, wo wir die Nacht herbergen und den Balsam machen können, von dem ich dir gesagt, denn ich schwöre es dir zu Gott, daß das Ohr mich heftig schmerzt.«

Sancho zog hierauf eine Zwiebel und ein wenig Käse hervor, nebst etlichen Stückchen Brot, und sagte: »Dies sind aber keine Gerichte, die sich für einen so tapfern Ritter, als Euer Gnaden sind, schicken.«[87]

»Übel verstehst du dieses«, antwortete Don Quixote; »erfahre also, Sancho, daß die Ehre der irrenden Ritter darin besteht, in einem Monate nicht zu essen, und selbst wann sie essen, das, was ihnen in die Hände fällt; du würdest auch davon versichert sein, wenn du so viele Historien wie ich gelesen hättest, denn trotz der großen Menge habe ich nicht in einer einzigen erwähnt gefunden, daß die irrenden Ritter gegessen hätten, wenn es sich nicht etwa traf, daß man ihnen ein prächtiges Bankett anrichtete; sonst begnügten sie sich an den übrigen Tagen mit der Entbehrung. Wenn ich nun freilich wohl einsehe, daß sie nicht ohne Essen sowie ohne die übrigen natürlichen Bedürfnisse leben konnten, denn sie waren ebensolche Menschen, wie wir es sind, so versteht sich doch auch von selbst, daß sie die meiste Zeit ihres Lebens in Waldungen und Einöden, und zwar ohne einen Koch, zubrachten, daß ihre gewöhnlichen Speisen in solchen ländlichen Gerichten bestehen mußten, wie du mir da eben anbietest. Also, Freund Sancho, sorge du nicht um das, was mich vergnügen könne, suche auch nicht, eine neue Welt zu erschaffen oder die irrende Ritterschaft aus ihren Angeln zu heben.«

»Nehmt's nicht übel, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »da ich, wie ich schon oft gesagt, weder lesen noch schreiben kann, so versteh ich auch drum keine Regel vom Handwerk der Ritterei. Ich will aber künftig den Schnappsack mit aller Art von trockner Frucht versorgen für Euch, der Ihr ein Ritter seid, für mich aber, der ich es nicht bin, will ich ihn mit andern Sachen versorgen, die kernichter und gewichtiger sind.«

»Ich sagte ja nicht, Sancho«, erwiderte Don Quixote, »daß die irrenden Ritter gezwungen seien, nichts als die Früchte zu essen, von denen du da sprichst, sondern nur, daß ihr gewöhnlicher Unterhalt darin und in etlichen Kräutern bestand, die sie im Felde fanden und kannten und welche ich ebenfalls kenne.«

»Es ist ein Glück«, antwortete Sancho, »mit solchen Kräutern bekannt zu sein, und wie ich mir vorstelle, wird wohl einmal eine Zeit kommen, wo wir gezwungen sind, aus dieser Bekanntschaft Nutzen zu ziehen.«

Hiermit gab er ihm das, was er bei sich hatte, und sie aßen friedlich und gesellig miteinander. Da sie aber begierig waren, einen Ort zu finden, wo sie in der Nacht einkehren könnten, so beendigten sie schnell ihre dürftige und trockene Mahlzeit. Dann stiegen sie zu Pferde und eilten sehr, um noch vor der Nacht eine Ortschaft zu erreichen; aber die Sonne ging so wie ihre Hoffnung unter, das zu finden, was sie wünschten, als sie sich bei einigen Hütungen etlicher Ziegenhirten befanden, bei denen sie anzuhalten beschlossen. Sancho war sehr verdrießlich, daß er keine Herberge mehr erreicht hatte, aber sein Herr desto vergnügter, unter freiem Himmel schlafen zu können, denn er glaubte, durch jeden ähnlichen Vorfall ein Besitztumsrecht mehr zu erhalten, wodurch er um so deutlicher seine Ritterschaft beweisen könne.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 84-88.
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