Zweites Kapitel.

[466] Von dem Entschlusse, welchen Don Quixote faßte, sich zu einem Schäfer zu machen und auf dem Felde zu leben, bis das Jahr seines Gelübdes vorüber sei, nebst andern Sachen, die in Wahrheit anmutig und trefflich sind.


Wenn schon Don Quixote vor seinem Sturze von vielen Gedanken beunruhigt wurde, so geschah dies seit seinem Falle noch weit mehr. Er hielt, wie gesagt, im Schatten des Baumes, und dort kamen, wie Fliegen zum Honig, Gedanken zu ihm und ängstigten ihn. Bald dachte er auf die Entzauberung der Dulcinea, dann wieder, welches Leben er in seiner aufgedrungenen Einsamkeit führen wolle. Sancho kam zu ihm und lobte ihm die Freigebigkeit des Lakaien Tosilos. »Ist es möglich«, sagte Don Quixote zu ihm, »daß du noch immer, o Sancho, glaubst, dieser sei ein wahrhaftiger Lakai? Es scheint deinem Gedächtnisse entfallen zu sein, daß du die Dulcinea in eine Bäuerin verwandelt gesehen und den Ritter von den Spiegeln in den Baccalaureus Carrasco: alles Werke der Zauberer, welche mich verfolgen. Aber sage mir jetzt, hast du diesen Tosilos, wie du ihn nennst, gefragt, was Gott über Altisidora beschlossen hat, ob sie meine Abwesenheit beweint oder ob sie schon in das Meer der Vergessenheit die Liebesgedanken versenkt hat, welche sie in meiner Gegenwart peinigten.«

»Meine Gedanken«, antwortete Sancho, »waren von solcher Art, daß sie mich nach dergleichen Kindereien gar nicht fragen ließen. Aber, lieber Gott! seid Ihr denn jetzt wohl, gnädiger Herr, in einer Lage, daß Ihr Euch um fremde, vollends um Liebesgedanken bekümmern könnt?«[467]

»Lerne, Sancho«, sagte Don Quixote, »daß ein großer Unterschied unter den Werken stattfindet, welche aus Liebe geschehen und welche aus Dankbarkeit herrühren. Es mag wohl sein, daß ein Ritter unverliebt ist; aber er darf, wenn wir genau sprechen wollen, niemals ohne Dankbarkeit sein. Mich liebte, wie es schien, Altisidora, sie schenkte mir, wie du weißt, drei Mützen, sie weinte bei meiner Abreise, sie verwünschte mich, sie schmähte mich, sie klagte ihrer Schamhaftigkeit zum Trotze öffentlich: alles Zeichen, daß sie mich anbetete; denn der Zorn des Liebenden pflegt sich in Verwünschungen zu enden. Ich durfte ihr keine Hoffnungen machen, ihr keine Schätze anbieten, denn die ersten gehören alle der Dulcinea, und die Schätze der irrenden Ritter sind wie die der Kobolde, anscheinend und falsch; ich kann ihr also mit nichts anderm als mit meinem Andenken vergelten, ohne allen Nachteil meiner Gedanken für Dulcinea, welche du durch deine Nachlässigkeit schwer kränkst, indem du es aufschiebst, dein Fleisch zu geißeln und zu züchtigen, das ich von den Wölfen möchte gefressen sehen, weil du es lieber für die Würmer aufbewahren als damit jene unglückliche Dame erlösen willst.«

»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so kann ich gar nicht daran glauben, daß die Streiche auf meinem Hintern mit der Entzauberung eines Bezauberten zusammenhängen können, denn es ist, als wenn man sagen wollte: Tut dir der Kopf weh, so schmiere dir das Knie; ich will wenigstens wohl darauf schwören, daß in allen Geschichten, die Ihr nur jemals gelesen habt und die von der irrenden Ritterschaft handeln, Ihr niemals irgendeine Entzauberung durch dergleichen Streiche angetroffen habt; es mag aber sein oder nicht sein, so will ich sie mir doch geben, wenn ich Lust habe und sich eine gelegene Zeit dazu findet.«

»Das gebe Gott«, antwortete Don Quixote, »und der Himmel gebe dir seinen Beistand, damit du bedenkst, daß es deine Pflicht ist, meine Gebieterin zu erlösen, die auch die deinige ist, weil du mir angehörst.«

Unter diesen Gesprächen hatten sie ihren Weg fortgesetzt und kamen wieder an die nämliche Stelle, wo sie waren von den Stieren umgerannt worden. Don Quixote erkannte sie und sagte zu Sancho: »Dieses ist die Wiese, wo wir jene geschmückten Schäferinnen und geputzten Schäfer antrafen, die hier das Schäfer-Arkadien erneuern und nachahmen wollten, ein Gedanke, der ebenso neu als trefflich ist und zu dessen Nachahmung, wenn es dir gut dünkt, ich, o Sancho, wünschte, daß wir uns in Schäfer verwandelten, wenigstens für die Zeit, die ich in der Einsamkeit zubringen muß. Ich will einige Schafe kaufen und alle übrigen Dinge, welche zum Schäferleben notwendig sind, ich will mich den Schäfer Quixotiz nennen und dich den Schäfer Pancino, wir ziehen dann über Berge, durch Wälder und Wiesen, hier singend, dort klagend, von den flüssigen Kristallen der Quellen trinkend oder aus den klaren Bächen oder den fließenden Strömen. Mit der freigebigsten Hand gewähren uns ihre süßeste Frucht die Eichen, Wohnung die Stämme des härtesten Korkbaums, Schatten die Weiden, Düfte die Rosen, Teppiche, mit tausend Farben gestickt, die geräumigen Wiesen, Kühlung die heitere und reine Luft, Licht der Mond und die Sterne, trotz der Dunkelheit der Nacht, Ergötzen Gesang, Vergnügung die Tränen, Apollo Verse, die Liebe Erfindung, wodurch wir uns unvergeßlich und berühmt machen können, nicht nur in den gegenwärtigen, sondern auch in den zukünftigen Zeitaltern.«

»Meiner Seel«, sagte Sancho, »solche Lebensart ist annehmlich, ja angreiflich für mich, und gewiß, der Baccalaureus Simson Carrasco und Meister Niklas der Barbier werden sie nicht so bald gesehen haben, als sie sie auch mitmachen und sich ebenfalls, wie wir, in Schäfer verwandeln werden, und gebe nur Gott, daß nicht auch dem Pfarrer die Lust ankommt, uns ins Gehege zu gehen, denn er ist ein lustiger Mann, der sich gern einen Spaß macht.«

»Du hast sehr gut gesprochen«, sagte Don Quixote, »und der Baccalaureus Simson Carrasco kann[468] sich, wenn er in den Schoß der Schäferwelt eingeht, wie er es gewiß tun wird, Schäfer Simsonino nennen oder auch Schäfer Carrascon; der Barbier Nicolas kann sich Nicoloso nennen, wie sich der alte Boscan Nemoroso nannte; was wir dem Pfarrer für einen Namen geben wollen, weiß ich nicht, wenn er nicht von seinem Stande abgeleitet würde und er sich Schäfer Pfarriand nennte. Was die Schäferinnen, unsre Geliebten, betrifft, so haben wir hier unter Namen wie unter Birnen die Auswahl, und da der meiner Gebieterin sowohl für eine Schäferin als für eine Prinzessin paßt, so habe ich keine Mühe, für sie einen anderen zu suchen, der sich besser für sie schickte; du, Sancho, kannst die Deinige nennen, wie du willst.«

»Ich denke ihr«, antwortete Sancho, »keinen anderen Namen zu geben als Trutschelona, denn der paßt sich gut für ihre Dicke und erinnert auch an ihren rechten Namen Therese, wodurch man auch sehen kann, wenn ich sie in meinen Versen besinge, daß meine Gedanken keusch sind, weil ich kein Bettelbrot vor fremden Türen suche. Für den Pfarrer schickt es sich nicht, daß er eine Schäferin hat, weil er ein gutes Exempel geben muß, wenn aber der Baccalaureus eine haben will, so mag der's auf seine Verantwortung tun.«

»Bei Gott«, sagte Don Quixote, »welches Leben wollen wir nicht führen, mein lieber Sancho! Welche Schalmeien sollen in unsere Ohren tönen, welche Flöten, welche Tamburins, Triangeln und Geigen! Was geht uns ab, wenn unter diesen verschiedenen Instrumenten auch noch die Alboguen erklingen? Alle Schäferinstrumente wird man hier beisammen sehen.«

»Was sind Alboguen?« fragte Sancho, »denn ich habe sie nie nennen hören, sie auch niemals in meinem Leben gesehen.«

»Alboguen sind«, antwortete Don Quixote, »zwei Becken, fast wie das Untere der messingenen Leuchter; diese sind ausgehöhlt und werden eines gegen das andere geschlagen, wodurch sie einen Klang hervorbringen, der nicht vorzüglich angenehm und harmonisch ist, doch aber gut zu der Einfalt der Flöte und des Tamburins paßt, und dieser Name Alboguen ist mohrisch wie alle diejenigen Namen, die in unserer kastilianischen Sprache mit einem al anfangen, wie nämlich: almohaza, almorzar, alhombra, alguazil, almacen, alhuzema, alcancia und andere ähnliche, deren nur noch wenige sein können, und nur drei hat unsere Sprache, die mohrisch sind und sich auf ein i endigen, nämlich: borcegui, zaquizami und maravedi; alheli und alfaqui sind sowohl durch das vordere al wie durch das angehängte i als arabisch zu erkennen. Dies habe ich nur im Vorbeigehen gesagt, weil es mir bei Gelegenheit der Alboguen ins Gedächtnis kam; wodurch wir aber unseren Stand um vieles mehr zur Vollkommenheit führen können, ist, daß ich einigermaßen, wie du weißt, ein Poet bin, und im äußersten Grade ist es zugleich der Baccalaureus Simson Carrasco. Vom Pfarrer spreche ich nicht; aber ich will wetten, daß er auch wohl in Grillenstündchen so gleichsam den Dichterling macht, und was den Meister Nicolas betrifft, so habe ich seinetwegen keinen Zweifel, denn alle oder die meisten Barbiere sind Gitarrenspieler und Versemacher. Ich werde mich wegen der Abwesenheit beklagen; du lobst dich als einen treuen Liebhaber; der Schäfer Carrascon singt von seiner Verschmähung und der Pfarrer Pfarriand, wovon es ihm gefällt, und so wird das Ding so herrlich gehen, als man es sich nur wünschen kann.«

Worauf Sancho antwortete: »Ich bin, gnädiger Herr, ein solches Unglückskind, daß ich immer fürchte, ich erlebe den Tag nicht, an dem ich mich in diesem Stande sehe. O welche schöne glatte Löffel wollte ich machen, wenn ich erst ein Schäfer wäre! Was für schöne Dinger zum Fressen, was für Kränze und Schäfernarreteien wollte ich nicht anstellen! Wenn man mir auch nicht den Ruhm eines Verständigen geben wollte, so sollten sie doch sagen müssen, daß ich recht erfindsam bin. Sanchica, meine Tochter, soll uns dann das Essen hinausbringen. Aber vorgesehen! Sie sieht gut aus, und es gibt mehr boshafte als einfältige Schäfer, und ich möchte nicht, daß sie nach Wolle ginge und geschoren nach Hause käme; und die Liebeshändel[469] und unerlaubten Begierden pflegen ebensowohl auf dem Lande wie in den Städten Eingang zu finden, ebensogut in den Hütten der Schäfer als in den Palästen der Könige, und wer nicht in Versuchung geführt wird, kann auch nicht sündigen, und was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, und besser ist Neid als Mitleid.«

»Genug der Sprichwörter, Sancho«, sagte Don Quixote, »denn jegliches von denen, die du gesagt hast, gibt deine Gedanken zu erkennen; auch habe ich dir schon oftmals den Rat gegeben, daß du mit Sprichwörtern nicht so freigebig sein sollst und daß du dich bedenken mögest, wenn du sie anführst, aber ich glaube, daß ich in der Wüste predige: Der Regen höhlt endlich einen Stein aus, aber wer einen Mohren weißwaschen will, tut töricht.«

»Es scheint mir«, antwortete Sancho, »daß auf Euch das paßt: Der Topf sagte zum Kessel: ›Fort, du Schwarznase‹. Ihr tadelt mich darum, daß ich Sprichwörter sage, und in ebendem Augenblicke gehen sie Euch herrlich ab.«

»Bedenke, Sancho«, antwortete Don Quixote, »ich führe die Sprichwörter mit Absicht an, und sie passen, wenn ich sie sage, wie der Ring auf dem Finger; aber du ziehst sie bei den Haaren herbei, so daß du sie vielmehr schleppst, als sie dir folgen; und wenn ich mich recht erinnere, habe ich dir schon sonst einmal gesagt, daß die Sprichwörter kurze Sentenzen sind, aus der Erfahrung und Beobachtung unserer alten Weisen geschöpft, das Sprichwort aber, welches nicht passend ist, ist viel eher eine Narrheit als eine Sentenz. Wir wollen dies aber lassen und, da die Nacht schon kommt, uns ein wenig vom großen Wege entfernen, wo wir die Nacht zubringen können, und Gott weiß, was morgen sein wird.«

Sie zogen sich zurück, aßen spät und schlecht, sehr gegen den Willen des Sancho, dem die Armseligkeit, die mit der irrenden Ritterschaft in Wäldern und auf Bergen verknüpft zu sein pflegt, von neuem deutlich wurde, und wieder gedachte er des Wohllebens in den Schlössern und Häusern, wie beim Don Diego de Miranda, auf der Hochzeit des reichen Camacho und beim Don Antonio Moreno; er überlegte aber, wie es unmöglich sei, daß es immer Tag oder immer Nacht bleibe, und darum verbrachte er diese schlafend, so wie sein Herr wachend.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 466-470.
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