Fünfzehntes Kapitel.

[320] Was dem Don Quixote mit der Doña Rodriguez, der Dueña der Herzogin, begegnete, nebst andern Vorfällen, die einer Beschreibung und eines ewigen Gedächtnisses würdig sind.


Außerordentlich verdrüßlich und melancholisch war der schlimm verwundete Don Quixote, das Gesicht verbunden und gezeichnet, nicht von der Hand Gottes, sondern von den Klauen einer Katze: Unfälle, die mit der irrenden Ritterschaft verbunden sind. Sechs Tage brachte er hin, ohne öffentlich zu erscheinen, und in einer der vorherigen Nächte, als er wachend und schlaflos lag, an sein Unglück und an die Verfolgung der Altisidora denkend, hörte er, daß man mit einem Schlüssel die Türe seines Zimmers öffnete, und sogleich bildete er sich ein, daß die verliebte Jungfrau komme, um seine Keuschheit zu bestürmen und die Treue wankend zu machen, die er seiner Doña Dulcinea von Toboso aufbewahren müsse. »Nein«, sagte er, indem er seine Einbildung für Gewißheit nahm – und zwar so laut, daß man es hören konnte –, »nein, die größte Schönheit auf der Welt soll nicht imstande sein, mich von der Verehrung derjenigen abzuziehen, die eingegraben und geprägt in der Mitte meines Herzens und im Innersten meiner Eingeweide dasteht; Ihr mögt nun, meine Gebieterin, in eine zwiebelduftende Bäuerin verwandelt sein oder in eine Nymphe des goldführenden Tajo, die Gewebe webt, aus Gold und Seide zusammengesetzt, dich mag nun Merlin oder Montesinos bewahren, wo sie nur wollen, denn wo du auch bist, bist du die Meinige, und wo ich auch sei, war und werde ich immer der Deinige bleiben.«

Das Endigen dieser Worte und das Aufmachen der Tür geschah in einem und demselben Augenblicke.[321] Er stellte sich auf dem Bette hin, vom Kopf bis zu den Füßen in eine gelbe atlassene Decke gewickelt, eine spitze Mütze auf dem Kopfe und Gesicht und Knebelbart in Banden: das Gesicht wegen der Furchen, den Knebelbart, damit er nicht schlaff würde und niederfiele; in dieser Tracht sah er dem seltsamsten Gespenste ähnlich, das man sich nur vorstellen kann. Er heftete die Augen auf die Tür, und als er meinte, daß nun die besiegte und betrübte Altisidora hereintreten würde, sah er eine ehrwürdige Dueña hereinkommen, mit weißen, gefalteten und so langen Schleiern, daß sie von diesen vom Kopf bis zu den Füßen bedeckt und eingewickelt wurde. Zwischen den Fingern der linken Hand hielt sie ein Stück brennendes Wachslicht, und mit der rechten machte sie sich Schatten, damit ihr das Licht nicht in die Augen schiene, die sie mit einer großen Brille bedeckt hatte; sie kam mit langsamen Schritten und setzte die Füße nur leise auf. Don Quixote beschaute sie von seiner Warte herab, und als er ihr leises Wesen sah und ihr Stillschweigen wahrnahm, glaubte er, es sei eine Hexe oder Magierin, die in dieser Tracht komme, irgendein böses Werk zu beginnen, deshalb fing er an, in großer Hast den Segen über sich zu sprechen. Die Erscheinung war näher gekommen, und als sie in die Mitte des Zimmers angelangt war, erhob sie die Augen und sah die Hast, mit welcher Don Quixote die Kreuze schlug; und war er in Angst, als er ihre Gestalt erblickte, so war sie voll Entsetzens, als sie die seinige wahrnahm, denn sowie sie ihn sah, so hoch und so gelb, mit der Decke, mit der Bandage, die ihn so sehr entstellte, schrie sie laut auf und rief: »Jesus! was seh ich da?« und über diesem Schrecken fiel ihr das Licht aus der Hand, und da sie sich im Finstern sah, kehrte sie wieder um, um fortzugehen, stolperte aus Angst über ihre Schleppen und fiel mit einem schweren Fall zu Boden.

Don Quixote, in Angst, fing an zu sprechen: »Ich beschwöre dich, Gespenst, oder was du sein magst, daß du mir sagst, wer du bist, und daß du mir sagst, was du von mir verlangst. Bist du eine gequälte Seele, so sag es mir, und ich will alles für dich tun, was in meinen Kräften steht, denn ich bin ein katholischer Christ und ein Mann, der gern der ganzen Welt Gutes tut, denn deshalb habe ich den Orden der irrenden Ritterschaft erwählt, zu welchem ich mich bekenne, dessen Ausübung sich auch so weit erstreckt, den Seelen im Fegefeuer behülflich zu sein.«

Die gequetschte Dueña, die sich beschwören hörte, schloß von ihrer Furcht auf die des Don Quixote und antwortete mit kläglicher und leiser Stimme: »Herr Don Quixote – wenn Euer Gnaden wohl Herr Don Quixote ist –, ich bin kein Gespenst, keine Erscheinung, keine Seele aus dem Fegefeuer, wie Euer Gnaden etwa denken muß, sondern Rodriguez, die erste Dueña der gnädigen Herzogin, die mit einem Bedürfnis, das Euer Gnaden zu vermitteln pflegt, zu Euer Gnaden gekommen ist.«

»Sagt mir, Señora Doña Rodriguez«, sprach Don Quixote, »kommt Ihr vielleicht, irgendeine Vermittlung zu stiften? So muß ich Euch sagen, daß ich darin für jedermann untauglich bin, dank sei es der unvergleichlichen Schönheit meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso. Kurz, Señora Doña Rodriguez, wenn Ihr jedes Liebeswerben unterlaßt und beiseite setzt, so könnt Ihr gehen und Eure Kerze wieder anzünden und zurückkommen, wir können dann abhandeln, was Ihr wollt und was Euch am meisten gefällt, nur müssen, wie gesagt, alle Anreizungen zur Liebe entfernt bleiben.«

»Ich für jemanden werben, gnädiger Herr?« antwortete die Dueña, »Euer Gnaden kennt mich schlecht, das wäre mir gelegen! Ich bin noch nicht so weit in Jahren, daß ich mich mit dergleichen Possen abgeben sollte, denn ich habe, Gott sei Lob und Dank, meine Seele noch im Fleische und alle meine Zähne noch im Munde, etliche ausgenommen, die mir von den Flüssen ausgefallen sind, die man hier im Lande Aragon so häufig hat. Aber wartet ein wenig, Gnädiger, ich will nur gehen und mein Licht anzünden und gleich wiederkommen, um Euch mein Leiden zu erzählen, da Ihr der Helfer aller Leiden der ganzen Welt seid.« Und ohne eine Antwort zu erwarten, verließ sie das Zimmer, in welchem Don Quixote, auf sie wartend,beruhigt und voller Nachdenken blieb; aber bald überfielen ihn tausend Gedanken wegen dieses neuen Abenteuers; es schien ihm übel getan und noch schlimmer überlegt, sich der Gefahr auszusetzen, seiner Gebieterin die versprochene Treue zu brechen, er sagte daher zu sich selber: Wer weiß, ob der Teufel, welcher fein und künstlich ist, mich nicht jetzt mit einer Dueña betrügen will, da er es mit Kaiserinnen, Königinnen, Herzoginnen, Marquesinnen und Gräfinnen nicht gekonnt hat? denn ich habe es oftmals und von verständigen Leuten sagen hören, er gibt lieber, wenn er kann, Euch eine Fratze als ein Angesicht, und wer weiß, ob diese Einsamkeit, diese Gelegenheit und diese Stille nicht meine schlafenden Begierden wecken und machen, daß ich am Ende meiner Jahre zu Falle komme, wo ich niemals gestrauchelt habe? Darum ist es in dergleichen Fällen besser, zu fliehen als die Schlacht zu erwarten. Aber ich muß wohl nicht bei Verstande sein, daß ich dergleichen Unsinn spreche und denke, denn es ist nicht möglich, daß eine weißschleirichte, breite und bebrillte Dueña einen unzüchtigen Gedanken in dem ausschweifendsten Herzen von der Welt erheben und erregen könnte. Gibt es denn etwa eine Dueña auf Erden, die eine feine Haut hätte? Gibt es denn etwa eine Dueña in der Welt, die nicht widerwärtig, runzelig und garstig wäre? Hinweg also, dueñische Schar, unnütz zu jeder menschlichen Vergnügung! O wie wohl tat jene Dame, von der man erzählt, daß sie zwei Dueñas aus Lappen mit ihren Brillen und Kissen auf ihrem Zimmer stehen hatte, als wenn sie dort mit Arbeit beschäftigt wären, und der diese Puppen ebenso zuträglich waren, das Ansehen ihres Gemachs zu behaupten, als die wirklichen Dueñas!

Und mit diesen Worten sprang er aus dem Bette, in der Absicht, die Tür zu verschließen und die Doña Rodriguez nicht hereinzulassen; als er aber, sie abzuschließen, hinging, kam die Señora Rodriguez schon zurück, mit einer brennenden Kerze von weißem Wachs, und als sie Don Quixote näher sah, in die Decke gewickelt, mit den Bandagen, der Zipfelmütze, fürchtete sie sich von neuem, trat zwei Schritte zurück und sagte: »Sind wir auch sicher, Herr Ritter? denn ich halte es für kein Zeichen von Sittsamkeit, daß Euer Gnaden vom Lager aufgestanden ist.«

»Dieses nämliche ziemte mir wohl zu fragen, Señora«, antwortete Don Quixote; »und darum frage ich, ob ich auch sicher bin, nicht angegriffen und überwältigt zu werden?«

»Von wem oder vor wem verlangt Ihr, Herr Ritter, diese Sicherheit?« antwortete die Dueña.

»Von Euch und gegen Euch verlange ich sie«, versetzte Don Quixote, »denn ich bin weder von Marmor, noch seid Ihr von Erz; jetzt ist es auch nicht Mittag, sondern Mitternacht und wohl noch etwas mehr, wie ich denke; wir sind in einem Gemache, das verschlossener ist und abgelegener liegt, als es die Höhle gewesen sein muß, in welcher der verräterische und kühne Aeneas die schöne und fromme Dido genoß. Aber gebt mir, Señora, die Hand, denn ich verlange keine andere und größere Sicherheit, als die aus meiner Enthaltsamkeit und Tugend entspringt und welche ich mir von diesen äußerst ehrwürdigen Schleiern versprechen darf.« Und indem er dieses sagte, küßte er ihre rechte Hand und faßte sie mit der seinigen, die sie ihm mit den nämlichen Zeremonien reichte.

Hier macht Cide Hamete eine Parenthese und sagt, daß er, beim Mahomet, das beste von seinen beiden Kleidern gegeben hätte, um die beiden zu sehen, wie sie in dieser Stellung von der Tür zum Bette gewandert sind. Hierauf begab sich Don Quixote auf sein Lager, und Doña Rodriguez setzte sich in einen Stuhl, der vom Bette etwas entfernt stand, indem sie weder die Brille noch das Licht ablegte. Don Quixote wickelte sich unter und bedeckte sich ganz, so daß nichts als sein Gesicht frei blieb, und nachdem nun beide beruhigt waren, war der erste, welcher das Stillschweigen unterbrach, Don Quixote, welcher sagte: »Nun mag Euer Gnaden Doña Rodriguez alles ausschütten, was sie in ihrem leidvollen Herzen und in ihren betrübten Eingeweiden verborgen hat, denn ich will es mit keuschen Ohren anhören und ihm mit frommen Werken zu Hülfe kommen.«[325]

»Das glaube ich auch«, antwortete die Dueña, »denn von dem heldenmütigen und anmutigen Äußern Eurer Gnaden konnte man keine andere als diese christliche Antwort erwarten.

Die Sache ist nun die, Herr Don Quixote: Euer Gnaden sieht mich zwar in diesem Sessel sitzen und mitten im Königreiche Aragon, in der Kleidung einer armseligen und geringen Dueña, aber darum bin ich doch aus Asturien von Oviedo geboren, und in einer Familie, die zu den allervorzüglichsten in der ganzen Provinz gehört; doch mein unglückliches Schicksal und die Sorglosigkeit meiner Eltern, die vor der Zeit arm wurden, ohne daß sie wußten, wie oder wie es nicht geschah, führten mich an den Hof nach Madrid, wo meine Eltern mich zu meinem Besten, und um größeres Unheil zu verhüten, als Nähterin bei einer vornehmen Dame unterbrachten; und Euer Gnaden muß hierbei erfahren, daß im feinen Nähen, und mit weißem Zeuge umzugehen, mir es noch keiner, zeit meines ganzen Lebens, gleichgetan hat. Meine Eltern ließen mich im Dienst und gingen in ihre Heimat zurück, von wo sie nach wenigen Jahren wohl nach dem Himmel gegangen sind, denn sie waren überlei gute und katholische Christen. Ich war Waise und mußte mich mit dem kümmerlichen Gehalt und den knappen Geschenken ernähren, die dergleichen Dienerinnen immer im Palaste zu erhalten pflegen, und um diese Zeit, ohne daß ich ihm Gelegenheit dazu gegeben hätte, verliebte sich ein Stallmeister des Hauses in mich, ein Mann schon bei Jahren, bärtig und von angesehener Person, vorzüglich aber ein Edelmann, wie der König, denn er war aus dem Gebirge. Wir hielten unsere Liebe nicht so geheim, daß meine Dame nicht davon Kundschaft sollte bekommen haben, die, um das Reden und Klatschen zu vermeiden, uns auf den Wegen und mit dem Segen unserer heiligen Mutter, der römisch-katholischen Kirche, verheiratete, aus welcher Ehe eine Tochter geboren wurde, um meinem Glücke völlig Garaus zu spielen, wenn ich noch welches hatte, nicht als ob ich an der Geburt gestorben wäre, denn sie kam gesund und zu ihrer Zeit an, sondern weil mein Mann bald darauf an einem gehabten Schrecken starb, worüber sich Euer Gnaden gewiß wundern würde, wenn ich jetzt Zeit hätte, die Sache zu erzählen.« Bei diesen Worten fing sie kläglich zu weinen an und sagte: »Verzeiht mir, mein gnädiger Herr Don Quixote, ich kann es nicht hindern, denn sooft ich mich meines armen Mannes erinnere, kommen mir die Tränen in die Augen. Lieber Gott, mit welchem Anstande hatte er meine Dame hinter sich auf einem großen Maultiere, das so schwarz wie Ebenholz war! denn damals waren noch keine Kutschen und Sänften Mode, wie sie es jetzt sein sollen, sondern die Damen saßen hinter ihren Stallmeistern; eins muß ich Euch wenigstens erzählen, woraus Ihr die große Lebensart und das Zeremoniöse meines lieben Mannes sehen könnt. Beim Eingang der Straße Santiago in Madrid, die etwas eng ist, kam ihm in dieser der erste Alkalde mit zwei Alguazils vor sich her entgegen, und sowie ihn mein braver Stallmeister sah, wandte er sein Maultier herum und machte Miene, jenen zu begleiten. Meine Dame, die hinten saß, sagte leise zu ihm: ›Was macht Ihr denn, unsinniger Mensch, seht Ihr denn nicht, daß ich dorthin will?‹ Der Alkalde hielt aus Höflichkeit auch sein Pferd an und sagte: ›Setzt Euren Weg fort, Señor, denn meine Schuldigkeit ist es, die Señora Doña Casilda zu begleiten‹; denn dieses war der Name meiner Dame. Aber mein Mann, mit der Mütze in seiner Hand, bestand immerfort darauf, den Alkalde zu begleiten. Da das meine Dame sah, nahm sie voll Ärger und Verdruß eine große Nadel, oder ich glaube, gar einen Pfriemen, aus ihrer Büchse und stach ihm den in die Seite, so daß mein Mann laut aufschrie und den Körper so gewaltsam drehte, daß er mit meiner Dame zur Erde fiel. Zwei von ihren Bedienten liefen herzu, sie aufzuheben, und das nämliche tat der Alkalde mit den Alguaziln. Das Tor von Guadalaxara kam in Aufruhr, ich meine, die müßigen Menschen, die sich dort befanden. Meine Dame ging zu Fuße fort, und mein Mann begab sich in den Laden eines Barbiers, dem er sagte, daß man ihm den Leib von einer Seite zur andern durchbohrt habe. Die Höflichkeit meines Gatten wurde so bekannt, daß ihm die Jungen auf der Straße nachliefen, und deswegen, und weil er auch von kurzem Gesichte[326] war, gab ihm die Dame den Abschied, und ich halte dafür, daß dieser Verdruß die Ursache war, die seinen betrübten Tod nach sich zog. Ich war eine verlassene Witwe und hatte eine Tochter auf dem Halse, die in der Schönheit so heranwuchs wie der Schaum des Meeres. Kurz, da ich den Ruf einer geschickten Nähterin hatte, so nahm mich meine gnädige Herzogin, die erst kürzlich mit dem gnädigen Herzoge verheiratet war, samt meiner Tochter, mit hierher in das Königreich Aragon, wo denn nun Tage kamen und Tage gingen und meine Tochter zum artigsten Mädchen in der Welt aufwuchs; sie singt wie eine Lerche, tanzt wie eine Puppe, springt wie eine Unsinnige, liest und schreibt wie ein Schulmeister und rechnet wie ein Geiziger; von ihrer Reinlichkeit sage ich nichts, denn das fließende Wasser ist nicht reiner, und jetzt ist sie, wenn ich mich nicht irre, sechszehn Jahr, fünf Monat und drei Tage, etliche auf und ab. Kurz, in diese meine Tochter verliebte sich der Sohn eines sehr reichen Bauern, der auf einem Dorfe des Herzogs, meines Herrn, wohnt, nicht weit von hier. So kam es denn, ich weiß nicht wie, daß sie einig miteinander wurden, und unter dem Versprechen, ihr Mann zu werden, verführte er meine Tochter und will nun sein Wort nicht halten; und obgleich der Herzog, mein Herr, es weiß, denn ich habe mich bei ihm beklagt, nicht ein Mal, sondern viele Male, und ihn gebeten, er möchte dem Bauer den Befehl erteilen, daß er meine Tochter heiraten müsse, so läßt er es doch in ein Ohr hinein und aus dem andern heraus und will mich kaum anhören; die Ursache davon ist, weil der Vater des Verführers sehr reich ist und ihm oft Geld leiht und sich für ihn verbürgt, um ihn aus Verlegenheiten zu ziehen, deswegen will er ihn nicht vor den Kopf stoßen oder ihm Verdruß erregen. Nun wünschte ich, mein gnädiger Herr, daß Ihr es über Euch nähmt, dieser Beschwerde abzuhelfen, entweder durch Überredung oder durch die Waffen, denn wie die ganze Welt sagt, seid Ihr dazu geboren worden, das Unrecht zu vernichten und Recht zu machen und den Hülfsbedürftigen beizustehen; stellt Euch nun die Verwaistheit meiner Tochter, ihre Artigkeit und Jugend vor Augen, nebst allen übrigen Vorzügen, die sie besitzt, wie ich Euch gesagt habe; denn bei Gott und meinem Gewissen, so viele Mädchen auch meine gnädige Frau hat, so ist doch keine darunter, die es wert wäre, ihr nur die Schuhriemen aufzulösen; da ist eine, die Altisidora heißt, die sie für sehr reizend und schmuck halten, aber im Vergleich mit meiner Tochter kommt sie ihr nicht auf zwei Meilen nahe: denn Ihr müßt nur wissen, mein gnädiger Herr, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, denn dies Altisidorchen macht mehr Ansprüche, als sie Schönheit hat, sie ist mehr frech als sittsam; übrigens ist sie nicht ganz gesund, denn sie hat einen so widerlichen Atem, daß man es nicht eine Minute bei ihr aushalten kann. Und auch die gnädige Herzogin – – – Ich will nur schweigen, denn man pflegt zu sagen, daß die Wände Ohren haben.«

»Was hat denn die gnädige Herzogin, um Gottes willen, Señora Doña Rodriguez?« fragte Don Quixote.

»Auf solches Verschwören«, antwortete die Dueña, »muß ich Euch wohl auf alles, was Ihr mich fragt, mit der Wahrheit antworten. Ihr seht doch, gnädiger Herr Don Quixote, die Schönheit meiner gnädigen Herzogin, das glänzende Gesicht, das nicht anders ist wie eine polierte und geschliffene Degenklinge, ihre beiden Backen wie Milch und Blut, wo auf der einen die Sonne und auf der andern der Mond steht; diese Schmuckheit, mit der sie einhergeht, als wenn sie den Boden verachtete, daß es aussieht, als wenn sie Gesundheit auf jedem Schritte ausstreute? Aber Euer Gnaden muß wissen, daß sie zuerst Gott dafür zu danken hat, zunächst aber zwei Fontanellen, die sie an den beiden Beinen hat und die alle böse Feuchtigkeit abführen, womit sie, wie die Ärzte sagen, angefüllt ist.«

»Heilige Mutter Gottes!« rief Don Quixote aus, »hat die Frau Herzogin dergleichen Ableitungsröhren? Ich hätte es nicht geglaubt, und wenn es mir die Brüder Barfüßer gesagt hätten; aber da es die Señora Doña Rodriguez sagt, so muß es wohl wahr sein; doch müssen diese Fontanellen und an diesen Orten gewiß keine Feuchtigkeit, sondern fließenden Ambra abführen. Wahrhaftig, nun glaube ich es, daß es[327] für die Gesundheit äußerst zuträglich ist, sich Fontanellen zu setzen.« Kaum hatte Don Quixote diese Worte gesprochen, als sich mit einem gewaltigen Schlage die Türen des Zimmers öffneten; über diesen Lärm erschrak die Doña Rodriguez so heftig, daß sie das Licht aus der Hand fallen ließ und es im Zimmer so finster wurde wie im Rachen des Wolfes, wie man zu sagen pflegt. Augenblicklich fühlte die arme Dueña, wie sie zwei Hände so stark bei der Kehle packten, daß sie keinen Laut von sich geben konnte, und wie eine andere Person ihr eilig, und ohne ein Wort zu sprechen, die Kleider aufhob und ihr, dem Anscheine nach mit einem Pantoffel, so viele Schläge gab, daß es zum Erbarmen war; welches auch Don Quixote fühlte, sich aber nicht aus dem Bette rührte und nicht wußte, was dieses sein könne; er verhielt sich ruhig und stillschweigend und fürchtete sogar, daß die Reihe und Weihe der Prügel auch an ihn kommen möchte. Seine Furcht war auch nicht so ganz ungegründet, denn als sie sich an der Dueña, die nicht zu klagen wagte, müde geschlagen hatten, kamen sie zu Don Quixote und zogen ihn unter der Decke hervor, worauf sie ihn so behende und eifrig zwickten, daß er sich mit Faustschlägen verteidigen mußte, was alles in einem bewundernswürdigen Stillschweigen vorging. Die Schlacht dauerte fast eine halbe Stunde; die Gespenster gingen fort, Doña Rodriguez brachte ihre Kleider in Ordnung und ging, ihr Unglück beseufzend, aus der Tür, ohne dem Don Quixote ein Wort zu sagen, der voll Schmerzen, zerkniffen, verwirrt und gedankenvoll allein blieb, wo wir ihn auch lassen wollen, indem er sehr neugierig ist, zu wissen, wer der widerwärtige Zauberer gewesen sei, der ihm so zugesetzt hatte; dieses wird aber zu seiner Zeit bekannt werden, denn Sancho Pansa ruft uns, und so erfordert es auch die richtige Abteilung der Geschichte.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 320-323,325-328.
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