Siebentes Kapitel.

[266] Dinge, welche dieses Abenteuer und diese merkwürdige Geschichte betreffen und ihr angehören.


Wahrhaft und in der Tat müssen alle diejenigen, die an dergleichen Historien, wie diese ist, Vergnügen finden, dem Cide Hamete, ihrem ersten Autor, verbunden sein, wegen der Genauigkeit, mit der er uns auch die kleinsten Umstände derselben erzählt, ohne auch das Geringste auszulassen, was er nicht in ein bestimmtes Licht stellen sollte. Er schildert die Gedanken, malt die Einbildungen, beantwortet die stillschweigenden Einwürfe, klärt die Zweifel auf, entwickelt das Vorbereitete und läßt uns, mit einem Wort, das Innerste des höchst künstlichen Planes entdecken. O berühmtester Autor! O glücklicher Don Quixote! O gepriesene Dulcinea! O lustiger Sancho Pansa! Mögt ihr zusammen und jeder einzeln durch unzählige Zeiten leben, um das Ergötzen und der Zeitvertreib aller Lebendigen zu bleiben!

Die Geschichte fährt fort, daß Sancho, sowie er die Schmerzenreich in Ohnmacht fallen sah, ausrief: »Das beschwör ich als ein ehrlicher Mann und bei allen Pansas, die in den vorigen Zeitaltern gelebt haben, daß ich niemals gehört noch gesehen, noch mein Herr mir erzählt hat oder ihm nur ein Ding in die Gedanken gekommen ist, was diesem Abenteuer da ähnlich wäre. Ei du verteufelter Satansmensch – um dir nicht ärger zu fluchen – von Zauberer und Riese Malambruno! Also wußtest du gar keine andere Strafe für die armen Sünder da, als sie so zu zerbarten? Wie, wäre es nicht besser gewesen und hätten sie nicht ihre Rechnung besser dabei gefunden, wenn du ihnen die Hälfte der Nase heruntergeschnitten hättest[267] und sie selber hätten schnüffeln müssen, als daß du ihnen Bärte angemacht hast? Ich will wetten, daß sie nicht einmal Geld haben, sich rasieren zu lassen.«

»So ist es auch, lieber Herr«, antwortete eine von den zwölfen, »wir haben kein Geld, uns reinigen zu lassen, und daher sind einige von uns auf ein gemeines Mittel gefallen, sich nämlich des Peches oder der Pechpflaster zu bedienen und diese auf das Gesicht zu legen, worauf sie sie plötzlich abreißen und so glatt und schier sind wie der Kolben einer steinernen Mörserkeule; denn wenn es auch in Candaya Weiber gibt, die von Haus zu Haus gehen, um Haare auszuziehen und Augenbraunen zu ordnen oder andere Schmierereien für die Weiber zu machen, so haben wir Dueñen unserer Herrschaft doch diese niemals zu uns lassen wollen, weil die meisten einen kleinen Beigeschmack haben, als ständen sie halb auf dem Fuß der Kupplerinnen, nachdem sie früher auf eigne Hand gelebt haben; wenn uns also vom Herrn Don Quixote nicht geholfen wird, so muß man uns wohl mit Bärten in die Grube tragen.«

»Ich würde mir den meinigen ausreißen lassen«, sagte Don Quixote, »und zwar im Mohrenlande, wenn ich Euch nicht von den Eurigen erlöste.«

In diesem Augenblicke kam die Dreischleppina aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich und sagte: »Der Klingklang dieser Versprechung, hoher Ritter, ist mitten in meiner Ohnmacht in mein Gehör gedrungen und hat verursacht, daß ich wieder zum Bewußtsein und zu allen meinen Sinnen gelangt bin, und also bitt ich Euch von neuem, erlauchter Irrender und unbezähmbarer Gebieter, Eure anmutige Versprechung durch die Tat ins Werk zu setzen.«

»An mir soll es nicht fehlen«, antwortete Don Quixote; »sagt, meine Dame, was ich zu tun habe, denn meine ganze Seele ist willig, Euch zu dienen.«

»Die Sache ist«, antwortete die Schmerzenreich, »daß das Königreich Candaya von hier fünftausend Meilen entfernt liegt, wenn man zu Lande reist, ein paar Meilen auf oder ab; geht man aber durch die Luft und in gerader Linie, so sind es dreitausendzweihundertundsiebenundzwanzig Meilen. Ich muß zugleich erzählen, wie Malambruno mir gesagt hat, daß, wenn das Schicksal mir den Ritter, unsern Erlöser, zuführte, er ihm eine Reitgelegenheit zuschicken wolle, die viel besser und weniger tückisch sein würde, als es sonst wohl dergleichen Retourpferde sind, es soll nämlich jenes selbige hölzerne Pferd sein, auf welchem der edle Peter die zarte Magelone entführte, welches Pferd durch einen Zapfen, den es auf der Stirn hat, regiert wird, der ihm zum Zaume dient, und das mit solcher Leichtigkeit durch die Lüfte fliegt, daß es nicht anders ist, als wenn es die Teufel selbst fortführten. Dieses Pferd, wie eine alte Sage geht, ist von dem weisen Merlin verfertigt. Er lieh es dem Peter, der sein Freund war, und womit dieser große Reisen machte und, wie schon gesagt, die schöne Magelone entführte, die es auf seinen Hüften durch die Lüfte davontrug, so daß alle wie vernarrt standen, die dies von der Erde wahrnahmen; er lieh es auch keinem andern, als wen er liebte oder wer es ihm tüchtig bezahlte, und seit dem großen Peter hat, soviel wir wissen, bis jetzt noch keiner darauf geritten. Seitdem hat es Malambruno durch seine Künste bekommen und hält es in seiner Gewalt, er bedient sich dessen auf seinen Reisen, die er augenblicks in verschiedene Teile der Welt tut, denn heut ist er hier und morgen in Frankreich und übermorgen in Potosi; und was noch das beste ist, so frißt dies Pferd weder, noch schläft es, noch läuft es sich die Eisen ab und geht einen so leichten Paß durch die Lüfte, ohne Flügel zu haben, daß derjenige, der darauf sitzt, eine Schale voll Wasser in der Hand halten kann, ohne einen Tropfen zu verschütten, so sanft und angenehm ist sein Gang, weswegen auch die schöne Magelone so gern auf demselben zu reiten pflegte.«

Hierauf sagte Sancho: »Was ein sanftes und angenehmes Gehen betrifft, so ist da mein Grauer, außer daß er nicht in die Luft steigt, aber auf der Erde kann ich wohl gegen alle Paßgänger in der ganzen Welt seine Partie nehmen.«[268]

Alle lachten, und die Schmerzenreich fuhr fort: »Dieses nämliche Pferd, wenn Malambruno unseren Leiden nämlich ein Ende machen will, wird sich, ehe eine halbe Stunde vom Abend verflossen ist, in unserer Gegenwart befinden, denn er bedeutete mir, daß das Zeichen, was er mir geben wolle, um zu wissen, daß ich den Ritter, den ich suchte, gefunden habe, darin bestehen solle, mir eiligst das Pferd dahin zu senden, wo derselbe sein würde.«

»Und wie viele können auf dem Pferde sitzen?« fragte Sancho.

Die Schmerzenreich antwortete: »Zwei Personen, die eine im Sattel, die andere hinter demselben, und diese beiden Personen sind gemeiniglich der Ritter und der Stallmeister, wenn es an einer entführten Jungfrau mangelt.«

»Ich möchte wissen, Frau Schmerzenreich«, sagte Sancho, »was das Pferd für einen Namen hat.«

»Sein Name«, antwortete die Schmerzenreich, »ist nicht wie der vom Pferde des Bellerophon, welches Pegasus hieß, noch wie vom Pferde des Alexander Magnus, Bucephalus genannt, noch des rasenden Roland, dessen Name Brilladoro war, ebensowenig Bayard, wie das des Reinald von Montalban hieß, noch Frontino, wie das des Rugero, noch Bootes oder Peritous, wie die Pferde der Sonne geheißen haben sollen, ebensowenig heißt es Orelia, auf welchem der unglückliche Rodrigo, der letzte König der Goten, in die Schlacht ging, in welcher er sein Leben und sein Reich verlor.«

»Ich will wetten«, sagte Sancho, »daß, da sie ihm keinen von diesen herrlichen Namen berühmter Pferde gegeben haben, sie ihm ebensowenig den von meines Herren Pferde, Rozinante, zuteilten, der in der Bedeutsamkeit alle vorher genannten übertrifft.«

»So ist es«, antwortete die bärtige Gräfin; »aber dennoch ist er sehr passend, denn es heißt Zapfenhölzern der Flüchtige, welcher Name sich sehr für das Roß schickt, da es von Holz ist, auf der Stirn einen Zapfen hat und leichten, flüchtigen Ganges geht, weswegen es sich wohl, was den Namen betrifft, mit dem berühmten Rozinante messen kann.«

»Der Name mißfällt mir nicht«, versetzte Sancho; »aber mit was für einem Zaum oder Halfter wird es denn regiert?«

»Ich habe schon gesagt«, antwortete die Dreischleppina, »daß dieses durch den Zapfen geschieht, so daß der Ritter, der darauf sitzt, nachdem er ihn auf diese oder jene Seite drückt, es gehen lassen kann, wohin er nur will, entweder hoch durch die Lüfte, oder daß es sich auf dem Boden schleppt und schleift oder auch den Mittelweg betritt, welchen alle diejenigen betreten müssen, die ihre Sachen auf eine vernünftige Art anfangen wollen.«

»Ich möchte es wohl sehen«, versetzte Sancho; »aber wenn man glaubt, daß ich mich hinaufsetzen möchte, sei's nun in den Sattel oder hinter den Sattel, so heißt das Birnen vom Ulmbaum erwarten. Das wäre schön, da ich mich kaum auf meinem Grauen erhalten kann und auf meinem Reitsattel, der so weich ist wie Seide, wenn man nun verlangte, daß ich mich hinten auf einen Block setzen sollte, ohne Kissen und Unterlage, meiner Seele, ich will mich nicht zerquetschen, um jemandem den Bart abzunehmen, jeder mag sich scheren, wenn es ihm gelegen ist, ich will meinen Herren auf keiner so weiten Reise begleiten, um so mehr, da ich doch nichts zum Abkratzen dieser Bärte tun kann, wie ich bei der Entzauberung der gnädigen Dulcinea unentbehrlich bin.«

»Wohl seid Ihr es, mein Freund«, antwortete die Dreischleppina, »und zwar so sehr, daß wir ohne Eure Gegenwart nichts ausrichten können.«

»Will's dahinaus?« sagte Sancho; »was haben denn die Stallmeister mit den Abenteuern ihrer Herren zu tun? Müssen sie den Ruhm davontragen, daß sie sie bestehen, und wir müssen nichts weiter als die Mühe davon haben? Bei meiner armen Seele! Wenn die Historienschreiber noch sagten: Der und der[269] Ritter bestand das und das Abenteuer, aber mit Hülfe des und des Mannes, seines Stallmeisters, ohne welchen es ihm unmöglich fiel, es zu bestehen; aber nein, da schreiben sie trocken hin: Don Paralipomenon von den drei Sternen bestand das Abenteuer mit den sechs Gespenstern, ohne den Stallmeister nur mit Namen zu nennen, der bei allem zugegen war, als wenn er gar nicht in der Welt gewesen wäre! Ich sage also noch einmal, meine gnädigen Herren, daß mein Herr allein reisen kann und daß ich ihm eine glückliche Reise wünsche, denn ich will hier in der Gesellschaft meiner allergnädigsten Herzogin zurückbleiben, und es könnte sich treffen, daß, wenn er wiederkommt, er die Sache der Dame Dulcinea um den dritten oder fünften Teil besser findet, denn in den müßigen und leeren Zwischenzeiten denke ich mir eine Portion von Hieben zu geben, daß kein Gras auf den Stellen wachsen soll.«

»Dessenungeachtet müßt Ihr ihn begleiten, wenn es nötig wäre, guter Sancho, weil Euch gute Leute darum bitten werden, denn durch Eure Furcht müssen die Gesichter dieser Damen nicht behaart bleiben, welches, wahrlich, höchst unschicklich sein würde.«

»Will's dahinaus? sag ich noch einmal«, rief Sancho, »wenn das Werk der Barmherzigkeit noch für einige eingesperrte Mädchen oder für etliche Waisenkinder geschähe, so könnte sich ein Mensch wohl noch etlicher Mühseligkeit unterziehen; aber daß man etwas ausstehen soll, um den Dueñas die Bärte abzuschaffen! das ist das Elend! Ei, ich möchte sie lieber alle mit Bärten laufen sehen, von der kleinsten bis zur größten, von der geschniegelten bis zur gebügelten.«

»Ihr seid übel auf die Dueñas zu sprechen, Freund Sancho«, sagte die Herzogin, »Ihr stimmt sehr in die Meinung des toledonischen Apothekers ein, aber Ihr habt wahrlich unrecht, denn ich habe Dueñas in meinem Hause, die ein Muster der Dueñas sein können, denn hier steht meine Doña Rodriguez, die mich nicht wird etwas anderes sagen lassen.«

»Sage Eure Exzellenz nur, was sie wolle«, antwortete Rodriguez; »denn Gott weiß das Wahre von allen Dingen, und wir Dueñas mögen nun gut sein oder böse, bärtig oder glatthäutig, so haben uns doch unsere Mütter ebenso zur Welt gebracht wie die übrigen Frauenzimmer, und da uns Gott in die Welt gesetzt, weiß er auch, warum er es getan hat, und an seine Barmherzigkeit halte ich mich und nicht an den Bart irgendeines Menschen.«

»Wohl, Señora Rodriguez«, sagte Don Quixote, »und Señora Dreischleppina und ihre Gesellschaft, ich hoffe vom Himmel – der mit gnädigen Augen auf Euer Leid herunterblicken wird –, daß Sancho das tut, was ich ihm befehle. O käme nur erst Zapfenhölzern! O sähe ich mich nur erst dem Malambruno gegenüber! denn ich weiß, daß kein Schermesser mit mehr Leichtigkeit Euch, meine Damen, scheren könnte, als mein Schwert den Kopf des Malambruno von seinen Schultern abscheren sollte: denn Gott duldet wohl die Bösen, aber nicht auf immer.«

»Ach!« seufzte hierauf die Schmerzenreich, »mögen mit gnädigen Augen auf Eure Hoheit, kühner Ritter, alle Sterne aus den himmlischen Regionen herunterblicken und Eurer Seele Glück und Macht einflößen, um der Schild und Beistand des geschmähten und niedergedrückten Geschlechtes der Dueñen zu sein, die von Apothekern verwünscht, von Stallmeistern gelästert und von Pagen verhöhnt werden, Unglück treffe die Nichtsnutzige, die in der Blüte ihrer Jahre nicht lieber eine Nonne als eine Dueña wird. O wir unglückseligen Dueñas, denn wenn wir auch in gerader und unbezweifelter Linie selbst vom trojanischen Hektor abstammten, so unterlassen es unsere Herrschaften doch nicht, uns zu duzen, als wenn sie dadurch Königinnen zu werden gedächten. O Riese Malambruno, ob du gleich ein Zauberer bist, so wirst du doch in deinen Versprechungen zuverlässig sein, schicke uns den unvergleichlichen Zapfenhölzern, damit unser Elend ein Ende nehme; denn wenn die Hitze eintritt und diese unsere Bärte bleiben, o wehe alsdann unserm Jammer!«[270]

Dieses sprach die Dreischleppina mit so vieler Empfindung, daß sie die Tränen in den Augen aller Umstehenden erregte und selbst die Augen des Sancho naß machte, der sich in seinem Herzen vornahm, seinen Herrn bis an das äußerste Ende der Welt zu begleiten, wenn dies ein Mittel wäre, diese ehrwürdigen Gesichter von ihrer Wolle zu erlösen.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 266-271.
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