Zehntes Kapitel.

[282] Die zweiten Ermahnungen, welche Don Quixote dem Sancho gab.


Wer sollte wohl diese Reden des Don Quixote gehört und ihn nicht für sehr gescheit und noch rechtschaffener gehalten haben? Aber, wie oftmals im Verlaufe dieser großen Historie erinnert worden ist, er schoß nur in das Blaue, wenn er für das Ritterwesen geladen hatte, und zeigte übrigens einen hellen und heitern Verstand, so daß alle Augenblicke seine Handlungen seine Worte und seine Worte seine Handlungen Lügen straften; doch in diesen zweiten Anweisungen, die er dem Sancho gab, zeigte er sich von der ergötzlichen Seite, weil hier sein Verstand und seine Torheit auf derselben Linie standen. Sancho hörte ihm sehr aufmerksam zu und bemühte sich, diese Ermahnungen in seinem Gedächtnisse aufzubewahren, wie einer, der sie zu beobachten meinte, um vermittelst ihrer in der Schwangerschaft seiner Statthalterei zur glücklichen Entbindung zu gelangen. Don Quixote aber fuhr fort und sagte:

»Was nun anbetrifft, Sancho, wie du deine Person und dein Haus regieren mußt, so ist das erste, was ich dir zur Pflicht mache, daß du dich sauberhältst und dir die Nägel beschneidest und sie nicht so lang wachsen lässest, wie manche tun, die sich aus Unwissenheit einbilden, daß lange Nägel die Hände verschönern, als wenn dieser Auswurf und Überfluß, den sie zu beschneiden unterlassen, noch Nägel wären und nicht vielmehr die Klauen eines Raubvogels: ein unsauberer und widersinniger Mißbrauch.

Trage dich nicht, Sancho, lose und nachlässig, denn eine liederliche Kleidung zeigt immer ein unordentliches[283] Gemüt an; wenn diese Nachlässigkeit nicht sogar Schelmerei verbergen soll, wofür man die des Julius Caesar halten wollte.

Fühle es mit Verstand heraus, wieviel die Einkünfte deines Amtes vermögen, und vertragen sie, daß du deinen Bedienten Livree geben kannst, so gib sie ihnen nicht sowohl glänzend und prächtig als bequem und anständig und teile sie zwischen den Bedienten und den Armen; ich meine, daß, wenn du sechs Pagen kleiden kannst, so kleide nur drei und drei Arme, so wirst du Pagen im Himmel und auf Erden haben; und diese neue Weise, Livree zu geben, sucht keiner der eitlen Prahler nachzuahmen.

Iß weder Knoblauch noch Zwiebeln, damit man nicht aus dem Geruche dein gemeines Wesen erkenne. Geh langsam. Sprich ruhig; doch nicht so, daß es scheint, du hörtest dir selber zu, denn alle Affektation ist widerwärtig.

Iß wenig zu Mittage und abends noch weniger: denn die Gesundheit des ganzen Körpers wird in der Werkstätte des Magens zubereitet.

Sei mäßig im Trinken und bedenke, daß reichlich genossener Wein weder Geheimnisse bewahrt noch ein Wort erfüllt.

Gib acht, Sancho, daß du nicht mit beiden Backen kauest noch in Gegenwart von irgend jemandem eruktierst.«

»Dies Eruktieren verstehe ich nicht«, sprach Sancho. Und Don Quixote sagte: »Eruktieren, Sancho, heißt rülpsen; und dieses Wort ist eins der schändlichsten, die wir in unsrer Sprache besitzen, so ausdrucksvoll es auch ist, daher haben feine Leute zum Latein ihre Zuflucht genommen und sagen statt rülpsen eruktieren und statt ein Rülps eine Eruktation; und wenn auch mancher dieses Wort nicht versteht, so schadet es wenig, denn der Gebrauch wird es mit der Zeit einführen, so daß es alsdann leicht verstanden wird, und dieses heißt die Sprache bereichern, über welche die Menge sowie die Gewohnheit immer ihre Macht ausüben.«

»Wahrlich, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »diese Ermahnung und diesen Rat denke ich gut im Gedächtnis zu behalten, nämlich nicht zu rülpsen, denn ich pflege es häufig zu tun.«

»Eruktieren, Sancho, und nicht rülpsen«, sagte Don Quixote.

»Eruktieren will ich in Zukunft sagen«, antwortete Sancho, »und ich werde es wahrhaftig nicht vergessen.«

»Ebenfalls, Sancho, mußt du in deinen Reden nicht die Menge von Sprichwörtern einmischen, wie du zu tun gewohnt bist; die Sprichwörter sind zwar kurze Sentenzen, aber du ziehst sie oft so bei den Haaren herbei, daß sie mehr Tollheiten als Sentenzen scheinen.«

»Da mag mir Gott helfen«, antwortete Sancho, »denn ich weiß mehr Sprichwörter als ein Buch, und es laufen mir immer so viele zugleich in den Mund, wenn ich spreche, daß sie sich eins vor dem andern zuerst herausdrängen wollen; die Zunge greift nun das erste beste, das ihr in den Weg kommt, wenn es auch nicht gerade passend ist; aber ich will von nun an Sorge tragen, mehr so zu sprechen, wie es die Würde meines Amtes erfordert: denn im vollen Hause setzt man sich bald zum Schmause, wer hat, ist satt, und wer in der Vorhand sitzt, muß ausspielen, und Geben und Haben erfordert seine Gaben.«

»Nun ja denn, Sancho«, rief Don Quixote, »packe, fädle und nähe nur Sprichwörter zusammen, denn keiner hindert dich daran: dies Feuer löschen wollen ist vergebliche Arbeit. Ich rate dir eben, daß du dir die Sprichwörter abgewöhnen sollst, und in demselben Augenblicke betest du eine ganze Litanei her, die sich ebenso hierher schicken wie die Faust aufs Auge. Besinne dich, Sancho, ich sage nicht, daß ein Sprichwort, gut angebracht, an sich übel sei, aber wer Sprichwörter, wie sie ihm in die Hand laufen, aufeinanderpackt und wälzt, der hat eine gemeine und niedrige Art, sich auszudrücken.[284]

Wenn du zu Pferde sitzest, so wirf den Körper nicht hintenüber, halte auch nicht die Beine steif und ausgestreckt, daß sie weit vom Bauche des Pferdes abstehen, aber ebensowenig sitze baumelnd, als wenn du auf dem Grauen rittest; denn der Sitz zu Pferde macht einige zu Rittern, andere zu Stallknechten.

Schlafe wenig, denn wer nicht mit der Sonne aufsteht, kann den Tag nicht genießen: und bedenke, Sancho, daß der Fleiß der Vater des Glückes ist, die Trägheit aber, seine Feindin, den Zweck nie erreicht, den sich ein Vernünftiger vorsetzt.

Die letzte Ermahnung, die ich dir jetzt geben will, dient zwar nicht, den Körper zu schmücken, doch wünsche ich, daß du sie gut im Gedächtnisse behalten mögest, denn sie wird dir nicht weniger nützlich sein als die übrigen, die ich dir gegeben habe, nämlich: daß du dich nie in Streit über Familien einlässest und sie untereinander vergleichst, denn von denen, die miteinander verglichen werden, muß notwendig die eine die bessere sein, von dem also, den du verwirfst, wirst du gehaßt werden, von dem aber, den du erhebst, keinen Lohn erhalten.

Deine Kleidung sei eine ordentliche Hose, ein weites Überkleid und ein noch weiterer Mantel, an weite Beinkleider aber kein Gedanke, denn sie ziemen sich weder für Ritter noch für Statthalter.

Diese sind, Sancho, die Ermahnungen, die mir jetzt beigefallen sind; mit der Zeit, und wie es die Gelegenheit erfordert, werde ich dir ferner meinen Rat mitteilen, wenn du nämlich Sorge trägst, mich immer zu benachrichtigen, in welcher Lage du dich befindest.«

»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »ich sehe wohl ein, wie alles, was Ihr mir gesagt habt, treffliche, heilige und nützliche Dinge sind, aber was können sie mir nützen, wenn ich sie alle vergesse? Das zwar, daß ich mir nicht soll die Nägel wachsen lassen und mich zum zweitenmal verheiraten, wenn es sich fügt, das soll mir nicht wieder aus der Phrenesie kommen; aber den andern Mischmasch und die Sprüche und eingerührten Dinge habe ich so rein vergessen wie die Wolken vom vorigen Jahre; darum wird es nötig sein, daß Ihr sie mir schriftlich gebt, denn wenn ich auch nicht selber lesen und schreiben kann, so will ich sie doch meinem Beichtvater geben, daß er sie mir wiederholt, eintränkt und repitert, sooft es nötig tut.«

»Ach du Unglückskind!« antwortete Don Quixote, »ha! wie schickt es sich doch für einen Statthalter, weder lesen noch schreiben zu können. Denn du mußt wissen, o Sancho, daß, wenn ein Mensch nicht lesen kann oder linkisch ist, dieses immer eins von den beiden anzeigt, entweder daß er von äußerst gemeinen und niedrigen Eltern abstammt oder daß er so verkehrt und bösartig ist, daß weder Unterricht noch gute Sitten an ihm haften. Das ist also an dir ein großer Fehler, und ich wünschte sehr, daß du wenigstens unterzeichnen lerntest.«

»Ich kann wohl meinen Namen unterzeichnen«, antwortete Sancho, »denn als ich einmal in meinem Dorfe die Almosen einsammelte, lernte ich etliche Buchstaben machen, wie die Zeichen auf den Kisten, welche vorstellten, daß es mein Name vorstellte; noch besser aber ist es, ich tue, als wenn mir die rechte Hand gelähmt wäre, und lasse einen andern für mich unterzeichnen, denn es gibt für alle Dinge ein Mittel, außer für den Tod, und wenn ich Stab und Gesetz führe, so kann ich auch tun, was ich will: denn es heißt, wer einen Advokaten zum Vater hat – – – Und wenn ich Statthalter bin, so bin ich noch mehr als ein Advokat, drum mögen sie nur kommen, so sollen sie es schon sehen, sie sollen einmal lachen und mich zum besten haben, sie sollen nach Wolle gehen und geschoren nach Hause kommen, wem Gott wohlwill, dem verschafft er Ehre, und die Torheiten des Reichen gehen für Weisheit durch die Welt, und wenn ich Statthalter und freigebig zugleich bin, wie ich es sein werde, so wird kein Mensch einen Fehler an mir sehen; ja wer sich zum Schaf macht, den fressen die Wölfe; du giltst soviel, als du Geld hast, sagte meine Großmutter, und bist du reich, bist du ein Weiser zugleich.«

»O daß dich Gott verwünsche, Sancho!« rief Don Quixote aus, »sechzigtausend Teufel mögen dich[285] und deine Sprichwörter holen! Schon seit einer Stunde stopfst und knetest du sie ineinander, und mit jedem quälst du mich mit Folterschmerzen. Ich versichere dich, daß diese Sprichwörter dich noch einmal an den Galgen bringen werden, ihrethalben werden dir deine Untertanen das Regiment entreißen, oder du wirst damit Meuterei und Aufruhr erregen. Sage mir nur, Dummkopf, wo du sie hernimmst oder wie du sie anbringst, Esel! denn um nur eins zu finden und gut anzubringen, schwitze und arbeite ich wie ein Drescher.«

»Bei Gott, lieber gnädiger Herr«, versetzte Sancho, »Ihr beschwert Euch auch über rechte Kleinigkeiten. Wen Teufel geht es etwas an, wenn ich mein Vermögen brauche, denn kein anderes habe ich nicht, auch keinen anderen Grund und Boden als Sprichwörter und wieder Sprichwörter; und soeben fallen mir wieder viere ein, die hier wie gegossen passen, die wie Brot in einen Schnappsack hergehören; aber ich werde sie nicht sagen, denn wer zu schweigen weiß, den nennt man Sancho.«

»Dieser Sancho bist du nicht«, sagte Don Quixote, »denn du weißt so wenig zu schweigen, daß du vielmehr der umständlichste und zudringlichste Schwätzer bist; dessenungeachtet möchte ich wissen, welche vier Sprichwörter dir jetzt ins Gedächtnis gekommen sind, die hier schicklich wären, denn so sehr ich auch in dem meinigen, welches doch ein sehr gutes ist, nachsuche, finde ich sonst kein einziges.«

»Wie könnten sie besser sein«, sagte Sancho, »als die: Stecke keinem den Finger zwischen seine Backenzähne, und jeder fege vor seiner Tür, mit großen Herren ißt man nicht Kirschen gern, und mag der Krug im Steine liegen oder der Stein im Krug, steht's übel um den Krug, die hier alle wie gerufen kommen. Keiner soll sich mit seinem Statthalter messen oder mit einem, der ihm zu befehlen hat, denn es wird ihm sonst so übel gehen wie einem, der den Finger zwischen zwei Backenzähne steckt, und wenn es auch keine Backenzähne sind, es schadet drum nicht, wenn es nur Zähne sind; und was der Statthalter befiehlt, das muß geschehen, drum fege jeder vor seiner Tür, und mit großen Herren und endlich das mit dem Stein im Kruge kann ein Blinder einsehen. Drum ist es nötig, daß, wer den Splitter in eines andern Auge sehen will, erst den Balken in seinem eignen sehe, sonst heißt es von ihm: Der Kessel sagt zum Topfe, du Schwarzmaul! Und Ihr wißt wohl, gnädiger Herr, daß der Tor in seinem eigenen Hause mehr weiß als der Kluge in einem fremden.«

»Das ist unrichtig, Sancho«, antwortete Don Quixote, »denn der Tor weiß weder in seinem noch in einem andern Hause etwas, weil sich niemals auf dem Grunde der Torheit irgendein verständiges Gebäude aufführen läßt. Wir wollen dies aber fahrenlassen, Sancho, denn wenn du schlecht regierest, so wird dein die Schuld und mein die Schande sein; ich tröste mich aber damit, daß ich meine Pflicht getan und dich so ernsthaft und so verständig, als es mir möglich war, ermahnt habe; hiermit habe ich mich meiner Schuldigkeit und meines Versprechens entledigt. Gott geleite dich, Sancho, und regiere dich in deinem Regimente, mich aber befreie er von der Furcht, daß du deine ganze Insel köpflings übereinanderkehren wirst, was ich leicht vermitteln könnte, wenn ich dem Herzoge entdeckte, wer du bist, indem ich ihm sagte, daß dieser ganze Wanst und dieses ganze Kerlchen nichts weiter sei als ein Ranzen voller Sprichwörter und Bosheit.«

»Gnädiger Herr«, versetzte Sancho, »wenn Ihr meint, daß ich zu keinem Statthalter etwas tauge, so will ich gern davon abstehen, denn ich halte ein Nägelabschnitzel von meiner Seele höher als meinen ganzen Körper, und so will ich ebensogern Sancho schlechtweg bei Brot und Zwiebeln bleiben als Statthalter bei Rebhühnern und Kapaunen, um so mehr, da, wenn wir schlafen, wir uns alle gleich sind, die Großen wie die Kleinen, die Armen wie die Reichen, und wenn Ihr es recht überlegt, gnädiger Herr, so müßt Ihr einsehen, daß bloß Ihr mir das vom Statthalter in den Kopf gesetzt habt, denn ich wußte von Statthalterei der Insel sowenig wie ein ungebornes Kind, und wenn Ihr glaubt, daß mich als Statthalter[286] der Teufel holen wird, so will ich lieber als Sancho in den Himmel als als Statthalter in die Hölle kommen.«

»Bei Gott, Sancho«, sagte Don Quixote, »für diese letzten Worte allein, die du gesprochen hast, verdientest du nach meiner Meinung Statthalter über tausend Inseln zu sein, du hast gute natürliche Anlagen, ohne welche keine Wissenschaft Wert hat; empfiehl dich Gott und suche nur in deiner Hauptabsicht keinen Irrtum zu begehen; ich meine, daß du immer bei allem, was dir vorkömmt, eine feste und bestimmte gute Absicht hast, denn diese begünstigt der Himmel immer; und jetzt wollen wir zu Tische gehen, denn ich glaube, daß uns die Herrschaften schon erwarten.«

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 282-287.
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