Prolog an den Leser.

[7] Behüte Gott! Ei! mit welchem Eifer wirst du jetzt, vornehmer oder auch vielleicht geringer Leser, nach diesem Prologe greifen, um in ihm Scheltworte, Zank und Schmähen gegen den Verfasser des zweiten »Don Quixote« zu finden; jenes nämlich, von welchem es heißt, daß er in Tordesillas gezeugt und in Taragona geboren wurde! Aber wahrlich, dieses Vergnügen will ich dir nicht gewähren; denn wenn auch Beleidigungen den Zorn in den sanftesten Herzen erwecken, so soll doch diese Regel bei mir eine Ausnahme leiden. Du möchtest gern, daß ich ihn dummköpfig, einfältig und unverschämt nennte; aber dergleichen kommt mir nicht in den Sinn; wie er es getrieben, so geh es, was er sich eingeschüttet, mag er essen, und wohl möge es ihm bekommen. Was mich aber hat kränken müssen, ist, daß er mich einen Alten und Verstümmelten schilt, als wenn es in meiner Gewalt gestanden hätte, die Zeit zurückzuhalten, daß sie ihren Weg nicht auch über mich genommen; oder als wenn ich meine Verstümmelung in irgendeiner Taverne davongetragen, nicht aber an dem glorreichsten Tage, den die Gegenwart oder Vergangenheit sah oder die Zukunft sehen wird. Glänzen meine Wunden auch nicht in den Augen derer, welche sie sehen, so werden sie wenigstens von denen geschätzt, welche wissen, wo ich sie empfing; denn besser nimmt sich der Soldat tot in der Schlacht aus als frei auf der Flucht, und meine Gesinnung hierüber ist[7] diese, daß, wenn man mir heute die Unmöglichkeit möglich machte, ich doch lieber in jener wundervollen Begebenheit zugegen gewesen sein möchte als zur Stunde mich heil und ohne Verletzung befinden, ohne an jenem Tage teilgenommen zu haben. Die Narben, die der Soldat im Angesicht und auf der Brust trägt, sind Sterne, die den übrigen den Weg zum Himmel der Ehre zeigen und ihre Wünsche nach verdientem Ruhme erwecken. Übrigens erwäge man, daß man nicht mit den grauen Haaren, sondern mit dem Verstande schreibt, der sich mit den Jahren zu verbessern pflegt. Auch hat mich verdrossen, daß er mich neidisch nennt und mir, als einem Unwissenden, beschreibt, was der Neid sei, wovon ich mit Wahrheit beteuern kann, daß ich von den beiden Arten des Neides nur den edlen, untadelhaften kenne, der nach dem Guten strebt; da sich dies nun so verhält, so werde ich keinen Geistlichen verfolgen, besonders wenn er zur heiligen Inquisition gehört; und wenn er dies des Mannes wegen, welchen er, wie ich glaube, meint, gesagt hat, so ist er durchaus im Irrtum, denn von diesem verehre ich den Geist und bewundere seine Werke sowie seine fortgesetzte tugendvolle Beschäftigung. Dafür aber sage ich wahrlich diesem Herrn Autor meinen Dank, daß er behauptet, meine Novellen seien mehr satirisch als moralisch, übrigens aber gut, was sie auch wirklich nicht sein könnten, wenn sie nicht beides wären. Es scheint, du sagst mir, daß ich mich sehr beschränke und genau in den Grenzen meiner Bescheidenheit bleibe, wohl wissend, daß man den Geschlagenen mit neuen Schlägen nicht heimsuchen solle und daß die Schmach, die dieser Herr erlitten haben muß, gewiß sehr groß sein mag, weil er es nicht wagt, auf offnem Felde und beim Tageslichte zu erscheinen, sondern seinen Namen verdeckt und sich ein Vaterland erdichtet, als wenn er irgendein Verbrechen der beleidigten Majestät begangen hätte. Solltest du ihn zufälligerweise kennenlernen, so sage ihm meinerseits, daß ich mich nicht für beleidigt halte; daß ich recht gut weiß, was die Versuchungen des Teufels sind, und daß eine der größten die ist, es einem Menschen in den Kopf zu setzen, er könne ein Buch schreiben und drucken lassen, mit welchem er ebensoviel Ruhm als Geld und ebensoviel Geld als Ruhm gewönne, und zur Bestätigung dessen ersuche ich dich, ihm in deiner guten Laune und Fröhlichkeit folgende Geschichte zu erzählen.

In Sevilla war ein Narr, der auf die lächerlichste Tollheit und Dummheit verfiel, auf die nur jemals ein Narr geraten ist; er höhlte nämlich ein Rohr aus und machte es an dem einen Ende spitz, und wenn er nun auf der Gasse oder anderswo einen Hund antraf, so hielt er das eine Bein desselben mit dem seinigen fest, das andere ergriff er mit der Hand, worauf er denn, so gut es gehen wollte, die Höhlung in einen gewissen Teil brachte und den Hund aufblies, bis er so rund wie ein Ball wurde; wenn er ihn dann so hielt, gab er ihm zwei Schläge mit der Hand auf den Bauch, ließ ihn los und sagte zu den Umstehenden, deren immer eine große Anzahl war: »Meine Herren denken nun wohl, daß es eine kleine Arbeit sei, einen Hund aufzublasen.« Mein Herr denkt nun auch vielleicht, daß es eine kleine Arbeit sei, ein Buch zu machen. Leuchtet ihm aber diese Geschichte nicht ein, so erzähle ihm, geliebter Leser, folgende, die ebenfalls von einem Narren und Hunde handelt.

In Cordoba war ein anderer Narr, der die Gewohnheit hatte, auf dem Kopfe ein Stück Marmor oder einen andern nicht leichten Stein zu tragen; fand er nun irgendeinen unachtsamen Hund, so stellte er sich dicht neben diesen und ließ die Last senkrecht auf ihn herunterfallen. Der Hund erschrak und rannte alsdann mit Geheul und Geschrei durch drei Gassen, ohne stillzustehen. Es traf sich, daß unter den Hunden, auf die er seine Last fallen ließ, er auch an den Hund eines Hutmachers geriet, den sein Herr ungemein liebte. Er ließ den Stein fallen, jenem auf den Kopf, der verletzte Hund fing ein Geheul an, sein Herr sah es und nahm es übel; er ergriff eine Elle, machte sich an den Narren und ließ keine Stelle seines Körpers gesund; und bei jedem Schlage, den er ihm gab, sagte er: »Du Spitzbube! Meinem Hühnerhunde? Siehst du, Bestie, denn nicht, daß mein Hund ein Hühnerhund ist?« Und indem er unzählige[8] Male das Wort Hühnerhund wiederholte, ließ er den mürbe geprügelten Narren gehen. Der Narr hielt sich eingezogen und zeigte sich wohl in vier Wochen nicht öffentlich, worauf er denn endlich mit seinem Kunststücke und mit einem noch größeren Steine erschien. Er ging nach der Stelle, wo ein Hund stand, beschaute ihn genau von vorn und hinten und sagte dann, ohne sich zu erdreisten, seine Last fallen zu lassen: »Das ist ein Hühnerhund, vorgesehen!« Kurz, alle Hunde, die er nur sah, es mochten nun Bullenbeißer oder Bologneser sein, nannte er Hühnerhunde, und so ließ er seinen Stein gar nicht mehr fallen. Vielleicht begegnet auch jenem Historienschreiber etwas Ähnliches, daß er sich nicht mehr unterfängt, die Wucht seines Geistes in Büchern niederzulegen, die schlecht und also viel härter als Steine sind. Sage ihm auch, daß mich seine Drohung, er wolle mir mit seinem Buche meinen Gewinn entziehen, nicht im mindesten kümmert; denn ich gebe ihm hierauf jene Antwort aus dem bekannten »Zwischenspiel von der Leichtfertigen«: »Für mich lebt noch Herr Richter, und Christus sei mit allen!« Es lebt noch der große Graf Lemos, dessen Milde und weltbekannte Freigebigkeit mich gegen jeden Druck meiner Armut verteidigt und mich aufrechterhält, so wie die Güte des Erlauchten von Toledo, Don Bernardo de Sandoval und Roxas, und so dürfte es um meinetwegen gar keine Druckereien in der Welt geben, oder es möchten auch mehr Bücher gegen mich gedruckt werden, als die Strophen des »Mingo Revulgo« Buchstaben enthalten. Diese beiden Fürsten, ohne durch meine Schmeichelei oder sonstige Beifallsbezeugung aufgefordert zu sein, haben es aus freiwilliger Güte über sich genommen, mich zu beschützen und in ihre Gunst zu nehmen, wodurch ich mich reicher und glücklicher achte, als wenn Fortuna mich auf dem gemeinen Wege auf den höchsten Gipfel gestellt hätte. Die Ehre kann beim Armen, niemals beim Lasterhaften wohnen; die Armut kann den adeligen Sinn beschatten, aber nicht gänzlich verdunkeln. Wie aber die Tugend einiges Licht von sich strahlt, wenn sie es auch durch die Nebel und Finsternisse der Armut wirft, so wird sie auch immer von hohen und edlen Geistern geachtet und deshalb auch begünstigt. Mehr sollst du ihm nicht sagen, und auch dir will ich nichts weiter hinzufügen, als daß du bedenken magst, daß dieser zweite Teil des »Don Quixote«, den ich dir jetzt übergebe, von dem nämlichen Künstler und aus dem nämlichen Zeuge wie der erste gearbeitet sei und ich dir hiermit den Don Quixote übergebe, vermehrt und endlich tot und begraben, damit keiner es über sich nehme, neue Zeugnisse seinetwegen herbeizubringen; denn es ist an den bisherigen genug, so wie es auch genug ist, wenn ein verständiger Mann Nachricht von diesen angenehmen Torheiten gegeben hat, der aber nicht Lust hat, sich von neuem ihrer Darstellung zu widmen; denn es geschieht wohl, daß die Sachen, die in Menge da sind, wenn auch sonst vortrefflich, nicht geachtet werden, so wie die Seltenheit den Schlechten oft eine Art von Achtung zuwege bringt. Noch vergaß ich, dir zu sagen, daß du den »Persiles« erwarten darfst, den ich jetzt vollende, sowie den zweiten Teil der »Galatea«.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 7-9.
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